Politik und Gesellschaft
Online International Politics and Society 2/2001 |
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Transatlantische Beziehungen
in der Krise
Allen Beschwörungen zum Trotz: die transatlantischen Beziehungen befinden
sich in einer handfesten Krise. Sicher: Amerika und Europa verbindet
noch immer Vieles. Trotz ihrer einmaligen Ausnahmestellung werden
die USA auch künftig versuchen, Krisen und Konflikte gemeinsam
mit ihren europäischen Verbündeten, die ihnen nach Interessenlage
und Wertvorstellungen am nächsten stehen, zu behandeln. Die
Europäer ihrerseits bleiben angesichts ihrer militärischen Schwäche
und wegen des Mangels an wirklich gemeinsamen außenpolitischen
Positionen ohnehin auf Amerika angewiesen. Doch vier Gründe sprechen dagegen, dass es sich bei der derzeitigen Krise
nur um das schon oft diagnostizierte Stottern des transatlantischen
Motors handelt: 1. Die Europäische Union schickt sich an, nach der Einführung der gemeinsamen Währung nun auch eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu entwickeln. Das könnte die Atlantische Allianz stärken, da bisherige Asymmetrien ausgeglichen werden. Schon lange drängen die Amerikaner auf eine bessere Lastenverteilung. Doch missfällt in Washington, dass die Europäer im Rahmen der EU eigene, von der NATO unabhängige Entscheidungsmechanismen aufbauen. Damit würde für Amerika ein Kontrollverlust einhergehen. Besonders unangenehm fallen amerikanischen Politikern die anti-amerikanischen Töne auf, die vor allem von Paris aus an den Potomac dringen. Sie fürchten, dass das gesamte europäische Projekt einschließlich der Wirtschafts- und Verteidigungspolitik dauerhaft einen gegen Amerika gerichteten Zungenschlag erhält. 2. Bei wichtigen sicherheitspolitischen Fragestellungen ziehen Amerika
und Europa schon seit längerer Zeit nicht mehr an einem Strang.
Dies betrifft besonders das Problem der Weiterverbreitung von
Massenvernichtungswaffen. Der Streit um die amerikanischen Raketenabwehrpläne
ist hier nur die Spitze des Eisbergs. Während besonders Deutschland
versucht, mit in den USA als Risikostaaten bezeichneten Ländern
wie Iran fruchtbare Beziehungen aufzubauen, sieht Washington
diese Staaten in erster Linie als militärische Bedrohung an.
Amerika hat das Interesse an der Rüstungskontrolle weitgehend
verloren. Europa hält an diesem Konzept fest, da es seiner Tradition
multilateraler Politik entspricht. Die USA ziehen dagegen gemäß
ihrer eigenen Tradition technisch orientierte Lösungsmodelle
wie eben die Raketenabwehr vor. 3. In Washington meinen immer mehr politisch einflussreiche Persönlichkeiten,
mit den Europäern sollte eine neue Arbeitsteilung angestrebt
werden. Die Kosovo-Erfahrung habe gezeigt, dass mit den Verbündeten
gemeinsam geführte Kriege Amerika eher behindern. Daher sei
es besser, wenn sich die Europäer um Konflikte im eigenen Hinterhof
allein kümmerten, während sich die USA auf die wirklich wichtigen
Probleme etwa am Persischen Golf, in Korea oder der Straße von
Taiwan konzentrieren sollten. Der Streit um die Uran-Geschosse,
wo die Europäer sich nun auch noch über die von amerikanischen
Streitkräften eingesetzte Munition beschweren, dürfte weiteres
Öl in dieses Feuer gießen. 4. Die schon immer bestehenden Wertunterschiede zwischen Amerika und Europa
werden in letzter Zeit sichtbarer. Stichwort Todesstrafe, Stichwort
Abtreibung. Die gegenseitigen Animositäten dürften mit einem
Präsidenten Bush im Weißen Haus in diesem Bereich weiter zunehmen. Mit George W. Bush ist in Amerika ein Republikaner an die Schalthebel
der Macht gelangt, während Europa nach wie vor mehrheitlich
sozialdemokratisch regiert wird. Das wird die Beziehungen nicht
unbedingt vereinfachen. Sicher gilt auch hier: Am Ende wird
nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Doch Amerika
und Europa müssen aufpassen: Die Zeiten, in denen sie sich letztlich
wie selbstverständlich angesichts der von der Sowjetunion ausgehenden
gemeinsamen Bedrohung immer wieder zusammenrauften, sind lange
vorbei. Es bedarf daher gemeinsamer Anstrengungen, um den transatlantischen
Kahn wieder flott zu bekommen. Europa sollte es sich verkneifen,
die EU als Anti-These zu den USA zu definieren; Amerika muss
den sicherheitspolitischen Überlegungen der Verbündeten mehr
Gehör schenken. Sonst finden sich Amerikaner und Europäer an
unterschiedlichen Ufern wieder. Angesichts der Unwägbarkeiten
des gerade begonnenen 21. Jahrhunderts keine angenehme Vorstellung.
Oliver Thränert
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