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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 2/1999

 

Vorläufige Fassung / Preliminary version

ULRICH BECK:

Was ist Globalisierung? Irrtümer des Globalismus, Antworten auf Globalisierung

Frankfurt a.M. 1997

Suhrkamp, 270 S.

 

NORBERT BERTHOLD:

Der Sozialstaat im Zeitalter der Globalisierung. Beiträge zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik

Tübingen 1997

Mohr Siebeck, 85 S.

 

DANIEL COHEN:

Fehldiagnose Globalisierung. Die Neuverteilung des Wohlstands nach der dritten industriellen Revolution

Frankfurt a.M. /New York 1998

Campus, 206 S.

 

DIRK MESSNER und GEORG VOBRUBA:

Die sozialen Dimensionen der Globalisierung

Duisburg 1998

INEF-Report 28, 47 S.

 

DANI RODRIK:

Has Globalization Gone Too Far ?

Washington 1997

Institute for International Economics, 108 S.

 

Bei einer Sammelbesprechung zum Thema "Globalisierung" vor zwei Jahren konnte man sich als Rezensent noch bei ghostbusters bewerben, um Schreckgespenster zu verjagen. Seitdem haben sich einige Einsichten und Faktenkenntnisse durchgesetzt. So nimmt von den hier besprochenen Büchern kein Autor mehr an, daß Importe aus oder Produktionsverlagerungen in Billiglohnländer direkt für Massenarbeitslosigkeit und ungleichere Einkommensverteilung in den Hochlohnländern verantwortlich sind (Beck, S.199ff., Cohen, S.57 ff., Berthold, S. 61). Einen gewissen, wenn auch schwachen Einfluß konstatiert Rodrik, der aber vor allem auf die wichtige Rolle der stärkeren Konkurrenz unter Hochlohnländern verweist. Auch der wirtschafts- und sozialpolitische Handlungsspielraum der Nationalstaaten besteht weiterhin. Aber nachdem die Binsenunwahrheiten der Globalisierung beseitigt sind, bleibt noch viel zu tun.

Zunächst gilt es, den wahren Kern, der vielleicht in den falschen Pauschalannahmen steckt, herauszuschälen:

  1. Arbeitslosigkeit und Armut sind die Kehrseiten einer Medaille. Schützt man unter Bedingungen relativ geringen Wachstums die wenig Qualifizierten vor der Lohnanpassung nach unten (wie in Europa), so werden sie arbeitslos. Läßt man flexiblere Entlohnung zu, so werden sie zu "working poor" (wie in den USA). Aber warum hat dieses Dilemma so grausame Ausmaße angenommen? Theoretisch spricht einiges dafür, daß das weltweite Überangebot an niedrig qualifizierter Arbeit diesen Prozeß auslösen könnte. Aber empirisch finden sich dafür nur wenig Belege. Zu gering ist das Volumen des Fertigwarenhandels zwischen armen und reichen Ländern, um die Arbeitslosigkeit in ihrer bekannten Höhe zu erklären. Cohen sucht daher die Ursachen in der Technologie und der postfordistischen Arbeitsorganisation. Sein Argument ist überzeugend und entlarvt die Globalisierungsfalle als "Fehldiagnose". Offen bleibt noch, inwieweit nicht die ganze Globalisierungsmanie "self-fulfilling prophecy" betreibt, indem sie die Unternehmer auch ohne realen Wettbewerbsdruck aus Billiglohnländern in die vorauseilende Rationalisierung treibt.
  2. Steuerungsfähigkeit des Nationalstaats heißt - darauf stellen Beck und Berthold öfter ab - zuerst mal Besteuerungsfähigkeit. Und die nimmt gegenüber dem dank der Globalisierung immer mobileren Kapital ab. Aber auch hier sieht die ganze Wahrheit etwas anders aus. In Deutschland, wo das Steueraufkommen der Unternehmen in der Tat dramatisch abgenommen hat (Beck, S.20f.), dürften sich die gewaltigen Abschreibungsmöglichkeiten, die die Regierung im Zuge des Aufbaus Ost angeboten hat, stärker ausgewirkt haben als "transfer pricing" und Gewinnverlagerung an Steueroasen. Cohen weist zurecht darauf hin, daß die wichtigste Einschränkung der fiskalpolitischen Handlungsfähigkeit von der exorbitanten Verschuldung herrührt, die die Staaten/Regierungen seit den 70er Jahren angehäuft haben und deren Bedienung namhafte Anteile des Staatshaushalts verschlingt. Rodrik unterstreicht darüber hinaus mögliche Konflikte zwischen nationalen Regelungen und internationalen Verpflichtungen im Zuge von Handelsliberalisierung oder auch der europäischen Integration.

