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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 2/1999

 

BIRGIT SAUER

Die Neustrukturierung der Geschlechterverhältnisse im entgrenzten Markt

Vorläufige Fassung / Preliminary version

Marktbezogene Heilsversprechungen sind in den sozialen und ökonomischen Krisen der neunziger Jahre vielzählig. Der Markt wird zur zentralen Regelungsinstanz erhoben, der den Tüchtigen Arbeit, Auskommen und Wohlstand, bisweilen sogar Luxus verspricht. Auch wenn viele nicht mehr an diesen segensreichen neoliberalen Internationalismus glauben, entwickelt das neoliberale Weltprojekt eine Dynamik der Unausweichlichkeit, einen ökonomischen Sachzwang: Das, was politisch hergestellt ist - nämlich die Liberalisierung und Entgrenzung des Kapitalismus -, wird zur unabweislichen Sachnotwendigkeit zerredet. Die ökonomische Globalisierung legitimiert neoliberale Politik mit dem Argument, daß dem ökonomisch-fiskalischen Weltmarktsog nicht zu entkommen sei. Die Rede über Globalisierung macht die Menschen glauben, nationalstaatliche Politik müsse sich dem Diktat der internationalen Ökonomie beugen und es gebe keine alternativen Handlungsmöglichkeiten mehr - weder durch Regierungen und Parlamente, noch und schon gar nicht von sozialen Bewegungen. Globalisierung wird zum Mythos, sie verwandelt "Kultur" in "Natur" (vgl. Barthes 1985): Ökonomische Globalisierung transformiert die neoliberale Weltsicht in das natürliche Los der Menschen. Ökonomie wird zum Schicksal und Standortwettbewerb zum quasi-natürlichen Politikinhalt von Nationalstaaten. Der "Jargon der Globalität", so Pierre Bourdieu in Anlehnung an Adorno, "ist bis ins Innerste der beherrschten Klasse der europäischen Nationen vorgedrungen und hat dort einen ökonomistischen Fatalismus, eine angesichts des ökonomischen Kräftetreibens mehr oder minder verzweifelte Resignation um sich greifen lassen, die zur Entpolitisierung und Demobilisierung führt." (Bourdieu 1997: 14)

Bis auf wenige, meist feministische Ausnahmen sind die Debatten um Globalisierung blind gegenüber Geschlechterfragen. Ein Grund hierfür resultiert aus dem globalen Wandlungsprozeß selbst, nämlich aus der Transformation des Politischen - konkreter: aus der Neuformatierung des Verhältnisses von Ökonomie und Politik. Der ökonomische Diskurs hat den politischen mit der Folge einer Ökonomisierung von Politik verdrängt (vgl. Schunter-Kleemann 1998b: 50). Sind den Neoliberalen Ökonomie und Markt geschlechtsneutral bzw. geschlechts"egal", so dominiert bei linken Kritikern des Neoliberalismus die funktionalistische Sicht, aktuelle soziale und kulturelle Transformationen seien Folgen ökonomischer Globalisierung. Geschlechterverhältnisse tauchen in beiden ökonomistischen Sichtweisen unter.

"How might we get globalization to lose its erection?", fragen deshalb die Sozialwissenschaftlerinnen Katherine Gibson und Julie Graham (Gibson-Graham 1996: 126f.). Die Rede über Globalisierung hat in der Tat mehr mit Maskulinismus zu tun, als dies üblicherweise angenommen wird. Gibson und Graham behaupten, daß alle Diskussionen über Globalisierung - auf der Seite ihrer Befürworter, aber auch auf der Seite ihrer Kritiker - demselben Skript folgen: Der liberalisierte Kapitalismus wird zum Vergewaltiger der Welt; dem kapitalistisch "Anderen" bleibt in diesem Drehbuch nur die Rolle des Opfers (vgl. ebd.: 120ff.).

Diesem Narrativ folgen auch in aller Regel Analysen des Zusammenhangs zwischen Globalisierung und Geschlecht: Geschlecht wird auf Frauen reduziert, und diese gelten als jene gesellschaftliche Gruppe, die weltweit in besonders drastischer Weise von den globalen Transformationen in Ökonomie und Staat betroffen ist: Frauen sind "Folgegeschädigte" ökonomischen Raub- und sozialpolitischen Abbaus, sie sind Opfer und Geopferte - nun im globalen Maßstab. Diese düstere Zeichnung aktueller Entwicklungen am Ende des 20. Jahrhunderts besitzt einige empirische Evidenz: Das "Geschlecht der Globalisierung" ist männlich, denn bis auf eine Handvoll Frauen gibt es eine einträchtige Männerdominanz in der Gruppe der "global players" - der Hochfinanz und der hohen Politik. An vielen Orten der Welt treffen globale Entwicklungen Frauen besonders hart.

Die ambivalente Neuverortung von Geschlechterrollen im Globalisierungsdiskurs

Dennoch bedarf es meiner Meinung nach einer differenzierteren Sicht auf aktuelle globale Transformationsprozesse, um den Blick für die Vielfalt von Entwicklungen - trotz der Eintönigkeit der immer wiederkehrenden Ungerechtigkeiten - im Verhältnis von Männern und Frauen zu weiten. Wenn Frauen als bloße Opfer eines männlich-kapitalistischen Automatismus begriffen werden, dann sind Handlungsperspektiven gegen ökonomische Ausbeutung und politische Unterwerfung nicht einmal mehr denkbar.

Die Aufgabe von Geschlechterforschung ist es m.E., ein geschlechterkritisches Licht auf die Globalisierungsdynamik zu werfen, das die Handlungspotentiale von Frauen und Männern entbergen hilft. Dies heißt nicht zuletzt, den impliziten "Gender-Text" des Globalisierungsdiskurses zu explizieren und den neoliberalen Diskurs geschlechterkritisch neu zu interpretieren.

Zunächst bedeutet dies einen Blickwechsel in der Globalisierungsdebatte. Das Revirement ökonomischer und politischer Nachkriegsverhältnisse ist weder eine dem Kapitalismus gleichsam immanente Sachnotwendigkeit, noch eine an sich geschlechtsneutrale Unternehmung, die lediglich Auswirkungen auf Frauen hat. Globalisierung ist vielmehr ein im geschlechtlich kodierten gesellschaftlichen Raum hergestellter Prozeß. Anders gesagt: Globalisierung ist ein hegemonialer Diskurs, d.h. sowohl eine spezifische Form "sozialen Wissens" (Atzmüller 1997: 21) als auch eine politische Praxis, in der Frauen und Männer Identitäten und Interessen (re)produzieren sowie Normen und Institutionen ausbilden (vgl. Brodie 1994: 52). Wie jeder neue Diskurs desartikuliert der Globalisierungsdiskurs alte politische Denkgewohnheiten, Handlungsmuster und Institutionen und konstruiert neue politische "Notwendigkeiten".

"Globalisierung" verändert die ökonomischen, sozialen und politischen Verhältnisse, wie wir sie seit dem Ende des 2. Weltkriegs kennen - und zwar auf der ganzen Welt. Diese globalen Veränderungen sind freilich nicht geschlechtsneutral, im Gegenteil: Geschlechterverhältnisse strukturieren diese Transformationsprozesse und werden von ihnen restrukturiert. Der Globalisierungsdiskurs konfiguriert ökonomische, soziale, politische und symbolische Räume auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene neu, und er verortet Geschlecht in diesen neuen Kontexten auf neuartige Weisen. Im Handlungsraum Globalisierung bilden nationalstaatliche Politikmuster ebenso wie national- und sozialstaatlich verbürgte Geschlechterregime neue institutionelle Formen aus.

