Internationale Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 2/2002

 

 
 
 

 


Modellfall Kosovo?
UNMIK und die Architektur künftiger internationaler Mandate*

Andreas Wittkowsky*

Die UN-Mission in Kosovo hat einen Zustand "gespannter Stabilität" geschaffen. Die Chancen zur friedlichen Konfliktaustragung stehen besser als zuvor. Aber diese Zwischenbilanz wurde von Sonderfaktoren begünstigt. Außerdem wurde deutlich, dass die Verfügungen der UN-Behörden keine wirkliche Akzeptanz finden. Die internationale Protektoratslösung hat bei der Befriedung von Bürgerkriegsgebieten ihre Grenzen.

 

Je feuchter das Getreide, desto langsamer mahlen die Mühlen.
Afghanisches Sprichwort

Gut zwei Jahre nach Errichtung einer UN-Übergangsverwaltung (United Nations Interim Administration Mission in Kosovo – UNMIK) wurden am 17. November 2001 die ersten freien Wahlen zu einem kosovarischen Parlament (Assembly) abgehalten. Dabei scheint die UNMIK-Strategie zur politischen Stabilisierung aufgegangen zu sein, nämlich Kosovo-weite Wahlen erst nach einer zweijährigen Übergangsphase durchzuführen (mit dem Zwischenschritt der Kommunalwahlen im Oktober 2000) und damit der organisatorischen Festigung und politischen Entwicklung gemäßigter politischer Kräfte Vorschub zu leisten.

Der Wahlkampf 2001 verlief wesentlich friedlicher als bei den Kommunalwahlen im Jahr davor, die von einer Zunahme der Gewalt und einigen spektakulären politischen Morden begleitet waren. Auch die Wahlbeteiligung war mit lediglich 63 Prozent überraschend gering. Als Sieger ist die Demokratische Liga Kosovos (LDK) Ibrahim Rugovas mit rund 46 Prozent der Stimmen aus den Wahlen hervorgegangen – also jene Partei, die gemeinhin als gemäßigt eingestuft wird. Die Nachfolgeparteien der aufgelösten Befreiungsarmee Kosovos (UÇK), die das Machtvakuum direkt nach Beendigung der Kampfhandlungen im Juni 1999 weitgehend füllen konnten, scheinen dagegen an Popularität verloren zu haben. Die Demokratische Partei Kosovos (PDK) des ehemaligen UÇK-Führers Hashim Thaçi gewann 26 Prozent der abgegebenen Stimmen, die Allianz für die Zukunft Kosovos (AAK) des ehemaligen UÇK-Kommandanten Ramush Haradinaj acht Prozent. Die serbische Koalition Povratak (Rückkehr) konnte elf Prozent der Wählerschaft für sich mobilisieren. Hieraus, und in Verbindung mit den Minderheitenklauseln der im Mai 2001 verabschiedeten Übergangsverfassung, ergibt sich folgende Sitzverteilung in der Assembly:

LDK (Demokratische Liga Kosovos)                                 45.7 %               47 Sitze
PDK (Demokratische Partei Kosovos)                               25.7 %               26 Sitze
Koalicija Povratak (Serbische Koalition “Rückkehr”)           11.3 %               22 Sitze
AAK (Allianz für die Zukunft Kosovos)                               7.8 %                8 Sitze
VATAN (Koalition der Bosnier und Gorani)                        1.2 %                4 Sitze
KDTP (Türkisch-Demokratische Partei)                              1.0 %                3 Sitze
IRDK (Neue Demokratische Initiative Kosovos)                  0.5 %                2 Sitze
PDASHK (Albanisch-Demokratische Partei der Aschkali)    0.43 %             2 Sitze
LKCK (Nationale Befreiungsbewegung)                             1.1 %                1 Sitz
PShDK (Albanische Christdemokratische Partei)                 1.0 %                1 Sitz
LPK (Volksbewegung Kosovos)                                         0.6 %                1 Sitz
PD (Gerechtigkeitspartei)                                                   0.6 %                1 Sitz
PREBK (Partei der Roma)                                                 0.3 %                1 Sitz
BSDAK (Bosnische Partei der Demokratischen Aktion)       0.4 %                1 Sitz

Durch diese Sitzverteilung haben sich keine eindeutigen Mehrheitsverhältnisse ergeben. Da die Kultur des politischen Kompromisses nicht sehr ausgeprägt ist, tut sich die Assembly gegenwärtig noch schwer, den Präsidenten des Kosovo zu wählen, der seinerseits die Regierung nominieren kann. Die Anwesenheit von UNMIK und KFOR ermutigen im übrigen dazu, die politischen Spiele ohne großes Risiko andauern zu lassen.