Als zweite Aufgabe gilt es, Politiken zu entwerfen, die unter den Bedingungen der Globalisierung versuchen, zwar deren Chancen zu nutzen, aber gleichzeitig die Probleme anzupacken, die uns beunruhigen. Hier bieten alle Bücher Anregungen, wenn auch unterschiedlicher Qualität.

Beim ordoliberalen Autor Berthold hat man das Gefühl, daß er versucht, zwei widersprüchliche Botschaften zu vereinbaren: 1. Die Globalisierung bedroht niemanden bzw. nicht die Armen in den reichen Ländern; 2. Sie erzwingt die Reformen am Sozialstaat, die Berthold aus ordungspolitischen Prinzipien gern ohnehin haben möchte: weniger Staat und mehr Markt. So bestreitet er einerseits die Gefahr eines "race to the bottom" (des Wettlaufs um immer niedrigere Sozialstandards) auf S.28; andererseits bedeutet der "institutionelle Wettbewerb" (N.B.'s alias für Globalisierung) den - aus seiner Sicht begrüßenswerten - "Tod des Versicherungsstaates".

Auch sonst ist vieles unausgegoren. Einerseits plädiert er für niedrigere Löhne, andererseits teilt er (S.74/75) die sonst von Ökonomen wie Flassbeck vom DIW vertretene Auffassung, daß niedrigere Lohnkosten (allerdings in seinem Fall Lohnnebenkosten) durch Aufwertung kompensiert werden. Da gewinnt der Leser den Eindruck, daß jedes Argument recht ist, wenn es nur einer vorgefaßten wirtschaftspolitischen Auffassung dient. Oder was soll man von der Vermutung halten, Armutsbekämpfung reduziere die Streikhäufigkeit (S.66/67) oder - im Kontext des Buches noch schrecklicher - von der These, die Höhe der Gewinne aus der internationalen Arbeitsteilung hänge von sozialpolitischen Unterschieden ab und deren Einebnung erodiere die komparativen Vorteile (S.78), die doch - wie man seit Ricardo weiß - relative sektorale Produktivitätsunterschiede zwischen Ländern ausdrücken. Man kann sich zwar vorstellen, daß sozialpolitische Eingriffe die Produktivität beeinflussen. Aber wenn ein armes Land (in dem Abschnitt geht es um Sozialklauseln und Harmonisierung) z.B. durch verschärften Arbeitsschutz die Produktivität senkt, etwa - um in Ricardos klassischem Beispiel zu bleiben - Portugal in der Textilindustrie, so wird dadurch die Spezialisierung auf die Weinproduktion noch vorteilhafter.

Wenn einem Professor für Volkswirtschaftslehre so etwas unterläuft, spricht das für massive Denkverzerrungen im Interesse des eigenen Modells der Sozialstaatsreform. Angesichts eines Preises von 60,-DM für das dünne Heftchen kann der Rezensent hier nur seine Aufgabe darin sehen, den Marktgesetzen zum Durchbruch zu verhelfen und die Nachfrage der globalisierungshungrigen Leser auf Produkte mit besserem Preis-Leistungsverhältnis zu lenken, z.B. auf den kostenlosen INEF-Report.

Messner und Vobruba bieten eine Fülle systematisch entwickelter Politikansätze, Messner mehr für Schwellen- und Entwicklungsländer, Vobruba mehr mit Blick auf die Transformationsländer und Wohlfahrtsstaaten. Vobrubas kurze Einführung zur Globalisierung korrigiert zunächst die üblichen Vorurteile. Dann macht er Vorschläge, wie man einen Konsens zur Nutzung der Chancen erzielen kann, auch wenn kurzfristig eine große Zahl und/oder dauerhaft eine kleine Zahl von Verlierern der Globalisierung einzubinden ist. Messner kombiniert überzeugend empirisches Material aus verschiedenen Schwellenländern mit systematischen Überlegungen. Der Leser wünscht sich vielleicht etwas weniger lange englische Versatzstücke, die den Eindruck erwecken, als sei das Papier aus einem englischen Original nur partiell übersetzt worden.

