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International Politics and Society 1/2002

 

 
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11. September 2001: Anschläge auf welche  Zivilisation? Michael Ehrke:*

Die Wucht der Anschläge vom 11. September auf New York und Washington und die Gewalt der Bilder haben die Interpretationskraft vieler Beobachter – Journalisten, Wissenschaftler  wie Politiker – vor eine fast nicht zu bewältigende Herausforderung gestellt: Was war „Sinn“ der Anschläge? Keine Organisation bekannte sich zu der Tat, niemand verkündete den mit ihr verfolgten Zweck. Allein der hohe Symbolgehalt der Angriffsziele wies darauf hin, dass es sich nicht um einen Angriff der menschlichen Sprache unkundiger Wesen aus dem All handelte. Der Attacke fehlte die dumpfe Fatalität einer Naturkatastrophe: Die Gewalt war erschreckend zielgerichtet.

Kriegserklärung ...

Die reflexhafte und spontane Erklärung durch Journalisten und Politiker lautete: Es handelte sich um eine Kriegserklärung an die „zivilisierte Welt“ bzw. die „westliche Zivilisation“. Diese Interpretation ist nicht nur fragwürdig, weil sie – wie Christian Semler in der taz bemerkte – „Zivilisation“ und „Westen“ gleichsetzt, sie ist auch doppeldeutig, insofern sie offen lässt, auf welche Bedeutung der Begriffe „zivilisierte Welt“ und „westliche Zivilisation“ sie sich bezieht.

Der Symbolgehalt des Pentagon ist, anders als die des World Trade Center, eindeutig: Es symbolisiert die militärische Macht Amerikas und damit eine Weltordnung, die von den USA als einziger Supermacht dominiert wird. Das Pentagon verkörpert den geopolitischen Status quo, unabhängig von den ideellen Gehalten, die von der amerikanischen Militärmacht geschützt werden. Das World Trade Center und die Stadt New York, die es beherbergte, stehen dagegen für Amerika als einer ideellen Macht, für die „westliche Zivilisation“ als Idee, eine Idee allerdings, die mehrdeutig ist.  

... an die Zivilisation der Aufklärung ...

Auf der einen Seite ist die in Europa entstandene und nach dem Zweiten Weltkrieg vor allem von den USA repräsentierte westliche Zivilisation ein Produkt der Aufklärung: Ihr Kernprogramm liegt darin, dass jede Tradition, jede Religion, jede Wahrheit, die nicht der zersetzenden Kraft der kritischen Vernunft standhält, partikular ist und keine allgemeine Geltung beanspruchen kann. Hieraus ergibt sich zweierlei- Erstens: Es gibt keinen anderen Ort der Vernunft als das aufgeklärte Individuum. Das Individuum ist, mit universell gültigen Rechten ausgestattet, die letzte Instanz, die über wahr und falsch, gut und böse entscheiden kann, darf und muss (was die Kommunikation zwischen vernünftigen Individuen natürlich nicht ausschließt).  Zweitens: Jede Wahrheit jenseits der Vernunft wird zur Privatsache, die als solche auch zu tolerieren ist. Es gibt keine Trennungslinie zwischen Gläubigen und Ungläubigen, sondern ein Universum unterschiedlicher und prinzipiell gleichwertiger Glaubens- und Wertesysteme, die sich öffentlich nur begrenzt erörtern lassen. Die auf der Aufklärung basierende „westliche Zivilisation“ ist daher gekennzeichnet durch einen „friedfertigen Inklusionswillen, ... austarierten Pluralismus, das Faible für Mischkulturen und ... einen historisch geschärften Sinn für die legitime Andersheit Fremder“ (Thomas E. Schmidt in der Zeit). Das einzige der Aufklärung kompatible Zivilisationsmodell ist multiethnisch, multireligiös und multikulturell. Dabei wird jeder Religion und Tradition zugemutet, dass die ihren Absolutheitsanspruch revidiert und sich damit als Religion und als Tradition, die ihre Autorität aus ihrer Unhinterfragbarkeit herleitet, demontiert.

