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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 1/1999

DIETMAR DIRMOSER
Dynamische Stagnation in Cuba

Vorläufige Fassung / Preliminary version

Seit dem Besuch des Papstes reißt der Strom prominenter Besucher nicht ab. Der Wunsch des Kirchenoberhauptes, die Welt möge sich Cuba und Cuba sich der Welt öffnen, scheint in Erfüllung zu gehen; selbst die Beziehungen zu den USA sind auf dem Weg sich zu entspannen. Doch der Westen intensiviert seine bilateralen und multilateralen Kontakte zu Cuba ohne Gegenleistung des Regimes: von einer politischen Reform ist der Inselstaat weiter entfernt denn je, die Wirtschaftsreform stagniert und nichteinmal der Spielraum der Kirche ist heute nennenswert größer als vor dem Papstbesuch. Ist die wachsende Bereitschaft westlicher Staaten zu konstruktivem Engagement lediglich ein diplomatischer Erfolg der Machthaber in Havanna? Oder hat die Strategie "Wandel durch Annäherung" mittelfristig Aussicht auf Erfolg?

Keine politische Reform

"Nur unter demokratischen Bedingungen können Menschen neue Ideen entwickeln und ihre Fähigkeiten voll entfalten. Wenn wir die Menschen nicht ermutigen, selbständig zu denken, wird unsere Gesellschaft stagnieren; Ruhe ist dann die Ruhe der Stagnation." Dies sind die Worte eines Kommunisten, Professor an der obersten Kaderschule der Kommunistischen Partei - allerdings nicht der cubanischen sondern der chinesischen. (The Times, 9.4.98)

In Cuba ist ist man von solchen Positionen um Lichtjahre entfernt. Der Ruf nach Demokratie, Meinungs- und Diskussionsfreiheit ist politisches Dynamit, denn als logische Folge ergeben sich daraus Forderungen, die in Cuba nach wie vor als staatsfeindlich eingestuft und öffentlich nur von Dissidenten erhoben werden: die Forderung nach Tolerierung abweichender Meinungen, nach der Zulassung politischer Tendenzen und Strömungen (oder gar Parteien) und nach Schaffung politischer Institutionen, die eine nicht nur formale Beteiligung an Entscheidungen ermöglichen. Massenorganisationen, Komitees und Wahlprozesse bieten zwar auf der unteren Ebene vielfältige Möglichkeiten der politischen Beteiligung. Doch alle relevanten Entscheidungen behält sich eine Elite vor, die durch Wahlen nicht austauschbar ist.

Dies muß nach cubanischer Lesart so sein, denn anders sei die Verteidigung der nationalen Souveränität gegen die permanenten Übergriffe der USA nicht möglich. Wichtiger als alles andere seien "Einheit und Geschlossenheit"; alles was pluralistisch ist, kommt leicht in den Ruch, vom "Feind" manipuliert zu sein. Fidel Castro hat sein Verständnis von Pluralismus vor einiger Zeit in der Formel zugespitzt, die pluralistische Demokratie westlichen Zuschnitts sei eine "Pluriporquería", was sich annähernd mit "eine Schweinerei in Potenz" übersetzen läßt.

Die Machthaber in Havanna hatten 1998 allen Grund, Erwartungen im In- und Ausland zu dämpfen und klarzumachen, daß es eine politische Reform nicht geben werde. Eine große Schar westlicher Besucher - der Papst, der kanadische Premier, Riegen europäischer Minister, vielköpfige Abgeordneten- und Unternehmerdelegationen besuchte die Insel, und viele der Gäste wurden vom Regime hofiert. Daraus sollte die Bevölkerung keine falschen Schlüsse ziehen. Und auch die Besucher, fast alle kamen auf das Thema Demokratie, Pluralismus und Menschenrechte zu sprechen, sollten sich keinen Illusionen hingeben.

Vizepräsident und Kabinettschef Carlos Lage fand dafür Anfang April, anläßlich einer Zeremonie zur Ehrung vorbildlicher Staatsbeamter, die Formel, Cuba brauche keine Transition, denn Cuba habe ja seine Revolution gehabt. Dank der Revolution und nach dem Willen der Bevölkerung bleibe Cuba sozialistisch, und mögen, so Lage, noch so viele der ausländischen Partner eine Transition fordern. Im cubanischen Fall könne Transition nur Rückschritt bedeuten.

Auch Fidel Castro machte - bei der Verabschiedung ausländischer Gäste, auf Auslandsreisen und in diversen Marathonreden - unzweideutig klar: das politische System Cubas bleibt wie es ist. Bei seinem Schweiz-Besuch im Mai erklärte er vor Journalisten, einen Weg zurück, wie in der ehemaligen Sowjetunion, gebe es für Cuba nicht, und überhaupt sei der Marxismus-Leninismus das politische System der Zukunft. Selbst die Möglichkeit eines "sanften Übergangs" wies Castro zurück: "Meine größte Hoffnung ist, daß unser politisches System Erfolg haben möge, und daß es nicht zu einer politischen Transition, zu einem Rückschritt kommt." (24.5.)

Ende der außenpolitischen Isolation

Über ein Dutzend diplomatische Delegationen und hochrangige offizielle Besucher werden seit dem Besuch von Karol Wojtyla jeden Monat in Cuba registriert. Darunter der kanadische Premierminister Jean Chrétien, der Ende April als seit den 70er Jahren erster Regierungschef eines wichtigen westlichen Landes Cuba besuchte. Auch der kolumbianische Präsident Samper und Denzil Douglas, Premier des Insel-Zwergstaats St. Kitts and Nevis, machten sich nach Cuba auf; fünf Premierminister anderer englischsprachiger Inselstaaten der Karibik waren bereits vor Douglas da.

Unter den Außenministern, die sich in Havanna ein Stelldichein gaben, waren der Italiener Lamberto Dini als bislang ranghöchster europäischer Regierungsvertreter, der Brasilianer Luiz Felipe Lampreia und die Mexikanerin Rosario Green; der spanische Außenminister Abel Matutes verschob eine für Juni geplante Visite. Minister anderer Ressorts kamen in großer Zahl aus aller Welt. Frankreich schickte im Mai seinen Entwicklungsminister Josselin und im Juni, mit dem Air France Jungfernflug, seinen (kommunistischen) Transportminister Gayssot, mit einer hochkarätigen Wirtschaftsdelegation und diversen Abgeordneten im Schlepptau. Aus Spanien reiste, ebenfalls im Juni, Industrieminister Josep Piqué an, zusammen mit dem Präsidenten des Unternehmerverbandes Cuevas und 60 Vertretern namhafter Firmen. Aus Großbritannien kam eine 23-köpfige Wirtschaftsdelegation, ohne Ministerbegleitung, aber mit der guten Nachricht, die britische Entwicklungsagentur CDC (Commonwealth Development Corporation) habe eine Kreditlinie von 30 Mill. US$ bereitgestellt.

Dreißig Gesundheitsminister aus Staaten der Blockfreienbewegung tagten im Juni in Havanna. Unter den Besuchern mit klangvollen Namen, aber ohne offiziellen Auftrag waren der Schauspieler Jack Nicholson und der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber, General i. R. Jack Sheehan, die beide von Fidel Castro empfangen wurden. Angesichts von so viel Prominenz fielen Besucher wie der haitianische Industrieminister, der türkische Vizeaußenminister, eine finnische Parlamentsdelegation oder Gruppen thüringischer, dominikanischer oder argentinischer Geschäftsleute gar nicht auf. Aufmerksamkeit zog dagegen die Visite spanischer und französischer Kriegschiffe in cubanischen Häfen auf sich.

Zahlreiche weitere hochkarätige Besucher haben sich angesagt, darunter das spanische Königspaar. Cuba wird 1999 den iberoamerikanischen Gipfel ausrichten, und fast alle lateinamerikanischen Staatschefs wollen teilnehmen. All dies zeigt, die Isolierungspolitik der USA ist obsolet geworden. Sie funktioniert nicht einmal mehr bei den karibischen Kleinstaaten, die vom Goodwill der Vereinigten Staaten abhängig sind. Nachdem der Papst Beziehungen zu Cuba vom Makel befreit hat, moralisch anrüchig zu sein, gehören bei fast allen westlichen Staaten Cuba-Kontakte zur außenpolitischen Routine, ein Wandel, der sich in wenigen Monaten vollzog.

In vielen Fällen mögen sich die offiziellen Besucher ebenso wie die Touristen angezogen fühlen durch ein Image, bei dem sich Tropen-Romantik, Sympathien für cubanischen Sport, cubanische Musik und Zigarren mit Revolutionsnostalgie mischen; ein Besuch in Cuba ist allemal auch eine Geste an die einheimische Linke. In anderen Fällen besteht der Reiz darin, daß anhand Cubas mit geringen Kosten Unabhängigkeit von den USA demonstriert werden kann. Doch meist sind auch handfeste Wirtschaftsinteressen im Spiel. Sowohl Kanada als auch Spanien versuchen die Strategie ihrer Business-Community, sich in einem Zukunftsmarkt zu verankern, auf dem es keine US-Konkurrenz gibt, politisch durch Investitionsschutz- und Doppelbesteuerungsabkommen sowie durch einen Politikdialog abzusichern. Gute politische Beziehungen zahlen sich für die Unternehmer in der Regel aus: sowohl die spanische als auch die französische und die britische Wirtschaftsdelegation brachten von ihren Visiten notable Geschäftsabschlüsse nach Hause; Kanada, ohnehin der größte Investor und einer der wichtigsten Handelpartner der Insel, baut seine Position kontinuierlich aus und stellt überdies das größte Touristenkontingent.

Höhepunkte im bilateralen Bereich waren die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen zu Guatemala und der Dominikanischen Republik, die seit Anfang der 60er Jahre unterbrochen waren, sowie die Ernennung eines spanischen Botschafters, nachdem dieser Posten 16 Monate lang unbesetzt war. Dem Vorgänger des jetzigen Botschafters hatte Cuba das Agrément verweigert. Begründung: der Spanier habe in einem Interview gesagt, die spanische Botschaft stehe auch Dissidenten offen. Castro ereiferte sich damals, eine Botschaft könne kein Verschwörernest sein, und schickte Mitglieder des kommunistischen Jugendverbandes zum Demonstrieren vor die spanische Vertretung. Nach diesem Eklat gerieten die spanisch-cubanischen Beziehungen auf einen Tiefpunkt und Madrid ließ sich mit der Entsendung eines Botschafters demonstrativ viel Zeit. Mittlerweile hat Spanien seinen hochrangigen Politikdialog mit Cuba wieder aufgenommen.

Auch das bislang besonders Cuba-kritische Argentinien überhäuft den Inselstaat neuerdings mit freundlichen Gesten. Der Agrarminister besuchte die Insel, die cubanisch-argentinische Regierungskommission trat nach mehrjähriger Pause wieder zusammen, und sogar eine Visite von Präsident Menem ist im Gespräch. Außenminister DiTella erklärte den Sinneswandel mit dem argentinischen Interesse, die Rückzahlung eines 1,3-Milliarden-Dollar-Kredits in Gang zu bringen. Das, so DiTella, müßten die USA verstehen.

Im multilateralen Bereich konnte Cuba ebenfalls Punkte verbuchen, obwohl die USA nach wie vor versuchen, den Inselstaat in den internationalen und regionalen Gremien zu blockieren. Das ist bislang in den traditionell von den Vereinigten Staaten stark beeinflußten Regionalgremien in Lateinamerika und der Karibik besonders gut gelungen. Die cubanische OAS-Mitgliedschaft ruht seit 1962, zu Treffen lateinamerikanischer Staatschefs und Minister wird Cuba meist nicht eingeladen, und von allen politischen Initiativen in der Hemisphäre, an denen die USA beteiligt sind, ist Cuba automatisch ausgeschlossen. Diese Politik wird aber mittlerweile von vielen lateinamerikanischen und karibischen Staaten nicht mehr mitgetragen; bis auf Honduras, El Salvador und Costa Rica haben alle OAS-Staaten die in den 60er Jahren abgebrochenen diplomatischen Beziehungen zu Cuba wiederhergestellt und drängen nun auf eine Integration der Insel in die Region.

