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Politik und Gesellschaft
Online International Politics and Society 2/2000 |
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Kolumbien: Träume vom Frieden, Realitäten des Krieges Das 20. Jahrhundert endet in Kolumbien wie es begonnen hat: im (Bürger)-krieg. Damals lebten die Kolumbianer im "Krieg der Tausend Tage" zwischen Vertretern der liberalen und der konservativen Partei, der mit ca. 80.000 Toten 1901 sein Ende fand und 1903 den Verlust von Panamá zum Ergebnis hatte. Nach der Ermordung des liberalen Parteiführers Jorge Eliecer Gaitán forderte die sogenannte "Violencia" mit ihren ländlichen Stellvertreterkriegen der beiden großen Parteien zwischen 1948 und 1953 ca. 200.000 Opfer. Der nunmehr fast vierzig Jahre, alte Konflikt zwischen
kostet jährlich etwas mehr als 3000 Menschenleben, also pro Jahr soviel wie die Gesamtzahl der Opfer in über 30 Jahren Nordirlandkonflikt.
Quelle: UNO, El Tiempo, 17.12.99 Dennoch zeichnete sich das politische System des mit 41 Mio. Einwohnern
zweitgrößten Landes Südamerikas seit Jahrzehnten durch
erstaunliche Stabilität aus. Von 1850 bis heute wird Kolumbien von
den gleichen zwei Parteien, der liberalen und der konservativen, regiert.
Unüblich für Lateinamerika, gab es Militärregierungen lediglich
1853 nach einem Putsch des Generals José María Melo und
von 1953 bis 1957 mit General Gustavo Rojas Pinilla und einer Militärjunta,
letztere von den großen Parteien installiert. Zwischen 1958 und
1974 (de jure) bzw. 1990 (de facto) regierte eine große Koalition
aus beiden Parteien. Wie erklärt sich der seltsame Anachronismus des nach Ende des kalten Krieges zunehmenden Wachstums finanzieller und militärischer Potenz einer Guerrilla, die politisch isoliert, weder in der Bevölkerung verankert noch von deren Sympathien getragen ist? Stimuliert von der Nachfrage des US-Marktes, zunächst gespeist durch die Coca-Paste aus Bolivien und Peru und begünstigt durch seine geostrategische Lage zwischen Atlantik und Pazifik, entwickelten sich seit den 70er Jahren Drogenveredelung und -export, seit Mitte der 80er Jahre auch der Drogenanbau in Kolumbien. Da illegal, war und ist das Drogengeschäft eine nicht versiegende Quelle von Reichtum und Gewalt, Chaos und Korruption, nicht nur von Politikern, sondern auch von Journalisten, Sportlern, Intellektuellen, Künstlern, Rechtsanwälten und Unternehmern. Dank der "Besteuerung" des Drogenhandels und -anbaus konnten die beiden relevanten Guerrillagruppen, "Revolutionäre Kolumbianische Streitkräfte" (FARC) und - in erheblich geringerem Maße - die "Nationale Befreiungsarmee" (ELN), seit Ende der 80er Jahre ihre finanzielle und militärische Stärke erlangen. Hinzu kamen erhebliche Summen aus Erpressung und dem - mittlerweile industriell betriebenen - Entführungsgeschäft. Kolumbien lebt in einem internen Krieg, der, von den Bürgern nicht
getragen und akzeptiert, vor allem Bürger zum Opfer hat. Vom lateinamerikanischen
Vietnam, dem anderen Bosnien, dem neuen, unbekannten Kosovo, von Balkanisierung
und davon, daß Kolumbien Cuba als wichtigstes westliches Sicherheitsproblem
abgelöst habe, ist in der US-amerikanischen Presse die Rede. In Macht-
und Militärzirkeln Washingtons wird über einen Staatskollaps
in Kolumbien spekuliert. Die Guerrillabewegungen: Motivationen, Drogen und Strategie Die Motive der kolumbianischen Guerrilla sind vielschichtig und erscheinen daher verschwommen. Ursprüngliche Elemente des Kampfes für soziale Gerechtigkeit, Land-, Einkommens- und Vermögensverteilung, Teilhabe an politischer Macht sind weiter vorhanden. Die Guerrilla, vor allem die FARC, vertritt in den von ihnen beherrschten, meist abgelegenen und vom kolumbianischen Staat traditionell vernachlässigten Gebieten Recht und Ordnung und die Interessen vieler zigtausender kleiner Kokabauern, die in diese Gebiete gezogen sind, da der Anbau von Drogenrohstoffen eher ein Überleben sichert als der üblicher Produkte wie Manioc oder Kartoffeln. Die politischen Beweggründe der Guerrilla werden aber überlagert von militärischen, territorialen und finanziellen Motiven, wie auch von den Wirkungen jahrzehntelangen isolierten Kampfes in abgelegenen Regionen. Ein Guerrillero verdient etwa zwei Mindestlöhne im Monat. Für die Jugendlichen in den von ihnen beherrschten Zonen ist der Guerrilla-Beitritt häufig eine Art dauerhaften Ersatzmilitärdienstes. Guerillero-Sein ist eine Lebensform. Sie bedeutet Arbeitsplatzsicherheit und Mitgliedschaft in einer gutfinanzierten "Standesorganisation". Söhne und Enkel von Guerrilleros ergreifen den Beruf ihrer Vorfahren. Die beiden verbliebenen großen Guerrillaorganisationen, die Revolutionären
Streitkräfte Kolumbiens - Volksarmee (FARC-EP) und die Nationale
Befreiungsarmee (ELN) wurden vor über 30 Jahren gegründet, ihre
