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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 2/1999

 

Vorläufige Fassung / Preliminary version

COLIN CROUCH / WOLFGANG STREECK (eds.):

Political Economy of Modern Capitalism. Mapping Convergence and Diversity

London et al. 1997

SAGE Publications, 212 S.

Der neoliberalen Dominanz in den Debatten über Globalisierung und Wettbewerbsfähigkeit werden in zunehmendem Maße sowohl konzeptionelle als auch praktische Aktivitäten entgegengesetzt, so daß eine entscheidende Regulierungsdebatte im Gange ist. Einen gewichtigen Beitrag liefern zwei internationale Konferenzen, welche 1994 in Frankreich stattfanden und deren überarbeitete Vorträge nun in einem breit angelegten Sammelband vorliegen. Inhaltlicher Bezugspunkt für die Konferenzen und somit auch für das Buch waren zwei einflußreiche Bücher. Das erste erschien bereits 1965 unter dem Titel "Modern Capitalism", von Andrew Shonfield verfaßt. Das neuere, 1991 publizierte Buch stammt von Michel Albert und hat den Titel "Capitalisme contre Capitalisme". Beiden Veröffentlichungen ist u.a. gemeinsam, daß sie institutionelle Voraussetzungen von Regierungspolitiken und gesellschaftlicher Organisation für wirtschaftliche Entwicklungen auf der Basis komparativer Analysen untersuchen.

In ihrem gemeinsamen Einleitungsbeitrag geben die Herausgeber Wolfgang Streeck (Direktor am Max-Planck-Institut für Sozialforschung, Köln) und Colin Crouch (Professor in Florenz und Oxford) einen kurzen Überblick über die wissenschaftliche Debatte über den Einfluß unterschiedlicher institutioneller Konfigurationen in zeitgenössischen kapitalistischen Gesellschaften auf deren teilweise enormen Differenzen in der ökonomischen Performanz. In Rekurs auf beispielhafte Literatur aus dem Feld des "Neuen Institutionalismus" werden Argumente angeführt für die Hauptthese, daß "purposeful collective action - in one word: politics - could make a difference even and precisely for the nature of advanced capitalism" (S. 1). Zu den wichtigsten Basisinstitutionen zur wirtschaftspolitischen Steuerung in jeweils nationaler Ausprägung zählen für die Autoren konkurrenzfähige Märkte, organisationelle Hierarchien, Traditionen staatlicher Aktivitäten, Verbände und Vereinigungen, informelle Zusammenhänge und Netzwerke. Durch Berücksichtigung dieser institutionellen Aspekte wird die Wichtigkeit des Kulturellen und des Politischen für die Ökonomie deutlich, "reflecting the fundamental fact that economic action is always and inevitably social action, and for this reason depends for its successful conduct on a supportive social context." (S. 5) Nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten sich, wie z.B. Shonfield beschrieben hat, verschiedene Typen eines sozial gezähmten Kapitalismus heraus. Der ausgeprägteste Typus entwickelte sich in sozialdemokratischen skandinavischen Ländern, Frankreich, Bundesrepublik Deutschland und denNiederlanden ("rheinischer Kapitalismus") und galt lange Zeit als erfolgreich im Vergleich zu den Modellen eines puren Marktes (wie den USA und GB). Der gezähmte, "institutional capitalism" (S. 5) befindet sich allerdings seit den neoliberalen Offensiven der Ära Reagan-Thatcher in einer strukturellen Krise und ideologisch in der Defensive. Stattdessen wird allenthalben das Marktmodell als siegreich in Bezug auf diejenigen aktuellen Herausforderungen angesehen, die sich mittels der Parameter Wirtschaftswachstum, Innovationsfähigkeit, Flexibilität und Arbeitsplatzschaffung (ohne humane Standards) beschreiben lassen. Daß Unternehmen und pure Marktmechanismen allerdings auf institutionelle und kulturelle Rahmenbedingungen angewiesen sind, läßt sich an den häufig negativen Erfahrungen vieler osteuropäischer Transformationsökonomien feststellen, bei denen relative Mängel an zivilgesellschaftlichen Strukturen und Mechanismen vorliegen. Entsprechend führte gemäß Crouch/Streeck die neoliberale Politik beispielsweise der Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitsmärkte zu immensen Verwerfungen und sozialen Problemen. Der Trend hin zu einer völlig deregulierten internationalen Wirtschaft mit deregulierten nationalen Ökonomien "would be an institutional monoculture that may lead to a net loss of performance capacity", weil dadurch eine "socio-diversity" verloren ginge, in der unterschiedliche Nischen für unterschiedliche Unternehmen existierten, die darin optimale Handlungsbedingungen vorgefunden haben (S. 15). In diesem Zusammenhang wird von Crouch/Streeck ein wichtiger Grund für die Durchsetzungskraft von Lösungen entlang der Ideologie des freien Marktes benannt: diese bieten "the easiest short-term escape route for firms under destabilizing competition and afraid of the costs of building and rebuilding social infrastructure, especially if they can hope to internalize and privatize such infrastructures by turning themselves into institutional firms" (S. 15f.).

