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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 2/1999

 

Vorläufige Fassung / Preliminary version

KARIN WARINGO:

Die Internationalisierung der Produktion in der französischen Regulationstheorie

Frankfurt/Main 1998

Campus Verlag, 308 S.

 

Hinter dem medienwirksamen Nebel um das Phänomen "Globalisierung" tauchen in der öffentlichen Diskussion inzwischen Differenzierungen auf, die sich aus neueren theoretischen Entwicklungen speisen. Allerdings behindert beispielsweise die leidig lange Dauer, bis wichtige Texte aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt werden, den sozialwissenschaftlichen Fortschritt. Einen besonderen Schatz hat die Politikwissenschaftlerin Waringo gehoben, indem sie das Reservoir der sogenannten französischen Regulationsschule für die hiesige Globalisierungsdebatte erschlossen hat. Die zentrale Frage der Forschungsarbeit von Waringo lautet, "ob die französische Regulationstheorie eine alternative Herangehensweise an die Problematik der Internationalisierung und spezifischer, der Internationalisierung der Produktion hervorgebracht hat"; sie gibt darauf eine "nuancierte Antwort" (S. 281).

Mit dem Ende der langanhaltenden Prosperitätsphase der westlich-kapitalistischen Industriestaaten im Verlauf der 70er Jahre und des relativen Niedergangs der USA begannen innovative Überlegungen französischer Wissenschaftler über die Ursachen der langen Stabilität und der zeitgenössischen Strukturkrise. In Absetzung von der klassisch-liberalen Gleichgewichtsdogmatik und macht- und ökonomieblinden Modernisierungstheorien einerseits und von pauschalen Imperialismus- und Dependenztheorien und der subjektlosen Strukturalismustheorie à la Althusser andererseits erfolgte sukzessive die Entwicklung eines hochdifferenzierten Ansatzes, der u.a. mit der Dissertation von Michel Aglietta 1976 einsetzte. Waringo sieht in der darin entworfenen Theorie des Fordismus eine entscheidende Wurzel für die späteren Regulationsansätze. Aglietta hatte darin, beeinflußt durch ältere Forschungen von Antonio Gramsci und Hendrik de Mans die Entwicklung der politischen Ökonomie der USA untersucht. Die nach etwa 1930 einsetzende Prosperitätsphase der USA hat er als exemplarische Phase kapitalistischer Entwicklung, als "Fordismus" bezeichnet, weil ihre zentralen Elemente in der Unternehmenspolitik des "Automobilkönigs" Henry Ford besonders klar zum Ausdruck gekommen waren: Arbeitsorganisation (Taylorisierung und Einsatz von Massenproduktionsausrüstungen wie z.B. Fließbänder), Kopplung der Einkommensentwicklung an die Produktivkraftentwicklung ("intensive Akkumulation", Ermöglichung des Massenkonsums) und eine "monopolistische" Regulationsweise (institutionelle Regelung des Arbeitsverhältnisses). Diese historisch-spezifische Konfiguration mehrerer innovativer Elemente ermöglichte eine enorme Expansion der Binnenwirtschaft, die wiederum den Kern des Erfolgs des Fordismus darstellt. Dieser wurde nach 1945 auch nach Westeuropa und Japan exportiert, stieß in den 60er und 70er Jahren allerdings an seine immanenten Grenzen (S. 65ff.). Als ein möglicher Faktor für die Krise des Fordismus wird daher auf dessen Zwang zur Internationalisierung verwiesen (womit sich interessante Parallelen zu theoretischen Ansätzen bei Rosa Luxemburg ergeben).

Gerade beim Punkt der Internationalisierung ergibt sich eine Spaltung des Regulationsansatzes in mittlerweile mindestens zwei relativ heterogene "Schulen", die von Waringo gut nachvollziehbar beschrieben, untersucht und diskutiert werden. Dankenswerterweise räumt die Autorin der sogenannten "Grenobler Schule" (Group de Recherche sur la Régulation de l'Economie Capitaliste, GRREC), die selbst bei ExpertInnen eher unbekannt geblieben ist, größeren Raum ein als der "Pariser Schule" (Centre d'Etudes Prospectives d'Economie Mathématique Appliquées à la Planification, CEPREMAP), die bei uns bereits durch Publikationen von Aglietta, Boyer, Lipietz und Mistral bekannt geworden sein dürfte, allerdings relativ heterogen aus unterschiedlichen Ansätzen besteht.

In einem ersten Kapitel werden die allgemeinen Grundlagen der regulationistischen Internationalisierungsanalysen vorgestellt und in anschließenden Kapiteln einzelne Beiträge und Ansätze des GRREC und des CEPREMAP dargelegt und diskutiert. Im abschließenden Kapitel werden die Erkenntnisse der Theoriestudie zusammengefaßt, kritisch gewürdigt und weiterführende Schlußfolgerungen vorgeschlagen.

Beide Ansätze entwickeln nach Einschätzung von Waringo "eine differenzierte Betrachtungsweise, die der Selektivität des Internationalisierungsprozesses Rechnung trägt" (S. 294). Anknüpfend an Arbeiten des Ökonomen François Perroux und dessen Konzept der "Dominanz" beispielsweise sind die KollegInnen des GRECC in der Lage, die Beziehungen zwischen dominierenden und peripheren Ländern ("Produktivsysteme") und damit verbunden die diversen Blockbildungen, deren Lösungspotentiale und Konflikte zu erklären. Die Stärke des CEPREMAP-Ansatzes hingegen liegt darin, sowohl die ökonomischen als auch andere gesellschaftliche Grundcharakteristika der jeweiligen Nationalökonomien zur Erklärung für die Ausgestaltung der internationalen Beziehungen heranzuziehen. Neben der Herausarbeitung dieser und weiterer Erkenntnisse beider Ansätze zum Verhältnis von nationaler und internationaler Entwicklung gelingt es Waringo, ihre spezifischen Defizite herauszuarbeiten, weshalb sie deren systematische Revision und Erweiterung empfiehlt. Schließlich weist sie auf Anknüpfungspunkte "zu Analysen von Mary Kaldor, Eric Hobsbawm und Robert Cox" hin (S. 292) und erwähnt, daß sich Regulationisten "immer häufiger auf die Konzepte anderer Schulen stützen, in erster Linie der Regime-Theorie, und jüngst auch des Governance-Ansatzes" (S. 293).

Mit dieser Publikation liegt erstmals ein Überblick in deutscher Sprache über das reichhaltige Repertoir der Pariser und Grenobler Regulationsansätze und ihren Beiträgen zum Thema Globalisierung vor. Trotz der komplizierten Materie und der argumentativen Dichte ist der Band sehr gut lesbar. Leider stößt man bei der Lektüre auf überdurchschnittlich viele Druckfehler. Die Diskussion und kritische Einschätzung der unterschiedlichen Varianten der Regulationstheoretiker erleichtern das Verständnis und regen zu eigenen Überlegungen und vertiefender Lektüre an. Das Buch ist daher sowohl für Kenner der Fordismusdebatte und GlobalisierungsforscherInnen als auch für "AnfängerInnen" sehr spannend und empfehlenswert und dürfte zur Weiterentwicklung der Globalisierungs- bzw. Internationalisierungsdebatte im deutschen Sprachraum beitragen.

Edgar Göll

Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung

Berlin


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