Natürlich handelt es sich eher um ein Ideal, möglicherweise um einen (nicht-linearen und reversiblen Trend), als um einen Zustand. Gleichwohl kam kaum eine Stadt dieser Welt diesem Ideal so nahe wie New York, die multikulturelle Stadt par excellence (die ihre Vielfalt noch einmal eindrucksvoll bei dem Trauergottesdienst im Yankee-Stadium demonstrierte). Im World Trade Center starben nicht nur weiße Protestanten angelsächsischer Herkunft, sondern Menschen aller Nationalitäten, Haufarben, religiösen Bekenntnissen und sozialen Klassen.

... oder den globalen Kapitalismus?

Auf der anderen Seite symbolisieren New York und das World Trade Center eine von den USA dominierte zutiefst ungerechte kapitalistische Weltordnung, in der Einkommen und Lebenschancen zwischen Klassen und Ländern extrem ungleich verteilt sind, in der täglich Tausende verhungern oder an AIDS sterben, obwohl es ausreichend Lebensmittel und Medikamente gibt. Der Respekt vor dem Individuum, den die Aufklärung bekundet, wird vom globalen Kapitalismus von Ruanda bis Haiti, von Palästina bis Ost-Timor systematisch dementiert. Die relative Sicherheit und der Wohlstand, die die Bürger des „Westens“ genießen, sind Ausnahme, Not und Gewalt, die der globale Kapitalismus produziert oder duldet, die Regel. Daher auch die von vielen Kommentatoren geäußerte Bemerkung, mit dem Anschlag vom 11. September sei Amerika verspätet in der „Wirklichkeit“ (synonym: im 21. Jahrhundert) angekommen.

Die Oberfläche des globalen Kapitalismus stellt sich dar als eine „ungeheure Warensammlung“, gekrönt von einer Woge kommerzieller Symbole und Bilder – Firmenlogos wie Nike, MTV oder McDonalds, Hollywood, Michael Jackson, Disneyland, Baseballkappen, Sexualität, Reklame –, die die Kulturen dieser Welt unter sich zu begraben droht.  Diese Woge muss in nicht-westlichen Gesellschaften als besonders bedrohlich wahrgenommen werden. Zum einen hat die Warensymbolik eine höhere Bedeutung, weil die materiellen Waren selbst oft gar nicht erworben werden können. Zum andern wird mit den Waren und Symbolen eben auch die westliche Zivilisation verkauft, die sich auf diese Weise in ihrer Rolle weltgeschichtlicher Sieger bestätigt. Dies gilt ganz besonders für islamische Gesellschaften, die auf eineinhalb tausend Jahre Konfrontationsgeschichte mit dem Westen zurückblicken.

Aufklärung und globaler Kapitalismus einschließlich des von diesem produzierten kulturindustriellen Schrotts sind aufein­ander bezogen. Das verbindende Glied ist das Individuum, das als Träger der Vernunft letzte Instanz jeder Wertentscheidung ist, das also auch frei ist, einen Big Mac zu verzehren.

Die Ziele des Terrors: Nicht der globale Kapitalismus ...

Gegen welche symbolische Gehalte richtete sich der Terror der Anschläge von New York und Washington? Eine Antwort kann vorab ausgeschieden werden: Der Terror war nicht – zumindest nicht in erster Linie –  gegen eine ungerechte kapitalistische Weltordnung gerichtet, er steht nicht in der Tradition eines Frantz Fanon, der der Gewalt im antikolonialen Kampf eine befreiende Rolle zusprach, und auch nicht in der Che Guevaras, der „zwei, drei, viele Vietnam“ gefordert hatte.

Es waren nicht die selbsternannten Vertreter der „Verdammten dieser Erde“, die das Massaker von New York und Washington planten und durchführten; es waren vor allem Angehörige der Bildungselite der eher wohlhabenden arabischen Golfstaaten. Ihr Motiv war ganz offensichtlich nicht die Befreiung der Ärmsten von materieller Not, sondern die Befreiung der moslemischen Welt von den Nicht-Muslimen bzw. heiligen Stätten des Islam von der Anwesenheit der Ungläubigen: Religious Cleansing.

