HOME MAIL SEARCH HELP NEW



Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 2/1998
Claus Köhler
Spekulation contra Entwicklungspolitik. Eine Analyse der ostasiatischen Währungskrise

Vorläufige Fassung / Preliminary version

In der zweiten Hälfte des Jahres 1997 waren Währungen asiatischer Staaten das Ziel spekulativer Transaktionen. Normalerweise werden solche Transaktionen kaum zur Kenntnis genommen, denn sie spielen sich vor allem in Märkten mit wichtigen Währungen ab, dem US-Dollar, dem Yen und europäischen Währungen. Bei diesen "normalen" Spekulationen verwirklichen sich die Erwartungen und die Spekulation gewinnt oder die Prognosen der Spekulation bewahrheiten sich nicht und es entstehen Verluste.

Was die Spekulation mit Währungen kleinerer asiatischer Staaten so brisant macht ist, daß es hier um Machtauseinandersetzungen zwischen der Spekulation und nationalen Zentralbanken und Regierungen ging. Die Spekulation trat gegen die festen, an den Dollar gebundenen, Wechselkurse der Währungen kleinerer asiatischer Staaten an. Sie fühlte sich stark genug, Verteidigungsanstrengungen in diesen Ländern zu überwinden. In den meisten Fällen setzte sich die Spekulation durch.

Gegen Ende des ersten Halbjahres 1997 verfolgte die Spekulation eine Yen-basierte Anlagestrategie. Sie erwartete eine Abwertung des Yen und eine Aufwertung des US-Dollars. Daher verschuldete sie sich in Yen und legte die Gegenwerte in Dollarpapieren an. Es kam hinzu, daß zwischen den USA und Japan ein erhebliches Zinsgefälle bestand. Am japanischen Geldmarkt konnte man Yen zu einem Zinssatz von rund 1/2% leihen. Festverzinsliche Dollarpapiere erbrachten dagegen über 6%. Die Spekulation endete, als man in Japan Zinssteigerungen und damit eher eine Aufwertung des Yen erwartete. Die Spekulation suchte nach neuen Betätigungsfeldern. Sie fand sie zunächst in der tschechischen Republik.

Das Grundmuster spekulativer Techniken am Devisenmarkt

Ausgangspunkt jeder geplanten spekulativen Transaktion sind Erwartungen über die Kursentwicklungen an den Devisenmärkten. Erwartet man eine Abwertung ausländischer Währungen und eine Aufwertung der heimischen Währung, dann wird sich der Spekulant in ausländischer Währung verschulden, die aufgenommene ausländische Währung in heimische Währung umtauschen und die Gelder am heimischen Markt anlegen. Wertet, wie erwartet, die ausländische Währung ab, dann muß der Spekulant nicht die gesamte heimische Anlage in ausländische Währung umtauschen, um seine Schulden in ausländischer Währung zurückzuzahlen. Es genügt, einen Teil der Anlagen umzutauschen, um die Schulden zu tilgen. Der verbleibende Teil ist der Gewinn des Spekulanten.

Der Grundsatz einer Abwertungsspekulation, sich in der abwertungsverdächtigen Währung zu verschulden und den Gegenwert in der aufwertungsverdächtigen Währung anzulegen, ist nicht immer einfach zu verwirklichen. Die kreditgewährende Bank verlangt häufig Sicherheiten, und zwar in ihrer Währung. Es sind dann verschiedene Transaktionen durchzuführen.

Im Falle der "normalen" Yen-basierten Spekulation dürfte sich das etwa folgendermaßen abgespielt haben. Der Spekulant besaß US-Dollar (100 $) und erwartete eine Abwertung des Yen von 125 ¥ auf 140 ¥. Er mußte sich zunächst in Yen verschulden und den Gegenwert in US-Dollar anlegen.

Für die geplante Kreditaufnahme in Yen mußte der Spekulant der japanischen Bank eine Sicherheit in Yen stellen. Also tauschte er seine US-Dollar in Yen um (100 $ x 125 ¥ = 12500 ¥). Für diese umgetauschten Yen erwarb der Spekulant Yen-Anleihen. Diese hinterlegte er bei der japanischen Bank als Sicherheit und erhielt einen Yen-Kredit (12500 ¥). Die Verschuldung in der abwertungsverdächtigen Währung Yen war vollzogen. Die durch den Kredit erhaltenen Yen (12500 ¥) tauschte der Spekulant nun wieder in Dollar ein (100 $) und legte sie in Dollar-Anleihen an.

Spekulative Transaktionen verlangen offene Positionen. In unserem Fall muß die Verbindlichkeit in Yen "offen" sein. Ihr darf also kein Yen-Guthaben gegenüberstehen; sie darf nicht "geschlossen sein". Wertet der Yen ab (auf 140 ¥, dann zahlt der Spekulant die Schuld (12500 ¥) mit einem geringeren Dollar-Betrag zurück (89,30 $) als er ursprünglich aufgewendet hatte (100 $). Wäre die Position "geschlossen", dann würde der Spekulant nach der Abwertung für ein Yen-Guthaben (12500 ¥) weniger US-Dollar erhalten (89,30) als er ursprünglich eingesetzt hatte (100 $).

Das Verlangen japanischer Banken, für den von ihr zu gewährenden Kredit eine Sicherheit in Yen zu stellen, hat dazu geführt, daß der Spekulant eine "geschlossene" Yen-Position besitzt. Den Yen-Schulden stehen die als Sicherheit hinterlegten Yen-Anleihen gegenüber. Er muß daher die Yen-Position "öffnen". Das geschieht, in dem der Spekulant die Yen-Anleihen durch ein Futuresgeschäft absichert. Er kauft Dollar-Futures zu dem Kurs, zu dem er Dollar in Yen umgetauscht hat (125 ¥). Dadurch bleiben die Yen-Anleihen in ihrem Dollarwert von einer Yen-Abwertung unberührt.

Wertet der Yen ab (140 ¥), dann verkauft der Spekulant einen Teil seiner Dollaranlagen (89,30 $) und tauscht diesen Betrag in Yen um (12500 ¥). Der Betrag reicht aus, seine Schulden bei der japanischen Bank zurückzuführen. Von der japanischen Bank erhält der Spekulant die als Sicherheit hinterlegten japanischen Anleihen (12500 ¥) zurück Da sie kursgesichert sind, bekommt er dafür den ursprünglich eingesetzten Dollarbetrag zurück (100 $). Am Ende des Spekulationgeschäftes hat der Spekulant einen höheren (110,70 $) als den ursprünglichen Dollarbetrag (100 $) im Bestand.

