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Leipold hat einen übermotorisierten Eisbrecher gebaut, um einer viel befahrenen
Modeströmung zu folgen. Der Eisbrecher besteht aus einem gewaltigen
Auftrieb an Institutionenökonomie sowie Kultur- und Wirtschafts-geschichte
(Kapitel I–IV). Damit folgt er der Modeströmung, den Deutschen eine Reform
ihres Wohlfahrtsstaates zu empfehlen und nebenbei Afrika, den islamischen Ländern
und Russland Entwicklungsprobleme sowie China und den usa ihre Erfolge
zu bescheinigen (Kapitel V). Diese Kombination führt zu allerlei Schwächen, die
umso bedauerlicher sind, als hier ein Autor einen Titel voller Ansprüche vorlegt, die zu erfüllen er aufgrund seiner vielfältigen Vorarbeiten (die 29 Hinweise auf seine eigenen Arbeiten im gleichen thematischen Umfeld machen etwa zehn
Prozent des Literaturverzeichnisses aus) in der Lage sein sollte, die er aber beim
raschen Treiben zu seinen modischen Zielen aus den Augen verliert.
Die Ansprüche, die eine »kulturvergleichende Institutionenökonomie« bearbeiten
müsste, liegen auf dem Tisch der internationalen Debatte: Was sind die Erfolgsbedingungen
für nationale Ökonomien (so es sie denn so überhaupt noch
gibt) in der Globalisierung? Erzwingt der globale Wettbewerb eine Vereinheitlichung
oder doch Konvergenz der Systeme? Droht uns ein Kampf der Kulturen?
Diese Fragen können offensichtlich nicht im engen Rahmen der klassischen Ökonomie
beantwortet werden, die den Wettbewerb der Nationen als »gefährliche
Obsession« (Krugman) bezeichnet und Institutionen, insbesondere kulturelle, in
den Dunstkreis von Rahmen-bedingungen und individuellen Präferenzstrukturen
abschiebt. Leipold hat dies klar erkannt und sein Arbeitsfeld jenseits der so beschränkten
Nationalökonomie abgesteckt (S. 19–20).
Der Leser erhält in den folgenden Kapiteln II–IV zuerst einen guten Überblick
über die unterschiedlichen Ansätze einer »kulturellen Ökonomik« von Adam
Smith über Max Weber, Eucken, Hayek bis zur modernen Institutionenökonomie
(Williamson, North). Dieser Theoriegeschichte (Kap. II) folgt eine kurze Systematik
kulturgebundener Institutionen (Kap. III). Darauf setzt Leipold eine
Menschheitsgeschichte aus kulturökonomischer Sicht (Kap. IV), die diese theoretischen
Elemente empirisch anwendet und unterfüttert. Damit ist der Eisbrecher
fahrbereit. Aber das gewaltige Instrument weist leider einige Bruchstellen auf.
Die Institutionenökonomie ist recht allgemein auf der Ebene von Begrifflichkeiten
und grundsätzlichen Plausibilitätsüberlegungen vom Vorteil niedriger
Transaktionskosten und den Nachteilen der Rentenaneignung gehalten. Sie bleibt
damit Meilen hinter den ausgefeilten Modellen der neueren Ansätze von z.B. Acemoglu
oder Boix zurück, die die ökonomischen Ursachen für Demokratie und
Diktatur analysiert haben. Der geschichtliche Rückblick, der recht eurozentrisch
ausfällt, lässt ebenfalls einige der wichtigsten Erklärungs-ansätze vermissen. Weder
Michael Mann noch Charles Tilly haben Eingang in die Leipoldsche Geschichts-schreibung
gefunden. Der Verdacht liegt nahe, dass sie einer kulturzentrischen
Sicht etwas zu materialistisch sind, was übrigens auch für Acemoglu und Boix gilt.