Auf dem Amerika-Gipfel Ende April in Santiago de Chile stand Cuba zwar nicht auf der offiziellen Tagesordnung, doch hinter den Kulissen wurde heftig über Cuba gestritten. Zentrales Thema des Spitzentreffens war die Vorbereitung der ersten Verhandlungsrunde über die Einrichtung einer amerikanischen Freihandelszone von Alaska bis Feuerland (FTAA / ALCA). Zu den ohnehin bestehenden Problemen (daß der US-Präsident für diese Verhandlungen nur ein eigeschränktes Mandat hat - der Kongreß verweigerte ihm die "fast-track"-Kompetenz - und daß die Lateinamerikaner prophylaktisch die existierenden Kooperationsansätze vom Andenpakt über den Mercosur bis zu CARICOM zu stärken versuchen) kommt nun auch noch ein Dissens über die Einbeziehung Cubas in das Freihandelsabkommen, wofür eine Reihe von Staaten votieren. Der chilenische Außenminister Insulza machte klar: "Es ist Zeit, daß die USA ihre Cuba-Politik revidieren." Kanada, das 1999 Gastgeber für die erste FTAA-Verhandlungsrunde sein wird, hat Interesse signalisiert, dazu auch Cuba einzuladen.

Auf dem Chile-Gipfel blieb den USA eine formelle Befassung mit dem Cuba-Thema erspart. Nicht so wenig später in Venezuela auf dem Gipfeltreffen der OAS. Dort brachte Mexiko, unterstützt von Kanada, den Antrag ein, die cubanische Mitgliedschaft zu reaktivieren. Zwar gelang es den USA, die Initiative für die Ausarbeitung einer Resolution abzuschmettern, doch eine informelle Arbeitsgruppe wird sich weiter mit dem Thema beschäftigen. Unter Generalsekretär Gaviria, einem kolumbianischen Ex-Präsidenten, hat die OAS begonnen, sich von einer Befehlsausgabestelle der USA im lateinamerikanischen Hinterhof zu einem eigenständigen politischen Akteur zu mausern. Cuba gilt dabei als Prüfstein.

In der Karibischen Gemeinschaft CARICOM und der Lateinamerikanischen Vereinigung zur Integration, ALADI, dürfte Cuba bald Vollmitglied werden. Mit ALADI, einer regionalen Institution, die seit dem Montevideo-Vertrag von 1980 an kontinentweiten Handelserleichterungen durch Zollpräferenzen arbeitet, stehen die Beitrittsverhandlungen kurz vor dem Abschluß; technische Delegationen arbeiten derzeit die Details aus. Mit CARICOM werden Vorgespräche über einen formellen Aufnahmeantrag geführt. Der St.-Kitts-Premier Douglas ließ bei seinem Besuch in Havanna verlauten, er und seine karibischen Kollegen würden einen solchen Antrag sehr wohlwollend prüfen. Für den Fall des Falles haben sich die CARICOM-Staaten bereits beim State Department rückversichert, und Madelaine Albright gestand ihnen das Recht auf eine eigene Position gegenüber Cuba explizit zu.

Günstig ist das Klima auch für die Integration Cubas in die europäisch-karibischen und europäisch-lateinamerikanischen Verhandlungsprozesse. Nachdem ein bilaterales Abkommen zwischen der Europïschen Union und Cuba, worüber von 1994 bis 1996 intensiv verhandelt wurde, nicht zustandekam, öffnet sich nun eine Tür für die Einbeziehung des Inselstaates in das nächste Lomé-Abkommen, über das ab Herbst 1998 multilateral verhandelt wird. Im Mai sprachen sich die AKP-Staaten auf einer Konferenz in Barbados dafür aus, Cuba einen Beobachterstatus zuzugestehen, und Ende Juni stimmten die EU-Außenminister diesem Vorschlag zu.

Die USA indessen behandeln Cuba weiterhin als Paria-Staat. Sie führen Cuba - neben dem Irak, Iran, Lybien, Nordkorea, Syrien und Sudan - in der Liste der Staaten, die den internationalen Terrorismus fördern. Und die Menschenrechtssituation auf der Insel wird mit der unter den blutrünstigsten Regimen gleichgesetzt. Für beide Klassifizierungen sucht die US-Diplomatie kontinuierlich nach Unterstützung in internationalen Gremien. In der UNO-Menschenrechtskommission hatten die USA damit in den letzten Jahren Erfolg. Doch bei der diesjährigen Abstimmung im April kam die US-Resolution unerwartet nicht durch, weil sich alle wichtigen lateinamerikanischen Staaten (außer Argentinien) der Stimme enthielten - eine diplomatische Schlappe, die das internationale Legitimationsdefizit der US-Cuba-Politik deutlich zu Tage treten ließ. Daß sich die Menschenrechtssituation in Cuba, wenn auch nicht spektakulär, gebessert hat, räumten sogar die US-Diplomaten in der Begründung für ihre Resolution in der Menschenrechtskommission ein, und auch der Menschenrechtsausschuß der OAS wies auf diese Tendenz hin.

Verhältnis zu den USA: Neue Bewegung

Nach dem Papstbesuch nutzte die US-Regierung das günstige Meinungsklima für die vorsichtige Lockerung einiger Embargobestimmungen. Die Administration erlaubte Banküberweisungen von maximal 300 Dollar pro Quartal an cubanische Angehörige und hob das Verbot von Direktflügen auf. Die Genehmigung von Hilfsgüter-Lieferungen der Kirchen wird großzügiger gehandhabt. Damit ist der Stand der Beziehungen von 1996, vor dem Abschuß zweier US-Sportflugzeuge durch die cubanische Luftwaffe, wieder erreicht. Die Beamten der Administration betonen, mit diesen Maßnahmen habe man lediglich dem päpstlichen Aufruf entsprochen, eine Lockerung des Embargos oder tieferreichende Änderungen der amerikanischen Cuba-Politik seien nicht beabsichtigt. Doch der Ton ist deutlich konzilianter und die Atmosphäre deutlich entspannter als noch im vergangenen Jahr, als sich Cubaner und US-Amerikaner nur angifteten. Castro zeigte öffentlich Verständnis für Clinton, der Cuba weiter entgegenkommen würde, wenn ihn die Republikaner nur ließen. Und Clinton verlautbarte, er täte nichts lieber, als die Beziehungen zu Cuba zu verbessern, wenn ihm das Inselregime nur ein wenig entgegenkäme.