Eine solche Konzeptualisierung der Globalisierungsdynamik eröffnet eine Sicht darauf, wie institutionelle Praxen ungleiche Geschlechterverhältnisse produzieren, wie aber auch Geschlechteridentitäten, d.h. Konfigurationen von Weiblichkeit und Männlichkeit, den globalen Restrukturierungsprozeß "modulieren". Globalisierung bedeutet die Veränderung von Raum- und Zeitstrukturen (Harvey 1989). Dies meint nicht allein die Verkürzung von Wegen, die Perforierung territorialstaatlicher Grenzen und neue geographische Ordnungsmuster, sondern auch die Transformation des räumlichen Nahbereichs. Der Markt expandiert, öffentlich-staatliche Räume schrumpfen und werden zur Unkenntlichkeit privatisiert bzw. dereguliert, während Familie und Privatheit zugleich entgrenzt werden. Die geschlechtsspezifische Grammatik des derzeitigen Restrukturierungsprozesses läßt sich mithin als Paradigmenwechsel in der Grenzziehung zwischen Markt, Politik und Familie/Privatheit fassen - allesamt zentrale geschlechtsspezifische Institutionen der wohlfahrtsstaatlichen Moderne, war doch hierarchische Zweigeschlechtlichkeit eine Ressource, um die Trennung zwischen öffentlich und privat historisch durchzusetzen. Globalisierung dimensioniert aber auch Zeitverhältnisse neu: Die "Raum-Zeit-Kompression", d.h. die Beschleunigung sozialer Interaktionen läßt den "Zeitbesitz" oder den Mangel an Zeit noch deutlicher als Ungerechtigkeitsverhältnis auch zwischen den Geschlechtern zu Buche schlagen. Zeit wird entwertet, wenn es nur noch um Schnelligkeit geht.

Diese Grenzverschiebungen in der Organisation von Arbeit, Privatleben und Staat eröffnen - zumindest als Gedankenexperiment - die Chance, daß neue Geschlechteridentitäten und neue Geschlechterverhältnisse entstehen. War Geschlecht für den nationalen Sozialstaat eine zentrale Strukturkategorie, die den sozialen und politischen Status der BürgerInnen bestimmte, so ist eine der spannenden Fragen, ob Geschlecht im Globalisierungsdiskurs weiterhin diese Wichtigkeit haben wird. Einerseits können also die im nationalen Sozialstaat eingehegten geschlechtsspezifischen Benachteiligungsstrukturen mitsamt den nationalstaatlichen Institutionen "erodieren". Vorstellbar ist also die Überwindung des nationalen Patriarchats, ist doch der Nationalstaat, dessen Institutionen und Funktionen im Zuge von Internationalisierung auf neue supranationale Institutionen verlagert werden, der "Container" (Jessop 1998: 265) ungleicher Geschlechterverhältnisse. Globalisierung ist möglicherweise eine Chance, daß hegemoniale Männlichkeitsmuster, die die westlich-industriegesellschaftlichen Staaten etabliert haben, entprivilegiert werden. Es gibt bereits Indizien, daß hegemoniale Männlichkeit und Weiblichkeit, die eng mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung verknüpft sind, im Sog globaler Kontinentaldrift schlingern. Möglich wäre ein Zugang für Frauen zu bislang verschlossenen politischen und gesellschaftlichen Räumen bzw. zu vorenthaltenen Geld- und Erwerbsquellen. Andererseits besteht auch die Möglichkeit, daß mit der Transformation nationalstaatlicher Institutionen die errungenen Positionen sozialer und politischer Gleichheit zwischen den Geschlechtern unterspült werden. Mit ebenso großer Wahrscheinlichkeit ist nämlich anzunehmen, daß versachlichte, institutionalisierte Männlichkeit konserviert wird, weil sie sich als produktiv für gegenwärtige Transformationsprozesse erweist.

Viele Indizien deuten nun darauf hin, daß es sich beim Neoliberalismus um ein maskulinistisches Projekt oder, wie Janine Brodie schreibt, um eine "phallozentrische(n) Restrukturierung" handelt (Brodie 1994: 48). Was heißt dies?

  • Erstens: Das neoliberale Projekt ist ein Projekt ökonomischer und politischer Eliten, die nach wie vor Männereliten sind, auch wenn inzwischen vereinzelt Frauen Zugang zu diesen Eliten finden.
  • Zweitens: Der neoliberale Diskurs zieht Geschlechterungleichheit, wie sie ökonomisch gebraucht und politisch hergestellt wird, als Ressource ins Kalkül, um die neuen funktionalen Trennungen und Grenzen zu legitimieren: Globalisierung braucht Geschlechterungleichheit, denn auch im "Turbokapitalismus" muß die Haus- und Familienarbeit unbezahlt erbracht werden.
  • Drittens: Die Neubestimmung der politischen Raum-Koordinaten tendiert zu einer Remaskulinisierung politischer Öffentlichkeit und politischer Institutionen sowie zu einem eingeengten Gestaltungsspielraum für feministische Politik.
  • Viertens: Der politische Subjektstatus verändert sich in dem Maße, wie soziale Rechte abgebaut werden: Politische Staatsbürgerschaft wird individualisiert und hängt zunehmend von Faktoren wie Bildung, Einkommen und Region bzw. Mobilität ab - Ressourcen, die nicht zuletzt entlang einer Geschlechterlinie verteilt sind.

Doch auch die These vom maskulinistischen Globalisierungs-Projekt darf nicht nur als "Backlash" mißverstanden werden. Globalisierung bedeutet eine je kulturspezifische Neukonfiguration von "Männlichkeit" wie auch einen gesellschaftlichen Neuentwurf von "Weiblichkeit". Genau in der Notwendigkeit solcher - wenn auch nur partieller - Neuentwürfe liegt aber die Chance für politische Veränderung, für die Politisierung von neuen Geschlechterverhältnissen, wie auch für die Herausbildung neuer Akteure und neuartiger Akteurskonstellationen, die gegen Ungerechtigkeiten im Geschlechterverhältnis angehen.

Die geschlechtsspezifischen Signaturen des Übergangs vom Keynesianischen Wohlfahrtsstaat zum Schumpeterschen Leistungsstaat

Der Prozeß neoliberaler Restrukturierung setzte nicht erst mit der Rede über "Globalisierung" ein. Globalisierung ist vielmehr die Beschleunigung und "Popularisierung" eines weltweiten Transformationsprozesses von Ökonomie, Gesellschaft und Politik (vgl. Atzmüller 1997: 19). In dem Maße, wie der Glaube an eine "glückliche Hochzeit" zwischen Keynesianischem Wohlfahrtsstaat und Kapitalismus zu schwinden begann, wurde in den westlichen Industriestaaten mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten und diversifizierten Auswirkungen mit der Nachkriegsordnung gebrochen. Ökonomische Globalisierung ist also politisch hergestellt und gewollt. Sie ist ein Versuch der politischen und ökonomischen Eliten, die Krisen westlicher Industriestaaten seit den achtziger Jahren zu überwinden bzw. abzumildern.