...sondern die Zivilisation der Aufklärung

Der Schlag gegen das World Trade Center war kein Gegenschlag der Dritten gegen die erste Welt, sondern in der Tat ein Anschlag auf eine Zivilisation: Die Zivilisation der Aufklärung und ihre hedonistisch-materialistischen Symbole. Zweitens zielte er – das zeigt das Angriff auf das Pentagon – auf die Militärmacht der USA. Die Verbindung beider – des zivilisationsbezogenen und des geopolitischen Aspekts – macht die neue Qualität des Terrors aus, die ihn von der selbstreferenziellen Nur-Symbolik etwa der RAF unterscheidet.

Die Anschläge vom 11. September sind wirklich Teil eines „Zusammenstosses der Zivilisationen“, wenn auch nicht der islamischen mit der westlichen Welt. Die entscheidende Konfliktlinie zieht sich durch beide Welten. Fundamentalismus ist ebenso wenig ein Geburtsfehler islamischer Gesellschaften wie Toleranz ein immer währender Aktivposten des Westens ist. Beide Welten sind von einer inneren, historisch veränderlichen Grenze durchzogen, die sie in „aufgeklärte“ und (der Begriff ist anfechtbar) „fundamentalistische“ Kräfte spaltet. Das Vorbild für Lessings „Nathan der Weise“, ein  Urtext der Aufklärung, ist Saladin, der Sieger über die Kreuzritter, die sich ihrerseits als ziemlich barbarische Bande profiliert haben sollen. Der barbarischste Zivilisationsbruch der Geschichte wurde  im Europa des 20. Jahrhunderts vollzogen, in der Verantwortung einer der zu jener Zeit wirtschaftlich und technisch fortgeschrittensten Nationen. Noch heute werden in Deutschland Ausländer erschlagen, weil sie Ausländer sind. Und auch in den USA hat die westliche Zivilisation ihre fundamentalistische Unterseite: die christliche Rechte mit ihren gewaltbereiten Rändern, die antistaatlichen Militia, apokalyptische und suizidgefährdete Millenniumskulte. Die christlichen Fundamentalisten Jerry Falwell und Pat Robertson bezeichneten den Terror von New York als gerechte Strafe für Lasterhaftigkeit und Homosexualität. In den USA werden nach China die meisten Todesurteile der Welt vollstreckt, und der Anteil derjenigen, die an Gott und den Teufel glauben, ist in Amerika höher als in anderen westlichen Ländern; ebenso die Gewissheit, das Land sei von Gott auserwählt – eine Gewissheit, die paradoxerweise nach den Massenmorden vom 11. September (erinnert sei an die Messe in der National Cathedral in Washington) noch einmal besonders dringlich beschworen wurde. Die westliche Zivilisation liegt – wie jede andere – in einem permanenten Kampf mit sich selbst, in einer Art Kultur- oder Zivilisationskampf, der auch mit Gewalt ausgetragen wird. Timothy McVeighs Anschlag auf das Regierungsgebäude in Oklahoma unterschied sich mehr in der Dimension als in der Motivation von den Massenmorden des 11. September.

Die Auseinandersetzung zwischen  Aufklärung und „Fundamentalismus“ ist nicht gleichbedeutend mit einem Kampf zwischen modernen und traditionellen Kräften. Die Autorität traditioneller Werte und Weltdeutungen liegt darin, dass sie, in das Alltagsleben der Gemeinschaften eingelassen,  nie hinterfragt wurden. Der Fundamentalismus ethnischer oder religiöser Natur dagegen ist eine Reaktion auf die Aufklä­rung und die Zumutungen der Moderne. Selber modern enthält er das Element des Trotzes und der Abwehr. Dabei ist er durchaus bereit, sich der technischen Errungenschaften der Moderne zu bedienen und sie für anti-moderne Zwecke einzusetzen.       