Der Verlauf der Spekulation gegen ostasiatische Währungen

Die Generalprobe: Spekulation gegen die tschechische Krone

Nachdem die Spekulation ihre Yen-basierte Anlagestrategie beendet hatte, suchte sie neue Betätigungsfelder. Sie fand sie zunächst in der Tschechischen Republik. Diese Abwertungsspekulation gegen die tschechische Krone im Mai 1997 war die Generalprobe für spekulative Attacken gegen die Währungen der asiatischen Entwicklungs- und Schwellenländer. Als die Spekulation begann, war die Krone an einen Warenkorb gebunden, der US-Dollar und D-Mark enthielt. Ziel der Spekulation war es, die Regierung und die Zentralbank zu zwingen, abzuwerten. In erheblichen Umfange wurden am tschechischen Devisenmarkt Kronen angeboten und Dollar nachgefragt. In einem Marktbericht wird erwähnt, daß die tschechische Nationalbank die Krone mit 500 Mio Dollar stützte und die Zinssätze drastisch erhöhte. Man sprach von einem richtigen Krieg zwischen der Zentralbank und den Spekulanten. Berücksichtigt man, daß die Spekulation, vor allem Hedge-Fonds, über zweistellige Milliarden-Dollarbeträge verfügt, dann wird klar, daß die tschechische Zentralbank, auf sich allein gestellt, diesen Krieg verlieren mußte. Die tschechische Regierung wertete schließlich die Krone um 20% ab. Die Spekulation strich die Gewinne ein.

Die Spekulationswelle von Thailand bis Korea

Schon während der Zeit, in der gegen die tschechische Krone spekuliert wurde, gab es Devisenmarktberichte, daß Thailand spekulative Angriffe auf seine Währung abwehrt. Aber als die Spekulation gegen die tschechische Krone vorüber war, setzte sie voll gegen den thailändischen Baht ein. Wiederum versuchte das Land durch Devisenmarktinterventionen, die an den Dollar gekoppelten Wechselkurse zu verteidigen. Wiederum erhöhte die Zentralbank Zinssätze und wiederum unterlag sie. Der Baht wurde freigegeben und verlor bis zu 30% an Wert. Entsprechend gewann die Spekulation.

Die Nachbarn Thailands sahen diese Vorgänge mit Unbehagen. Nicht zu Unrecht vermuteten sie, sie könnten die nächsten Opfer sein. Vorbeugend erhöhten diese Länder ihre Zinssätze. Das sollte einen Kapitalabfluß bremsen und Kapital anlocken. Aber was sind schon einige Prozentpunkte höhere Zinsen p.a. gegen 20-30% Gewinne in wenigen Tagen. Und so kam es wie es kommen mußte, die Spekulation wandte sich gegen den malayischen Ringgit, den philippinischen Peso und die indonesische Rupiah. Immer wieder hieß es, "Die massiven Dollarverkäufe und die Erhöhung der Geldmarktzinsen um einen Prozentpunkt zeitigten allerdings nur vorübergehende Wirkung." Ein Staat nach dem anderen mußte vor den spekulativen Wellen kapitulieren und gab seine Wechselkurse frei. " ... die Spekulanten hatten Blut gerochen und begannen, gegen die übrigen Währungen der Region zu wetten. Sehr bald verloren der malayische Ringgit, die indonesische Rupiah, vor allem aber der philippinische Peso sehr stark an Wert." Die Spekulation verdiente entsprechend.

Als weitere Währungen kamen der Singapur-Dollar und der Hongkong-Dollar in die Schußlinie der Spekulation. Auch hier wurde interveniert und wurden die Zinsen heraufgesetzt. Der Singapure-Dollar konnte dem Druck nicht standhalten und wertete ebenfalls erheblich ab. Nur der Hongkong-Dollar widerstand. Die Spekulation hatte darauf gesetzt, daß Festland-China, getreu dem Satz: ein Land, zwei Systeme, nicht eingreifen würde. Die Spekulation hatte sich nicht geirrt. Aber die Devisenreserven Hongkongs sind recht umfangreich. Die Spekulation konnte sich trotz mehrfachen Anrennens nicht durchsetzen. Als einzige Währung der Region blieb der Hongkong-Dollar an den US-Dollar mit einem festen Kurs gebunden.

Auch der koreanische Won konnte sich den Attacken der Spekulation nicht entziehen. Dort kam allerdings hinzu, daß ein wirtschaftlich bedeutsames Unternehmen, die Kia-Automobilwerke, in Konkurs ging und vom Staat übernommen wurde. Dieses Ereignis trug mit dazu bei, den Won zu schwächen. Auch er verlor erheblich an Wert.

Urteile vorher und nachher

Wirtschaft und Öffentlichkeit zollten in den Jahren vor den spekulativen Attacken den "aufstrebenden" asiatischen Staaten volles Lob. Sie wären Auslandsinvestitionen gegenüber aufgeschlossen, folgten einem liberalen Konzept und hätten Stabilität in ihren Ländern gewahrt. "Von Seiten des DIHT wurde die außerordentliche Wirtschaftsentwicklung des asiatischen Landes [Thailands] gelobt. Es habe eine erfolgreiche Wandlung von einem Agrar- zu einem Industriestaat stattgefunden; die Infrastrukturpolitik zeige bemerkenswerte Ergebnisse ...".

Als die spekulativen Wellen ihren Höhepunkt erreichten, urteilten viele, daß das Debakel auf einer hausgemachten unsoliden Wirtschaftspolitik der asiatischen Staaten beruhte, das vorhersehbar gewesen sei. "Die Währungskrise in der Region der südostasiatischen Staatengemeinschaft Asean ist weder Hexenwerk noch das Ergebnis hinterhältiger, gesichtsloser Spekulanten. Sie ist vielmehr weitgehend hausgemacht, das Resultat schwerwiegender struktureller Mängel. Die politisch Verantwortlichen haben viel zulange gezögert, diese Mängel zu beheben. Hohe auf Dauer untragbare Handels- und Haushaltsdefizite, kranke, unsolide wirtschaftende Finanzinstitutionen, eine laxe Bankenaufsicht, ein spekulativer Immobilienboom, unzureichende Investitionen zugunsten Infrastruktur und im Erziehungswesen, Korruption sowie schwerwiegende Fehler in der Wechselkurspolitik haben zusammengewirkt und die Krise vorbereitet".