Einige wichtige Hoheitsbereiche bleiben auch weiterhin als „Reserved Powers“ beim Special Representative of the Secretary General (SRSG) – dem Chef der UNMIK –, insbesondere in den Bereichen Außenbeziehungen, Minderheitenrechte, innere Sicherheit, Haushalts- und Fiskalpolitik, Verwendung internationaler Hilfsgelder sowie Verwaltung des staatlichen bzw. gesellschaftlichen Eigentums.

Diese Entwicklungen im Kosovo fallen in eine Zeit, in der die internationale Öffentlichkeit im Rahmen des „Kampfes gegen den Terrorismus“ erneut verstärktes Interesse an Modellen für andere Weltregionen zeigt, die von dauerhaften Konflikten und Staatszerfall betroffen sind. Und so stellt sich die Frage: Ist Kosovo solch ein Modell? Immerhin beruht die Vorlage auf weitreichenden internationalen Eingriffen in fast alle Aspekte des gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Lebens (unter gewollter Offenhaltung des engültigen völkerrechtlichen Status), die – wenn auch unter anderen politischen Vorzeichen – an vergangene Zeiten erinnern, in denen „Protektorate“ oder koloniale Arrangements zur politischen Weltkarte gehörten.

 

Mandat und Organisation

Die Sicherheitsratsresolution 1244 vom 10. Juni 1999 autorisierte den UN-Generalsekretär zur Schaffung einer zivilen Übergangsverwaltung im Kosovo „under which the people of Kosovo can enjoy substantial autonomy within the Federal Republic of Yugoslavia, and which will provide transitional administration while establishing and overseeing the development of provisional democratic self-governing institutions to ensure conditions for a peaceful and normal life for all inhabitants of Kosovo (Art. 10).“

Die Übergangsverwaltung erhielt zudem das Mandat, einen politischen Prozess zu ermöglichen, der den zukünftigen Status Kosovos bestimmen soll – ohne festzulegen, wie dieser aussehen könnte. Währenddessen soll UNMIK die grundlegenden Verwaltungsfunktionen „where and as long as required“ wahrnehmen, den wirtschaftlichen Wiederaufbau unterstützen und Recht und Ordnung aufrecht erhalten (Art. 11). Dabei ist UNMIK gehalten, die Souveränität und territoriale Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien zu wahren.

Organisatorisch wurden bei der Errichtung von UNMIK neue Wege beschritten, indem vier funktionale Verwaltungs-„Pfeiler“ unter der Leitung verschiedener multilateraler Organisationen etabliert wurden, die jeweils unter der Leitung eines Stellvertreters des SRSG stehen (vgl. Abbildung 1)

Neben dieser Pfeilerstruktur ist auch das hohe Maß an „outsourcing“ von Verwaltungsfunktionen auffällig. Insbesondere im sogenannten „EU-Pfeiler“ für Wiederaufbau und wirtschaftliche Entwicklung werden viele Aufgaben von Consultants aus der EU und den USA wahrgenommen. Die internationale Consultingfirma KPMG Barents beispielsweise stellt als Hauptkontraktor von USAID den Großteil des Personals der Central Fiscal Authority (CFA, Finanzbehörde) und der Banking and Payments Authority of Kosovo (BPK, Zentralbankbehörde).

Nach einer Phase der Gemeinsamen Übergangsverwaltung (Joint Interim Administrative Structure, JIAS) – deren Departments durch je einen internationalen und einen kosovarischen Co-Head geleitet wurden – sieht die Übergangsverfassung vom 15. Mai 2001 (Constitutional Framework for Provisional Self-Government in Kosovo) den Aufbau der Provisorischen Selbstverwaltungsinstitutionen (Provisional Institutions for Self-Government, PISG) vor, die nun durch die Kosovo-weiten Wahlen am 17. November 2001 legitimiert wurden.

 

Gespannte Stabilität

Unbestreitbar hat UNMIK eine beachtliche Erfolgsbilanz vorzuweisen und damit zu einem Zustand beigetragen, den man als „gespannte Stabilität“ bezeichnen kann. Gespannt ist die Stabilität deshalb, weil nach wie vor tiefliegende gesellschaftliche Konflikte bestehen, die sich jederzeit wieder verschärfen können. Dennoch hat UNMIK eindeutig die Chance zur friedlichen Konfliktbearbeitung geschaffen – die Chance zu nutzen ist Aufgabe der lokalen politischen Kräfte.

