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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 1/1999

Uwe Holtz (Hg.):
Probleme der Entwicklungspolitik
Bonn 1997
Bouvier, 320 S.

Vorläufige Fassung / Preliminary version

Der Unterschied der deutschen Entwicklungspolitik zu den übrigen Bereichen auswärtiger Beziehungen liege gerade darin, daß die Entwicklungspolitik in der Vertretung des eigenen Interesses eher eine Nebenwirkung sehe, während in anderen Bereichen auswärtiger Beziehungen vor allem die eigene Position gefestigt und dafür alle erlaubten Möglichkeiten eingesetzt werden sollen; der Entwicklungspolitik komme es hingegen darauf an, den Entwicklungsländern - unabhängig vom kurzfristigen eigenen Vorteil - Hilfe zu leisten. Dies schrieb vor mehr als einem Vierteljahrhundert Karl-Heinz Sohn, seinerzeit Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (Karl-Heinz Sohn, Entwicklungspolitik: Theorie und Praxis der deutschen Entwicklungshilfe, München 1972, S. 37).

Mitte der neunziger Jahre liest es sich im "Zehnten Bericht zur Entwicklungspolitik der Bundesregierung" (Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/3342, S. 17) ganz anders: in der Entwicklungspolitik müsse die eindimensionale Betrachtung unter dem Aspekt der Hilfe für andere überwunden und unser Interesse an einer global tragfähigen Entwicklung als Voraussetzung für die Sicherung unserer eigenen Zukunft herausgestellt werden; dies gelte nicht zuletzt mit Blick auf das öffentliche Bewußtsein in Deutschland.

In der Tat ist die "Entwicklungshilfe" zunehmend in die Kritik geraten. Die deutsche Öffentlichkeit sieht sich mit den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Folgekosten der Wiedervereinigung konfrontiert, sie fühlt sich durch die vermeintlichen oder tatsächlichen Globalisierungserfordernisse verunsichert, sie befürchtet substantielle Einschränkungen der eigenen sozialstaatlichen Absicherung. In dieser Situation ist das Interesse an den Problemen "der Anderen", "der Fremden" eher sinkend. Die staatliche Entwicklungspolitik gerät dabei zunehmend in Legitimierungsnöte: sie muß für den Ressourcentransfer in die Entwicklungsländer politische und wirtschaftliche Rechtfertigungen liefern, die von der Öffentlichkeit akzeptiert werden. Und sie muß glaubhaft gegen die Diagnose eines "Vergeblichkeitssyndroms" ankämpfen, die durch die vordergründige Berichterstattung vieler Medien verbreitet wird, denen eklatante Mißerfolge und Investitionsruinen der Entwicklungshilfe allemal Meldungen wert sind, was aber nicht oder nur selten für die vielen kleinen Erfolge und Verbesserungen gilt, die in der Entwicklungszusammenarbeit erreicht wurden.

In einer Situation, in der Kritiker gar schon von einem Ende der Entwicklungspolitik sprechen, weckt ein Buch mit dem Titel "Probleme der Entwicklungspolitik" bei einschlägig interessierten Lesern sicherlich Neugierde, zumal wenn dieses Buch von Uwe Holtz herausgegeben ist, dem langjährigen einflußreichen Vorsitzenden des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AwZ).

Die in dem hier besprochenen Buch enthaltenen 11 Beiträge sind aus teilweise überarbeiteten Vorträgen einer Ringvorlesung entstanden, die im Sommersemester 1996 von dem 1995 an der Universität Bonn gegründeten "Zentrum für Entwicklungsforschung" (ZEF) angeboten wurde. Uwe Holtz schreibt in dem Vorwort zu dem Sammelband, daß das ZEF mit seiner Arbeit zu einer menschenwürdigen, umweltverträglichen und nachhaltigen Entwicklung beitragen solle, und die vorliegende Publikation sich als ein Beitrag zu dieser Zielsetzung verstehe (S. 10). Dem wäre hinzuzufügen: dieser Beitrag ist von sehr unterschiedlicher Qualität und er hätte ressourcenschonender geleistet werden können. Beispielhaft läßt sich dieser Befund an den ersten vier Beiträgen des Sammelbandes belegen:

Unter der programmatischen Überschrift "Probleme und Perspektiven der Entwicklungspolitik" hat Uwe Holtz über ein Viertel des Buchumfangs ausgefüllt. Auf mehr als 80 Seiten bietet er eine Fülle elementarer Definitionen und grundlegender Informationen (z. B. "Was ist die ODA?" oder "Was ist ein Entwicklungsland?"), die für einen mit der Entwicklungspolitik nicht vertrauten Leser gewiß wichtig sind, aber eher überflüssig für eine fachkundige Leserzielgruppe, die eine fundierte Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Entwicklungspolitik an der Schwelle zum 21.Jahrhundert erwartet. Das langjährige AwZ-Engagement von Uwe Holtz spiegelt sich in den zahlreichen offiziellen Dokumenten und Druckschriften wider, aus denen der Autor ausführlich zitiert. So entsteht ein facettenreicher Rückblick auf Licht- und Schattenseiten der bi- und multilateralen staatlichen Entwicklungspolitik während der zurückliegenden Dekaden. Holtz konstatiert, daß Entwicklungspolitik heute notwendiger denn je sei, daß sie erfunden werden müßte, wenn es sie nicht schon gäbe (S. 88). Diese Feststellung ersetzt freilich keine konsistente Analyse der entwicklungspolitischen Aufgaben in einem sich rasch verändernden globalen Umfeld, es sei denn, man wäre mit der Perspektive zufrieden, daß Entwicklungspolitik bzw. Entwicklungshilfe häufig als probate Mittel angesehen werden, wenn es um die Bekämpfung zentraler Entwicklungsprobleme gehe (S. 13).

Wird Entwicklungszusammenarbeit zukünftig lediglich als "Schutzgeldzahlung" verstanden, mit der sich die wohlhabenden Gesellschaften von den Gefährdungen der aus der Armut erwachsenden Übel freizukaufen versuchen, die ihnen aus den Entwicklungsländern zu drohen scheinen? Wie die Entwicklungspolitik auf zukünftige Herausforderungen reagieren soll, ist eine Frage, die sich notwendigerweise auch der wissenschaftlichen Entwicklungsforschung stellen muß. Unter der Überschrift "Kulturkreise - Kulturerdteile - 'Clash of Civilizations'" liefert Eckhard Ehlers auf knapp 20 Seiten ein engagiertes Plädoyer für eine zeitgemäße Entwicklungsforschung. Indem Ehlers die ideengeschichtlichen Hintergründe der vieldiskutierten "Clash of civilizations"-These aufzeigt, die S. Huntington erstmals 1993 in der Zeitschrift Foreign Affairs publizierte, wird deutlich, daß Huntingtons Prognosen massiver Konflikte in der Zukunft und seine radikalen Empfehlungen zum Schutz der westlichen Zivilisation (bis hin zu militärischen Schlägen und Strategien) durch historische Weltbilder des 19.Jahrhunderts belastet sind. Der Empfänglichkeit für solche "Kulturkampfthesen" werde durch die Unkenntnisse breiter Bildungsschichten in Europa und Nordamerika über nicht-westliche Kulturen und Zivilisationen Vorschub geleistet (S. 112). Gerade auch im Hinblick auf schrumpfende Raum- und Zeitkategorien müsse sich eine zeitgemäße Entwicklungsforschung sehr viel stärker als bisher mit Kulturen und Zivilisationen Afrikas, Asiens und Lateinamerikas auseinandersetzen; all dieses erfordere eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem Anderen, dem uns Fremden (S. 113). Dieser Einsicht dürften sich auch die Experten der Entwicklungszusammenarbeit, die "professional strangers", nicht entziehen. Denn, so Ehlers, das Erkennen und Verstehen des Anderen sei zugleich auch eine Rückbesinnung auf unseren eigenen Standpunkt und Standort in einer zunehmend unübersichtlichen Welt (S. 114).