Als "Stabilitätspolitik" in den Ländern des Nordens und als "Strukturanpassung" in den Ländern des Südens wird seither eine aktive Politik flexibler Wechselkurse, restriktiver Geldpolitik und Schuldenreduktion durch die Kürzung von Staatsausgaben sowie der Orientierung am Export betrieben. Auch im Norden lautet das neoliberale "Mantra" Deregulierung, Privatisierung und Internationalisierung (vgl. Schmitter/Grothe 1997: 531). Nationale Wirtschafts- und Finanzpolitik soll - als "Standortpolitik" legitimiert - vornehmlich optimale Bedingungen für das ansässige Kapital schaffen, damit es für den internationalen Wettbewerb fit wird. Der keynesianische Wohlfahrtsstaat der Nachkriegszeit muß neuen Regeln angebotsorientierter, d.h. vornehmlich kapitalistische Produktion unterstützender, Politik weichen. Senkung der Lohnkosten, Flexibilisierung der Arbeit und sozialpolitische Deregulierung sind nationale Fixpunkte dieses "Programm gewordene(n) Neoliberalismus" (Bourdieu 1998: 3). Der Staat fördert nicht mehr den Massenkonsum, sondern die strukturelle Konkurrenzfähigkeit des Kapitals unter Inkaufnahme der Reduktion von Erwerbschancen einer steigenden Zahl von BürgerInnen.

Der Wandel vom Sicherheits- zum nationalen Wettbewerbsstaat (Hirsch 1995; Cerny 1997), vom Keynesianischen Wohlfahrts- zum Schumpeterianischen Leistungsstaat (Jessop 1994) sind begriffliche Versuche, diesen Wandel zu analysieren. Entgegen der vielfachen "Endismen" (Ende der Geschichte, Ende der Politik, Ende der Aufklärung) befinden wir uns also in einer Phase des Übergangs. Die Transformation der Nachkriegsordnung ist ein unvollendetes Projekt mit ungewissem Ausgang.

Ich möchte im folgenden die geschlechtsspezifischen Signaturen dieses Übergangs skizzieren und von Symptomen aktueller Transformationen auf die geschlechtsspezifische Grammatik des Restrukturierungsprozesses schließen. Dies soll an drei "Grenzverschiebungen" deutlich werden: erstens zwischen Ökonomie und Staat, zweitens zwischen Markt, Staat und Familie und drittens zwischen Markt und Familie. Meine Darstellung erfolgt vor der bundesdeutschen Folie, doch selbstverständlich ist das neoliberale Revirement des Verhältnisses von Ökonomie, Staat und Familie pfadabhängig, d.h. von unterschiedlichen institutionellen und politisch-kulturellen Voraussetzungen der einzelnen Nationalstaaten geprägt (vgl. Ostner 1995: 8ff.).

Privatisierung der Ökonomie und Maskulinisierung des Staates

Neoliberalismus setzt zum einen auf die Selbstregulierungskräfte des Marktes und zum anderen auf ein Konzept des minimalistischen Staates, der möglichst sparsam in Marktverhältnisse eingreift. Beide Prozesse haben, wie ich im folgenden zeigen möchte, Implikationen für Geschlechterverhältnisse bzw. nutzen Geschlechterverhältnisse als Medium ihrer Realisierung. Neoliberalismus basiert auf dem vulgarisierten neoklassischen Argument, daß der Markt die effizienteste Institution zur Regulierung ökonomischer und gesellschaftlicher Verhältnisse sei und Kapitalismus folglich auf politische Regulierung und Planung verzichten könne. Der selbstregulative Marktmechanismus, die "invisible hand" des Marktes, sei besser als andere Formen der Zuordnung von Produktionsfaktoren und Produkten dazu in der Lage, gesellschaftlichen Wohlstand und soziale Gerechtigkeit herzustellen.

Mit dieser neoliberalen Sakralisierung des Marktes ist eine unausgesprochene androzentrische Theorie von Politik und Gesellschaft verknüpft, deren Grundlegungen von feministischen Ökonominnen seit geraumer Zeit kritisiert werden. Die abstrakte Vorstellung vom Marktgeschehen konstruiert den Markt als geschlechtsneutral und prinzipiell offen für Frauen. Richtig aber ist, daß Märkte aus sozialen Interaktionen entstehen und auf sozialen Normen und Institutionen basieren. Märkte brauchen unabdingbar politische, i.e. staatliche Regulierung - und sei es "nur" die Regelung von Eigentumsverhältnissen und von Bedingungen, unter denen die Marktindividuen Verträge abschließen. Märkte sind also keine "natürlichen" Sphären, wie dies die Neoklassik postuliert, sondern sie sind herrschaftlich durchtränkt: Auch Marktverträge sind Geschlechterverträge, und Marktverhältnisse sind im derzeitigen gesellschaftlich-politischen Kontext ungleiche Geschlechterverhältnisse.

Das immanent maskulinistische Prinzip neoliberaler Marktkonstruktion gründet im Ausschluß von reproduktiver Arbeit aus dem Markt, also auf einer "Reduktion menschlichen Wirtschaftens auf die Produktion von Marktgütern" (Stiefel 1998: 306). Märkte sind also nur scheinbar in gleichem Maße offen für beide Geschlechter. Sie sind geschlechtsspezifisch desintegrativ, weil Frauen aufgrund der Zuständigkeit für Reproduktionsarbeit nicht zu denselben Bedingungen in den Markt eintreten wie Männer (vgl. Bakker 1994: 5f.). Allein politische Regulierungen bieten die Möglichkeit, Marktverhältnisse demokratischer und geschlechtergerechter zu gestalten. Die aktuelle Tendenz der Deregulierung der Ökonomie, die Desartikulation geschlechterpolitischer Regulationen impliziert aber eine Verfestigung geschlechtsspezifischer Ungerechtigkeiten des Marktgeschehens und ein Fortschreiben frauendiskriminierender Strukturen.

Der neoliberale Politikstil impliziert in der Tendenz den Rückbau des Staates auf Kernaufgaben. Aufgabe des minimalen Staates soll der Schutz der Freiheit und Integrität der Marktindividuen, die Sicherung des Eigentums und die Aufrechterhaltung der Vertragsfreiheit, also die Übernahme "operative(r) Aufgaben der Marktüberwachung" sein (vgl. Lütz 1997: 476 und 493). Der Staat soll freilich auch die geschlechtsverzerrenden Grundlagen des Marktes absichern. Diese müssen als Voraussetzung für die Internationalisierung des Kapitals erhalten bleiben. Auch im globalisierten Kapitalismus gilt es, grundlegende menschliche "Bedürfnisse" möglichst kostengünstig zu befriedigen (vgl. auch Sassen 1996). Die Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit fungiert als bewährtes Dispositiv für die Zuweisung entsprechender "reproduktiver" Aufgaben.