Den sogenannten "institutional firms", die notwendige soziale Unterstützungsstrukturen intern aufbauen, wodurch sie eine gewisse Autarkie erlangen, bietet sich allem Anschein nach eine erfolgversprechende Perspektive: "In all systems there is probably a future for firms that have, either within a wider supportive culture as in Japan, or as substitutes for such a culture like in the USA, an institutional base of their own that motivates and retains employees and sustains capital market support for R&D and technical development." (S. 16)

Die Tage heute bestehender nationaler Institutionen sind gemäß Crouch/Streeck gezählt. Unabhängig davon, ob sie in der Vergangenheit erfolgreich waren oder nicht, werden sie in Zukunft lediglich als Bausteine für die Konstruktion neuer, umfassender und zeitgemäßer institutioneller Struktur fungieren, um die Aufgabe der Zivilisierung der inzwischen global integrierten kapitalistischen Marktwirtschaft in angemessener Weise zu praktizieren.

Vor dem Hintergrund dieser Erörterungen legen zehn weitere AutorInnen, darunter Robert Boyer (Ökonom und Direktor zweier sozialwissenschaftlicher Forschungsinstitute in Paris, prominenter Vertreter der sogenannten französischen Schule der Regulation) und die vor kurzem verstorbene Susan Strange (University of Warwick), Länderstudien (über Schweden, Italien, Großbritannien, Japan und Deutschland) bzw. Untersuchungen über zentrale Aspekte vor (internationale Finanzmärkte, dritter Weg). Darunter befindet sich ein Beitrag von J. Roger Hollingsworth, Professor für Soziologie und Geschichte in den USA, der die institutionelle Einbettung der Wirtschaft in den Vereinigten Staaten untersucht und ebenfalls zu dem Schluß kommt: "Capitalism is contradictory, undermining the institutions essential for its continuation." (S. 133). Er ist hinsichtlich der Dauerhaftigkeit des derzeitigen, neoliberalen Kurses der US-Wirtschaftspolitik äußerst skeptisch, insbesondere wegen der sozial polarisierenden Effekte. Allerdings sieht er keine adäquaten gesellschaftlichen Kräfte für einen baldigen und vehementen Kurswechsel in den USA. Ähnlich skeptisch äußert sich Streeck in einem weiteren Beitrag allerdings auch über die Perspektiven der Bundesrepublik Deutschland.

Angesichts eines solchen argumentativ fundierten und gut verständlichen Sammelbands erscheint die neoliberale "Lufthoheit" über vielen Stamm- und Bürotischen einmal mehr als auf Sand gebaut, beweist aber zugleich, daß die Durchsetzung von Ideologien nur in begrenztem Maße mit sachlich-rationalen, differenzierten und empirisch gesättigten Argumenten zu tun hat, sondern vor allem mit Eingängigkeit und ideologisch-medialer Macht ("Hegemonie"). Zum Hauptmangel des Sammelbandes gehört leider, daß ökologische Grenzen des neoliberalen Modells kaum, und die außerordentliche Herausforderung durch das Leitbild "Sustainable Development" als Handlungsprämisse überhaupt nicht thematisiert wird! Insgesamt handelt es sich hier allerdings um eine empfehlenswerte Veröffentlichung mit interessanten Einsichten in wichtige nationalökonomische Systeme und deren institutionell-kulturelle Einbettung, deren Grenzen und Perspektiven.

Edgar Göll

Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung

Berlin


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