Mehr als kosmetischen Maßnahmen hat die US-Regierung derzeit allerdings nicht anzubieten. Über symbolische Gesten hinauszugehen würde die Veränderung von Gesetzen erfordern; der rechtliche Spielraum für eine Lockerung der Cuba-Politik ist seit dem Torricelli- und dem Helms-Burton-Gesetz sehr gering. Und auch der politische Spielraum ist nicht groß, da die nach wie vor mächtige exilcubanische Lobby zusammen mit ihren Freunden in der Grand Old Party aus jeder Entspannungsgeste gegenüber Cuba einen politischen Skandal in Washington zu machen versucht. In Miami allerdings sind die Fronten in Bewegung gekommen. Nach dem Tod von Jorge Mas Canosa haben die Hardliner an Boden verloren, und in der Exilführung hat ein Generationswechsel begonnen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der Wandel auch die Lobby-Maschinerie in der Hauptstadt erreicht.

Hinzu kommt, daß die Cuba-Lobby das politische Terrain nicht mehr für sich alleine hat. Eine andere Lobby, die die Normalisierung der Beziehungen zu Cuba auf ihre Fahnen geschrieben hat, ist dabei, sich zu formieren. Bob Menendez, ein cubano-amerikanischer Abgeordneter aus New Jersey, beschwerte sich kürzlich, es werde zusehends schwerer, den harten Kurs gegen Cuba aufrechtzuerhalten, weil sich drei Akteure zusammengeschlossen hätten, die bislang getrennt operierten: die Liberalen (einschließlich der traditionell pro-castristischen Gruppen), die Kirchen (und zwar nicht nur die katholische) und das "Big Business". Nicht einmal mehr auf die Republikaner sei in Sachen Cuba Verlaß, beschwerte sich Demokrat Menendez, denn die schielten nach den Wirtschaftsgruppen, die gerne in Cuba investieren würden.

In der Tat ist die US-Geschäftswelt immer weniger bereit, sich von einer Minderheit aus Miami in Sachen Cuba Vorschriften machen zu lassen. Nach Schätzung des US-Cubanischen Wirtschafts- und Handelsrates in New York werden Ende 1998 über 3.000 US-Firmenvertreter Cuba besucht haben, darunter Repräsentanten fast aller namhaften Großunternehmen, die sich bereits auf die Zeit nach dem Embargo vorzubereiten beginnen. Im März fand im mexikanischen Cancún und in Havanna der erste Cubanisch-Nordamerikanische Wirtschaftsgipfel statt. Der zweite wird im September folgen. Organisiert wird die Annäherung der US-Geschäftswelt an Cuba von einer Organisation, die als "Americans for Humanitarian Trade" firmiert und wo sich Unternehmen, Wirtschaftsgremien, Kirchenorganisationen, Entspannungspolitiker und Propagandisten des freien Welthandelshandels zusammengeschlossen haben. Americans for Humanitarian Trade bemüht sich im Kongreß um die Aufhebung des Cuba-Embargos für Arznei- und Lebensmitteln und versteht sich als Teil einer breiteren Bewegung gegen die proliferierende und absurde Blüten treibende US-Sanktions- und Embargopolitik insgesamt. Viele US-Unternehmer halten die Sanktionspolitik im allgemeinen und das Cuba-Embargo im besonderen schlicht für Geschäftsschädigung. Sie wollen nicht länger zusehen müssen, wie Kanadier, Spanier, Italiener und Franzosen in Cuba die Filetstücke untereinander aufteilen.

Der innere und äußere Druck auf die US-Regierung, ihre Cuba-Politik zu modifizieren, hat zweifellos zugenommen. Und erstmals würde sich die Administration durch Entspannungsschritte nicht nur Attacken der Exil-Hardliner aussetzen, sondern sie könnte mit der Unterstützung der neuen Normalisierungslobby rechnen. Ob die stark genug ist, um die Allianz der republikanischen Kongreßmehrheit mit der exilcubanischen Lobby aufzubrechen, wird sich herausstellen, und zwar spätestens, wenn im Kongreß endgültig über die Torres-Dodd-Vorlage zur Aufhebung des Arznei- und Lebensmittelembargos gegen Cuba befunden wird. Rechtsaußen Jesse Helms versuchte in Abstimmung mit der cubanisch-amerikanischen Nationalstiftung, die Initiative - sie wird von mahr als 100 republikanischen und demokratischen Abgeordnete unterstützt - durch einen eigenen Gesetzentwurf zu unterlaufen. Die Helms-Vorlage sieht vor, Cuba großzügig mit Lebensmitteln und medizinischen Hilfsgütern zu beliefern. Dies, ohne das Embargo zu durchlöchern, und unter der Voraussetzung, daß die Hilfsgüter nach US-Vorstellungen verteilt werden. Cuba wies das Angebot erwartungsgemäß zurück mit dem Hinweis, die beste humanitäre Hilfe wäre die Aufhebung des Embargos, das der wichtigste Hemmfaktor für die Entwicklung der cubanischen Wirtschaft sei. Und von der US-Business-Community mußte sich Helms die Frage gefallen lassen, warum er Cuba etwas schenken wolle, wenn die Cubaner bereit seien, dafür zu bezahlen.

Unterdessen tun die Akteure der exilcubanisch-republikanischen Politikmaschinerie das, was sie immer getan haben: sie versuchen innenpolitisch Punkte gegen die Administration zu machen. Dabei werden bisweilen gegen alle Vernunft Themen aufgeblasen und hochgespielt, wie im Fall eines Pentagon-Berichts über den Zustand der cubanischen Streitkräfte. Ende März präsentierte SouthCom-Chef General Charles Wilhelm das Ergebnis einer vom Kongreß angeforderten Armee-Recherche über Cuba. Fazit: Die cubanischen Streitkräfte seien heute gerade halb so groß wie 1989 und vor allem mit landwirtschaftlicher Produktion beschäftigt, um die Versorgung der Soldaten zu gewährleisten. Treibstoff- und Ersatzteilmangel hätten die Einsatzfähigkeit der cubanischen MIG-Jets auf nahe Null reduziert. Der größte Teil des schweren Geräts sei eingemottet. Ergo: die cubanischen Streitkräfte taugten derzeit allenfalls zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Inneren; sie hätten jede Offensivfähigkeit verloren. Als militärische Gefahr für die USA könne Cuba deshalb nicht eingestuft werden. General Wilhelm empfahl, die US-Streitkräfte sollten mit den cubanischen zusammenarbeiten, um Spannungen abzubauen.