Es hieße allerdings, auf die neoliberale Idee hereinfallen, ginge man davon aus, daß tatsächlich der reine Markt durchgesetzt werden soll. Die Marktzelebration ist vielmehr eine Reformulierung des Verhältnisses von Markt und Staat auf lokaler, nationaler und auf internationaler Ebene. Kapitalismus braucht, so Schmitter und Grothe, nach wie vor "einen effektiven Mechanismus (...), um geordneten Wettbewerb zwischen den Produzenten und freiwillige Akzeptanz der Einkommensverteilung zwischen Kapital und Arbeit sicherzustellen" (Schmitter/Grothe 1997: 534). Der Staat springt also immer noch für die Kapitalseite in die Bresche, indem er "deren Schwäche zur Selbstregulierung durch Einbringung ureigener Ressourcen kompensiert " (Lütz 1997: 493).

Neoliberalismus heißt also nicht nur Steuerungsverlust nationalstaatlicher Politik in Folge ökonomischer Globalisierung und Marktprivatisierung, sondern vornehmlich Steuerungsverzicht nationalstaatlicher Politik bzw. Verlagerung politischer Steuerung. Politische Entscheidungen werden zwar an supranationale Gremien oder internationale "Regime" übertragen, so daß bestimmte nationalstaatliche Institutionen "ausgehöhlt" (vgl. Jessop 1994: 68) und zu Handlangern des internationalen Finanzkapitals und deren Institutionen degradiert werden (vgl. dazu Narr/Schubert 1994). Dennoch ist das Bild der "Zerstörung des Staates" (Bourdieu 1997: 13) unscharf. "Privatisierung" und Entpolitisierung der Ökonomie, d.h. der Verzicht auf staatlich-politische Regulierung auf nationaler Ebene, sind nicht als "Abbau" des Staates, sondern vielmehr als "Formwandel in der Architektur des Staatsapparates" (Altvater/Mahnkopf 1996: 116) zu beschreiben.

Wie der keynesianische Wohlfahrtsstaat, so ist auch der neoliberale Staat geschlechtsspezifisch selektiv. Er privilegiert die Interessen ressourcenstarker, internationalisierter Eliten in Ökonomie und Politik - nach wie vor mehrheitlich Männer - und desartikuliert Interessen nicht weltmarktgängiger Bevölkerungsgruppen, zu denen mehrheitlich Frauen zu rechnen sind.

Neue Grenzen zwischen Markt und Staat: frauenfeindliche Geschlechterkonstrukte am Ende des maskulinistischen Wohlfahrtskompromisses

Begleitet wird der Politikwechsel zum Wettbewerbsstaat vom Abgesang auf den Sozialstaat. Dieser könne anstehende Probleme wie Erwerbslosigkeit oder Rentenfinanzierung nicht mehr lösen und sei zudem selbst zum Problem geworden: Er sei Standortnachteil im internationalen Wettbewerb (kritisch: Thesen 1998: 14f.). Der Sozialstaat, wie er sich in Westeuropa insbesondere seit dem Ende des 2. Weltkriegs herausgebildet hat, wird als als nationalstaatliche "Einengung" des sich globalisierenden Kapitals präsentiert. Ihm wird Abspecken verordnet.

Der Staat soll zu einer residualen Rolle bei der Bereitstellung von Wohlfahrt zurückkehren bzw. seine "Wohltätigkeit" in Richtung auf Flexibilisierung des Arbeitsmarktes und auf internationale Konkurrenzfähigkeit reorganisieren (vgl. Jessop 1994: 57; O'Brien/Penna 1998: 91). Die Magersucht des Staates wird so weit getrieben, daß zu befürchten ist, daß sich nur noch Wohlhabende sozialen Schutz, Bildung und Ausbildung leisten können. Es gibt also viele Anzeichen dafür, daß an die Stelle der "Zähmung" des Kapitalismus durch den Wohlfahrtsstaat am Ende des 20. Jahrhunderts die neoliberale Lähmung des Wohlfahrtsstaates tritt.

In der Tat hatte der Wohlfahrtsstaat liberale Marktverhältnisse durch soziale Sicherungen und durch gemäßigte Umverteilung materieller und kultureller Ressourcen modifiziert, um zunächst die Arbeiterschaft, dann aber auch Frauen qua Erwerbsarbeit in den Staat zu integrieren. Das Sozialstaatsprojekt relativierte den Vertragsgedanken zur Garantie von Freiheit und Eigentum und betonte die Verantwortung gegenüber den Bürgern und - wenn auch nur eingeschränkt - gegenüber den Bürgerinnen. Mit dem Wohlfahrtsstaat, der nicht nur in Deutschland unter Beteiligung der ersten Frauenbewegungen entstand, war die Idee der Fürsorge aus dem Zusammenhang der Familie in den öffentlich-politischen Raum transferiert worden. So läßt sich gleichsam von einer "Feminisierung" des Staates sprechen, weil der Wohlfahrtsstaat ganz offensichtlich die vermeintlich festgefügte Geschlechtergrenze zwischen Öffentlichkeit und Privatheit porös machte. Partiell blieb die wohlfahrtsstaatliche Feminisierung allerdings deshalb, weil der frauendiskriminierende Verlauf dieser Grenze nicht prinzipiell in Frage gestellt wurde.

Der (west)deutsche Wohlfahrtsstaat blieb im Kern ein korporatistischer Ausgleich männlicher, i.e. erwerbsbezogener Interessen, in den Frauen lediglich unter androzentrischen Vorzeichen integriert wurden. Der ernährerzentrierte Wohlfahrtsstaat (west)deutschen Typs (vgl. Ostner 1995) regelte vornehmlich Erwerbsarbeit, ließ Fürsorgearbeit tendenziell ungeregelt und führte die Tradition des männlichen Familienversorgers und der ökonomisch von ihm abhängigen Ehefrau fort. Das heißt: Jenes Familienmitglied, das lebenslang und kontinuierlich vollerwerbstätig ist und mithin einen höheren Familienlohn erwirtschaftet - in der Regel das männliche Familienmitglied -, bleibt von der sogenannten Reproduktionsarbeiten befreit. Das reproduktiv arbeitende, in der Regel weibliche Familienmitglied bleibt ökonomisch abhängig, und Frauenerwerbstätigkeit ist deshalb lediglich zeitweilige geringfügige Zuarbeit und arbeitsrechtlich und sozialpolitisch weniger geschützt und abgesichert. Insbesondere sozialdemokratische Wohlfahrtspolitik der siebziger Jahre suchte allerdings mehr Unabhängigkeit vom Familienernährer zu garantieren und institutionalisierte sozialstaatliche Regelungsmuster partieller Geschlechtergleichstellung. Das männliche Familienernährermodell wurde sukzessive durch eine am Individuum orientierte Sozialpolitik ersetzt (vgl. ebd.: 8ff.). In der Regel erfolgte diese "Individualisierung" allerdings über Erwerbsarbeit. Nur wenn Frauen erwerbstätig werden wie Männer und sozialstaatliche Politik es ihnen ermöglicht, Familien- und Berufsarbeit zu vereinbaren, können sie selbständig soziale Ansprüche erwerben. Von einer Universalisierung des Sozialstaates läßt sich also nicht sprechen, das ursprüngliche, männerzentrierte Bauprinzip wurde lediglich abgeschwächt.