Es wäre gut gewesen, wenn man diese Erkenntnisse vor der Krise dargelegt hätte. Aber die Wirklichkeit sieht ja wohl auch anders aus. "In der Tat konnte bis zum Zerfall der Finanzwerte von konjunkturellen Problemen kaum die Rede sein. Zwar waren die ostasiatischen Länder auf einen langsameren Wachstumskurs eingeschwenkt, aber im Schnitt legten sie noch immer ein mehr als doppelt so hohes Tempo vor wie die Industrieländer. Eine nennenswerte Teuerung oder gar sich beschleunigende Inflationsraten waren nicht auszumachen. Die Haushaltsrechnungen schnitten ausnahmslos mit Überschüssen ab, und die meisten Länder hatten vergleichsweise hohe Devisenreserven angehäuft."

Vor allem die festen Wechselkurse vieler Entwicklungs- und Schwellenländer und nicht die Spekulation werden immer wieder zum Sündenbock für das Währungsdesaster dieser Länder gemacht. "Die Notenbanken wollen eine überbewertete Währung vor dem Hintergrund einer expansiven Geldpolitik verteidigen. ... Die offenkundig widersinnige Geld- und Währungspolitik führt zu Kapitalflucht, wobei die Notenbanken am Ende vor der Flut des abfliessenden Kapitals doch kapitulieren und die Kursbestimmung der Währung dem freien Spiel der Marktkräfte überlassen müssen ("floating")." Aber kaum hat man die Wechselkurse diesem freien Spiel der Kräfte überlassen, die die Währungen um zweistellige Raten entwerten, kommen die Bedenken. "Die Währungskrisen in Asien könnten das Wirtschaftswachstum in der ganzen Welt dämpfen. Die Volkswirtschaften in Amerika und Europa müssen sich auf eine Exportoffensive asiatischer Unternehmen über den Preis einstellen, die durch die massiven Währungsabwertungen gefördert wird. Weiter wachsende Leistungsbilanzüberschüsse der asiatischen Länder könnten sich zu einem erneuten Handelskonflikt mit den Vereinigten Staaten auswachsen."

Aber selbst Banken haben wohl nicht solche hausgemachten Probleme gesehen, sonst hätten sie doch wohl kaum Kaufempfehlungen für die Märkte dieser asiatischen Länder gegeben. Offenbar haben sie an immer weiter steigende Kurse an den Aktienmärkten geglaubt. "In Hongkong fiel jetzt das Kartenhaus zusammen, das durch hemmungslose Spekulationen [und] euphorische Kaufempfehlungen internationaler Investmentbanken ... immer höher geworden war. Am Ende schienen die Hongkonger Kurse, wie ein Chefökonom einer bekannten Bank formulierte, nur noch von der Erwartung zu leben, daß es am Ende einen noch Dümmeren geben werde, der die schon überteuerten Werte zu noch höheren Preisen kaufen werde. Weltbekannte amerikanische und französische Banken sagten schon eine Kursentwicklung auf mehr als 18000 Punkte im Hang Seng voraus."

Die Betroffenen allerdings sahen das Geschehen völlig anders. Der malaysische Ministerpräsident Mahathir Mohamad warf den westlichen Ländern ein unredliches Spiel vor. "Asien habe seine Märkte gutgläubig geöffnet und multinationale Unternehmen hereingelassen; nun komme die Spekulation und prelle die Asiaten um die Früchte des hart erarbeiteten Erfolges."

Ein solches Urteil wider die Spekulation verstößt bei vielen offenbar gegen den Geist einer freien Marktwirtschaft. "Seine Äußerungen im Zusammenhang mit den Börsen- und Währungsturbulenzen, die über Südostasien hereingebrochen sind, lassen Beobachter nun allerdings Zweifel an seinem ökonomischen Sachverstand hegen". Aber offenbar sind die Äußerungen des malaysischen Ministerpräsidenten nicht so abwegig, denn in derselben Analyse ist zu lesen: "Dies ist insofern richtig, als das Land in den 16 Jahren, in denen Mahathir nun das oberste Regierungsamt innehat, auf dem beschwerlichen Weg vom rohstoffproduzierenden Drittweltstaat zur modernen Industrienation schon ein großes Stück zurückgelegt hat. ... Ausländische Investoren schätzten bisher Mahathirs ökonomischen Sachverstand, den er bei seinem Tun an den Tag legte." Auch der Grund für die harsche Kritik des malaysischen Ministerpräsidenten wird genannt: "Mahathirs jüngste Tiraden gegen westliche Devisenhändler und Portfolioverwalter dürften zum Teil auch darauf zurückzuführen sein, daß er diesen Kreisen zum Vorwurf macht, mit ihren spekulativen Angriffen auf die malaysische Währung und dem Abzug von Anlagegeldern in jenem Moment sein Lebenswerk zerstört zu haben, als er sein Ziel - sein Land bis 2020 in den Verein der vollindustrialisierten Nationen einzubringen, bereits in Sicht hatte".

Die Wahrheit wird wohl kaum durch Urteile, wie: "Die Blase ist geplatzt" oder "Die Spekulation hat alles zerstört" widergespiegelt. Sie liegt, wie stets, zwischen den extremen Urteilen.

Maßstäbe für Entwicklungs- und Schwellenländer und die Spekulation

Die Maßstäbe für Entwicklungs- und Schwellenländer

Urteilen über Ereignisse sollte man erst, wenn man Maßstäbe besitzt, an denen man die Wirklichkeit messen kann und wenn man einen solchen Vergleich mit Hilfe statistischer Unterlagen vornimmt. Zunächst sollte man sich über die Bedingungen klar sein, die ein stabiles und hohes Wirtschaftswachstum in den Entwicklungs- und Schwellenländern ermöglichen. Gekennzeichnet sind diese Länder im allgemeinen durch relativ hohe Preissteigerungsraten, einen Mangel an Investitionskapital und unzureichende Infrastruktur.

Der Preisauftrieb in Entwicklungs- und Schwellenländer muß grundsätzlich, wie auch in den Industrieländern, durch eine angemessene Geld- und Kreditpolitik gebremst werden. Das ist in den Entwicklungs- und Schwellenländern nicht ganz einfach, da es dort meist an entwickelten Geld- und Kapitalmärkten fehlt, die für eine wirksame monetäre Politik nun einmal erforderlich sind. Daher ist es sinnvoll, die Währungen dieser Länder durch feste Wechselkurse mit anderen Währungen, z.B. mit dem US-Dollar, zu verbinden. Da im allgemeinen die Preissteigerungen in den Entwicklungs- und Schwellenländern höher sind als z.B. in den USA, bedeutet die Bindung dieser Währungen an den US-Dollar, daß die Währungen dieser Länder real aufwerten. Das unterstützt die Bestrebungen der Zentralbanken, das Preisniveau zu stabilisieren. "Die [estnische] Krone steht bekanntlich seit fünf Jahren in einem fixen Austauschverhältnis von 8:1 zur D-Mark, ein Arrangement, das nicht nur einen zentralen Stabilisierungsfaktor für die Wirtschaft des Landes darstellt, sondern auch den Werterhalt ausländischer Investitionen gewährleistet."