Allerdings lassen sich im Kosovo einige grundsätzliche Probleme eines internationalen Mandats erkennen, die Zweifel an der beliebigen Wiederholbarkeit des Modells aufkommen lassen. Im Kern ist dies die mangelnde Verankerung der Regierenden in Kultur und Interessenlagen der Regierten sowie eine entsprechend schwache und permanent gefährdete Legitimität der Regierung. Verbunden ist dies mit entsprechenden Schwierigkeiten der Durchsetzung von staatlicher Gewalt und staatlichen Politiken. Diese Phänomene erinnern sowohl an die Ursachen des Scheiterns kolonialer Arrangements als auch an alte Erkenntnisse aus der entwicklungspolitischen Debatte – dass nämlich Politik ohne lokales „ownership“ schwer durchzusetzen ist und oft wirkungslos bleibt.

Fast jeder der UNMIK-Erfolge ist deshalb mit einem großen ABER versehen und beruht zudem zu einem beträchtlichen Teil auf ausgesprochen glücklichen Rahmenbedingungen. Neben den Herausforderungen für die nächste Phase der internationalen Übergangsverwaltung lassen die Misserfolge auch deutliche Grenzen für internationaler Mandate insgesamt erkennen. Allerdings ergeben sich auch einige Lehren für künftige Mandate.

 

Zwischenbilanz: UNMIK-Erfolge und ihre Grenzen

Die Tätigkeit der UNMIK läßt sich drei Bereichen zuordnen: (1) Sicherheit und öffentliche Ordnung, (2) Aufbau demokratischer Strukturen und (3) wirtschaftlicher Wiederaufbau und Entwicklung. Die folgende Auflistung soll einen – nicht vollständigen – Überblick über die wichtigsten Erfolge in diesen Bereichen geben:

Sicherheit und öffentliche Ordnung

Demobilisierung

Nach dem Abzug der jugoslawischen Truppen hat UNMIK ein umfangreiches Programm zur Demobilisierung und Entwaffnung der UÇK durchgeführt. Ein Teil der Kämpfer wurde in die neu gegründete Kosovo-Schutztruppe (TMK) überführt, die weitgehend unbewaffnet ist und von der Funktionsbeschreibung einem technischen Hilfswerk ähnelt – auch wenn sie sich selbst als Kern einer zukünftigen kosovarischen Armee versteht.

Aber: Nach wie vor gibt es im Kosovo trotz anhaltender Razzien eine unbekannte Anzahl geheimer Waffenverstecke, und der Verlauf des Konflikts im benachbarten Mazedonien legt nahe, dass diese im Zweifelsfall schnell zugänglich sind – und auch durch das Territorium Kosovos und die teilweise unzugänglichen Grenzregionen transportiert werden können.

Gegenwärtig ist es UNMIK gelungen, eine Lage zu schaffen, in der ethnisch motivierte Gewalttaten stark zurückgegangen sind. In der Übergangsverfassung und den „Regulations“ (Verordnungen) der UNMIK ist den Minderheiten darüber hinaus ein beträchtliches Maß formaler Rechte garantiert worden, u.a. eine überproportionale Vertretung in der Assembly, Quoten in Regierung und Verwaltung sowie diverse politische Interventionsmechanismen. Zudem hat UNMIK begonnen, erste Rückkehrerprogramme durchzuführen.

Aber: UNMIK konnte nicht verhindern, dass nach dem Abzug der jugoslawischen Truppen ethnische Vertreibungen und die Besetzung von Wohn- und anderen Eigentumsobjekten stattfanden. Dadurch hat sich eine Konzentration der Minderheitenbevölkerung in Enklaven ergeben, die in der Regel mit erheblichem Aufwand gesichert werden müssen. Gleiches gilt für die freie Bewegung der Bevölkerung dieser Enklaven.

Letztlich können alle diese Schutzmechanismen nicht die notwendige direkte Auseinandersetzung der Albaner und Serben über die jüngste Vergangenheit und den auf beiden Seiten fehlenden Willen zur Aussöhnung ersetzen. Die ungeklärte Statusfrage trägt vielmehr dazu bei, dass sich beide Seiten durch ein konfrontatives Verhalten Vorteile für die antizipierte nächste Runde der Auseinandersetzungen versprechen.