Die aktuelle Krise des Sozialstaates läßt nun dessen Einseitigkeiten und Ungerechtigkeiten - Ungleichheiten zwischen Arbeitsplatzbesitzern und Nicht-Arbeitsplatzbesitzern sowie zwischen Personen mit einer erwerbszentrierten Biographie und jenen, die für die gesellschaftliche Reproduktion verantwortlich zeichnen - konturscharf hervortreten. Ist also angesichts jahrzehntelanger feministischer Kritik am patriarchalen Wohlfahrtsstaat sein Ende in der Ära der Globalisierung begrüßenswert, weil es das Ende des geschlechterungerechten, Männer bevorzugenden Wohlfahrtskompromisses bedeutet? Existiert die Chance einer Auflösung der geschlechtsspezifischen Pfadabhängigkeit sozialpolitischer Entscheidungsprozesse?

Hier ist Vorsicht angebracht: Der Wohlfahrtsstaat ist die Voraussetzung zumindest einer gewissen Emanzipation und Gleichstellung von Frauen, so daß die Aussichten beim Abbau des Sozialstaats für Frauen keineswegs rosig sind. Neoliberalismus läßt sich m.E. als Versuch begreifen, den maskulinistischen Wohlfahrtskompromiß zu "modernisieren". Ein grundlegender Wandel des Modells (männlicher) Erwerbsarbeit auf der Basis privater (weiblicher) Familienarbeit ist ebenso wenig wie im Keynesianischen Wohlfahrtsstaat intendiert. Im Gegenteil: Zwar unterscheiden sich die Formen neoliberaler Restrukturierungen je nach Wohlfahrtsstaatsregime, doch läßt sich für alle Wohlfahrtsstaatsregime ein geschlechtsspezifisches Restrukturierungsmuster ausmachen: die Privatisierung sozialer Risiken durch Einsparungen und Kürzungen sozialer Ausgaben sowie die Tendenz, sozialstaatliche Leistungen zunehmend nicht mehr als Versicherungsleistungen, sondern als vermögens- bzw. bedarfsabhängige Leistungen zu gewähren. Der residuale Sozialstaat soll nur noch bei Versagen der Marktmechanismen oder beim Zerbrechen familiärer Sicherungsstrukturen "einspringen" (vgl. Sainsbury 1996: 198). Diane Sainsbury (1996) kommt zu dem Ergebnis, daß Frauen in allen Wohlfahrtsregimen durch diese Restrukturierungen deutlich benachteiligt sind, weil sie die Handlungs- und Entscheidungsspielräume insbesondere verheirateter Frauen, aber auch von Müttern deutlich einschränken. Dem Staatsprojekt des "Schumpeterschen Leistungsstaat" und seinen Reprivatisierungsstrategien fallen wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen zum Opfer, die erweiterte Bildungsmöglichkeiten für Frauen und "frauengerechtere" Arbeits- und Erwerbsbeteiligung schufen (vgl. Veil 1996).

Die neoliberalen Umstrukturierungen der vergangenen 15 Jahre lassen vermuten, daß also institutionelle Männlichkeit und institutioneller Frauenausschluß des Wohlfahrtsstaates keineswegs zu Grabe getragen werden. Sie werden möglicherweise sogar revitalisiert, denn während wohlfahrtsstaatliche Regulierung eine partielle Feminisierung des Staates bedeutete, kann Deregulierung nun zu partieller Wieder-Vermännlichung führen. Der (Sozial)Staat wird nicht einfach technokratisch abgebaut, sondern die internen Machtverhältnisse des Staates werden zuungunsten von Frauen transformiert.

Neoliberalismus kritisiert die Herausbildung eines vormundschaftlichen Staates, der mit seinem paternalistischen Überprotektionismus die moralischen Grundlagen der Gesellschaft zerstört und verantwortungslose und abhängige - sprich: feminisierte - Menschen produziert habe. Der Wohlfahrtsstaat untergrabe die Verantwortung der Individuen für sich selbst, schaffe eine Versorgungsmentalität und bremse Eigeninitiative (vgl. kritisch O'Brien/Penna 1998: 76, 91 und 98). Der "mütterliche Staat" - der Wohlfahrtsstaat - diskreditiere systematisch öffentliche männliche Werte wie Unabhängigkeit, Selbstverantwortung und Wettbewerb (vgl. kritisch Sawer 1996: 118f.). Restituierung von Verantwortung und Freiheit besitzt so den Subtext der Wiederherstellung traditioneller Geschlechteridentitäten und Geschlechterverhältnisse. Damit der öffentliche Raum als "harte maskuline Identität" restrukturiert werden kann, bedarf es freilich einer klar davon abgegrenzten Familiensphäre als Ort feminisierter Identitäten (Carol Johnson, zit. in: Sawer 1996: 130).

Informalisierung von Erwerbsarbeit und Redefinition von Geschlechteridentitäten

Im Kontext von Globalisierung wird häufig vom "Ende der Arbeitsgesellschaft" und vom "Ende der Arbeit" in westlichen Industriegesellschaften gesprochen. Ich bin keinesfalls der Auffassung, daß der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht und möchte dieser Grundannahme provokativ entgegenstellen: Es gibt so viel Arbeit, daß sie kaum bewältigbar ist! Diese Gegenposition beruht auf einer Kritik an der landläufigen Definition von "Arbeit". Der gängige Arbeitsbegriff bezieht sich auf formelle Lohn- bzw. Erwerbsarbeit, nicht aber auf das, was als Reproduktionsarbeit bezeichnet wird. Die Pflege und Erziehung von Kindern, die Betreuung alter und kranker Menschen, die Versorgung von Familienmitgliedern werden in den aktuellen Debatten nicht als Arbeit gewertet mit der Folge einer verzerrten Sicht auf ein vermeintlich begrenztes Arbeitsvolumen.

Die These vom "Ende der Arbeit " muß also anders formuliert werden: Der Gesellschaft geht nicht die Arbeit aus, sondern die traditionellen Formen von Erwerbsarbeit und die damit verbundene Zweiteilung der Gesellschaft in männliche Erwerbsarbeiter und in Reproduktionsarbeiterinnen werden neu zugeschnitten. Das geschützte Segment lebenslanger - männlicher - Vollerwerbstätigkeit wird ebenso entgrenzt wie die festgefügten Familien- und Reproduktionsarbeitsverhältnisse. Immer mehr Männer fallen aus dem formalisierten Erwerbsleben heraus und sind ungeschützt den kapitalistischen Verwertungsbedingungen ausgesetzt - eine Unmittelbarkeit, die früher vornehmlich Frauen traf.

Mit diesen Transformationen geraten auch überkommene Geschlechteridentitäten und das stabilisierende zweigeschlechtliche System ins Wanken. Männlichkeit kann sich nicht mehr vornehmlich über Vollerwerbstätigkeit bestimmen, Weiblichkeit nicht mehr allein aus der Zuständigkeit für Reproduktion. Bieten also Globalisierung und neoliberale Restrukturierung eine Chance für neue Arrangements von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit, von bezahlter und nicht-bezahlter Arbeit, für die Neuverteilung von Arbeit zwischen den Geschlechtern und für mehr Geschlechtergerechtigkeit? Sind die "starken Männer" die Verlierer der Globalisierung, und bekommen Frauen in den neuen Arbeitsbeziehungen möglicherweise sogar die besseren Chancen?