... und der geopolitische Status Quo

Die Terroranschläge wurden in den USA als Kriegerklärung interpretiert, als neues Pearl Harbor, ohne dass sich eindeutig ein kriegführender Staat hätte ausmachen lassen (auch das Taliban-Regime hat Amerika nicht den Krieg erklärt). Die Kriegsmetapher trifft sich trotz ihrer Unangemessenheit mit der Metaphorik des Terrors, der sich selbst als kriegführende Partei interpretiert. Dieser Krieg hat klare taktische Ziele – in erster Linie die Vertreibung des amerikanischen Militärs aus Saudi-Arabien –, die sich in ein strategisches Wahnsystem einordnen: Die Wiederherstellung des Kalifats und die Befreiung der muslimischen Welt von den „Ungläubigen“.

Die Anschläge von New York und Washington sollten offensichtlich zeigen, wie hoch der Preis der amerikanischen Präsenz in der arabischen Welt ist. Frühere Anschläge auf amerikanische Soldaten im Libanon und in Somalia waren in dieser Hinsicht vom Erfolg gekrönt gewesen: Die USA zogen sich in beiden Fällen aus der Krisenzone zurück. Freilich wird kein Terrorist damit rechnen, dass sich die USA nach dem 11. September aus dem Nahen Osten zurückziehen. Ein  Gegenschlag ist unausweichlich und ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch von den Terroristen gewollt, da er – wenn er auf den geographischen Ursprung des Terrors im Nahen Osten zielt – die Destabilisierung einzelner Länder oder der ganzen Region einleiten könnte, und für eine politisch nicht-etablierte gewaltbereite Kraft ist Destabilisierung vorteilhafter als Stabilität. Die Politik, die die USA in der Vergangenheit im Nahen Osten betrieb – vom Sturz Mossadeghs über die Unterstützung Saddam Husseins im „ersten Golfkrieg“ gegen den Iran bis hin zur Förderung, Ausbildung, Finanzierung und Bewaffnung der afghanischen Mudjahedin – legt nahe, dass der Kalkül der Terroristen aufgehen könnte. Edward Said verglich die USA im Nahen Osten mit Gulliver im Lande Liliput: Aufgrund seiner schieren Größe ist Gulliver den Liliputanern haushoch überlegen. Doch er lässt sich in die lokalen Händel der Zwerge verwickeln und wird damit zu einer solchen Last, dass die verfeindeten Seiten ihn gemeinsam aus Liliput herausdrängen. Natürlich kann es auch umgekehrt ausgehen: Der neue kalte oder heiße Krieg gegen den Terror schafft einen Rahmen, innerhalb dessen die Stabilisierung des Nahen Ostens zum obersten Imperativ wird – was auch neue entwicklungspolitische Initiativen möglich macht (s. das Politikinfo Die Welt im Herbst von Michael Dauderstädt).

Eine Zeit für Kreuzzüge?

Was ist zu tun? Eine erste Antwort war: Die Weltordnung muss gerechter werden; in einer gerechteren Welt würden die Energien, aus denen sich der Terrorismus speist, erlöschen. In dieser Sicht ist das soziale Dynamit, mit dem „unser aller Zuhause“ gefüllt ist – „das geballte Leid und Elend verarmter und enterbter Millionen“ (Zygmunt Bauman) – das eigentliche Problem, nicht die Terroristen, von denen,  immer genug mit dem Streichholz bereit stehen werden. Wenn es darum geht, erkennbare Konflikte zu lö­sen, in denen Menschen ihrer Rechte beraubt und gedemütigt werden und in denen sich terroristisches Potential aufbaut – wie zur Zeit in Palästina – ist dieser Haltung zuzustimmen. Die Schaffung einer „gerechteren Weltordnung“ dagegen würde den Terror kaum aus der Welt schaffen, da es immer unterschiedliche und konträre Vorstellungen von Gerechtigkeit geben wird. Den Abbau der materiellen Not und der Gewalt in der Dritten Welt ist eine Aufgabe, die sich unabhängig von terroristischen Anschlägen stellt, sie ist Selbstzweck; die Entschärfung terroristischen Potentials wäre eine erwünschte Nebenfolge.