Da nicht sein kann, was nicht sein darf, denunzierten die Cuba-Kritiker im Kongreß den Pentagon-Bericht als politischen Schachzug der Administration, um die Annäherung an das Inselregime zu legitimieren. Dabei stützten sie sich auf drei Argumente. Erstens verfüge Cuba über eine entwickelte gentechnische und pharmazeutische Industrie und sei deshalb in der Lage, chemische und biologische Waffen zu produzieren. Daß es keinerlei Hinweis darauf gibt, daß Cuba solche Waffen tatsächlich entwickelt oder sich auch nur mit der Absicht trägt, hielt die anti-cubanischen Einpeitscher von der Lancierung dieses Arguments nicht ab. Zweitens dulde Cuba in Lourdes einen mit 2000 russischen Technikern besetzten und erst kürzlich durch Investitionen in Höhe von 90 Mill. US$ modernisierten elektronischen Horchposten Rußlands, mit dem die gesamte zivile und militärische Kommunikation in den USA und der Atlantikregion abgehört werde. Durch einen russischen Überläufer wurde bekannt, daß Moskau via Lourdes über die US-Pläne für den Krieg mit dem Irak im Detail Bescheid wußte (allerdings keine Informationen an den Irak weitergab). Dieses Argument wurde lanciert, obwohl es einen Konsens der US-Militärstrategen und Außenpolitiker gibt, den Horchposten zu tolerieren, weil er für die Verifizierung diverser Abrüstungsvereinbarungen unverzichtbar ist. Drittens habe der Abschuß zweier US-Sportflugzeuge durch die cubanische Luftwaffe im Februar 1996 die Einsatzfähigkeit der cubanischen MIG-Flotte hinreichend belegt. Daß die cubanischen Piloten nur auf 30 Flugstunden im Jahr kommen (US-Piloten akkumulieren mindestens 30 Stunden im Monat) und nur einige wenige Maschinen einsatzfähig sind, stört die Kritiker des Pentagon-Berichtes nicht.

Angesichts des Sperrfeuers zog das Pentagon seinen Bericht zur Nachbesserung zurück.

Europäisch-amerikanische Einigung über US-Sanktionen

Im Mai beendeten die Europäische Union und die USA einen jahrlangen Streit über US-Sanktionen gegen europäische Investoren in Cuba, dem Iran und Libyen. Darüberl war lange hart verhandelt worden; auf dem transatlantischen Gipfel in London lobten sich US-Präsident Clinton, Briten-Premier Blair und EU-Kommissionspräsident Santer gegenseitig, ein Hindernis für die Einigung über die "wirklich wichtigen Fragen" der transatlantischen Agenda aus dem Weg geräumt zu haben.

Die Abmachung liegt auf der Linie eines Protokolls, das im April 1997 unterzeichnet worden war und das eigentlich bereits das Ende des Konfliktes markieren sollte. Doch die Verlagerung der Auseinandersetzung in technische Gremien der OECD brachte die Kontrahenten einer Lösung nicht näher. Das Kalkül, die strittigen Bestimmungen des Helms-Burton-Cuba-Sanktions-Gesetzes und des gegen Investitionen im Iran und Libyen gerichtete D'Amato-Gesetzes in einem Multilateralen Investitionsabkommen aufgehen zu lassen und dadurch gewissermaßen zum Verschwinden zu bringen, ging nicht auf; die Verhandlungen in der OECD liefen auf Grund. Frankreich setzte schließlich eine "Denkpause" von sechs Monaten durch, und Canada plädiert ohnehin für eine definitive Verlagerung der Verhandlungen in die Welthandelsorganisation, um auch die Entwicklungsländer an dem Abkommen zu beteiligen. Der französische Europaminister Moscovici warnte die USA, Frankreich würde nur weiterverhandeln, wenn das Multilaterale Investitionsabkommen Gesetze wie das Helms-Burton-Gesetz explizit verbiete.

Nachdem der Weg für eine multilaterale Lösung verbaut war, feilschte US-Chefunterhändler Stuart Eizenstat in unzähligen Verhandlungsrunden mit dem EU-Handelskommissar Leon Brittan um eine bilaterale Einigung. Zwar ließ die EU die Frist für die Wiederaufnahme ihrer ruhenden WTO-Klage gegen die beiden US-Gesetze verstreichen, doch machte man unmißverständlich klar, das WTO-Verfahren würde wieder aufgenommen, sollten die Verhandlungen ergebnislos bleiben oder sollten die USA europäische Unternehmen sanktionieren. Die US-Regierung hat bisher weder das D'Amato-Gesetz noch das Helms-Burton-Gesetz angewandt; die Bestimmung des Helms-Burton-Gesetzes, die es erlaubt, ausländische Firmen in den USA zu verklagen, wenn diese in enteignete US-Unternehmen in Cuba investieren, wurde alle sechs Monate per "Waiver" ausgesetzt, und auch für Investitionen im Iran und Libyen wurden "Waiver" in Aussicht gestellt. Doch das war den Europäern auf Dauer zu unsicher. Sie wollten eine verbindliche und dauerhafte Lösung.

Die im Mai 1998 erzielte Einigung ist ein politisches Abkommen, es hat keine rechtliche Bindewirkung. Überdies lassen die vier Texte und eine Verbalnote gerade wegen ihrer hochkomplexen Architektur hinreichend Auslegungsspielraum, damit beide Seiten die Übereinkunft als Erfolg darstellen können. Festgeschrieben wurde indes, daß Titel III des Helms-Burton-Gesetzes (nach dem ausländische Unternehmen in den USA verklagt werden können, wenn sie in enteigneten US-Besitz in Cuba investieren) dauerhaft entschärft wird und zwar alle sechs Monate durch einen automatischen "Waiver" des US-Präsidenten. Den Europäern wäre eine definitive Außerkraftsetzung von Titel III lieber gewesen, doch akzeptierten sie das Argument, daß der Kongreß ein solches "Amendment" kaum akzeptieren würde. In einer einseitigen Erklärung droht die EU für den Fall eines Wortbruchs die erneute Anrufung des WTO-Schiedsgerichtes an.

Außerdem verpflichtet sich die US-Administration in der Abmachung, sich beim Kongreß die Genehmigung für einen "Waiver" von Titel IV des Helms-Burton-Gesetzes zu besorgen. Nach Titel IV bekommen Führungskräfte von Unternehmen, die in enteigneten US-Besitz in Cuba investieren, kein Visum für die USA. Angesichts der Kräfteverhältnisse im Kongreß dürfte es der Administration schwer fallen, dieses Versprechen einzuhalten.