Polizei

UNMIK hat zu einer weitgehenden Stabilisierung der allgemeinen öffentlichen Ordnung beigetragen – zunächst durch die Entsendung einer internationalen Zivilpolizei, die zunehmend durch die im Aufbau befindliche kosovarische Polizei verstärkt wird und später ganz abgelöst werden soll.

Aber: Diese Erfolge sind nur durch die flankierende Unterstützung der KFOR möglich. Erhebliche Schwierigkeiten bestehen weiterhin bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität. Insbesondere der internationalen Polizei, die ihrer Arbeit in der Regel nur mit der Hilfe von Dolmetschern oder in gemeinsamen Fremdsprachen nachgehen kann, ist eine Durchdringung der Gesellschaft – und der Aufbau entsprechender Vertrauens- und Informantenstrukturen – kaum möglich.

Rechtsrahmen und Justiz

UNMIK hat einem funktionierenden Justizwesen und der Rechtsreform frühzeitig hohe Priorität beigemessen, um eine friedliche Entwicklung der kosovarischen Gesellschaft zu ermöglichen und Gerechtigkeit anstelle von Rache zu stellen. In einigen Bereichen werden dabei internationale Richter eingesetzt.

Aber: Insgesamt geht gerade der Aufbau des Justizwesens nur langsam voran. Die lokalen Gerichte sind nicht in der Lage, den Arbeitsanfall in einer Weise abzuarbeiten, die professionellen Standards entspräche; von der Bedrohung von Richtern wird gleichermaßen berichtet wie von ethnisch orientierter Bevorzugung und Benachteiligung in der Rechtsprechung. Im allgemeinen Recht fehlen zudem wichtige Grundlagen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, wie z.B. Regelungen zum Komplex Hausfriedensbruch.

Aufbau demokratischer Strukturen

Übergangsverwaltung

Nach dem Abzug der jugoslawischen Truppen hat UNMIK ein Abkommen zur Abschaffung der in den 90er Jahren gebildeten albanischen Parallelstrukturen geschlossen und diese durch die Gemeinsame Übergangsverwaltung ersetzt – unter Einbeziehung aller gesellschaftlich relevanten Gruppen in Konsultativgremien, die den osteuropäischen Runden Tischen nachempfunden waren. Durch mühevolle Überzeugungsarbeit konnten auch Vertreter der serbischen Minderheit zur Mitarbeit gewonnen werden.

Aber: De facto besteht ein Teil der albanischen Parallelstrukturen weiter fort, und in den serbischen Enklaven hat UNMIK bis heute seine Verwaltungshoheit nicht voll durchsetzen können. Dies betrifft nicht nur die schnelle Mobilisierungsfähigkeit gewaltbereiter Gruppen, sondern die allgemeine Durchsetzung von Recht, Verwaltungsstrukturen und politischen Entscheidungen sowie die Bekämpfung illegaler „Steuereintreibung“ auf dem gesamten Territorium Kosovos.

Zudem lassen sich in jenen Teilen der Verwaltung, die weitgehend auf Consultants zurückgegriffen haben, beträchtliche politische Steuerungsprobleme beobachten: Im Zweifelsfall sind die Consultants – auch um sich ihre Anschlussaufträge zu sichern – eher ihren Auftraggebern als ihren politisch Vorgesetzten verpflichtet, was die Regierungsfähigkeit der Administration erschwert.

Wahlen

Die Kommunalwahlen 2000 und die Wahlen 2001 haben – wie schon oben beschrieben – tatsächlich einer Tendenz Vorschub geleistet, die gemäßigten Politikern zugute kommt und die durch den Krieg populär gewordenen radikalen Vertreter ins Hintertreffen geraten lässt.

     Aber: Schon nach den Kommunalwahlen war eine Tendenz der Delegitimierung von UNMIK durch die lokalen Eliten zu beobachten, und es ist wahrscheinlich, dass sich dies nach den Kosovo-weiten Wahlen fortsetzt. Weder die albanisch-ethnische Mehrheit noch die serbisch-ethnische Minderheit sind zudem mit den Bestimmungen der Übergangsverfassung einverstanden: Die Mehrheit ist weder bereit, einen Status unterhalb der Unabhängigkeit zu akzeptieren, noch hält sie den Umfang der „Reserved Powers“ des SRSG für akzeptabel. Der Minderheit geht dagegen selbst die eingeschränkte Selbstverwaltung schon zu weit.