Selbst von Jared Diamonds Makrogeschichte werden nur einige kulturbezogene
Elemente übernommen. Unerwähnt bleibt etwa sein zentrales materielles Argument,
das u.a. auf der Verfügbarkeit von Tier- und Pflanzenarten und deren Auswirkung
auf die Produktivitätsentwicklung in der Landwirtschaft, die ihrerseits
erst die weitere Entwicklung von Staat und Industrie ermöglicht, beruht. So
kommt es zu einem einseitig kulturlastigen Erklärungsansatz, bei dem wichtige
intervenierende Variablen wie z.B. Ressourcenausstattung wegfallen Das Bild
bleibt kurzschlüssig zwischen einigen – dafür oft wiederholten – institutionellen
Faktoren und der Wirtschaftsentwicklung, ohne dass die Kausalkette sauber gegliedert
und empirisch belegt wäre.
Mit diesem lecken Eisbrecher lässt sich dafür trefflich in der Modeströmung
kreuzen. Bezeichnenderweise widmet Leipold bei seinen sechs Kulturregionen
Afrika 15, China 12, Russland 8, den USA 15, dem Islam dagegen 49, und Deutschland
schließlich 29 Seiten. Das kommt gut in Zeiten des globalen Kulturkampfes
und der deutschen Reformdebatte. Leider lässt die brüchige theoretische Basis
auch nur brüchige Analysen zu. Auch hier vermisst man an der Stelle, wo ähnliche
Fragen diskutiert werden, wichtige theoretische Ansätze wie z.B. die »varieties of
capitalism« von Hall und Soskice oder die Wohlfahrtsstaatsystematik von Esping-
Andersen (S. 242), oder zu Deutschland den von Abelshauser vertretenen Ansatz
einer koordiniert gesteuerten wissensbasierten Spezialisierung, die durch Gastarbeiterzuwanderung
und Wiedervereinigung aus dem Lot geriet. Leipold bleibt
für ein »textbook« eklektisch und kann sich anscheinend nicht so recht entschließen,
ob er hier eine Theorie säkularer Entwicklungen oder eine praktische Erklärung
aktueller Trends, z.B. deutsche Wachstumsschwäche und US-Stärke, vorlegen
will. Was belegen die russischen Wachstumsraten von 2004 und 2005? Was
belegen die Indikatoren der gerade einmal seit einigen Jahren erhobenen und
ständig angepassten internationalen Vergleichsligen wie z.B. »World Competitiveness
Yearbook« etc.? Wie erklärt sich, dass ausgeprägte Wohlfahrtsstaaten wie
die Skandinavier dort Spitzenplätze einnehmen, obwohl nach Leipold die soziale
Sicherung über ein bestimmtes Maß hinaus wirtschaftlichen Schaden verursacht?
Was hat sich an der amerikanischen Kultur seit 1950 so verändert, dass das Land
nach globaler Dominanz in den 1970er Jahren zu den globalen Verlierern zählte,
um in den 1990er Jahren wieder nach vorn zu schießen?
Der Eindruck drängt sich auf, dass hier die derzeit beliebte Theorie (zu hohe
Löhne in Deutschland, die USA als globales Modell, Afrika und Islam als Dauerverlierer)
mit einem theoretischen Modell untermauert werden soll, das einerseits
viel weiter reicht, andererseits aber wichtige Unterschiede nicht erklären kann.
Gerade die komplexen Zusammenhänge zwischen der Wachstumsperformance
von Ländern und ihrer Position in der internationalen Wirtschaft bedürfen sorgfältiger
Analyse, wenn man nicht kurzfristigen Phänomenen wie Preis- und Wechselkursentwicklungen
aufsitzen will. Auffällig ist auch ein Stilwechsel zwischen einem
wissenschaftlich zurückhaltenden, vorsichtig abwägenden Duktus in den
vorderen Theorieteilen und einem eher normativ-bewertenden Stil in den Regionalstudien.
Schade, dass hier ein viel versprechender Ansatz der Tagesdebatte geopfert
wurde statt ihr zu größerer Rationalität zu verhelfen.
Michael Dauderstädt
Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn |