Peter Waldmann: Terrorismus und Bürgerkrieg. Der Staat in Bedrängnis
 
   
  Detlef Sack / Gerd Steffens (Hrsg.): Gewalt statt Anerkennung? Aspekte des 11.9.2001 und seiner Folgen
    
   Heft 2/2005  
    
  Waldmann: München 2003
Gerling Akademie Verlag, 269 S.
Sack/Steffens: Frankfurt am Main 2003
Peter Lang Europäischer Verlag der Wissenschaften, 263 S.
  
 

„Terrorism is theatre“ schrieb Brian M. Jenkins 1975.[1] Diese kurze, aber prägnante Formel wirkt auch nach 30 Jahren durch die täglich veröffentlichten Fotos und Videos von Entführungen, Hinrichtungen und Anschlägen aktueller denn je. Die Aufmerksamkeit des unbeteiligten Dritten zu erregen, die Weltöffentlichkeit zum Publikum des Konfliktes auf der Bühne der Medien werden zu lassen, ist eines der Ziele von spektakulären Anschlägen, deren psychologische Auswirkungen wie Angst, Faszination und emotionale Anteilnahme zur zentralen Strategie geworden sind. Der Kern dieses, bei fast 4000 Toten der Anschläge vom 11. September 2001 sicherlich zugespitzten Vergleiches, liegt in der Betonung des kommunikativen Charakters von Terrorismus. Mit der nicht zu leugnenden Symbolik der einstürzenden Twin Towers des World Trade Centers hat sich ein Bild in das Gedächtnis der Weltöffentlichkeit eingebrannt, das als Legitimation für weitreichende politische Folgen in der internationalen Politik dient. Es scheint derzeit, als würden beispielsweise die von Terrorgruppen im Irak entführten Ausländer ausschließlich zu Inszenierungszwecken hingerichtet, wie die weltweit verbreiteten ausführlichen Bilddokumentationen im Internet belegen.

Der Augsburger Soziologe Peter Waldmann definiert Terrorismus als „Kommunikationsstrategie“ (S. 38), die an die internationale Öffentlichkeit adressiert und im Gegensatz zu Bürgerkriegen durch die Asymmetrie der Konfliktparteien gekennzeichnet ist. Terrorismus ist demnach mehr Gewaltinszenierung als instrumentelle Gewalt, die wiederum bei Bürgerkriegen im Sinne militärischen Erfolges im Vordergrund steht. In seiner neuesten Veröffentlichung „Terrorismus und Bürgerkrieg“ legt Waldmann nach diversen Untersuchungen zu Staatszerfall, Bürgerkriegen und Terrorismus nun eine detaillierte und mit Fallbeispielen angereicherte Strukturanalyse der Gewaltphänomene Terrorismus und Bürgerkrieg vor. Waldmann wendet dabei eine makrosoziologische Perspektive an: die Typenunterscheidung in ethnisch-nationalistischen, sozialrevolutionären und religiösen Terrorismus. Allerdings ist er bei der Klassifizierung nicht ausschließlich auf Unterschiede fixiert. Vielmehr entdeckt er Gemeinsamkeiten sowohl in der Motivation, etwa im Rachegedanken, als auch im operativen Vorgehen, das vor allem in den Führungsgruppen des religiösen Terrorismus von Rationalität und Effektivität geprägt ist.

Der von Detlef Sack und Gerd Steffens herausgegebene Sammelband über den 11. September und seine Auswirkungen verfolgt dagegen einen anderen Ansatz. Die im Rahmen einer Ringvorlesung im Jahr 2002 an der Universität Kassel entstandenen Beiträge orientieren sich weniger an dem Phänomen Terrorismus generell, sondern untersuchen und beleuchten die spezifischen Hintergründe und Folgen der islamistisch motivierten Anschläge in New York und Washington. Auch wenn Jan Philipp Reemtsma in seinem Beitrag die Frage nach den Motiven terroristischer Gewalt aufgreift und dabei letztlich zu dem Schluss kommt, dass es bei dem modernen Terrorismus im Sinne rationaler Herangehensweisen über Ziele, Zwecke und Mittel nichts zu verstehen gäbe, stehen im Sammelband weniger Strategie und Struktur des Terrorismus im Vordergrund. Vielmehr betrachten die Beiträge die weltpolitischen und gesellschaftlichen Begleitumstände und Folgen des Terrors. Die Auswirkungen auf die internationale Politik (Werner Ruf) und die Innenpolitik (Klaus F. Geiger; Detlef Sack), das Verhältnis von Religion und Gesellschaft (Geert Hendrich; Jens Flemming), die Geschlechterordnung (Renate Kreile) und demokratietheoretische Überlegungen zu den Folgen des 11. Septembers (Eike Hennig) bilden die thematischen Schwerpunkte des Buches.