Als Konzession versuchten die US-Unterhändler, den Europäern die Bereitschaft der USA anzudienen, die bereits getätigten europäischen Investitionen in ehemaligen US-Besitz in Cuba von Sanktionen und Entschädigungsforderungen auszunehmen. Doch in Wirklichkeit waren es die Europäer, die hier eine Konzession machten, indem sie faktisch die Rechtmäßigkeit von Repressalien gegen zukünftige Investitionen akzeptierten. Die EU versprach darüber hinaus, zukünftige Investitionen nicht zu ermutigen und vor allem keinerlei staatliche Unterstützung in Form von Subventionen, Risikoversicherungen oder Exportförderung zu gewähren. Um dies nachprüfbar zu machen, wird ein Register eingerichtet. Die USA gehen davon aus, daß alle 5.911 Fälle unrechtmäßiger Enteignungen von US-Besitz in Cuba, die in den Vereinigten Staaten registriert sind, in dieses Register aufgenommen werden. Doch bis zur Einrichtung dieses Registers wird Zeit vergehen, denn zunächst müssen sich die EU und die USA auf eine operative Definition des Terminus "unrechtmäßige Enteignungen" einigen.

Im Fall des D'Amato-Gesetzes boten die USA keine generelle Aussetzung von Bestimmungen (Waiver) an, sondern versprachen lediglich in einer Verbalnote, einige europäische Großprojekte im Iran und Libyen zu tolerieren, obwohl nach der Rechtslage eigentlich Sanktionen verhängt werden müßten. Vorderhand hat die französische Ölfirma Total bei ihrem Milliardenprojekt im Iran von den USA nichts zu befürchten, auch einem deutsch-holländisches Pipelinekonsortium und spanischen Projekten in Libyen drohen momentan keine US-Pressionen. Dies allerdings nur so lange, solange die Anwendung der Bestimmungen des D'Amato-Gesetzes nicht vom Kongreß erzwungen wird.

Die Einigung vom Mai 1998 ist alles andere als solide und strapazierfähig. Zwar wurden Sanktionen gegen bereits getätigte Investitionen und die Beeinträchtigung lukrativer Großprojekte pragmatisch abgewendet, und auch zukünftige Investitionen werden durch die Abmachung nicht verhindert, wenngleich sie von staatlicher Absicherung und Unterstützung ausgeschlossen sind. Doch die Sanktionsdrohungen sind nicht vom Tisch. Mag sich Clinton in seiner restlichen Amtszeit an die Abmachung halten, der nächste US-Präsident braucht sich an sie nicht gebunden zu fühlen. Kommt hinzu: Bei der Prinzipienfrage, die hinter dem Konflikt steht, bestanden die Europäer nicht auf Zugeständnissen der USA. Im Gegenteil, sie akzeptierten eine Lösung, die ausschließlich und exklusiv für Europa gilt. Exterritoriale Bestimmungen, wie sie die beiden umstrittenen US-Gesetze enthalten, sind aber für alle anderen Staaten ebenso unangenehm wie für die EU-Staaten. Die USA haben nunmehr den europäischen Segen für genau das, was die US-Konservativen mit den Sanktionsgesetzen erreichen wollten, nämlich Investoren abzuschrecken.

Kirche und Staat: entstehende Zivilgesellschaft

Mit dem Cuba-Besuch des Papstes kulminiert ein langwieriger Prozeß der Annäherung, der von beiden Seiten vorangetrieben wurde. Trotz Marginalisierung und Ausgrenzung war die katholische Kirche stets ein sozialer Akteur. Und seit die Kirche wegen der krisenbedingten gesellschaftlichen Desintegration und der nachlassenden Bindewirkung des Systems großen Zulauf erhält, ist ihre Einbindung auch politisch interessant: die Integration der Kirche und ihres Anhangs ist eine prophylaktische Maßnahme, um zu verhindern, daß sich jenseits des Staates und unbeeinflußbar von ihm ein Kristallisationspunkt der Opposition herausbildet.

Kirche und Regime haben sich auf eine unausgesprochene Allianz eingelassen. Der Staat gesteht der Kirche und der kirchlichen zivilen Gesellschaft Freiheiten zu, die sich sonst niemand herausnehmen darf. Dafür legitimiert die Kirche das Regime durch ihren Diskurs des partnerschaftlichen und evolutionären Wandels; zentrale Begriffe in den strategischen Kirchendokumenten sind Dialog, Geduld, Versöhnung und Frieden. In der impliziten strategischen Allianz ist die Kirche zwar der schwächere Partner, aber durchaus ein dynamischer, der es geschickt versteht, das Meinungsklima und Stimmung im Volke für die Ausweitung seines Handlungsspielraums zu nutzen.

Über die Terms der Beziehungen zwischen Kirche und Staat wird diskret aber kontinuierlich verhandelt. Auf der Agenda stehen drei Themenkomplexe; der Papst hat sie in seinen Predigten und Reden in Cuba alle mehr oder weniger deutlich ausbuchstabiert. Der erste umfaßt Aspekte der Beziehung zwischen Kirche und Staat, die unmittelbar mit den Möglichkeiten und Bedingungen der Religionsausübung zu tun haben. Hier geht es um die Erteilung von Visa für ausländische Priester, Mönche und Nonnen, Kirchenbau, Priesterseminare, kirchliche Feiertage, u.a.m. Der zweite Themenkomplex hat mit der Teilhabe der Kirche am öffentlichen Leben zu tun, was direkt das Problem der staatlich eingeschnürten zivilen Gesellschaft berührt. Hier geht es um die Nutzung von Straßen und Plätzen für religiöse Veranstaltungen, den Zugang zu bestehenden Medien und die Möglichkeit, eigene zu schaffen, Religionsunterricht in staatlichen Schulen und die Möglichkeit konfessionelle Schulen zu gründen, die Schaffung kirchlicher Sozialeinrichtungen parallel zu den staatlichen u.a.m. Der dritte Themenkomplex betrifft Grundsatzfragen. Hier wird zu reden sein über unterschiedliche Auffassungen von Demokratie, Menschenrechten, Rechtssicherheit und Freiheit.

Zugeständnisse hat es bislang vor allem beim ersten Themenkomplex und mit Einschränkungen beim zweiten gegeben. Dies ist nicht geringzuschätzen, denn wenn es der Kirche gelingt, ihre organisatorische und institutionelle Basis zu konsolidieren und auszuweiten, hat sie auch Chancen, mit der Konsolidierung einer (kirchlichen) zivilen Gesellschaft weiterzukommen. Schon heute kann innerhalb der Kirche manches geschrieben, gedruckt, verbreitet und gesagt werden, wofür Mitglieder nicht-kirchlicher Organisationen ins Gefängnis kämen.