Ein fester Wechselkurs bei relativ hohen Preissteigerungsraten stimuliert aber auch das Wirtschaftswachtum. Die mit der realen Aufwertung verbundene Dämpfung der wirtschaftlichen Entwicklung bildet für Unternehmen einen Anreiz, durch zusätzliche Investitionen die nationale und die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Der feste Wechselkurs gibt außerdem allen Beteiligten eine sichere Kalkulationsbasis. Das erleichtert den Export und den Import sowie die grenzüberschreitenden Geld- und Kapitaltransaktionen.

Wenn die Preissteigerungsraten in den Entwicklungs- und Schwellenländern höher sind als in den USA, dann zeigt die Kaufkraftparität eine Wertminderung dieser Währungen an. Dem muß aber nicht unbedingt eine Abwertung folgen. Häufig sind die Währungen der Entwicklungs- und der Schwellenländer so stark unterbewertet, daß zunächst einmal nur die Unterbewertung geringer wird. Mit anderen Worten: Diese Länder haben einen Zeitraum zur Verfügung, in dem sie durch eine angemessene Geld- und Kreditpolitik, unterstützt durch eine reale Aufwertung, die Preissteigerungsraten zurückführen können. Gelingt ihnen das nicht und tendiert die Währung zur Überbewertung, dann sind allerdings Wechselkurskorrekturen unvermeidlich. Eine dann notwendige Abwertung führt dann jedoch zu erneuten Preisschüben.

Entwicklungs- und Schwellenländer werden Armut und Hunger in ihren Ländern nur beseitigen und die niedrigen Lebensstandards nur anheben können, wenn sie Kapitalhilfe von außen erhalten. Vor allem die Industrieländer, Staaten und Unternehmen, leisten eine solche Hilfe in verschiedener technischer Form, so z.B. durch Übertragungen, Kredite und Beteiligungen. Das bedeutet, die Kapitalbilanzen der Entwicklungs- und Schwellenländer weisen Überschüsse auf. Da eine Zahlungsbilanz immer ausgeglichen ist, muß die Leistungsbilanz ein Defizit aufweisen. Wer den Ausgleich der Leistungsbilanzen dieser Ländern fordert, fordert damit gleichzeitig die Einstellung der monetären Hilfen.

Defizite in den Leistungsbilanzen der Entwicklungs- und Schwellenländer sind also das Spiegelbild des notwendigen Kapitalimports. Umstritten sein kann nur der Umfang solcher Defizite und die Struktur des Kapitalimports. Der Kapitalimport sollte vor allem zusätzliche Investitionen ermöglichen. Es ist beanstandet worden, daß zuviel Kapital importiert wurde, das vor allem in Finanzanlagen geflossen ist. Mittel, die in Investmentfonds fließen, kommen aber auch direkt oder indirekt der Entwicklung einer Wirtschaft zugute. Außerdem hat man vor den spekulativen Attacken die Liberalität vieler asiatischer Länder im Kapitalverkehr gerühmt. Zu dieser Liberalität gehören aber auch Finanzanlagen.

In den Entwicklungs- und Schwellenländern - nicht allerdings in den südostasiatischen Ländern - tendieren die öffentlichen Ausgaben und Einnahmen im allgemeinen zu einem Defizit. Da das Sozialprodukt pro Kopf und damit die Einkommen relativ niedrig sind, ist auch das Steueraufkommen bescheiden. Auf der anderen Seite ist der Mittelbedarf öffentlicher Haushalte groß. Vor allem die Infrastrukturinvestitionen, die notwendig sind, um private Investitionen zu ermöglichen, verschlingen erhebliche Mittel.

Ein Maßstab, um zu beurteilen, in welcher Höhe öffentliche Defizite zu tolerieren sind, können die Kriterien zur Überwachung der Haushaltslage durch die Kommission der Europäischen Union sein. Sie verlangen, daß die öffentlichen Schulden 60 vH des BIP nicht übersteigen sollen. Bei einem normalen Wirtschaftswachstum in Europa um real 3 vH und einer unvermeidlichen Preissteigerungsrate von 2 vH, also einer Zuwachsrate des nominalen Sozialprodukts von 5 vH, ergibt sich ein maximal tolerierbares laufendes Defizit von 3 vH (5vH von 60 vH). Der Internationale Währungsfonds geht davon aus, daß nach der "Ginseng-Krise" das Sozialprodukt der südostasiatischen Volkswirtschaften wieder real um 7-8 vH wachsen kann. Bei einer unvermeidlichen Preissteigerungsrate von 3 vH steigt das nominale Sozialprodukt also um rd. 10 vH. Soll auch in Asien die öffentliche Verschuldung 60 vH nicht überschreiten, dann ist ein laufendes Defizit von maximal 6 vH (10 vH von 60 vH) mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten in diesem Raum vereinbar.

Ein statistischer Befund

Man sollte sich zunächst einige Zahlen vor Augen führen, die die wirtschaftliche Lage in den asiatischen Staaten in den Jahren vor den spekulativen Wellen wiedergeben. Stellvertretend für diese Staaten sei hier ein Blick auf die wirtschaftlichen Grunddaten in Thailand geworfen.

Das Wirtschaftswachstum dort war beachtlich. Mit rund 8 vH entsprach es den Vorstellungen über den Wirtschaftsverlauf von Entwicklungs- und Schwellenländern, die zu den Industrieländern aufschließen wollen. Beachtlich waren die Anstrengungen, die Inflation in Zaum zu halten. Die Preissteigerungsraten waren einstellig. Thailand gelang es, sich der Ziellinie eines Entwicklungs- und Schwellenlandes von rd. 4 vH, auch nach Rückschlägen, immer wieder zu nähern. Zu dem Erfolg hat die reale Aufwertung, die sich aus festen Wechselkursen gegenüber dem US-Dollar ergab, beigetragen.

Auch die monetäre Politik in Thailand hat zu dieser Stabilisierung geführt. Bei einem Wirtschaftswachstum von rd. 8 vH und einer Preissteigerungsrate zwischen 3 vH und 6 vH liegen Zuwachsraten der Geldmenge zwischen 12 vH und 18 vH durchaus noch im Bereich des Tolerierbaren. Das gelegentlich zu hörende Argument, in den südasiatischen Staaten wäre die Geldmenge zu rasch gestiegen, läßt sich nicht belegen.