Wiederaufbau und Entwicklung

Nothilfe

Die Geschwindigkeit des Wiederaufbaus im Kosovo hat selbst Optimisten überrascht. Wer heute über Land fährt, gewinnt fast den Eindruck als sei Kosovo erst seit zwei Jahren besiedelt. Dörfer und Städte sind weitgehend neu gebaut; sowohl Altbauten als auch zerstörte Häuser sind seltene Relikte einer jugoslawischen Vergangenheit.

Aber: Der direkte Wiederaufbau hat nur begrenzte Impulse für die lokale Wirtschaft gegeben. Ein Großteil der Baumaterialien musste importiert werden, zumal die KFOR einen Teil jener Betriebe als Kasernen besetzt hatte, die man schnell hätte wiederbeleben können.

Wirtschaftliche Entwicklung

Durch die UNMIK-Präsenz und die schnelle Etablierung stabiler und transparenter Rahmenbedingungen ist Kosovo zunächst das Schicksal vieler anderer Transformationsländer erspart geblieben, eine politisch abgesicherte Bereicherung der Wenigen auf Kosten aller zu erleben. Es gab nicht den privilegierten Zugang zu und den Missbrauch von staatlich subventionierten oder abgesicherten Krediten, Import- und Exportlizenzen oder ähnlichen einschlägig bekannten Rentenquellen.

Auch für die Unternehmenstätigkeit sind die allgemeinen Rahmenbedingungen positiv: einfache Unternehmensregistrierung, extrem niedrige Steuern, eine stabile Währung durch Übernahme der DM (und nun des Euro) als offiziell akzeptiertes Zahlungsmittel, erhebliche Investitionen in die Basisinfrastruktur u.a. haben Kosovo trotz aller gegenlautenden Statistiken zu einem Ort gemacht, in dem besonders Klein- und Mittelbetriebe florieren – vielfach jedoch trotz positiver Rahmenbedingungen in der Schattenökonomie.

Aber: Nach wie vor werden rund 85 Prozent des Bruttosozialprodukts importiert, ohne dass nennenswerte Exporte erfolgen. Dieses gewaltige Handelsbilanzdefizit ist bisher zu etwa gleichen Teilen von internationalen Hilfsgeldern und Transfers der im Ausland lebenden Kosovaren finanziert worden. Die ungeklärte Statusfrage verwehrt Kosovo zudem den Zugang zu den meisten entwicklungsfördernden internationalen Abkommen und Institutionen (Weltbank, IWF, WTO u.a.), da der völkerrechtliche Zugang nur über die Bundesrepublik Jugoslawien möglich ist.

Zu einem ernsten Destabilisierungsfaktor – der auch dringend benötigte Investoren abschreckt – droht sich die offene Frage des gesellschaftlichen Eigentums zu entwickeln. Bereits nach dem Krieg waren viele der Unternehmen in Gesellschaftseigentum von selbsternannten Managements übernommen worden, und mit den veränderten Machtverhältnissen nach den Kommunalwahlen waren erste politisch initiierte „Umbesetzungen“ zu beobachten, die nicht immer friedlich verliefen. Nach den Kosovo-weiten Wahlen ist mit einer neuen Welle der Auseinandersetzungen um diese Betriebe zu rechnen. Dabei wird UNMIK in jenen Betrieben, in denen zur Stabilisierung der Situation direkte Verantwortung übernommen wurde, zunehmend selbst Konfliktpartei.

Bisher ist es UNMIK nicht gelungen, durch die Einleitung der Privatisierung klare Eigentumsverhältnisse zu schaffen – und damit anhaltende Konflikte dieser Art zu vermeiden. Eine „Kosovo Trust Agency“ mit entsprechenden Kompetenzen stößt nach wie vor auf Vorbehalte des UN-Systems. Die UN befürchtet aufgrund extrem komplizierter Rechtsverhältnisse mögliche Schadensersatzansprüche, und den Kosovaren wird aufgrund der ungeklärten Statusfrage jene politische Grundsatzentscheidung verwehrt, die in den übrigen jugoslawischen Nachfolgerepubliken eine Privatisierung eingeleitet hat.

Zusammenfassend lässt sich also festhalten:

1.       UNMIK war besonders dort erfolgreich, wo schnell konkrete Lieferungen und Leistungen zu erbringen waren (z.B. Nothilfe) oder internationale Experten weitgehend problemlos Verantwortung für Verwaltungshandeln übernehmen konnten.