Für Detlev Karsten scheint die Welt hingegen nach wie vor klar und übersichtlich zu sein; in seinem Beitrag "Entwicklung von unten" reduziert er die Vielzahl von Entwicklungsstrategien, die während der zurückliegenden Entwicklungsdekaden für Länder der "Dritten Welt" konzipiert wurden, auf die beiden Grenzfälle "Modernisierungsstrategie" und "binnenmarktorientierte Entwicklung". Implizit wird mit dieser Dichotomie der Eindruck erweckt, als seien Modernisierungsstrategien - im Unterschied zu Strategien binnenmarktorientierter Entwicklung - grundsätzlich außenorientiert und exportlastig. Tatsächlich kann aber eine binnenmarktorientierte Strategie sowohl modernisierungstheoretisch als auch dependenztheoretisch abgeleitet werden, und auch strukturalistisch inspirierte importsubstituierende Industrialisierungsstrategien haben in rascher Industrialisierung den Königsweg zu Entwicklung gesehen - ähnlich wie ältere Modernisierungstheorien. Wenn Karsten die Dogmengeschichte der Entwicklungstheorien und -strategien allzu stark vereinfacht, dann mag dies damit zu erklären sein, daß sein Interesse letztlich nur der Entwicklung des traditionellen ländlichen Sektors gilt - und dabei auch der städtische informelle Sektor außer Betracht bleibt (S. 117). Karsten stützt sich bei seinen Überlegungen zu einer "Entwicklung von unten" vor allem auf seine Erfahrungen in Afrika, hält den Grundgedanken jedoch für verallgemeinerungsfähig (S. 119). Dieser Grundgedanke lautet: Entwicklung von unten setzt auf die Produktivitätssteigerung der Masse der Subsistenzbauern; entscheidend sei dabei, daß dies mit örtlich verfügbaren Mitteln geschehe und der Importbedarf des lokalen Wirtschaftskreislaufs nicht höher werde als die Geldzuflüsse zum örtlichen Kreislauf dies gestatten (S. 127). Als zentrales Hindernis für die Realisierung einer solchen Strategie einer "Entwicklung von unten" nennt Karsten die vom modernen städtischen Sektor und vom Ausland ausgehenden Impulse (S. 132). So bestechend diese (nicht gänzlich neuen) Überlegungen in ihrer Einfachheit für "Small-is-beautifull"-Apologeten auch sein mögen, sie werden wirtschaftstheoretisch nicht hinreichend fundiert; wenn in der Praxis mit solchen Strategiekonzepten einer "Entwicklung von unten" im traditionellen ländlichen Sektor nicht immer ermutigende Ergebnisse erzielt werden konnten, dann hat Karsten die "Schuldigen" parat: die Städter, jene privaten und staatlichen Organisationen, "die den größeren Teil des globalen Systems dominieren", und das Ausland (S. 132, 137) ...

Ohne verschwörungstheoretisches Geraune, sondern sachlich differenziert und mit empirischen Zahlenmaterial gut belegt, wird in dem Beitrag von Frauke Krass auf ca. 40 Seiten dargestellt, wie es in den Megastädten der Entwicklungsländer aussieht, und ob deren Metropolen überhaupt regierbar bleiben können. Die Autorin bezeichnet es als falsch, von der Urbanisierung in Entwicklungsländern im Vergleich zu derjenigen in Industrieländern lediglich als von einem zwar andersartigen, insgesamt aber recht einheitlichem Phänomen zu sprechen; beträchtliche Unterschiede zwischen den Urbanisierungsprozessen in Lateinamerika, Afrika und Asien bestünden vor allem hinsichtlich der qualitativen Ausstattung, Funktionalität und Verflechtungen der Städtesysteme und -hierarchien sowie bezüglich des Primatstadtcharakters einzelner Megastädte in den jeweiligen nationalen Städtesystemen (S. 148). Am Beispiel Bangkoks wird verdeutlicht, daß und warum die Frage der Regierbarkeit einer Megastadt nur vor dem spezifischen Hintergrund der jeweiligen Gesellschafts- und Ordnungsstrukturen beantwortet werden kann (S. 149f.).

Die übrigen Beiträge des Sammelbandes decken eine weites Spektrum entwicklungspolitischer Probleme und Kontroversen ab; Ingomar Hauchler nimmt (auf 14 Seiten) mit drei Thesen zu der "Schere zwischen ökonomischer Globalisierung und politischer Handlungsfähigkeit" Stellung. Während sich die Welt zunehmend vernetze, nehme die Fähigkeit ab, die Probleme der Welt zu lösen (These 1); die Ökonomie habe den Primat über die Politik übernommen (These 2); Politik und Gesellschaft des Westens würden vor globalen Problemen versagen (These 3). Sein Fazit lautet: "Ohne Globalisierung des Denkens kann sich die Politik nicht wirklich globalisieren und der Ökonomie einen Rahmen geben, der die Grenzen der Natur respektiert, den globalen Frieden durch Ausgleich sichert und allen Menschen eine Chance auf Freiheit und Leben gibt" (S. 192).