Der Saldo der Leistungsbilanz Thailands war mit rd. 5 vH gemessen am nominalen BIP durchaus angemessen. Sein Anstieg auf 8 vH in den Jahren 1991 und 1995 mag als zu hoch angesehen werden. Aber dem Land flossen auch umfangreiche Mittel aus dem Ausland zu. Im Jahre 1996 waren das 19,5 Mrd. US-Dollar. Sie kamen weitgehend privaten und öffentlichen Investitionen zugute. Nur 3,6 Mrd. US-Dollar oder 18,5 vH der Zuflüsse waren Portfolioinvestitionen. Sie waren angesichts der günstigen wirtschaftlichen Entwicklung und angesichts der Erwartungen eines fortschreitenden wirtschaftlichen Aufschwungs nicht überhöht.

Wenn eine Wirtschaft expandiert und günstige Aussichten für einen Aufschwung bestehen, dann kommt es auch zu Übertreibungen. So ist der Bauboom in Thailand und anderen südasiatischen Staaten über den Bedarf hinausgegangen. Solche Erscheinungen gibt es allerdings auch in den Industriestaaten. Japan ist ein Beispiel dafür. Auch in Deutschland überstieg der gewerbliche Bau den Bedarf. Büroflächen stehen leer. All das rechtfertigt aber keine spekulativen Attacken auf die Währungen dieser Länder, die zu starken Rückschlägen in der wirtschaftlichen Entwicklung führen.

Immer wieder wird betont - so auch in der zitierten Analyse von Carola Kaps - die öffentlichen Defizite seien in den "Ginseng-Staaten" zu hoch. Weder in Thailand noch in einem anderen südostasiatischen Staat, deren Währungen von der Spekulation attackiert wurden, gab es in den zentralen Haushalten öffentliche Defizite. Alle diese Staaten wiesen vielmehr Überschüsse auf. Legt man die vom Internationalen Währungsfonds publizierten Daten zugrunde, fällt es schwer, eine Rechtfertigung für die spekulativen Attacken zu finden.

Die Einschätzung der Spekulation

Die Spekulation hat in der Struktur makroökonomischer Größen in den Entwicklungs- und Schwellenländer nicht Bedingungen für ein stabiles und hohes Wirtschaftswachstum gesehen, sondern sie hat diese Struktur zum Anlaß ihrer spekulativen Attacken genommen. Die Kombination von festen Wechselkursen und hohen Preissteigerungsraten sah sie nicht als ein Mittel an, den Preisauftrieb durch eine reale Aufwertung zu bremsen. Vielmehr betrachtete sie die Kombination als unhaltbar. Defizite in der Leistungsbilanz waren für die Spekulation nicht das Spiegelbild freiwilliger, meist privater Kapitalimporte. Sie war der Ansicht, die Entwicklungs- und Schwellenländer würden über ihre Verhältnisse leben. Defizite öffentlicher Haushalte wurden von der Spekulation nicht als erforderlich angesehen, um möglichst umfangreiche Infrastrukturvorhaben als Voraussetzung privater Investitionen zu ermöglichen. Die Spekulation sah in solchen Defiziten, wie z.B. in der Tschechischen Republik, eine unsolide Haushaltspolitik.

Alle Währungen in Asien, die in der zweiten Hälfte 1997 spekulativen Angriffen ausgesetzt waren, wiesen ein Bild auf, daß dem Gedankengebäude der Spekulation entsprach. Die Unruhe in anderen Entwicklungsländern weltweit beruht darauf, daß auch sie ein ganz ähnliches Bild abgeben wie die von der Spekulation getroffenen asiatischen Staaten.

Der einzige Weg, auf dem Entwicklungsländer ihren Rückstand im Lebensstandard vermindern können, ist ein höheres Wirtschaftswachstum als in den Industrieländern. Aber selbst das wurde in Frage gestellt. "Der Wirtschaftswissenschaftler Walden Bello (Manila und Bangkok) ... ist überzeugt davon, daß es sich bei der gegenwärtigen Krise nicht um ein kurzzeitiges Phänomen, sondern um die Krise eines Entwicklungsmodells handle: Der Versuch, mit kräftigen Sprüngen, ermöglicht dank großzügiger Zuflüsse ausländischen Kapitals, in kurzer Zeit das Niveau entwickelter westlicher Industriestaaten zu erreichen, habe sich als Illusion erwiesen." Immerhin haben die südostasiatischen Staaten mehr als zwei Jahrzehnte gebraucht, um auf das noch weit vom Lebensstandard der Industrieländer entfernte Niveau zu gelangen.

Die Einschätzung der makroökonomischen Struktur durch die Spekulation und ihre darauf beruhenden spekulativen Angriffe, haben der Entwicklungsstrategie schwer geschadet. Die für eine wirtschaftliche Entwicklung der ostasiatischen Länder notwendige Struktur ist zusammengebrochen. Diese Länder werden in ihrer Entwicklung gebremst.

Zur Macht und der politischen Rolle der Spekulation

Wenn es Spekulanten gelingt, eine Regierung und Zentralbank zu zwingen, ihre an den US-Dollar gebundene Währung, abzuwerten, dann müssen sie über erhebliche Mittel und damit Macht verfügen, das durchzusetzen. Ganz offenbar ist das der Fall. Es wird immer wieder berichtet, daß die Spekulation über zweistellige Milliardenbeträge an US-Dollar verfügen kann. Dabei fällt häufig der Name eines Spekulanten: George Soros. Sein Name wurde bereits im Zusammenhang mit den Währungsspekulationen im Europäischen Währungssystem genannt. "Soros hatte mit massiven Spekulationen 1993 zum Zusammenbruch des Europäischen Währungssystems beigetragen". Selbstverständlich war er auch an der Spekulation beteiligt, die eine Abwertung des Yen erwartete. "Nach Ansicht von Branchenanalysten gehörte der Investor George Soros mit zu den größten "Spielern" bei der Yen-basierten Anlagestrategie. Soros, der mehr als 17 Milliarden Dollar durch den Soros-Fund Management verwaltet, ist bekannt für Attacken auf Anleihe- und Devisenmärkte weltweit." Die "Ginseng-Krise" ist ebenfalls mit seinem Namen verbunden. Verbittert stellte der malaysische Ministerpäsident Mahathir fest: "Wir haben 20 bis 40 Jahre gearbeitet, um unsere Länder auf den heutigen Stand zu bringen - und dann kommt ein Mann mit ein paar Milliarden Dollar und vernichtet unser Werk innerhalb von zwei Wochen beinahe."