Der Abbau materieller Not und Gewalt in den Entwicklungsländern und der sozialen Ungleichheit im Westen ist ein Projekt, das sich im Rahmen der Aufklärung realisieren lässt, kein Gegenprojekt gegen die „westliche Zivilisation“. Die praktische Kritik an dem von den USA repräsentierten und aktiv verfolgten Muster wirtschaftlicher Globalisierung – eine Kritik, die gerade in den USA selbst artikuliert wird –  ist Teil dieses Projekts. Wer –  wie Peter Beinart in der New Republic – die Kritik am herrschenden Globalisierungsmodell in den Verdacht indirekter Komplizenschaft mit dem Terror bringt, verwandelt eine bestehende Konfliktlinie innerhalb der „westlichen Zivilisation“ in eine Kriegsfront.

Gefordert wird auch ein Dialog der Kulturen, insbesondere ein Dialog des Westens mit dem Islam. Dieser Dialog hat freilich eine Grenze: Das Toleranzgebot und die universelle Geltung der Menschenrechte sind aus westlicher Sicht nicht relativierbar; sie sind kein Verhandlungsgegenstand. Unter Voraussetzung dieser Einschränkung freilich sind beiderseitige Lernprozesse vorstellbar. Die westlichen Gesellschaften haben selbst an vielen Aspekten ihrer Zivilisation zu zweifeln begonnen; angesichts der drohen­den Kommerzialisierung des sozialen Lebens bis in die Kindergärten hinein sind sie darauf angewiesen, auch traditionelle Solidaritätsbeziehungen zu bewahren, zu begründen, zu erfinden und wiederzuerfinden, wenn auch deren Geltung als Tradition – als unhinterfragbar – nicht aufrechterhalten werden kann.

Weder die Verbesserung der Welt, noch der Dialog der Kulturen kann die Bekämpfung des Terrors selbst ersetzen. Dies wird, wie man jetzt sieht, ein langwieriger und vielschichtiger Prozess sein, in dem spektakuläre Medienereignisse (wie der CNN-Krieg am Golf) nicht zu erwarten sind. Ein Sieg über den Terrorismus würde sich eher als Ausbleiben spektakulärer Ereignisse manifestieren. Um so größer ist die Gefahr, dass  auf symbolische Ersatzhandlungen zurückgegriffen wird, mit denen die Medien gefüttert werden können, die aber einem Sieg über den Terror um keinen Schritt näher bringen.

Die größte Gefahr liegt in der gegenwärtigen Situation darin, dass „der Westen“ auf den Angriff aus dem Lager des islamistischen Fundamentalismus damit reagiert, dass er – intendiert oder nicht – seine eigene fundamentalistische Unterseite mobilisiert. Die Zahl der vom Hass motivierten Anschläge auf Menschen nahöstlicher Herkunft, auf  Moscheen und andere Einrichtungen, nimmt zu. Präsident Bush hat den Kampf gegen den Terrorismus als „Kreuzzug“ bezeichnet, eine Vokabel, die er später zurücknahm, die aber auf die reflexartige Spontaneität verweist, mit der die am 11. September eingeleiteten Auseinandersetzungen in die Polarisierung Orient-Okzident gestellt werden. Und in Deutschland erweist sich die Kultur der Denunziation als jederzeit abrufbar: Eine Asylbewerberin arabischer Herkunft soll abgeschoben werden, weil sie nach den Anschlägen „Freude“ bekundet haben soll, zwei Lehrerinnen in Sachsen sollen aus demselben Grund vom Dienst suspendiert werden.  

In New York gab es bislang „so gut wie“ keine Ausschreitungen gegen wirkliche oder vermeintliche Moslems, und Woody Allen erklärte im Spiegel, er würde sich lieber von einer Rakete treffen lassen als aufs Land ziehen – besser kann man es eigentlich nicht formulieren.

Michael Ehrke

*1950; Politikwissenschaftler; Internationale Politikanalyse, Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn; ehrkem@fes.de


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