Cohens Analyse dröselt eine Fülle unterschiedlicher Kausalfaktoren auf und entsprechend verstreuter sind auch seine Vorschläge. Von allen Untersuchungen ist seine gleichzeitig die überzeugendste, aber auch beunruhigendste. Denn wenn seine Analyse tatsächlich zutrifft, geht es um viel tiefgreifendere Veränderungen in den westlichen Industriegesellschaften als nur um das, was als Globalisierung bezeichnet wird. Entsprechend schwieriger - um nicht zu sagen aussichtsloser - sind die Versuche, diesen Entwicklungen zu wachsender Ungleichheit entgegenzutreten. Obendrein mußten einige der auch für Cohen vielversprechendsten Strategien wie die Aufholpolitik der ostasiatischen Gesellschaften gerade böse Rückschläge hinnehmen.

Bei Ulrich Beck fällt die Antwort auf die selbstgestellte Frage "Was ist Globalisierung?" wie auch auf die Möglichkeiten ihrer politischen Gestaltung essayistischer, ja wolkiger aus. Der Gedankenflug - oft drängt sich der Verdacht auf, es sei eher ein Wörterschwall - schwirrt von der Umwelt und der Ökonomie zur Kultur und Politik. Alles hängt zusammen, es globalt und glokalt, sprachgewaltig bricht die "Zweite Moderne" über den Leser herein. Dabei bleibt schon mal die innere Logik auf der Strecke: Nach einer kurzen Passage (S.111/2) zu den "working poor" in den USA vergleicht Beck die Produktivitätsentwicklung in USA und BRD und kommt dann zum "neue(n) Produktivitätsgesetz des globalen Kapitalismus im Informationszeitalter", nämlich "jobless growth". Knapp daneben. Da, wo Wachstum keine Arbeitsplätze schafft, ist der Produktivitätsanstieg hoch, jedenfalls höher als die Produktionsausweitung. In den USA gibt es eben Jobs, weil die Produktivität langsamer als die Produktion steigt, und das hat etwas mit den Löhnen zu tun. Wären sie höher, müßten die Firmen die Produktivität stärker steigern oder Arbeiter feuern, deren Grenzproduktivität geringer als die Lohnkosten ist. Umgekehrt erlaubt nur hohe Produktivität hohe Löhne.

Rodrik stellt fest, daß die zunehmende internationale Verflechtung der nationalen Ökonomien seit den 1960er Jahren mit zunehmender staatlicher Tätigkeit (mit einem höheren Anteil an Staatsausgaben, insbesondere für soziale Sicherung) einherging. Man kann sich streiten, inwieweit hier ein Kausalzusammenhang vorliegt. Im Ergebnis haben wir jedenfalls weit offene Wohlfahrtsstaaten, die sich bis in die 80er Jahre auch einer relativ hohen sozialen Stabilität erfreut haben. Rodrik befürchtet, daß die Globalisierung die Fähigkeit der Staaten senkt, ihre Bevölkerung vor externen Risiken zu schützen, was in der Folge zu sozialer Instabilität (Wahl extremistischer Gruppen und Personen, Unruhen etc.) führt. Er fordert mehr Rücksicht, Schutz und Kompensation für die Opfer der Globalisierung im Interesse des Fortbestands (und der Vertiefung) prinzipiell nützlicher internationaler Verflechtungen. Rodrik macht dabei deutlich, daß es primär um Verteilungs- und Legitimationsprobleme innerhalb der betroffenen Länder geht. Die Bürger reagieren auf ökonomisch gleiche Effekte gänzlich unterschiedlich, je nachdem, ob sie von äußeren, internationalen oder inneren Faktoren ausgelöst werden.

An diesem Punkt liegt es nahe, nochmals das Buch von Beck in die Hand zu nehmen, um zu sehen, was Kapitel wie "Kosmopolitische Demokratie", "Kapitalistische Weltgesellschaft", "Weltgesellschaft als nicht demokratisch legitimierte Politik" und "Ausblick: Transnationalstaat" anzubieten haben. Denn in der Weltgesellschaft müßten die kosmopolitischen Bürger ja bereit sein, Veränderungen ungeachtet ihrer geographischen bzw. nationalstaatlichen Herkunft zu beurteilen. Leider bietet Beck keinen Rat. Sein Diskurs schlängelt sich von Zitat zu Zitat, aus vielen Büchern, die meist "global" im Titel haben. Aber so recht will sich kein klares Bild ergeben. Die Menschen sind noch weit von der Haltung entfernt, die den müden Rezensenten überfällt, sondern verängstigt und verärgert angesichts von Anpassungszumutungen, denen die eigenen Regierungen zwar nicht hilflos, aber ohne zu helfen, ihren Lauf lassen.

Michael Dauderstädt

Friedrich-Ebert-Stiftung

Bonn


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