       Größere Schwierigkeiten bestanden und bestehen im Bereich des Aufbaus jener Institutionen, die auf veränderten Verhaltensmustern und ihrer grundsätzlichen Akzeptanz in der Gesellschaft beruhen. Diese sind grundsätzlich nur längerfristig zu verankern; zudem sträuben sich maßgebliche Teile der Gesellschaft im Kosovo gegen einen Teil dieser Institutionen. Ein Teil der Probleme beruht auf den besonderen Umständen des Mandats (Statusfrage).

3.       Als politische Kernprobleme lassen sich die längerfristige Akzeptanz des Mandats durch die Kosovaren sowie die Durchsetzung entsprechender Politiken identifizieren.

 

Glückliche Rahmenbedingungen

Zudem ist die bisherige Erfolgsgeschichte der UNMIK ein Produkt glücklicher Rahmenbedingungen, von denen insbesondere die folgenden hervorzuheben sind:

Flächendeckende Präsenz der Sicherheitsorgane: KFOR ist in der Lage, auf dem relativ kleinen Territorium Kosovos (10 887 km², halb so groß wie Belgien) flächendeckend präsent zu sein und die äußere und einen großen Teil der inneren Sicherheit zu garantieren. Insgesamt ist Kosovo trotz aller Mängel weitgehend von Infrastruktur durchdrungen (Straßen und Feldwege, Strom, Telefon), und damit auch zugänglich für die Sicherheitsorgane (KFOR, Polizei).

Akzeptanz von KFOR und UNMIK: Begleitet sind diese – trotz aller beobachteten Schwierigkeiten – relativ guten Bedingungen von einer nach wie vor starken Akzeptanz der USA, der NATO und – zu einem geringeren Maße – der UNMIK als Befreier und Garanten der äußeren Sicherheit – vor allem gegenüber Inner-Serbien. Deutlich wird dies auch am weit verbreiteten Integrationswillen in euro-atlantische Strukturen: Es gibt eine starke Affinität sowohl zur NATO als auch zur EU.

Enge Verbindungen zur Europäischen Union: Die Nähe zur Europäischen Union hat in den letzten dreißig Jahren nicht nur den wirtschaftlichen Austausch (Handel, Gastarbeiter), sondern auch eine kulturelle Durchdringung (Reisemöglichkeiten, Satellitenfernsehen, weitgehende Säkularisierung) ermöglicht, die dieser Tendenz Vorschub geleistet hat. Kaum ein albanischer Kosovare war nicht schon einmal länger in Deutschland, Österreich oder der Schweiz – und sieht den dortigen Entwicklungs- und Lebensstandard uneingeschränkt als anstrebenswert an. Die beträchtlichen Gelder, die die Auslandskosovaren in ihre Heimat transferieren, bilden zudem den Grundstock für viele kleine Investitionen und ersetzen das weitgehend fehlende Sozialsystem. In Zukunft werden erfolgreiche kosovarische Geschäftsleute im Ausland vermutlich das größte Potenzial für Direktinvestitionen bilden.

Sozialstruktur, Eigeninitiative und innere Stabilität: Ohne den beträchtlichen Aufbauwillen und die Energie der Kosovaren, die oftmals nicht erst auf internationale Helfer gewartet haben, und ohne ein beträchtliches Maß an Selbstorganisation und inneren Frieden (mit der wichtigen Ausnahme ethnisch und wirtschaftlich bedingter Gewalt vor allem direkt nach Kriegsende) wäre die Bilanz der letzten beiden Jahre mit Sicherheit weniger gut ausgefallen. Durch die traditionell engen Beziehungen in den Großfamilien existieren zudem Netzwerke, die – in Verbindung mit den Transfers aus dem Ausland – nicht nur die soziale Absicherung der meisten Kosovaren garantieren, sondern auch effektive Sicherungsinstrumente für personengebundene Kredite bilden.

 

Ausblick

Die bisherige Bilanz der UNMIK ist angesichts des Umfangs der Aufgaben und der schwierigen Ausgangsbedingungen durchaus positiv. Es ist gelungen, eine „gespannte Stabilität“ zu schaffen, die die Chancen für eine friedliche Lösung der Konflikte wesentlich verbessert hat. Allerdings kann UNMIK diese Aufgabe nicht stellvertretend für die lokalen politischen Kräften lösen. Und bis heute ist weder bei Albanern noch bei Serben ein nennenswerter Wille zu erkennen, an einem gemeinsamen politischen Konzept für Kosovo zu arbeiten – im Gegenteil: der ungeklärte völkerrechtliche Status trägt dazu bei, unversöhnliche Maximalpositionen beizubehalten und auf die Revision des status quo zu setzen.