Vorläufer existieren seit Ende der 40er Jahre. Präsident Pastrana konzentrierte seine Friedensbemühungen vor und nach seinem Amtsantritt im August 1998 auf die FARC. Dies auch, da die FARC mit dem über 70jährigen Manuel Marulanda, alias Tirofijo (sicherer Schuß), sowohl einen unbestrittenen Führer als auch eine klare Kommandostruktur hat. Anders als bei der ELN brauchten die FARC nicht erst einen internen Verhandlungsprozeß, um dann in Gespräche mit der Regierung eintreten zu können. Allerdings wird in der kolumbianischen Presse über Konflikte zwischen einem politischen Flügel der FARC, für den der Guerrillero Alfonso Cano stehen soll, und dem militärischen Flügel unter Führung Jorge Briceños, alias "Mono Jojoy", spekuliert. Beide sollen zugleich für Spannungen zwischen zwei FARC-Generationen stehen: Cano für die ältere, politisch motivierte, Mono Jojoy für die jüngere, die nur militärischen Kampf als Lebensform erlebte. Die FARC scheinen militärisch den Lehren Mao Tse-tungs zu folgen: Über Jahre verfolgten sie die klassische Guerrillastrategie des Zuschlagens und des sich schnellen Zurückziehens. Später aber, im Endkampf, - so Mao - gälte es, sich zu konzentrieren und zu Taktiken des regulären Kriegs mit größeren Truppenkontingenten (vierhundert Mann/Frau und mehr) überzugehen. Las Delicias, Patascoy und Mitu, wo die FARC jeweils bis zu zweitausend Kämpfer aufboten, stehen für diese Art erfolgreicher Strategie, die das kolumbianische Militär demoralisierten. Seit Frühsommer des Jahres 1999 scheint sich dies geändert zu haben. Das Militär hatte Erfolge, hunderte von Guerrilleros sind gefallen. Die FARC hatten nicht bedacht, daß die neue kolumbianische Regierung, die durch den Einsatz von Drogengeldern im Wahlkampf des früheren Präsidenten Samper verursachte Isolierung gegenüber den USA so rasch überwinden konnte. Offensichtlich hat sich die Aufklärungsarbeit mit Hilfe der USA erheblich verbessert. Konzentrationen von mehr als zweihundert Kämpfern lassen sich - aufgrund der Wärmeausstrahlung - über Satelliten und "Plattform-Flugzeuge" leicht entdecken. So war es den kolumbianischen Militärs in letzter Zeit möglich, ihre Hubschrauber rechtzeitig einzusetzen und den FARC Verluste zuzufügen. Den FARC bleiben als Antwort zwei Alternativen: Rückzug auf die klassische Guerrillastrategie oder aber Kauf von tragbaren Boden-Luft-Raketen, mit denen sie Helikopterangriffe erfolgreich abwehren können. Gerüchte über massive Einkäufe aus dem Bestand der ehemaligen Guerrilla El Salvadors, der angebliche Kauf von acht Helikoptern und tausenden ostdeutschen Waffen, wie auch die selbstbewußten bis arroganten Aussagen verschiedener militärischer Führer der FARC, deuten eher auf letzteres, also auf die Möglichkeit weiterer Eskalationen des Krieges hin. Mit der von den FARC geforderten, und von der Regierung als Ort der Friedensverhandlungen konzedierten "Zona de Despeje" (entmilitarisierte Zone) in ungefährer Größe der Schweiz scheinen die FARC Clausewitz berühmten Satz "Der Krieg ist die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" erfolgreich realisiert zu haben. Sie haben in der Zone ein autoritäres Regime errichtet, sie sind das Gesetz. Während früher ca. 45 Morde pro Monat registriert wurden, sind es jetzt lediglich fünf. Die FARC nutzen die Zone aber auch zum Rekrutieren neuer Kämpfer - etwa zweitausend schätzt man für 1999 - und als Aufmarsch- und Rückzugsgebiet bei militärischen Operationen. Nach Angaben der Militärs werden in der Zone Ausbilder aus Nicaragua, El Salvador und dem Iran eingesetzt. Experten glauben, daß die entmilitarisierte Zone der Guerrilla erlauben könnte, ihre Zahl auf über dreißigtausend zu erhöhen. Die Rebellen benutzen die Zone auch, um ihre gesellschaftspolitischen Ziele durchzusetzen. Etwa zweitausend Zivilisten sind aus der Zone geflohen, vor allem, um zu vermeiden, daß ihre Kinder für die Guerrilla rekrutiert werden. Allerdings ist die Zone nicht nur von Vorteil für die FARC. Sie bindet viele ihrer Kräfte, erleichtert den Militärs die Aufklärungsarbeit und erlaubt ihnen Angriffe beim Rückzug der FARC in ihre Zone. Nicht nur im Establishment, sondern auch in der Guerrilla, werden daher die strategischen Vor- und Nachteile der entmilitarisierten Zone diskutiert. Mitte November, einer heftigen Kritik des Präsidenten an den FARC folgend, schien es gar so, als wolle die Guerrilla die Zone wieder zurückgeben. Ein Achtel bis ein Sechstel (je nach Quelle) der Coca-Anbaufläche Kolumbiens liegt in der entmilitarisierten Zone. Auch in anderen Gebieten mit großen Anbauflächen haben ELN und FARC (allerdings auch Paramilitärs) Gebietshoheit. Aus einer Art Mehrwertsteuer, die beim Verkauf der Cocablätter, dann beim Verkauf der Paste, erhoben wird, aus Schutzgeldern für Drogenlabors und aus Steuern auf Transporte von landefähigen Pisten aus bezieht die FARC einen großen Teil ihrer Finanzmittel. Vermutlich sind auch einzelne "Frentes" der Guerrilla direkt in Drogenanbau und -handel verwickelt. Dennoch scheint der von früheren kolumbianischen Regierungen, Teilen des kolumbianischen Militärs und den USA verwendete Ausdruck der "Narcoguerrilla" weder die kolumbianische Guerrilla noch ihre Beziehungen zum Drogenhandel adäquat zu beschreiben. In den 80er Jahren kämpften Teile der Drogenmafia gegen die FARC
in den Gebieten, in denen der Coca-Anbau begann (Meta, Guaviare, Caqueta
und Putumayo), um die Durchsetzung ihres jeweiligen Gesellschaftsmodells:
Die Drogenhändler bevorzugten ein Marktsystem mit einem hohen Niveau
an Chaos und Gewalt, die Guerrilla ein autoritäres Modell nach ihrer
Planung und lediglich dem Maß an Gewalt, das Anbau und Vertrieb
der Drogen sichern konnte. Die Guerrilla setzte sich letztlich durch.