Man kann nun derzeit tatsächlich von einer "Feminisierung" der Arbeit im doppelten Sinne sprechen: Feminisierung bedeutet zum einen die steigende Zahl erwerbstätiger Frauen in der sogenannten "Ersten" wie auch in der "Dritten" Welt. Die Bildungspolitik der siebziger und frühen achtziger Jahre schuf in den westlichen Staaten Voraussetzungen für weibliche Erwerbsarbeit und machte Erwerbstätigkeit zum selbstverständlichen Bestandteil des weiblichen Lebenszusammenhangs. Eine Gruppe gut ausgebildeter Frauen schafft es zunehmend, auch in klassischen Männerkarrieren zu reüssieren. Daneben gibt es aber die schlichte materielle Notwendigkeit von Frauen zur Erwerbstätigkeit, da Männer- und mithin Familieneinkommen nicht ausreichen. In einer Schicht der "working poor" reicht ein McJob nicht mehr aus, um eine Familie zu ernähren, mitunter nicht einmal mehr zwei solcher Arbeitsstellen (vgl. Butterwegge 1997: 40).

Feminisierung bedeutet zum anderen eine Prekarisierung und Informalisierung von Arbeitsverhältnissen: der Anstieg diskontinuierlicher Erwerbskarrieren, ungeschützter Arbeitsverhältnisse, nicht-existenzsichernder Teilzeitarbeit und befristeter Arbeitsverträge. Die Industrie in der sogenannten Ersten, aber auch in der Dritten Welt, entwickelt einen Bedarf an flexiblen Arbeitsverhältnissen, kommen diese doch den Globalisierungsanforderungen entgegen. Standen in der Bundesrepublik Deutschland 1985 noch 83,6% aller abhängig Erwerbstätigen in einem Normalarbeitsverhältnis und 16,4% in einem Nicht-Normalarbeitsverhältnis, so hat sich der Anteil der "Nicht-Normalität" im Jahr 1996 auf 29,5% aller Beschäftigten erhöht (vgl. Thesen 1998: 27). Dieses neue Segment ungeschützter Arbeit ist nun ein Segment von Frauenarbeit. Teilzeitarbeit von Frauen macht den größten Teil der Nicht-Normalarbeitsverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland aus (vgl. ebd.), und der Bedarf an weiblichen - oder besser: an als "weiblich" konstruierten - Arbeitskräften ist steigend. Euphemistisch ausgedrückt: Die Nachfrage nach weiblichen Arbeitskräften konveniert mit der Notwendigkeit - hauptsächlich von Müttern mit kleinen Kindern - Arbeit und Familie miteinander zu verbinden (vgl. Dijkstra/Plantenga 1997: 10).

Feminisierung von Arbeit bedeutet darüber hinaus eine Absenkung des Lohnniveaus auf das von Frauenarbeit - also von "Zuarbeit". Schlecht ausgebildete Frauen und Migrantinnen werden in einem miserabel entlohnten und unsicheren Erwerbsarbeitssegment ghettoisiert, während gleichzeitig einige wenige gut ausgebildete Frauen in weltmarktgängige, hochqualifizierte und hochdotierte Jobs Eingang finden (vgl. Brodie 1994: 51). Diese weiblichen Mitglieder der globalen "Clubgesellschaft" (vgl. Schunter-Kleemann 1998a) können sich eine Reproduktionsarbeiterin - meist aus dem "Süden" - kaufen. Die sozialen Frakturen, die sich aus der Position in der formellen bzw. in der informellen Ökonomie ergeben, werden also auch zwischen Frauen zunehmend sichtbar, und die Integration von Frauen in Spitzenpositionen erfolgt häufig auf der Basis einer Ausdehnung informeller weiblicher Arbeitsverhältnisse.

Als Fazit läßt sich festhalten, daß der formale und der informelle Arbeitsmarkt in den Ländern des Südens wie auch in den Ländern des Nordens stärker ineinandergreifen (vgl. Brodie 1994) - so gibt es eine stellenweise "Versüdung" im Norden, und eine regional begrenzte "Vernordung" im Süden. Oder anders ausgedrückt: Die formelle Ökonomie braucht zunehmend die informelle. Die neuen neoliberalen Arbeitsbedingungen produzieren dadurch neue geschlechtlich kodierte Arbeitsplatzpositionen. Geschlechtergrenzen definieren sich in diesen verschränkten Ökonomien weniger über die Trennung zwischen bezahlter Erwerbs- und unbezahlter Familienarbeit als über formale, gut bezahlte und informalisierte, schlecht bezahlte und ungeschützte Arbeit. Je formalisierter eine Arbeit ist, um so wahrscheinlicher ist es, daß sie ein männliches Reservat bleibt, je informalisierter sie ist, um so größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie von einer Reproduktionsarbeiterin gemacht wird.

Die Feminisierung von Erwerbsarbeit und die Desintegration von Familien sind nun Teil einer widersprüchlichen Neubestimmung des Verhältnisses von produktiver und reproduktiver Arbeit. Die Entgrenzung von Erwerbsarbeit ist nämlich von einer Reprivatisierung einst staatlich organisierter Bereiche und Leistungen begleitet (vgl. Madörin 1992: 16). Traditionelle Formen sozialer Sicherung und Wohlfahrt wie die Familie - und mithin unbezahlte Arbeit von Frauen - werden ebenso wie schlecht bezahlte Frauenarbeit mobilisiert. Subsidiarität und Eigenverantwortung sind euphemistische Begriffe einer Refamiliarisierung einst staatlich und mithin honoriert erbrachter Arbeit.

Diese Redefinition des Privaten ist geschlechterpolitisch ambivalent. Die neoliberale Reprivatisierungsstrategie setzt voraus, daß es einen unbegrenzten Nachschub an unbezahlter Frauenarbeit in der Familie gibt, die die wohlfahrtspolitischen Transformationen auffangen kann (vgl. Elson 1994: 42). Doch diese Strategie basiert auf einem Konstrukt von familiärer Privatheit, das es längst nicht mehr gibt: Weder ist die Kernfamilie die dominante Lebensform, noch bildet die Idee eines einzigen Familieneinkommens die Wirklichkeit ab. Frauen sind nicht mehr zuhause am Herd, und die globalen Transformationen der Erwerbsarbeit tragen einiges dazu bei, daß sie auch nicht mehr dorthin zurückkehren. Durch den Rückzug des Staates und die Mobilisierung familiärer Sicherungssysteme wird die Privatsphäre erweitert und vergrößert. Als Komplementärbewegung zur Entgrenzung des Erwerbsbereichs in Richtung Informalisierung bedeutet dies eine doppelte Bürde jener für Reproduktionsarbeit zuständigen Personen: Eine Mutter mit zwei McJobs muß die Reproduktionsarbeit selbstredend auch noch erbringen.

Das heißt, daß die globale Restrukturierung letztendlich die Reproduktion der Gattung völlig außer Acht läßt. Während im fordistischen Modell Reproduktionsarbeit - wenn auch minimal - "verstaatlicht" und anerkannt wurde, wird sie in der neoliberalen Ära "zum Verschwinden" gebracht - sie wird desartikuliert. Der androzentrische Charakter der Globalisierung liegt mithin darin begründet, daß Frauen zunehmend prekär in den Arbeitsmarkt integriert werden, Erwerbsarbeit "hausfrauisiert" wird, das "Hausfrauendasein" aber keine gleichzeitige Aufwertung - man könnte sagen "Maskulinisierung" - erfährt. Die neue Normalität ist also eine Refamiliarisierung "ohne" Familie, eine Reprivatisierung "ohne" Privatheit, weil einst familiarisierte Personen - i.e. Frauen - aus der Familie entlassen werden, entfamiliarisierte Personen - i.e. Männer - aber keinen Weg in die Familie finden können.