Für die nächste Etappe der UNMIK wird es entscheidend sein, wie sich das Verhältnis zwischen den an die Selbstverwaltungsstrukturen übertragenen Hoheitsfunktionen und den Reserved Powers des SRSG gestaltet. Hier sind Konflikte vorprogrammiert – zum einen, weil die Trennlinien in vielen Bereichen nicht eindeutig zu ziehen sind, zum anderen, weil die albanische Mehrheit der Kosovaren ihre Beschränkungen als zu weitgehend empfindet. Dies betrifft insbesondere den Umgang mit den gesellschaftlichen Eigentumstiteln, für die UNMIK bisher keine überzeugende Lösung etabliert hat.

Insgesamt wird UNMIK in näherer Zukunft noch stärker als bisher vor dem Dilemma stehen, entweder auf einem direkten Eingreifen in vielen Bereichen zu bestehen (und die damit verbundenen Konflikte direkt als Konfliktpartei austragen zu müssen), oder verstärkt auf indirekte Steuerungsinstrumente zurückzugreifen, die eine weitere Übertragung politischer Funktionen an die Kosovaren mit einem koordinierten Vorgehen von KFOR, UNMIK und den Gebern verbinden (und damit die Gefahr zu minimieren, eine generelle Konfliktlinie Internationale vs. Kosovaren zu etablieren).

 

Merkposten für künftige Mandate

Aus den Erfahrungen mit UNMIK lassen sich für künftige Mandate folgende Erkenntnisse gewinnen:

Frühzeitige Bestandsaufnahme: Wenn möglich, sollte schon vorab eine intensive Bestandsaufnahme durchgeführt werden und schnell wiederzubelebende oder aufzubauende lokale Strukturen identifiziert werden. Die Deckung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung durch eine intelligente Nothilfe, die zugleich einfache Produktionsprozesse vor Ort stärkt, ist vorrangig und sichert zudem die notwendige Akzeptanz des Mandats. Die längerfristigen, an den Aufbau entsprechender Institutionen gebundenen Entwicklungsziele dürfen dagegen die Umsetzungskapazitäten vor Ort nicht übertreffen.

Realistisches und robustes Mandat: Dort, wo die Rahmenbedingungen wesentlich ungünstiger sind als im Kosovo, kann wichtigstes Ziel nur sein, die Chancen der lokalen Bevölkerung und Eliten für eine friedliche und demokratische Entwicklung zu stärken. Dabei ist es durchaus legitim, vom Idealbild abzuweichen und nur zweitbeste, aber politisch durchsetzbare Lösungen anzustreben – mit der Existenz von parallelgesellschaftlichen Strukturen ist nicht nur zu rechnen, vielmehr sind diese in die Architektur des Mandats einzubeziehen. Gleichzeitig sind jene Bereiche zu definieren, in denen die politische Agenda des internationalen Mandats robust durchgesetzt werden soll, und die entsprechenden Ressourcen bereitzustellen. Insgesamt sollte sich die internationale Präsenz auf die wichtigsten Schlüsselbereiche konzentrieren. Zur Unterstützung indirekter Steuerungsmechanismen ist die Bindung von Hilfsprogrammen an Konditionen schon frühzeitig zu planen – die dafür erforderliche politische Strategie- und Koordinationsfähigkeit der Geber wird dabei ausschlaggebend für den Erfolg sein.

Angemessene Berücksichtigung von Eigentumsfragen: Nachkriegssituationen sind in der Regel von ungeklärten Eigentumsfragen gekennzeichnet. Will ein internationales Mandat nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung fördern, sondern vor allem permanente Destabilisierung durch den Kampf um Eigentum vermeiden, so sollte es von vornherein Vergleichsmechanismen und Entschädigungsmodelle vorsehen – und zwar gleichermaßen für Wohn- und Unternehmenseigentum. Diese Dimension wurde in den bisherigen Mandatskonstruktionen zu wenig beachtet, ist jedoch ein wesentlicher Konfliktherd.