Die Tätigkeit der Spekulation hat offenbar auch eine politische Dimension. "Der Verband Südostasiatischer Staaten (Asean) hat den amerikanischen Finanzier George Soros beschuldigt, die Währungsturbulenzen der letzten Wochen "aus politischen Gründen" mitverschuldet zu haben. Soros gab zu, daß er versucht habe, die Aufnahme Burmas zu verhindern." Die Asean beabsichtigte zu dieser Zeit, Burma als weiteres Mitglied in ihre Gemeinschaft aufzunehmen. Die USA haben sich dagegen gewendet, weil die Menschenrechte in Burma mißachtet würden. Die Asean hat schließlich Burma trotzdem als Mitglied aufgenommen.

Im Oktober 1997, als der Höhepunkt der spekulativen Attacken gegen die Südostasiatischen Währungen überschritten war, besuchte Soros Rußland. Seine Stiftung "Offene Gesellschaft", die das Ziel verfolgt, bürgerliche Freiheiten und den politischen Pluralismus zu fördern (angebliches Vermögen 5 Mrd. US-Dollar), sagte dem Land Mittel von 500 Mio US-Dollar zu. "Der amerikanische Finanzier und Philanthrop George Soros hat Rußland mit einer privaten Spende mehr Entwicklungshilfe als die Vereinigten Staaten versprochen." Im Jahre 1996 gewährten die USA Rußland eine Entwicklungshilfe von 95 Mrd. US-Dollar. Es ist schon ein Problem, wenn ein Einzelner auf eigene Faust Entwicklungshilfepolitik betreibt. Möglicherweise durchkreuzt er, bei derartigen Differenzen in den Beträgen, die strategische Linie der Vereinigten Staaten und der internationalen Organisationen.

Auswirkungen der "Ginseng-Krise"

Vertrauensverlust

Die schwerste Belastung, die auf die Volkswirtschaften der südostasiatischen Länder zukam, war der Vertrauensverlust ausländischer Investoren. Vertrauen beruht auf der Stetigkeit einer Entwicklung. Das Ausland sah, daß die südostasiatischen Staaten ein hohes Wirtschaftswachstum aufwiesen und damit sich dem Lebensstandard von Industrieländern näherten. Sie registrierten, daß diese Länder die Preissteigerungen nicht ausufern ließen und keine oder keine übermäßigen öffentlichen Defizite aufwiesen. Kalkulationssicherheit war durch die fest an den US-Dollar gebundenen Wechselkurse gegeben. Sie stellten unter diesen Bedingungen Kapital zur Verfügung, für das sie sich eine gute Verzinsung ausrechneten. Das Leistungsbilanzdefizit dieser Länder entsprach dem Verhalten der Investoren.

Wenn aus einem solchen Gebäude ein Stein herausbricht, dann werden die Investoren verunsichert. Verunsicherung aber bedeutet an den monetären Märkten, daß man sich mit seinen Geschäften glattstellt und soweit möglich die Mittel abzieht, um abzuwarten, wie die Entwicklung weiter verläuft. Eine Vertrauenskrise entsteht. "The moment that confidence in a developing country wanes, almost regardless of reason, capital inflows slacken and the warrented exchange rate falls to bring the export/import balance into line with the new capital flows reading." Ein solcher Vertrauensverlust bedeutet, daß die negativen Einflüsse, die von der "erfolgreichen" Spekulation ausgehen, noch verstärkt werden. Es werden nämlich diesen Ländern kaum neue Mittel bereitgestellt; vielmehr werden Mittel aus diesen Ländern abgezogen. Das führt zu einem weiter steigenden Angebot an nationaler Währung und steigender Nachfrage nach festen Währungen an den Devisenmärkten. Die von der Spekulation erzwungene Abwertung setzt sich fort.



Wirkungen auf die betroffenen asiatischen Länder

Die von spekulativen Attacken betroffenen ostasiatischen Länder haben sich anfangs alle durch Interventionen an den Devisenmärkten und durch Zinssteigerungen zur Wehr gesetzt. Sie verloren in erheblichen Umfang Devisenreserven. Gelingt eine solche Abwehr nicht, wie im Falle der meisten südostasiatischen Volkswirtschaften, und tritt ein Vertrauensverlust mit weiterer Abwertung ein, dann werden die Zinssätze weiter, oft drastisch, erhöht, um Kapitalabflüsse zu bremsen. Aber selbst dann ist der Abfluß aus diesen Ländern beachtlich. Abfließende Mittel aus den südostasiatischen Ländern bedeuten, daß die Leistungsbilanzdefizite nicht mehr wie in früheren Jahren durch Kapitalimporte finanzierbar sind. Die Anpassung zwischen Leistungsbilanzdefizit und niedrigem Kapitalbilanzüberschuß, vielleicht sogar -defizit, vollzieht sich über die Wechselkurse. Die Abwertung findet vorerst kein Ende.

Starke Zinserhöhungen, um den Kapitalabstrom niedrig zu halten, haben natürlich Rückwirkungen auf das Wirtschaftswachstum. Sie dämpfen es. Hinzu kommt, daß viele Investitionen nunmehr keine Erträge, sondern Verluste versprechen. Das ist bei der Mehrzahl der Investitionen der Fall. Sie sind nämlich meist durch Kreditaufnahmen in fremder Währung, vor allem US-Dollar und Yen finanziert worden. Die Investitionsrechnungen gingen von weiterhin festen Wechselkursen aus. Nunmehr sind viele Unternehmen in den betroffenen Ländern, nach der starken Abwertung ihrer Währungen, nicht mehr in der Lage, Zinsen und Amortisationen zu leisten. Investitionen, aber auch ganze Unternehmen, werden notleidend. Das Wirtschaftswachstum wird weiter gebremst. Alle betroffenen Länder haben für das vor ihnen liegende Jahr ihre Wachstumsprognosen revidiert. Man erwartet höchstens halb so hohe Wachstumsraten wie in den vergangenen Jahren.

Solche Entwicklungen führen in den südostasiatischen Ländern zur Zahlungsunfähigkeit von Unternehmen. Das aber geht am Bankensystem dieser Länder nicht spurlos vorüber. Kredite werden notleidend. Auch Banken haben häufig Mittel in fremder Währung, - japanische Yen und US-Dollar - aufgenommen. Wegen der festen Wechselkurse unterblieben Kurssicherungen weitgehend. So fällt es auch Banken schwer, ihre Fremdwährungs-Verbindlichkeiten zu bedienen. Das Bankensystem wird geschwächt. Die Aufsichtsbehörden sind gezwungen, die Schalter relativ vieler Banken zu schließen.