Hartmut Elsenhans greift das Stichwort Globalisierung auf und setzt sich auf ca. 30 Seiten mit der Frage nach der "Aktualität von Entwicklungspolitik im Lichte der Globalisierung" auseinander. Seinem Urteil nach besteht die eigentliche Herausforderung, die unter dem Stichwort Globalisierung zu behandeln wäre, darin, daß eine verstärkte exportorientierte Industrialisierung nur in Ausnahmefällen Entwicklungspolitik ersetzen könne, da sie unter den verschiedenen Instrumenten zur Umverteilung von Renten das einzige sei, bei dem die Bereitstellung einer ausreichenden Konsumtionskapazität ausschließlich den Industrieländern auferlegt werde (S. 217). Elsenhans, der in der entwicklungstheoretischen Diskussion seine umstrittenen Positionen bislang stets streitbar verteidigt hat, geht auch in diesem Beitrag mit einem einfachen (nicht formalisierten) gesamtwirtschaftlichen Modell den Gegner (sprich: die dominierende Volkswirtschaftslehre mit ihren als "heroisch" oder "einfältig" bezeichneten Annahmen) direkt an; er will zeigen, daß die neue Wettbewerbsfähigkeit der Schwellenländer bei Fortdauer von Marginalität notwendigerweise zur Folge habe, daß der kapitalistische Wachstumsmechanismus auch in den alten kapitalistischen Ländern zerstört werde (S. 218). Warum kritische Positionen, wie er sie vertritt, das festgefügte Entwicklungsmodell der Mainstream-Ökonomik nicht nachhaltig durchbrechen können, ist Elsenhans zufolge im wesentlichen auf zwei Gründe zurückzuführen: zum einen gestatteten die Karrierebedingungen im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich heterodoxe Positionen nur sehr bedingt; zum anderen würde der Kampf von Seiten der Politologen und Soziologen mit Instrumenten von (vor)gestern geführt und sie schreckten zumeist davor zurück, sich auf die schwierige formale Modellierung der neueren volkswirtschaftlichen Theorie einzulassen (S. 221).

Franz Nuscheler nimmt zu dem "neuen Feindbild Dritte Welt" und dem Problem der internationalen Migration Stellung. Entschieden wendet er sich abschließend gegen den "friedens- und entwicklungspoltischen Defätismus"; die Politik - so Nuschelers Vorwurf - sei zu sehr mit defensiven Abwehrstrategien beschäftigt und denke zu wenig über Präventivkonzepte nach. Gefordert sei eine Politik, die nicht die Flüchtlinge, sondern die Fluchtursachen zu bekämpfen suche (S. 237).

"Probleme der Entwicklungspolitik" verspricht der Titel des hier besprochenen Buches zu thematisieren, da von der Entwicklungspolitik wichtige Beiträge zur Lösung drängender Herausforderungen erwartet würden. Von den über 300 Seiten des Sammelbandes stehen für das Problem der Verminderung der Artenvielfalt mit dem Beitrag "Biodiversität - vom Reichtum und Armut in der belebten Natur" von Wilhelm Barthlott lediglich 15 Seiten zur Verfügung - auf denen aber zur Lösung dieses Problems im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit kaum etwas Konkretes ausgesagt wird. Dem sicherlich kaum weniger drängenden Problem des Hungers in der Welt werden gerade 8 Seiten gewidmet, auf denen Hans-Georg Bohle das Thema "Hunger und Entwicklung - empirische Beiträge zur Debatte über Verwundbarkeit" aus dem Blickwinkel der geographischen Risikoforschung skizziert. Mehr als der doppelte Platz steht hingegen in den Beiträgen von Michael Bohnet und Jürgen Wilhelm für die Darstellung der entwicklungspolitischen Strategien des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sowie seiner Konzepte und Projekte zur Stadtentwicklung zur Verfügung. Der Leser, der diese Zusammenfassungen regierungsamtlicher Dokumente und Positionspapiere übergehen mag, findet in der abschließenden Auswahlbibliographie viele interessante Hinweise auf weiterführende Literatur zu den neuen Herausforderungen der Entwicklungspolitik an der Schwelle zum 21.Jahrhundert.

Hartmut Sangmeister
Universität Heidelberg


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