Im Vorfeld des Papstbesuches waren die Zugeständnisse des Regimes an die Kirche für cubanische Verhältnisse erheblich. Messen unter freiem Himmel und Prozessionen konnten stattfinden, die Kirchenoberen kamen im Fernsehen sowie im KP-Blatt Granma zu Wort, und Weihnachten war zum erstenmal seit Jahrzehnten wieder ein Feiertag. Nach dem Besuch wurden 300 Häftlinge einer vom Papst übergebenen Liste entlassen. All dies weckte Erwartungen, daß in der Folgezeit der Prozeß der Lockerung sich beschleunigen und weitere Forderungen der Kirche erfüllt würden. In der Tat konnte das Osterfest mit Prozessionen und öffentlichen Zeremonien auf eine Art gefeiert werden, "wie seit vier Jahrzehnten nicht", so die Kirchenoberen. Doch darüberhinausgehende Zugeständnisse blieben aus.

Der Papst rief die cubanischen Bischöfe deshalb im Juni zu einer Konferenz nach Rom, auf der die Entwicklung analysiert wurde. Die in diesem Zusammenhang abgegebenen Erklärungen sowohl des Papstes als auch der cubanischen Kirchenfürsten betonen, daß Prozeß der Öffnung weitergehen müsse. "Die Herausforderungen, die sich aus meinem Pastoralbesuch ergeben, müssen angenommen werden. Nie soll Eure Stimme fehlen", schrieb der Papst den cubanischen Kirchenoberen ins Stammbuch. Doch sowohl Woytila als auch die cubanischen Bischöfe bereiteten das Kirchenvolk auf "die Mühen der Ebene" vor und versuchten, Erwartungen in Cuba und außerhalb zu dämpfen. Die Kirche müsse sich den Handlungsspielraum zur Erfüllung ihrer Mission selbst erarbeiten, sowohl durch ihr soziales Wirken als auch durch ihre pastoralen Aktivitäten in den Gemeinden, gab der cubanische Kardinal Ortega in Rom zu Protokoll.

Auf der Verhandlungsagenda mit dem Regime stehen vorderhand eine Reihe praktischer Probleme, die die Kirchenoberen verärgert haben und die einer Lösung harren: versprochene Visa für Missionare und Priester wurden nicht erteilt, zwei Priestern wurde die Aufenthaltsgenehmigung entzogen. Der Zugang zu den Medien ist weiterhin blockiert, der Antrag auf Genehmigung einer Radiostation wird verschleppt, und eine gespendete Druckerpresse wurde von den Behörden zurückgeschickt. Caritas ist erbost, daß die Kanalisierung zahlreicher Hilfsangebote aus dem Ausland wegen bürokratischer Winkelzüge nicht vorankommt und daß die Organisation stattdessen gezwungen ist, Milchpulver für die Armenküchen der Pfarreien in den überteuerten Dollar-Staatsläden zu kaufen.

Wirtschaft: Reformstop und Zuckerkrise

Auch wenn man in den Staatsfirmen Effizienz heute großschreibe und moderne Managementmethoden eingeführt würden, bedeute das mitnichten eine Annäherung an den Kapitalismus westlicher Prägung, so Carlos Lage, der oberste cubanische Wirtschaftsfunktionär in einer Rede im April 1998. Die Reformer sind ängstlich darauf bedacht, bei allen Neuerungen nachzuweisen, daß diese keine Gefahr für den sozialistischen Charakter des cubanischen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems darstellen. Dies geschieht in der Regel durch den Hinweis darauf, daß die Neuerungen dem Staat und nicht Privaten zugute kämen. Da sich die Organisationsformen der Produktion seit der Abschaffung des Planungssystems sowjetischen Typs denen in der kapitalistischen Welt immer mehr annähern, wird die staatliche Aneignung und Verteilung der Produktion zum definitorischen Kern des Sozialismusbegriffs.

Logische Konsequenz aus der Gleichsetzung von staatlicher Verfügung und Sozialismus ist eine brüske Absage an Privatisierungen. Daß die Zulassung von Joint-Ventures in Schlüsselbereichen nichts anderes als Privatisierung darstellt, lassen die cubanischen Wirtschaftsfunktionäre nicht gelten: die Verträge mit den ausländischen Konsortien seien zeitlich befristet und die cubanischen Staatsagenturen, die in der Regel die Kapitalmehrheit halten, würden die Sozialverträglichkeit der Investitionen sicherstellen. Es sind just diese Restriktionen, die bislang verhindert haben, daß die Kapitalzuflüsse aus dem Ausland zahlungsbilanzrelevante Größenordnungen erreichten, was den Technokraten durchaus bewußt ist. Da ihnen aber ohnehin ein kalter ideologischer Wind ins Gesicht bläst, gibt es über diesen Punkt nichteinmal intern eine Diskussion, obwohl die Zahlungsbilanzklemme das drängendste Problem der cubanischen Ökonomie ist.

Das ideologische Klima ist für die Privaten derzeit nicht günstig, auch nicht für die privaten Familienbetriebe. Als diese im September 1993 zugelassen wurden, verbanden damit viele die Hoffnung, es würde eine gemischte Wirtschaft entstehen, und all jene, die im Zuge der Rationalisierung der Staatswirtschaft ihren Arbeitsplatz verloren, würden in dem neuen Sektor Existenzmöglichkeiten finden. Doch seit 1996 ist die Politik gegenüber den kleinen Privatproduzenten extrem restriktiv. Hohe Steuern, Reglementierung, schikanöse Kontrollen und die Konkurrenz durch staatliche Klein- und Mikrounternehmen zwangen viele der privaten Familienbetriebe zum Aufgeben. Im Februar 1998 lag die Zahl der lizensierten "Selbstbeschäftigten" gerade noch bei 155.000 und damit um 50.000 unter dem Spitzenwert, der im April 1996 registriert worden war (nicht berücksichtigt die 6.000 Vermieter von Fremdenzimmern und die 11.000 Taxifahrer und Transporteure). Jeden Monat werden 3.000 bis 4.000 weitere Lizenzen zurückgegeben.