Doch der geldträchtigere Teil des Drogenhandels, Vertrieb und Export,
Geldwäsche und Schmuggel verblieb gänzlich in Händen der
Drogenmafia und ist zum Teil nach Mexiko abgewandert. Auch wenn die Drogenbesteuerung
die Guerrilla finanziell unabhängiger und damit militärisch
stärker macht, hängt die Dynamik des kolumbianischen Krieges
nicht von den Einkünften aus Drogenanbau und -handel ab. Denn deren
Rückgang würde durch eine Ausweitung von Erpressung und Entführung
kompensiert, wie dies ohnehin bei den "Frentes", die keinen Zugang zu
Coca- oder Mohnanbau haben, der Fall ist. Erfolge im Kampf gegen die Drogenwirtschaft
werden daher keine Auswege aus dem bewaffneten Konflikt Kolumbiens weisen.
Vieles spricht aber dafür, daß ein erfolgreicher Friedensprozess
auch Erfolge im Kampf gegen die Drogenmafia begünstigt. Die Forderung des ELN, nach dem Vorbild der FARC ebenfalls eine entmilitarisierte Zone in ihrem Stammgebiet im Süden des Departaments Bolivar zu erhalten, wurde zunächst von der Regierung abgelehnt, da diese Zone, im Vergleich zu der der FARC, erheblich bevölkerungsreicher und sowohl geostrategisch als auch wirtschaftlich von ganz anderer Bedeutung für Kolumbien ist. Eine Reihe von Gesprächen zwischen dem Friedensbeauftragten des Präsidenten und des ELN in Venezuela und Cuba führten im Dezember jedoch zu einem Einlenken der Regierung. Sie will nun dem ELN die Zone zur Verfügung stellen, kann es jedoch nicht wegen des Widerstandes der dortigen Bevölkerung, der Bürgermeister sowie des Gouverneurs einerseits und der Paramilitärs, die große Teile der Zone vom ELN übernommen haben, andererseits. Die Guerrilla glaubte, über das Zugeständnis einer "entmilitarisierten Zone" Teile ihrer Stammzone zurückzuerhalten, die sie militärisch weitgehend verloren hatte. Der ELN, der wegen seiner relativen, militärischen Schwäche und wegen seines angenommenen größeren intellektuellen Potentials als friedensbereiter als die FARC gilt, müßte seine Taktik und Strategie wandeln, um aus dem Schatten der FARC zu treten: er müßte weniger Forderungen vor Beginn des Prozesses und mehr danach stellen. Auch könnte er mit der Möglichkeit eines Waffenstillstandes, der für die FARC noch nicht attraktiv ist, spielen, um so wieder eine gewissen Vorreiterrolle zu übernehmen. Selbstverteidigungsgruppen und Paramilitärs Zu Zeiten der Regierung Turbay, also zu Anfang der achtziger Jahre, expandierte
die Guerrilla ihre Aktivitäten in Viehzüchtergegenden, im Magdalena
Medio, Uraba und Córdoba. Als Antwort auf diese Expansion, ihre
Erpressungen und Entführungen, stellten Großgrundbesitzer,
mittlere Bauern und Händler mit Unterstützung des Militärs
eigene "Selbstverteidigungsgruppen" auf. Etwa zur gleichen Zeit
nutzten Teile der Drogenmafia den Exodus der von der Guerrilla bedrohten
Grundeigentümer, um große Ländereien in diesen Gegenden
zu erwerben. Als Reaktion auf Entführungen von Familienmitgliedern
der Drogenhändler durch die Guerrilla wurden Todesschwadrone organisiert,
in denen auch Offiziere des Heeres vertreten waren. Die schon bestehenden
Selbstverteidungsgruppen wurden zunehmend abhängiger von Geldern
der Drogenmafia. Vor allem "El Mejicano", Gonzalo Rodriguez
Gacha, der inzwischen tote, blutrünstigste der Drogenbosse, nutzte
sie - aus eigenen antikommunistischen Impulsen - zwischen 1986 und 1990,
um Guerrilleros, deren zivile Sympathisanten und Teile der dreitausend
aktiven Mitglieder der legalen FARC-nahen Partei "Union Patriótica"
umbringen zu lassen. 1997 wurden die "Autodefensas Unidas de Colombia" (Vereinigte kolumbianische Selbstverteidigung) unter ihrem Führer Carlos Castaño gegründet, der in Interviews angibt, sechs- bis siebentausend Kämpfer zu haben. Die Paramilitärs agieren in den Gebieten, in denen die Guerrilla einflußreich ist. Ihr Kampf richtet sich jedoch meist nicht gegen die Guerrilla, sondern mit Massakern und selektiven Mordaktionen, Entführungen und Erpressungen gegen deren angenommene Sympathisanten, Informanten und Unterstützer in der Zivilbevölkerung. Etwa 75% der Menschrechtsverletzungen in Kolumbien werden den Paramilitärs zugeschrieben. Ihre Kampfform dezimiert die Guerrilla weniger, als daß sie sie in andere Gebiete vertreibt. Zwischen 1990 und 1997 wurden zwischen kolumbianischem Heer und Selbstverteidigungsgruppen sieben, zwischen Heer und Guerrilla fünftausend bewaffnete Kontakte gezählt. Diese "Neutralität", nicht unbedingt aktive Unterstützung des Militärs, erleichterten den Paramilitärs die Erweiterung ihres Aktionsradius und Erfolge gegen die Guerrilla. Am Beispiel der Paramilitärs zeigt sich Doppelmoral als ein Charakteristikum des politischen Lebens in Kolumbien. So werden vom Militär oder vom kolumbianischen Unternehmertum jegliche Verbindungen zu Paramilitärs geleugnet, man gibt sich indigniert und spricht von kriminellen Organisationen. Privat jedoch wird ohne Scheu über die Notwendigkeit ihrer Unterstützung gesprochen. Der Chef der Paramilitärs, Carlos Castaño, scherzt, er fühle sich wie eine geheime Geliebte, die man benötige, aufsuche, aber immer leugne. Die Paramilitärs versuchen sich zunehmend als "rechte" politische Gruppierung zu profilieren. Als solche forden sie direkte Verhandlungen mit der Regierung. Da aber die FARC damit drohen, die Gespräche abzubrechen, sollte die Regierung keine Erfolge im Kampf gegen die Paramilitärs aufweisen oder gar Gespräche mit ihnen aufnehmen, ist derzeit ein Verhandlungsprozess mit ihnen nicht möglich. Ohne Verhandlungen mit den Paramilitärs wird es allerdings in Kolumbien langfristig nicht zum Frieden kommen können. Das kolumbianische Militär: Erfolge ohne Chancen auf Sieg In Umfragen genießt das kolumbianische Militär derzeit erheblich größeres Vertrauen als in früheren Jahren. Viele Kolumbianer setzen es in der Vertrauensskala nach der Kirche an die zweite Stelle. Auf Druck der USA und - paradoxerweise - der FARC, aber auch aus Überzeugung, hat der Präsident im Frühjahr 1999 drei im Kampf erprobte und in ihrer Organisation angesehene Generale entlassen, da sie der Unterstützung von Paramilitärs verdächtigt wurden. Er handelte sich damit den Rücktritt seines angesehenen Verteidigungsministers und seine bisher schwerste Kabinettskrise ein. Gegen über dreitausend Militärangehörige wurden im Jahre 1999 wegen Menschenrechtsverletzungen, Unterstützung der Paramilitärs oder anderer Unregelmässigkeiten, Prozesse eingeleitet bzw. Verurteilungen ausgesprochen. Neues Vertrauen gewann das Militär nach jahrelangen Niederlagen
aufgrund von Erfolgen gegen die Guerrilla im Jahr 1999. Präsident
Pastrana wußte bei Amtsantritt, daß ihm nur der Verhandlungsweg
offenstand, da eine militärische Lösung des bewaffneten Konflikts
bei der geringen Schlagkraft der ererbten Streitkräfte nicht denkbar
war. Der Präsident, sein Verteidungsminister und die neue militärische
Führung versprachen daher radikale Reformen, beispielsweise die Umstellung
auf ein Berufsheer im Jahre 2000. Solche Reformen lassen bisher auf sich
warten. So verbringen auch heute noch mehr Offiziere ihre Zeit hinter
Schreibtischen als mit ihrer kämpfenden Truppe. Von insgesamt ca.
157.000 Soldaten sind nur etwa 35.000 operativ eingesetzt, bzw. einsetzbar. Eliten und Zivilgesellschaft: "No Más!" Über zweihundert Entführungen pro Monat - durch die Guerrilla,
durch Paramilitärs, durch private Banden, die die Entführten
an Guerrilla und Paramilitärs weiterverkaufen - haben den bewaffneten
Konflikt auch in den städtischen Zentren und im "Establishment"
fühlbar gemacht. Entführungsrisiken scheinen vielen zu groß,
um mit dem Auto über Land zu reisen. Interessanterweiser hat sich auch die Unternehmerschaft, anders als in
den achtziger Jahren, während der sie sich gänzlich abseits
hielt und gar gegen die Versuche eines Friedensprozesses agitierte, aktiv
in den Friedensprozess eingeschaltet. Als Erklärung wird von kolumbianischen
Experten angeboten, daß in den achtziger Jahren die kolumbianische
Wirtschaft geschlossen gewesen sei, daher die ca. drei bis seiben Prozent
Zusatzkosten des Konfliktes an den Konsumenten weitergebbar gewesen seien,
in den neunziger Jahren die Wirtschaft aber eine offene geworden sei und