Einfache, funktionsfähige Verwaltungsstrukturen: Eine Wiederholung eines Mehr-Pfeiler-Modells ist wegen der damit verbundenen Reibungsprobleme zu vermeiden. Zudem sollte der übermäßige Einsatz von Consultants aufgrund der damit verbundenen Steuerungs- und Loyalitätsprobleme vermieden werden. Stattdessen sollte verstärkt auf Entsendungen zurückgegriffen werden. Um kostspielige Lernprozesse nicht ständig zu wiederholen und die Verwaltung effizienter zu machen, sind zudem längerfristige Einsätze unabdingbar.

Koppelung der zivilen und militärischen Aufklärungs- und Polizeifunktionen: Gerade in turbulenten, von Staatszerfall gekennzeichneten Umbruchsphasen ist der Rückgriff auf die militärischen Sicherheitsfunktionen und ihre robusteren Umsetzungsmechanismen geraten. Verbunden sollte dies mit einer schellen Etablierung solcher rechtlicher Grundlagen sein, die eine rasche Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit gewährleisten. Eine Art „starter package“ von einfachen Verordnungen, die ein koordiniertes und wirkungsvolles Vorgehen der Sicherheitskräfte ermöglichen, sollte sich aus den Erfahrungen im Kosovo relativ leicht zusammenstellen lassen.

Internationale Rechtsinstanzen: Ein nicht zu unterschätzender Stabilisierungsfaktor im Kosovo ist der Internationale Gerichtshof in Den Haag – auch unter dem Gesichtspunkt, dass offenbar nicht alle möglichen Anklagen bisher veröffentlicht wurden und damit disziplinierende Wirkung auf extreme politische Kräfte ausüben können. Um das schwache Rechtssystem vor Ort zu stärken, sind zudem rechtzeitig internationale Richter und/oder internationale Gerichtsinstanzen bereitzustellen.

Übertragung politischer Verantwortung: Um die lokalen Eliten verantwortlich und rechenschaftspflichtig gegenüber der eigenen Klientel und der internationalen Gemeinschaft zu machen, ist diesen schnellstmöglich politische Verantwortung zu übertragen. Dabei sollten Abberufungen von öffentlichen Ämtern als Sanktionsinstrumente genutzt werden. Allerdings zeigen sich in Bosnien auch eindeutige Grenzen dieser Politik. Denn sie stärkt parallelgesellschaftliche Strukturen dadurch, dass sie bestimmten politischen Schlüsselfiguren Anreize setzt, ihre Fäden aus dem Hintergrund zu knüpfen. Dies behindert ein wichtiges Demokratisierungsziel der internationalen Gemeinschaft, nämlich Politiker stärker in die öffentliche Verantwortung und Rechenschaft zu nehmen.

Politische Öffentlichkeitsarbeit: Um auf berechtigte und unberechtigte Kritik einzugehen sowie die vermeidbaren und unvermeidbaren Härten eines Mandats zu vermitteln, ist nicht nur der politische Dialog auf Ebene der Eliten unverzichtbar. Auch eine Öffentlichkeitsarbeit, die vor allem „das Ohr an der Bevölkerung“ hat und weniger auf die mediale Selbstdarstellung der internationalen Akteure in den Hauptstädten dieser Welt zielt, trägt entscheidend zur Vermittlung des Mandats bei – und ist damit entscheidend für das Ausmaß seiner Akzeptanz.

Die wichtigste Erkenntnis jedoch: nach zwei Jahren UNMIK sind die Grenzen einer „Protektoratslösung“ im Zeitalter moderner Nationalstaaten deutlich sichtbar geworden. Dies betrifft weniger die - begrenzt, aber nicht grundsätzlich vermeidbaren - Kinderkrankheiten der Aufbauphase, sondern vielmehr die tieferliegenden Probleme der dauerhaften Akzeptanz politischer Macht durch die Bevölkerung des „Protektoratsgebiets“. Die Lösung der gesellschaftlichen Kernaufgabe – die Bildung einer modernen Nation und die daran hängende Legitimierung staatlicher Gewalt - kann nicht von außen kommen.


*      Das vorliegende Papier beruht auf persönlichen Einschätzungen des Autors und spiegelt keine offiziellen Positionen der UNMIK wider.

Andreas Wittkowsky

* 1962; Politikwissenschaftler; Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Bonn; gegenwärtig Economic Policy Advisor, Office of the Deputy Special Representative of the Secretary General, EU Pillar (Reconstruction and Economic Development), United Nations Interim Administration Mission in Kosovo;

wittkowsky@un.org


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