Das einzig Positive an den starken Abwertungen der betroffenen Länder ist, daß dadurch der Export angeregt und der Import gedrosselt wird. Das hilft die Leistungsbilanzdefizite zurückzuführen. Dies wiederum bildet ein, wenn auch geringes, Gegengewicht gegen die rezessiven Tendenzen, die von der Abwertung ausgehen.

Bei derart gravierenden Änderungen und den Aussichten auf eine eher rezessive Entwicklung ist es nicht erstaunlich, daß die Aktienmärkte der betroffenen Länder mit starken Kursrückgängen reagieren. Angesichts der vorangegangen positiven Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung dieser Länder hatten sich auch viele ausländische Investoren, so auch Investmentfonds, an diesen Aktienmärkten engagiert. Ihr Rückzug trug zu den Einbrüchen an den Aktienmärkten bei. Aber auch andere Börsen, so die Metallbörse in London, bekamen die Turbulenzen an den ostasiatischen Märkten zu spüren. "Die Metallnotierungen haben am London Metall Exchange (LME) mehrheitlich nachgegeben. Als Grund wird am Markt die sich mit Deutlichkeit abzeichnende Abkühlung der asiatischen Wirtschaft genannt."

Wirkungen auf Drittländer

In einer globalen Wirtschaft breiten sich gravierende Änderungen wirtschaftlicher Rahmendaten, die in einem Teil der Erde entstehen, auf alle Märkte des Globus aus. Das Vehikel heißt Vorsicht. Kursverluste sind dann auch an den Börsen der Industrieländer unvermeidlich. "Im Sog des Kurssturzes an der Börse von Hongkong sind ... auch die Kurse am deutschen Aktienmarkt eingebrochen."

Ein besorgniserregendes Problem ist, daß nach den Währungsspekulationen mit erzwungenen Abwertungen Länder nun auch freiwillig abwerten. Das trifft z.B. auf Taiwan zu. Dieser "kleine Tiger" blieb von der Spekulation weitgehend verschont. Die umfangreichen Devisenreserven dieses Landes schreckten wohl die Spekulanten. Trotzdem wertete die taiwanische Regierung den NT-Dollar ab. "Dass es schliesslich trotzdem dazu kam, hatte vor allem mit der Wahrung der Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Taiwan zu tun." Besorgniserregend ist diese Maßnahme deshalb, weil sie sehr leicht in einen allgemeinen Abwertungswettlauf münden kann, wie das vor der Weltwirtschaftskrise der dreißiger Jahre der Fall war. Denn viele Länder sehen infolge der Abwertung südostasiatischer Währungen ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt.

Zunehmende Exporte und verringerte Importe als Folge der Abwertungen südostasiatischer Staaten sind natürlich auch in Europa und Amerika spürbar. Für die südostasiatischen Staaten wird es leichter, Güter in den Industriestaaten abzusetzen. Den Industrieländern fällt es schwerer, Güter nach Südostasien zu liefern. Es kommt hinzu, daß die asiatischen Länder angesichts rückläufiger Wachstumraten in den öffentlichen Haushalten stärker sparen. Die Verwirklichung geplanter Großprojekte, wie Staudämme und U-Bahnen, wird zeitlich verschoben oder ganz gestrichen. Das bedeutet aber häufig, daß Aufträge, die europäischen oder amerikanischen Unternehmen schon sicher waren, entfallen. Dadurch wird auch in den Industrieländern das Wirtschaftswachstum von der "Ginseng-Krise" negativ beeinflußt.

Schließlich werden Banken außerhalb der ostasiatischen Länder von der Krise betroffen. Diese Banken haben südostasiatischen Banken und Wirtschaftsunternehmen Kredite zur Verfügung gestellt. Ein Kursrisiko bestand für sie nicht, da sie diese Kredite in ihrer nationalen Währung, z.B. Yen oder US-Dollar bereitstellten. Nunmehr aber müssen sie erfahren, daß durch die Abwertungen die Schuldner teilweise zahlungsunfähig geworden sind oder werden. Vermehrte Abschreibungen notleidender Kredite werden auch bei Banken in den Industriestaaten erforderlich. "Der Zusammenbruch einer japanischen Großbank offenbart die ersten realwirtschaftlichen Auswirkungen der asiatischen Finanzkrise. Nach der amerikanischen Notenbank Fed dürften sich nun auch die europäischen Währungshüter an eine Revision der Wachstumsprognosen machen."

Nicht nur südostasiatische Länder fühlten sich von der Spekulation bedroht. Auch in Südamerika hält man spekulative Attacken für nicht ausgeschlossen. Viele dieser amerikanischen Entwicklungs- und Schwellenländer haben feste Wechselkurse gegenüber dem US-Dollar, weisen Leistungsbilanzdefizite auf und ziehen als vielversprechende Zukunftsmärkte ausländisches Kapital an. "Vor diesem Hintergrund kann nicht erstaunen, daß auch die Börsen von Mexiko, Argentinien und ... Brasilien stärkere Korrekturen hinnehmen mußten." Vor allem Brasilien und Argentinien spürten erste spekulative Wellen. Brasilien konnte "vorerst den jüngsten Ansturm auf die Stabilität des Real, ... , mit Hilfe einer drastischen Erhöhung des Zinsniveaus überstehen". Aber auch hier wurden die Anleger unruhig, Vertrauen in die brasilianische Wirtschaft schwand und Kapital wurde abgezogen. So sah sich die Regierung gezwungen, Maßnahmepakete zu beschließen, um die öffentlichen Defizite und das Defizit in der Leistungsbilanz zurückzuführen. Diese Maßnahmen wurden "von offizieller Seite unverblümt als hartes und unpopuläres Sparpaket zur Rückgewinnung des Anlegervertrauens" bezeichnet.

Auch die osteuropäischen Länder sind Entwicklungs- oder Schwellenländer. Sie weisen ein ähnliches makroökonomisches Umfeld auf, wie die südostasiatischen Staaten, nämlich öffentliche Defizite, Defizite in der Leistungsbilanz, relativ hohe Preissteigerungsraten und teilweise feste Wechselkurse. So wurden auch sie in die Spekulationen auf eine Abwertung hineingezogen. Das war der Fall z.B. in Estland, dessen Währung fest an die D-Mark gebunden ist. Auch Rußland bekam Auswirkungen der südostasiatischen Währungsabwertungen zu spüren. "Unter dem Eindruck der jüngsten Turbulenzen an den internationalen Finanzmärkten, die zu einem Kurssturz von 20% an der Moskauer Börse führte, entschloß sich die Zentralbank zu einer Anpassung ihrer Geldpolitik."