Im Juni 1998 ließ die Wochenzeitung des kommunistischen Jugendverbandes Juventud Rebelde einen Funktionär des Arbeitsministeriums ausführlich zu Wort kommen, der erläuterte, daß im Privatsektor niemand, der sich an die Gesetze und Regeln halte, die Chance habe, reich zu werden. Wer durch einen Familienbetrieb zu Reichtum komme, würde entweder in der Steuererklärung niedrigere Einnahmen als die tatsächlichen angeben oder Rohstoffe und Inputs vom Schwarzmarkt verwenden, die in der Regel gestohlen seien. Wer sich an die Spielregeln halte, könne zwar mehr verdienen als hochqualifizierte Fachkräfte, doch reich werden, das sei nicht möglich.

Diese Äußerungen sind eher Programm als eine Beschreibung der Wirklichkeit. Sie liegen auf der Linie einer Kampagne, die die Kleinselbständigen pauschal in die Nähe der Illegalität rückt und ihnen unterstellt, sich ungerechtfertigt zu bereichern. Dieser "Klassenkampf von oben", der im vergangenen Jahr begann, hat 1998 an Intensität zugenommen. Auf der anderen Seite verfolgen die Behörden offenbar die Strategie, die Einkünfte der Selbstbeschäftigten durch immer neue Reglementierungen so weit wie möglich zu drücken, damit die Schere zwischen den staatlichen Löhnen, insbesondere der Leistungsträger des Systems, und den privat erwirtschafteten Einkommen nicht weiter aufklafft. Die bürokratischen Reglementierungen nehmen bisweilen absurde Züge an: Privatrestaurants müssen Fisch grundsätzlich im staatlichen Dollar-Supermarkt kaufen, wo er ein Vielfaches dessen kostet, was ein Freizeitfischer nehmen würde oder was die in Pesos operierende staatliche Fischhandlung berechnet. Wenn der Wirt nicht nachweisen kann, daß der Fisch in seinem Kühlschrank aus dem Dollar-Shop stammt, kann der Inspektor seinen Kühlschrank beschlagnahmen.

Die Marktelemente in der cubanischen Ökonomie, die 1993 und 94 eingeführt wurden und den wirtschaftlichen Zusammenbruch verhinderten, sind unter Beschuß geraten. Konservative Ideologen geben ihnen - neben der US-Politik - die Schuld, daß das Land nicht aus der Krise herauskommt, und, schlimmer noch, sie sehen in ihnen eine Bedrohung der Stabilität des Regimes. Der Gewerkschaftsverband CTC brachte ein Papier in Umlauf, wo die Auswirkungen der Reformen aufgelistet werden, verbunden mit der Warnung, bei Generalisierung dieser Phänomene sei die Revolution ernsthaft in Gefahr. Nach der CTC sind die negativen Reformfolgen diese: zunehmende soziale Unterschiede; Konsumorientierung, Egoismus, Karrieristen- und Strebertum; Prostitution, Korruption und Diebstahl (in Form von Abzweigen von Ressourcen in Fabriken und Lagern).

Die einzige Antwort des Regimes bestand bislang in einer ideologischen Offensive mit Beschwörung des Sozialismus, der sozialen Disziplin und des Durchhaltevermögens. Daß in diesem Zusammenhang die Wirtschaftsreform abgebremst wurde, könnte sich rächen, denn selbst cubanische Ökonomen sind der Meinung, daß zur Überwindung der Krise der wirtschaftliche Umbau beschleunigt werden müsse. In den Worten des Direktors eines Forschungsinstituts: die Reformen der ersten Generation hätten ihre Wirksamkeit eingebüßt. Jetzt stünden Reformen der zweiten Generation an.

Daß dringend etwas geschehen muß, signalisieren auch die makroökonomischen Indikatoren. Die externe Finanzklemme hat sich zugespitzt, vor allem wegen des katastrophalen Ergebnisses der Zuckerernte, für das ungünstige Witterung und der Mangel an Krediten zur Vorfinanzierung von Inputs verantwortlich gemacht werden. Mit knapp über drei Millionen Tonnen liegt das Ergebnis noch unter dem von 1995, das mit 3,3 Millionen Tonnen das schlechteste der letzten fünfzig Jahre gewesen war. Wegen fehlender Finanzen mußten bereits die Öl- und Lebensmittelimporte eingeschränkt werden. Wirtschaftsfunktionäre wiesen zwar darauf hin, daß wachsende Einnahmen aus dem Tourismus und die gestiegenen Einnahmen aus dem Export von Nickel, Zigarren und Fischprodukten die Einnahmeausfälle annähernd kompensieren könnten und auch die Überweisungen der Auslandscubaner zur Entspannung der Situation beitrügen. Doch hinter vorgehaltener Hand geben sich die Fachleute besorgt. Die offizielle Wachstumsprognose wurde bereits auf 2,5% herunterkorrigiert, was nach dem drastischen Wachstumseinbruch Anfang der 90er Jahre, der noch nicht wieder aufgeholt ist, schlicht Stagnation bedeutet.

Das Zuckerministerium wird seit Ende letzten Jahres vom ehemaligen Generalstabschef Ulysses Rosales del Toro geleitet, und der hat sich vorgenommen, die Zuckerproduktion effizient zu machen. Daß er junges Zuckerrohr auf den Feldern stehen ließ, um es im nächsten Jahr zu ernten, wenn es höhere Erträge bringt, ist ein weiterer Faktor, der zu dem schlechten Ergebnis der diesjährigen Ernte beigetragen hat. Doch wird sich Rosales mehr einfallen lassen müssen. Die Hektarerträge liegen mit 34 Tonnen pro Hektar erheblich unter dem von der FAO ermittelten Weltdurchschnitt von 60 Tonnen, die Zuckerrohrkooperativen funktionieren nicht, und die Zuckerausbeute bei der Verarbeitung ist heute schlechter als im letzten Jahrfünft vor der Revolution, und damals war Cuba durchaus kein leuchtendes Vorbild für Effizienz.

Cuba wird sich vorerst weiter durchwursteln. Doch mit jedem schlechten Jahr steigen die sozialen Kosten, und die Geduld der Bevölkerung ist gewiß keine unerschöpfliche Ressource. Da läßt hoffen, daß wichtige wirtschaftliche Kurswechsel zumeist unerwartet kamen und stets im Zusammenhang mit einer Krise des Zuckersektors erfolgten.


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