damit der Konflikt einen klaren Konkurrenznachteil darstelle. Präsident Pastrana und seine Regierung: Engagement trotz Improvisation Präsident Pastrana wird vorgeworfen, er kümmere sich nicht um Details, nehme Akten und technische Vorgänge kaum zur Kenntnis, delegiere zu viel und verzögere so die Lösung von Problemen. So dauerte die Entwicklung einer einigermaßen kohärenten Wirtschaftspolitik über ein Jahr. Eine Sozialpolitik ist bisher nicht zu erkennen. Das Wiederaufbau-Programm für die durch ein großes Erdbeben zerstörte Kaffeezone hat nicht die erhofften Resultate gebracht. Die angekündigte radikale politische und administrative Reform blieb aus. Doch der Friedensprozeß ist eine Ausnahme: Hier engagiert sich der Präsident rückhaltlos. Er ist sein Projekt mit historischer Dimension. Obwohl klassischer Vertreter des kolumbianischen Establishments und ein stolzer, ja arroganter Mann, war Pastrana bereit, Verzögerungen und Arroganz der Guerrilla bis hin zu Demütigungen zu ertragen, um den Prozess am Laufen zu halten. Im Unterschied zu manchen früheren Präsidenten stellt Pastrana sein Land - auch im Ausland - als das vor, was es ist: Er beschreibt den bewaffneten Konflikt, er stellt das Verhältnis von Gewalt, Guerrilla und Drogenhandel adäquat dar. Diese - wohl erstmalige - fast rückhaltlose Offenheit mag Kolumbien manche Direktinvestitionen gekostet haben. Sie hat aber auch die Kolumbianer von der Notwendigkeit überzeugt, die Probleme nicht weiter zu verdrängen, sondern anzugehen. Pastrana ging von der Tradition ab, die Guerrilla als Delinquenten zu bezeichnen, und erkannte sie als politische Gegner an; er sah die Notwendigkeit einer entmilitarisierten Zone und setzte sie auch gegen den Widerstand der Militärs und Teile des kolumbianischen Establishments durch. Von vielen Kolumbianern wird allerdings die langfristige Strategie des Präsidenten als Nachgiebigkeit und Schwäche gedeutet: "Falta Jefe" (es fehlt ein Chef), heißt es in den kolumbianischen Medien. In der Tat spricht manches für zuviel Improvisation und Unklarheit auf Seiten der Regierung. So waren offensichtlich die Konsequenzen der Entscheidung für eine "entmilitarisierten Zone" völlig unbedacht geblieben. Die Regierung tendiert dazu, sich abzuschotten, Expertenwissen bleibt unbefragt, Opposition und Zivilgesellschaft sind zu wenig eingebunden. Mangels anderer Alternativen muß die Regierung Pastrana "Verhandlungen im Krieg" führen. Dessen Ausweitung und Brutalisierung, die Vertiefung der Wirtschaftskrise, zwanzigprozentige Arbeitslosigkeit, zunehmende Armut und der Mangel an greifbaren Erfolgen im Friedensprozess ließen die mit dem Amtsantritt Pastranas im August 1998 verbundenen Hoffnungen der kolumbianischen Bevölkerung zerrinnen. Heute herrscht Skepsis vor. Nur noch ein Drittel der Kolumbianer unterstützen die Amtsführung des Präsidenten. Daß Pastrana auf seinen Auslandsreisen eine gute Figur macht und das Verhältnis zum wichtigsten "Partner", den USA, erheblich verbessert hat, wird allerdings auch von seinen Kritikern anerkannt. Die Außenabsicherung des Prozesses: Kolumbianische Friedensdiplomatie Seit 20 Jahren haben sechs Präsidenten in Kolumbien Anstrengungen unternommen, den bewaffneten Konflikt zu beenden. Drei Regierungen suchten den Verhandlungsweg zur internen Konfliktlösung: Belisario Betancur Cuartas (1982-1986) mit zunächst gutem Erfolg, aber ohne die gewünschten Ergebnisse gegen Ende seiner Amtszeit, Ernesto Samper Pizano (1994-1998) ohne irgendeinen Erfolg und - eindeutiger als jede andere Regierung vor ihm - Andrés Pastrana Arango (1998-2002). Basis der Friedensdiplomatie Pastrana ist ein Paket von fünf internen Strategien, die im sogenannten "Plan Colombia" zusammengefasst sind.
Die Kosten des "Plan Colombia" werden von der Regierung für
drei Jahre auf 7,5 Milliarden Dollar geschätzt. 3,5 Milliarden Dollar
sollen durch die Länder des Nordens (USA: 1,5 Milliarden) aufgebracht
werden. Begründet wird die Beteiligung der internationalen Gemeinschaft
mit dem Prinzip der "gemeinsamen Verantwortung". Ohne die Drogenkonsumenten
in den entwickelten Ländern, den USA und Europa - so die Argumentation
- würde eine Bekämpfung des Drogenanbaus durch große Sprühaktionen
(ca. 130.000 ha in den letzten 10 Jahren) mit ihren katastrophalen ökologischen
Nebenwirkungen (Kolumbien ist das Land mit der zweithöchsten Biodiversität
der Welt) unnötig werden. Da die Drogenanbaugebiete zu großen
Teilen von der Guerrilla, zu kleineren Teilen von den Paramilitärs
beherrscht würden, eine Lösung des bewaffneten Konflikts folglich
eine conditio sine qua non zur erfolgreichen Bekämpfung des Drogenanbaus
und –handels sei, müssten Nordamerika und Europa sowohl bei der Überwindung
des bewaffneten Konflikts als auch der Bekämpfung des Narcotráfico,
der Wiederherstellung des durch die Drogenbekämpfung zerstörten
ökologischen Gleichgewichtes und der Förderung nachhaltiger
Entwicklung in den Konflikt- und Drogenzonen Verantwortung übernehmen.