Erforderliche Maßnahmen

Gegen Ende September 1997 fand in Hongkong das Jahrestreffen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank statt. In diesem Zusammenhang hat sich auch die Group of Ten (G10) mit der asiatischen Krise befaßt. Dabei stellte das Interim Committee of the Board of Governors of the International Monetary Fund fest: "The Committee stressed the importance of openness and accountability of economic policy making, and of transparency, to achieving policy credibility and confidence building in a global environment." Dieser Satz umschreibt eine Strategie, wie Krisen ähnlich der "Ginseng-Krise", zu vermeiden sind. Sie ist allerdings im Detail noch auszuformulieren. Sechs Punkte erscheinen dabei wichtig:

1. Eine Wechselkursordnung im internationalen Währungssystem: Es ist zu vermeiden, daß freie Wechselkurse immer wieder zum Spielball der Spekulation und feste Wechselkurse von der Spekulation getestet werden. In einer globalen Wirtschaft sollten die Wechselkurse dem Verlauf der Kaufkraftparitäten folgen. Sicherzustellen ist das, wenn erforderlich, durch gemeinsame Deviseninterventionen. Allein die Ankündigung gemeinsamen Handelns wird ausreichen, die Spekulation wieder ihrer eigentlichen Aufgabe zuzuleiten, nämlich stabilisierend zu wirken. Folgen die Wechselkurse dem Pfad der Kaufkraftparitäten oder wird gegen eine noch unterbewertete Währung spekuliert, dann sollte der Internationale Währungsfonds, auch durch Einsatz eigener Mittel, gemeinsam mit dritten Staaten zur Sicherung des Wechselkurssystems intervenieren und eine Krise vermeiden helfen. Eine erfolgreiche Abwehr der Spekulation bedeutet, daß danach die eingesetzten Mittel wieder zurückfließen. Sie würden also dem Internationalen Währungsfonds nicht verloren gehen.

2. Ein Asiatisches Währungssystem: Den Asean-Staaten wäre zu raten, ähnlich dem Europäischen Währungssystem ein Asiatisches Währungssystem aufzubauen mit festen Wechselkursen, Bandbreiten und Stufenflexibilität. Interventionen zur Abwehr von Spekulationen bei preisgerechtem Verlauf der Wechselkurse ist sinnvoller als zweistellige Milliarden Dollarhilfen, nachdem die Spekulation obsiegt hat. Auf einem Treffen von zwölf asiatischen Staaten, den USA, Kanada, Australien und Neuseeland sowie dem IMF, der Weltbank und der Asiatischen Entwicklungsbank wurde betont, "dass der Internationale Währungsfonds (IMF) bei künftigen Währungskrisen in Asien eine bedeutende Rolle in einem neuen Rahmen der regionalen Zusammenarbeit spielen muss."

3. Liberalisierung des Geld- und Kapitalverkehrs: Sie sollte in Entwicklungs- und Schwellenländer vorsichtig gehandhabt werden. Zu achten ist darauf, daß ein freier grenzüberschreitender Warenaustausch auch von den erforderlichen monetären Transaktionen begleitet werden kann. Eine darüber hinausgehende Liberalisierung setzt einen so hohen Entwicklungsstand voraus, der in der Regel in diesen Ländern nicht gegeben ist. Indien hat z.B. seinen Kapitalverkehr stufenweise liberalisiert; es wurde von der Währungskrise nur wenig berührt. "Die jüngste Börsenkrise hat die Haltung der Regierung bestärkt, bei ihrem Gang in Richtung einer vollen Wechselkurs-Liberalisierung weiterhin einen vorsichtigen Kurs zu steuern. ... Aber der Wirtschaftsberater sieht mehr denn je die Notwendigkeit einer dauerhaften Handelsdefizit-Senkung, einer Stärkung des Finanzsystems und einer geringen Inflation, bevor die volle Konvertibiltät der Rupie erreicht ist."

4. Überwachung durch den Internationalen Währungsfonds: Es ist zu begrüßen, daß der IMF einen "Special Data Dissemination Standard" entwickelt hat und noch weiter entwickelt, mit dem er die wirtschaftliche Entwicklung der Mitgliedsländer überwacht. Ein solches System kann erheblich zur Früherkennung von Schwachstellen in der wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes beitragen.

5. Transparenz: Die Devisenmärkte müssen unterrichtet sein, ob und in welchem Umfang eine Währung unter- oder überbewertet ist. Die Devisenmärkte sollten daher über Veränderungen der Kaufkraftparitäten informiert werden. Noch steht eine entsprechende Statistik nur in einigen Ländern und nur für einige Währungen zur Verfügung. Der IMF hat erstmals die Ergebnisse seiner Überwachung von Mitgliedsländern der Presse kundgetan. Bisher geschah das nicht, da man befürchtete, daß eventuell ungünstige Berichte für die Märkte dieses Landes negative Folgen haben könnten. Ob eine solche These zutrifft, wird die Zukunft zeigen.

6. Bankenaufsichtliche Maßnahmen: Der grenzüberschreitende Geld- und Kapitalverkehr ist ein Pendant zum grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr. Es sollte Aufgabe der Bankenaufsicht sein, einen Blick darauf zu werfen, wie sich die Geld- und Kapitaltransaktionen im Vergleich zu den Waren- und Dienstleistungströmen entwickeln. Die Spekulation gegen asiatische und andere Währungen setzt im allgemeinen voraus, daß die Spekulation Milliardenbeträge bei Banken in den anzugreifenden Währungen aufnimmt. Das geschah selbst in Ländern, in denen es nicht gestattet ist, nichtansässigen Interessenten Landeswährung anzubieten, wie z.B. in der Ukraine: "Der Zentralbank-Vorsitzende, Jusch-tschenko, beschuldigte die Geschäftsbanken, die Regeln für den Verkauf von Hrywna gegen Dollars massiv zu missachten." Es ist daher notwendig, daß sich die Bankenaufsicht in solchen Situationen stärker einschaltet und die Banken zur Zurückhaltung mahnt.

Auch in einer freizügigen globalen Wirtschaft ist ein Ordnungsrahmen erforderlich, der störende spekulative Transaktionen zu verhindern sucht. Geschieht das nicht, dann ist abzusehen, wann Stimmen laut werden, die Freizügigkeit des internationalen Wirtschaftsverkehrs einzuschränken.


© Friedrich Ebert Stiftung | technical support | net edition bb&ola | April 1998