Neue Orte und Strategien für Frauenpolitik

Feministische Kritik und Politik geraten derzeit in eine paradoxe Situation: Sie werden zu Verteidigerinnen des Sozial- und Gleichberechtigungsstaates, den sie bisher als patriarchal kritisierten und in Frage stellten. Nun erscheint er angesichts globaler Marktbarbarei als feministische Ultima Ratio. Auf eine feministisch-rosige Zukunft von "global governance" zu hoffen, ist den meisten Aktivistinnen zu abstrakt, und die vielbeschworene Zivilgesellschaft, die mit dem Rückzug des Nationalstaates erscheinen soll, erweist sich als geschlechterdemokratisch lau. Alternative Handlungschancen und Perspektiven für Frauenpolitik abzuschätzen, heißt nun, die strukturellen Bedingungen des politischen Raumes zu vermessen. Die Politik neoliberaler Restrukturierung ist eine "politische Revolution" (Brodie 1994), weil sie die Koordinaten des Politischen, wie sie im Keynesianischen Wohlfahrtsstaat bestanden, neu bestimmt. Politische Räume werden neu verhandelt, ja ein neuerlicher Kampf um die Grenzen des Politischen ist im Gange. Dies bedeutet selbstverständlich Veränderungen für Frauenpolitik und Frauenbewegung. Allerdings muß diese Revolutionierung nicht automatisch die Konditionen für feministische Politik verschlechtern und politische Handlungsräume verschließen; es besteht auch die Chance, neue Handlungsräume zu erschließen.

Trotz seiner Begrenzungen ist es dem Keynesianischen Politikmodell zu verdanken, daß soziale Bewegungen wie die Frauenbewegung politische Räume für sich öffnen konnten. Der Zugang zu Bildung und zu Erwerb ermöglichte es Frauen, das politische Paradigma (Jenson 1989) in Frage zu stellen und einen geschlechterkritischen Kampf um die Dimensionen des Politischen anzuzetteln: Die Entgrenzung des Politischen - "Das Private ist politisch" -, die Politisierung tabuisierter Themen wie Abtreibung und Gewalt im Geschlechterverhältnis und die Mobilisierung von Frauen erfolgten auf der Grundlage sozialer Staatsbürgerschaft. Der Sozialstaat schuf also die (Denk)Möglichkeit, Staatsbürgerschaft auch aus der Privatarbeit zu erzielen, denn das Sozialstaatsprojekt verknüpfte Öffentlichkeit und Familie, wenn auch unter patriarchalen Vorzeichen. Der Wohlfahrtsstaat "ermunterte" Frauen gleichsam zu kollektiven Aktionen nicht zuletzt dadurch, daß er sie als subalterne Gruppe konstituierte, also soziale Zweigeschlechtlichkeit und eine maskulinistische politische Öffentlichkeit betonierte, zugleich aber durch die Institutionen sozialer Staatsbürgerschaft einen politischen Raum des Widerspruchs und des Widerstands eröffnete. Der Keynesianische Wohlfahrtsstaat schuf Konflikte, die politisiert werden konnten - auch gegen seine ihm eigene maskulinistische Struktur (vgl. Brodie 1994: 53f.). Er bot Frauen die Möglichkeit, gegen seine patriarchalen Grundlegungen anzugehen und ihn responsiver zu gestalten und beispielsweise gleichstellungspolitische Regulierungen einzufordern und durchzusetzen. Der Sozialstaat ermöglichte damit zumindest eine androzentrische Integration von Frauen in den politischen Raum. Sie erhielten so zwar nicht Definitionsmacht über das Politische, konnten aber immerhin Verhandlungspositionen erringen - sei es, daß die Frauenbewegung öffentlich gehört und staatlich gefördert, daß ihre Forderungen teilweise in gesetzliche Regelungen gegossen wurden, sei es, daß die politischen Parteien sich der Frauenfrage annahmen und Geschlechtergleichstellung überhaupt politisches Thema wurde.

Der fundamentale Bruch in den ökonomischen, sozialen und politischen Repräsentationsformen und die Aushöhlung wohlfahrtsstaatlicher Sicherungen sowie von Bildungs- und Ausbildungsangeboten zerstören nun traditionelle Orte und Formen von Frauenpolitik (vgl. Brodie 1994: 58). Der Nationalstaat verliert seine Funktion als Ansprechpartner für Frauenpolitik - eine Strategie der "Integration" in den Staat durch Gleichstellungspolitik wird also immer problematischer. Emanzipative feministische Politik bezog sich in den vergangenen 25 Jahren freilich auf die Institutionen des Nationalstaats. Alle Rechtskämpfe, aber auch politische Inklusionsstrategien zielten auf die nationale, ganz selten auf die internationale Ebene. Diese frauenpolitischen Institutionen und Regelungswerke geraten unter globaler Kondition durch zwei Tendenzen unter Druck: durch die Internationalisierung politischer Institutionen sowie durch die Informalisierung von Politik.

Im Prozeß der Internationalisierung von Politik findet eine Verlagerung politischer Entscheidungen auf supranationale Institutionen und auf die nationale Exekutive statt: Demokratische und partiell "feminisierte" politische Institutionen wie nationale Parlamente werden zugunsten männerbündischer internationaler Organe und nationaler Exekutivstrukturen entmachtet. Das Demokratiedefizit der EU ist beispielsweise auch ein Überschuß an Männerzentriertheit. Denis Duclos (1998) spricht von einer neuen Klasse, der (globalen) "Hyperbourgeoisie", die die alten (nationalen) Führungseliten ablöst: "Die Machtpositionen ergeben sich aus ihrer Stellung in Finanzkonzernen, Consulting-Gruppen und Großkanzleien, das heißt aus ihrer Präsenz in den Kommandozentralen, wo Geldströme dirigiert und autoritäre Entscheidungen getroffen werden." (Duclos 1998: 10) Die weltweit agierende "Hyperbourgeoisie" nistet sich allmählich in den Plätzen der nationalen Eliten ein, um diese zu verdrängen (vgl. ebd.). Der Politmanager des globalen Jet-sets überläßt "bodenständige" Politik den Politikerinnen - die Feminisierung nationaler Politikstrukturen ist somit eine Form ihrer Entmachtung.

Der Prozeß der Internationalisierung ist zugleich eine "Entstaatlichung" politischer Entscheidungen und läßt sich durchaus als Chance für Frauen begreifen: Solche sogenannten Governance-Strukturen könnten ein Gewinn an Entscheidungs- und Partizipationsmöglichkeiten für Frauengruppen sein, weil sich staatliche hierarchische Strukturen für neue, nicht-staatliche Akteursgruppen öffnen (müssen) und Frauen international mehr Möglichkeiten erhalten, auf die Formulierung von Politiken Einfluß zu nehmen (vgl. Sperling/Brotherthone, zit. in Jessop 1998: 273). Politisch ist im internationalen und nationalen Ebenenwechsel und Kompetenzgeflecht einiges offen und gestaltbar. Allerdings bedarf es dazu institutionalisierter Frauengruppen.