Kolumbiens Friedensdiplomatie gegenüber den Industrieländern
ist darauf gerichtet, der internationalen Gemeinschaft die enge Beziehung
zwischen Menschenrechtsproblematik, Umweltzerstörung im Amazonas-
und Orinoco-Gebiet, Drogenwirtschaft und Guerillakrieg darzustellen. Eine zweite Linie der kolumbianischen Friedensdiplomatie ist auf seine Nachbarn gerichtet. Kolumbien hat über sechstausend Kilometer, meist unbewohnte, Grenzen: 2219 mit Venezuela, 1645 mit Brasilien, 1625 mit Peru, 586 mit Ecuador und 266 gänzlich unkontrollierbare Kilometer mit Panama. Man schätzt, daß an den kolumbianischen Grenzen einundsiebzig Gruppen der Guerrilla mit ungefähr zehntausend Kämpfern und fünfundvierzig Gruppen der Paramilitärs mit ca. zweitausend Mann operieren, ebenso etwa dreißigtausend Militärs und Polizeitruppen Kolumbiens. Neben Waffenschmuggel, dessen Opfer Kolumbien ist, beklagen die Nachbarn den Missbrauch der Grenzgebiete ihrer Staaten als Rückzugs- und Ruheräume durch die Guerrilla. Venezuela scheint von allen Ländern am ehesten gerüstet, seine Grenze mit ca. zwanzigtausend Soldaten in hundertfünf Militärposten gemeinsam mit etwa seibzehntausend kolumbianischen Militärs zu kontrollieren. An der Grenze zu Brasilien hat Kolumbien rund fünftausend Mann stationiert, Brasilien etwa zehntausend. Panama, das lediglich über Polizei verfügt, ist nicht in der Lage, seine Grenzen zu kontrollieren. Der Oberkommandierende der amerikanischen Streitkräfte Süd, General Wilhelm, stellte dementsprechend im Sommer fest, Panama könne wegen der Präsenz der FARC an seinen Grenzen nicht die Sicherheit des Kanals garantieren. Aber nicht nur in den USA, wird die "kolumbianische Gefahr"
als Argument für die Durchsetzung anderer politischer Interessen
genutzt. Der peruanische Präsident Fujimori z.B. treibt mit dem Hinweis
auf die kolumbianische Bedrohung erfolgreich Wahlkampf. Venezuelas Präsident,
Oberst Hugo Chavez hat eine Vision des Weges zum kolumbianischen Frieden,
die keineswegs mit der der kolumbianischen Eliten übereinstimmt.
Während diese die uneingeschränkte Unterstützung der USA
suchen, befürchtet Chavez, daß eine verstärkte Einflußnahme
von amerikanischen Beratern und Geldern in Kolumbien die Realisierung
seines bolivarianischen Projektes mit neuen lateinamerikanischen Unabhängigkeitsräumen
gegenüber den USA erschweren, bzw. eine neue Ära des amerikanischen
Interventionismus in Südamerika einleiten könne. Brasilien scheint
die rationalste und kooperativste Außenpolitik gegenüber der
"kolumbianischen Bedrohung" zu betreiben. Noch unterstützt die amerikanische Administration die Friedensbemühungen Pastranas, eine Intervention über die Nachbarstaaten wird ausgeschlossen. In vielen Dokumenten der US-Administration wird jedoch auch der totale Staatszusammenbruch Kolumbiens bedacht. In diesem Falle wäre eine andere und verstärkte Präsenz ausländischer Akteure im Lande nicht auszuschließen. Auch daher sollten die Länder der Europäischen Union ihre bisherige Zurückhaltung im kolumbianischen Friedensprozess überdenken. Zur Zukunft des Friedensprozesses: Vier Szenarien "Friedensverhandlungen im Krieg", in einem sich verschärfenden Krieg mit mehr Massakern, Attentaten, Morden, Entführungen und Vertreibungen, mit mehreren Akteuren ohne eindeutige Friedensmotivationen, in einer Wirtschaftskrise, wie sie das Land seit 70 Jahren nicht erlebt hat, stellt große Herausforderungen an Umsicht und Planung, an politische Fähigkeiten einer Regierung. Mehr noch, wenn das Ziel des Verhandlungsprozesses unklar ist und lediglich feststeht, daß es nicht das übliche Schema "Waffenstillstand, Demobilisierung der Aufständischen und deren Reintegration in die Gesellschaft" sein kann. Die notwendige Unkarheit über die zu erwartenden Ergebnisse, der Mangel an greifbaren Zwischenresultaten, stattdessen eine Intensivierung des Krieges, ließen in der Bevölkerung Skepsis und Wünsche nach einer militärischen Lösung wachsen. Dies wiederum könnte auf Dauer die Befürworter einer Verhandlungslösung schwächen und konservative Ultras im Militär und im Establishment, aber vor allem auch in der Guerrilla stärken. Ein bewaffneter Konflikt ist reif für Verhandlungen, wenn die Kosten einer Verlängerung des Konfliktes allen Beteiligten höher scheinen als die möglichen Kosten von Verhandlungen. In diesem Sinne scheint der Bürgerkrieg in Kolumbien noch nicht die nötige Reife erlangt zu haben. Die FARC, weniger der ELN, kann sich ausrechnen, auf militärischem Gebiet noch manches zu erreichen. Ähnlich denken Kreise des Militärs und des Establishments. Auch daher gibt es "Verhandlungen im Krieg" und nicht Verhandlungen während eines Waffenstillstands. Dennoch ist seit dem Amtsantritt Pastranas, trotz Pannen, Sackgassen, Unsicherheiten und Verzögerungen manches - für einen in vierzig Jahren verkrusteten Konflikt, dessen soziale Ursachen nicht beseitigt sind - erreicht worden: Der Dialog mit den FARC ist formalisiert, eine gemeinsame Verhandlungsagenda etabliert worden. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft ist über öffentliche Anhörungen zu jedem Agendapunkt vorgesehen. Auch im Verhältnis zum ELN sind viele Hindernisse und Verwerfungen überwunden worden, der Beginn eines Dialoges in absehbarer Zeit ist vorstellbar. Wie könnte der Prozess weitergehen? Vier Szenarien sind vorstellbar: Szenario 1: Dank großzügiger und steigender US-amerikanischer Hilfe - Helikopter, Flugzeuge, Flussbote, Aufstellung weiterer mobiler Elitetruppen, Training und Restrukturierung der Streitkräfte, Verbesserung der Kommunikation und der Aufklärungsarbeit - gelingt die Eindämmung des Vormarsches der Aufständischen und letztlich ein Sieg über sie. Doch obwohl das kolumbianische Militär im letzten Jahr einige Erfolge aufzuweisen hatte, steht seine Restrukturierung noch am Anfang. Die Guerrilla, vor allem die FARC, rekrutieren neue Kämpfer, kaufen neue Waffen, verfügen über fast unbeschränkte finanzielle Mittel, operieren in Gebieten, die für jede Infanterie, nicht nur die kolumbianische, äußerst schwer zugänglich sind. Dieses Szenario ist daher auf absehbare Zeit äußerst unwahrscheinlich - auch weil die kolumbianische Bevölkerung nicht bereit wäre, die Kosten der für einen Sieg nötigen Mobilisierung zu tragen. Szenario 2: Hauptsächlich die FARC, marginal auch der ELN, intensivieren ihre militärischen Aktionen, gewinnen ihre Dominanz auf den Flüssen zurück, können kolumbianische Truppen einkreisen und schlagen, arbeiten mit Guerrillataktik, stellen sich aber auch massierten Truppen im offenen Kampf und gewinnen allmählich. In diesem Falle stünden die USA vor einem Dilemma: Entweder intervenieren sie direkt in Kolumbien, eine Möglichkeit, die nach dem Vietnamkrieg wenig wahrscheinlich ist, oder sie bewegen die Nachbarstaaten Kolumbiens zu einer von den USA unterstützten Intervention. Die Alternative wäre, daß sich die US-Administration mit einer "Guerrilla-Regierung" mit Verbindungen zum Drogenhandel und einem den Interessen der USA zuwiderlaufenden Gesellschaftsbild abfindet. Auch diese Option ist in absehbarer Zeit nicht wahrscheinlich. Jedoch gilt Clausewitzs’ Weisheit, daß der Krieg das Reich der Unsicherheit ist. Immerhin würden nach Umfragen vom Sommer 1999 bis zu 65 Prozent der Kolumbianer eine militärische Intervention von außen begrüßen. Szenario 3: Der Verhandlungsprozess wird zwar formell nicht abgebrochen, kommt aber nicht voran. Man spricht über Verfahrensweisen, jedoch nicht über Inhalte. Vermehrt erscheinen erwünschte und unerwünschte Vermittler, auch aus dem Ausland. Enttäuschung und Skepsis in der kolumbianischen Bevölkerung wachsen, die Regierung wird zunehmend diskreditiert. Kolumbianische Experten berechnen, dass wenn man die Geschwindigkeit der Verfahren des Jahres 1999 beibehalte, der Friedensprozess an die neunzehn Jahre dauere und ein Waffenstillstand erst nach etwa neun Jahren in Aussicht stünde. Dieses Szenario ist nicht unwahrscheinlich, allerdings würde es über kurz oder lang zu einer der anderen drei Szenarien führen. Zudem eröffnen die Ende Januar 2000 getroffenen Vereinbarungen zur Reihenfolge der zu verhandelnden Agendapunkte und zur Beschränkung der Behandlung des ersten Pakets, der Reform des Wirtschaftsmodells, auf - unwahrscheinliche - sechs Monate, neue Hoffnungen. Szenario 4: Die Verhandlungen über die Themen der Friedensagenda beginnen, der Prozess läuft. Sollte dieses mögliche, wenn auch optimistische Szenario eintreten, so sind vielerlei politische Konflikte vorauszusehen. Man stelle sich beispielsweise die Debatte zum Punkt "Rolle des kolumbianischen Militärs" vor und darin die Diskussion über eine mögliche Integration von Kämpfern der Guerrilla und regulären Soldaten in neuen Streitkräften oder aber die Diskussion um das "ökonomische Modell"! Wie soll der Tagesordnungspunkt einer in Kolumbien nie durchgeführten "Agrarreform" behandelt werden? Beträfe sie lediglich unbewohnte oder staatliche Ländereien, dürfte es keine größeren Probleme geben. Wie aber wird man die weiträumigen, bestenfalls extensiv genutzten - möglicherweise von Paramilitärs geschützten - Ländereien der Drogenhändler oder Großgrundbesitzer behandeln? Es werden sich also viele voraussehbare Konflikte ergeben. Hinzu kommen die vorgesehenen, öffentlichen Anhörungen mit der Zivilgesellschaft, aus denen wiederum eine Unzahl von neuen Verhandlungsthemen, die über die Zwölfpunkteagenda hinausgehen, erwachsen können. Die Anhörungen werden im Territorium der FARC, der entmilitarisierten Zone, stattfinden. Deren Hauptstadt, das zwanzigtausend Einwohner zählende Kleinstädtchen San Vicente del Caguán, könnte so zur heimlichen politischen Hauptstadt Kolumbiens werden. Es könnte eine Dynamik entstehen, die alle, die Klagen vorzubringen haben, wieFamilienmitglieder von Entführten, Bauern ohne Land, Gewerkschaften, die sich gegen die Privatisierung ihres Unternehmens wehren, Bekannte und Verwandte von Drogenhändlern, die an die USA ausgeliefert werden sollen, etc. nach San Vicente pilgern lassen, um die Unterstützung der FARC zu erbitten. Um solches zu vermeiden, müßte die Regierung ihre bisherige, gelegentlich an einen Vermittler erinnernde, Rolle ändern und in die des wahren Vertreters der kolumbianischen Bürgerschaft hineinwachsen. Hierzu sind manche Veränderungen des bisherigen verschlossenen, abgeschotteten Stils der Regierung nötig. Die Regierung muß in einen stärkeren Dialog mit der Gesellschaft treten, eine Strategie muß erkennbar werden. Das Projekt des Verhandlungsprozesses muß zum nationalen Projekt Kolumbien werden. Mittelfristig ist die schwierige Aufgabe einer Synchronisation der beiden Agenden mit FARC und ELN anzugehen. Ein Waffenstillstand kann in absehbarer Zeit nicht erwartet werden. Derzeit dienen die Verhandlungen den FARC - auch Teilen des Establishments - vor allem der Stärkung ihrer Kriegsstrategie. Erst wenn der Prozeß voranschreitet, wird der Krieg der Stärkung der Verhandlungsposition dienen können. Endspiel Was am Ende des Friedensprozesses stehen könnte, unter welchen Konstellationen
eine Integration der Guerrilla bzw. eine Fusion der beiden Kolumbien denkbar
wäre, wird im Lande erstaunlich wenig diskutiert. Grund dafür
mag sein, daß jegliche Konstellation am Ende des Prozesses für
die große Mehrheit der Bevölkerung zur Zeit kaum vorstellbar
oder akzeptabel erscheint.
Diese Überlegungen zum Ausgangspunkt nehmend, könnte folgendes
Paket als "Endspiel" angedacht werden: Da die aus der Guerrilla entstandenen, dann existierenden politschen Bewegungen keine Mehrheit in den beiden Kammern, Kongress und Senat, gewinnen könnten, blieben für sie nur Minderheitsbeteiligungen in einer nationalen Regierung. Als Garantie dafür, daß die Vereinbarungen des Friedensverhandlungsprozesses eingehalten werden und die Sicherheit ihrer Mitglieder nicht bedroht ist, müßten der Ex- Guerrilla in allen wesentlichen Entscheidungsstellen des Staates Vertretungsrechte - mit Entscheidungsrechten oder ohne - garantiert werden: im Kabinett, im nationalen Rat für Sicherheit und Verteidigung, im Vorstand der Zentralbank u.a.m. Reziprok müßte ein Delegierter des Präsidenten bzw. einer international besetzten Überwachungskommission einen Platz - nur mit Stimme, ohne Entscheidungsmöglichkeiten - in den zentralen Stellen der von der Ex- Guerrilla verwalteten Gebieten erhalten. Die Realisierung eines solchen Vorschlags oder ähnlicher anderer würde in jedem Falle enorme Kosten und Zugeständnisse der kolumbianischen Mehrheit an die Guerrillaminderheit bedeuten. Auch könnten "freie Wahlen" in Gebieten mit bewaffneter Ex- Guerrilla eine - notwendigerweise - zu akzeptierende Farce werden. Erst mit der Zeit könnte es der Guerrilla gelingen, demokratische Praktiken zu akzeptieren. Würden die Bevölkerung und die Autoritäten der - dann - Guerrilla-"Länder" ihr Schicksal akzeptieren oder eher - wie derzeit in der dem ELN von der Regierung zugedachten "entmilitarisierten Zone" - alle möglichen Formen des Protestes nutzen? Würden dann separatistische Tendenzen Kolumbien zerreisen? Wie stellten sich die Paramilitärs dazu? Unter welchen Bedingungen könnten die USA und Kolumbiens Nachbarn solche "Lösungen" akzeptieren? Deutlich wird bei allen Endspiel-Überlegungen wie mühsam der Weg zu einem in Frieden integrierten Kolumbien sein wird. Deutlich wird auch, daß ohne Engagement der kolumbianischen Bürgerschaft, der "Zivilgesellschaft", und ohne eine aktive Rolle der internationalen Gemeinschaft, also auch der EU-Länder, kein Weg dorthin gefunden werden kann. Anhang: "Who is Who" des bewaffneten Konflikts: Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejercito Popular,
FARC–EP (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens – Volksarmee) Größe: Finanzen: Struktur: Bewaffnung: Territoriale Präsenz: Ejercito de Liberación Nacional, ELN (Nationale Befreiungsarmee) Gründung und Orientierung: Größe: Struktur: Bewaffnung: Territoriale Präsenz: Ejercito Popular de Liberación, EPL (Volksbefreiungsarmee) Gründung und Orientierung:1967 mit maoistischer Orientierung. Die Mehrheit der EPL übergab 1990 ihre Waffen und integrierte sich in das zivile Leben. Viele von ihnen wurden anschließend ermordet. Führer: Größe: Paramilitärs: Autodefensas Unidas de Colombia, AUC (Vereinigte Selbstverteidigungen von Kolumbien) Gründung und Orientierung:Gemäß den Statuten von März 1996 eine antisubversive Organisation mit zivilem Charakter, die bis zur Aufgabe / Niederlage der Guerrilla aktiv sein wird. "Selbstverteidigungsgruppen" existieren seit fast 20 Jahren. Führer: Größe: Finanzen: Struktur: Bewaffnung: Sicherheitskräfte Kolumbiens Größe: Bewaffnung: |
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