Die Transformation von Nationalstaatlichkeit läßt sich auch an der Informalisierung von Politik in Substrukturen von Verhandlungsnetzwerken festmachen - auch dies eine Form der Entstaatlichung von Politik. Staatliche Institutionen sind im nationalen Politikprozeß nur noch Vermittler, aber nicht mehr die einzigen oder gar privilegierte Akteure, sie sind zusammen mit anderen, nicht-staatlichen Akteuren an vergleichsweise nicht-hierarchischen Steuerungsformen beteiligt. Erste Untersuchungen legen auch für diesen Prozeß politischer Restrukturierung nahe, mit geschlechterpolitischen Ambivalenzen zu rechnen: Diese Rekonfiguration nationaler politischer Räume bedeutet eine dichtere Knüpfung des korporatistischen Netzwerks und den Verlust an parlamentarischen Aushandlungsprozessen sowie die Schließung des politischen Prozesses gegenüber ressourcenschwachen Gruppen; die Folgen sind ein Verlust an Demokratie (vgl. Benz 1998) und eine "Vermännlichung" dieser Verhandlungs- und Entscheidungsnetzwerke. Die Entscheidungsfindung in Verhandlungssystemen erfolgt notwendig unter Ausschluß der Öffentlichkeit, in den politischen Hinterzimmern, zu denen Frauen kaum Zugang haben und an denen beispielsweise das Instrument der Quote scheitert. Eine Arkanisierung von Politik ist stets mit einer Homogenisierung des Arkanums - eben auch einer Geschlechtshomogenisierung - verbunden. Dem kann nur entgegengewirkt werden, indem auf allen Ebenen von Policy-Netzwerken Gleichstellungspolitik institutionalisiert wird, unterstützt durch eine Frauenbewegung, die sich wieder dadurch auszeichnet, Entgrenzung und nicht Inklusion zum politischen Programm zu erklären .

Diese Entwicklungen haben nun unmittelbare Konsequenzen für Strategien antipatriarchaler Demokratisierung. Aber auch hier sind keine Eindeutigkeiten festzuschreiben, sondern vielmehr abwägende Überlegungen anzustellen: Die politische Entgrenzung im globalen Diskursfeld kann sowohl Chance wie auch Niederlage für antipatriarchale Geschlechterpolitik sein. M.E. ist es hohe Zeit für eine wissenschaftliche, aber auch politische Verständigung darüber, wie Frauenbewegung(en) und staatlich administrierte Gleichstellungspolitik sich in diesen Transformationsprozessen positionieren können. Um einem "globalen Maskulinismus" begegnen, aber auch um die Herausforderungen der Diversifizierung von Frauen ernstnehmen und Globalisierung als Chance zur Demokratisierung nutzen zu können, müssen Frauenbewegung(en) und gleichstellungspolitische Institutionen in staatlichen Verwaltungen, in Parteien und Verbänden zu neuen Bündnisformen zusammenfinden. Dazu bedarf es einer neuen feministischen Sicht auf "den" Staat. Sowohl die Strategie feministischer Autonomie als auch die der Inklusion in das realdemokratische Institutionengefüge werden unter den politischen Bedingungen von Globalisierung zunehmend obsolet.

Ein weiterer Aspekt von Globalisierung ist allerdings die Regionalisierung und Lokalisierung von Politik, denn der Nationalstaat gibt Kompetenzen an lokale Staaten ab. Auf regionaler bzw. lokaler Ebene kann nun gleichstellungspolitisches Potential in Zusammenarbeit mit Frauenbewegungen genutzt werden. Zentralisierung und Dezentralisierung sind zwei Entwicklungen, an denen feministische Geschlechterpolitik ansetzen kann. Europa und die Welt als Perspektive und Horizont politischer Strategiebildung sind ebenso nötig wie kleinräumigere Kontexte innerhalb von Nationalstaaten: "Think global, act local" scheint die feministische Devise. Projekte wie neue Arbeitszeitmodelle können beispielsweise auf lokaler Ebene - an Runden Tischen lokaler Industrien, Gewerkschaften und Gleichstellungsbeauftragter - kurzfristiger und kreativer geschaffen werden als durch eine nationalstaatliche oder supranationale Bürokratie (vgl. Steffen 1993).

Notwendig ist ein strategischer frauenpolitischer Wechsel: neue Bündnisse, neue Orientierungen, und neue Handlungsformen sind gefragt. Geschlechtergerechte Demokratisierung ist eher in einem Bündnis mit solchen Gruppen, mit "Apparaten" im Staat möglich, die einem neoliberalen Umbau des Sozialstaats ebenfalls skeptisch gegenüber stehen. Dies sind nicht allein Frauen, sondern möglicherweise auch die Vielzahl aus dem Erwerbsleben hinausgeworfener Männer sowie Männer und Frauen anderer Ethnien und Kulturen. Die Institutionalisierung eines erweiterten Arbeitsbegriffs ist beispielsweise mit einigen Gewerkschaftsorganisationen machbar. Neben dem verkrampft-trotzigen Festhalten einiger Funktionäre an der Interessenvertretung von (Erwerbs)Arbeitsplatz-BesitzerInnen gibt es Signale, Politik mit einem reformulierten Arbeitsbegriff in Angriff nehmen zu wollen.

Neoliberalismus ist m.E. die Bezeichnung eines neuen Politikstils der Einengung des Politischen, d.h. einer Entpolitisierung weiblichen Alltags. Durch Reprivatisierungsdiskurse schrumpft der Raum des politisch Verhandelbaren. Reproduktionsarbeit beispielsweise wird endgültig zum Nonpolitikum. In dem Maße aber, wie das "Private" entpolitisiert wird, scheinen die Möglichkeiten, weiblichen Lebensalltag politisch handelnd zu transformieren, zu schwinden, und der Radius von Frauenbewegung und Frauenpolitik wird beschnitten. Der Öffnung einst als privat abgedichteter sozialer Verhältnisse wie z.B. die Familie, die in den vergangenen beiden Jahrzehnten ja durchaus stattgefunden hat, sollte somit durch eine veränderte frauenpolitische Strategie Rechnung getragen werden: Das Augenmerk sollte nicht mehr so sehr auf der Privatheit als Ort der Unterdrückung und Benachteiligung von Frauen liegen, sondern vielmehr auf der Öffentlichkeit - denn die "Privatheit der Öffentlichkeit" in der Form eines maskulinistischen Partikularismus wird frauenpolitisch viel zu leise skandalisiert. Frauenpolitik darf also nicht übersehen, daß es Teil des neoliberalen Diskurses ist, existierende frauenpolitische Zusammenhänge, Widerstände und Widerständigkeiten zu negieren. Die Neuvermessung des politischen Raumes heißt aber nicht, daß weibliche politische Praxen verschwinden, nein: Sie werden zum Verschwinden gebracht. Nach wie vor ist der weibliche Alltag aber Quelle des Widerspruchs und des Widersprechens. Frauenbewegung und Frauenpolitik sind aus der heilen Welt des Keynesianismus gefallen - aber nicht aus der Welt des Politischen! Feministische Handlungsperspektive ist es, diese Praxen sichtbar zu machen. Widersprüche im weiblichen Alltag, die politisierbar sind, gibt es genug!

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