Peter Waldmann setzt in seinem Band andere Akzente, indem er die veränderten Strukturbedingungen, wie den Bedeutungsverlust der Staaten, ein starkes Bevölkerungswachstum und die globale Vernetzung und Globalisierung thematisiert und in Bezug setzt zu den Konfliktformen Terrorismus und Bürgerkrieg. Denn der Staat, so Waldmann, wirke bei beiden Formen der Gewalt als zentraler Bezugspunkt. (S. 18) Wie treffend der Autor die Konflikte charakterisiert, lässt sich an den Prognosen für die Entwicklung nach dem Ende des Irak-Krieges feststellen. Er prognostiziert „kleine und größere Aufstandsbewegungen sowie die Entstehung radikaler islamistischer Splittergruppen ..., die mit Widerstandsaktionen aller Art, bis hin zu terroristischen Anschlägen, gegen die ausländische Besatzungsmacht vorgehen werden.“ (S. 15) Ein Blick auf das aktuelle Geschehen im Irak wird ihm Recht geben.

Trotz der unterschiedlichen Blickwinkel liegt eine gemeinsame Intention der Analysen des Sammelbandes und Peter Waldmanns in der Auseinandersetzung mit den aktuellen Formen entgrenzter Gewalt und der Skepsis gegenüber der Einordnung in klassische Konfliktmuster. Zentraler Punkt ist deshalb, „ob heutige Kriege mit dem Instrumentarium bisheriger Kriegstheorie noch angemessen analysierbar sind“ (Sack/Steffens, S. 9), und ob nicht die Versuche „die Vielfalt dieser Erscheinungsformen in einer einheitlichen Formel zusammenzufassen, zum Scheitern verurteilt sind.“ (Waldmann, S.16) Waldmann versucht anhand ausgewählter Terrorismus- und Bürgerkriegsbeispiele deutlich zu machen, dass als Folge der entfesselten Form von Gewalt seiner Ansicht nach nur die extrem überlegene Gewalt, „der Staat oder eine sonstige übermächtige Instanz“ (S. 229) als Garant für Friedenssicherung das Gegenmittel sein kann.

Der Sammelband über die Folgen des 11. Septembers 2001 zeichnet zwar ein breites und vielfältiges Bild über die politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Anschläge, doch fehlt den Beiträgen weitestgehend die Auseinandersetzung mit den Spezifika des Terrors der Al-Qaida, deren Gewaltstrategie zum Sinnbild für die heutigen Kriege geworden ist. Der Aufsatz von Christoph Scherrer, der das „ölige Dreiecksverhältnis“ USA, Westeuropa und persischer Golf untersucht, beleuchtet etwa den ökonomischen Rahmen, in den der „Krieg gegen der Terrorismus“ eingebettet werden müsse. Scherrer macht dabei schon zu Beginn die Einschränkung, dass der Kampf ums Öl nur schwerlich als Interpretationsschablone für Selbstmordattentate dienen könne. Folglich kommt er zu dem Ergebnis, dass die Vormachtstellung der USA seit der Ära Bush junior wieder stärker auf der militärischen Überlegenheit beruhe und die Rolle des Faktors Erdöl erst dann umfassend beurteilt werden könne, „wenn der derzeitige Propagandakrieg hinter uns liegt.“ (S. 94) In einen größeren Zusammenhang setzt Werner Ruf die Anschläge des 11. Septembers. Er stellt in seinem Beitrag fest, dass der „relative Frieden“ des Kalten Krieges letztlich durch die Bipolarität der Weltordnung gesichert wurde. Den zweiten Golfkrieg Anfang der neunziger Jahre sieht Ruf als Zäsur auf dem Weg zum unipolaren System, in dessen Nachwehen der „Krieg gegen den Terror“ als direkte Folge des 11. Septembers in den provokanten Worten Rufs „wenn nicht wie ein Geschenk des Himmels, so doch wie ein Befreiungsschlag für die Handlungsoptionen der US-Regierung“ (S. 103) gelten kann.

Trotz des oftmals breit angelegten Versuchs der Einordnung des 11. Septembers, hätte manchem Beitrag ein stärkerer Rückbezug zum Ausgangspunkt des Bandes gut getan. Jens Flemmings detaillierte und kenntnisreiche Analyse der religiösen Durchdringung der deutschen Gesellschaft um 1900 könnte im Vergleich zu heutigen Gesellschaften im Licht der historischen Entwicklung äußerst fruchtbar sein - wenn er diese Brücke ins Hier und Jetzt nur schlagen würde. Man stellt sich jedoch nach der Lektüre die Frage, wo der Bezug zu den Anschlägen in den USA im Jahr 2001 liegt.

Während sich der Sammelband von Sack/Steffens mit den gesellschaftlichen und politischen Folgen des Terrorismus mehr oder minder stark beschäftigt, möchte Peter Waldmann die Antriebskräfte, die hinter der Gewalt stehen, benennen und die Strukturmechanismen von Terrorismus und Bürgerkrieg analysieren. Anhand der unterschiedlichen Terrororganisationen, etwa der IRA in Nordirland und der baskischen ETA in Spanien sowie des „periodischen Staatszerfalls“ (S. 149) in Kolumbien, versucht Waldmann die Beschaffenheit und Mechanismen der aktuellen entfesselten Gewalt zu untersuchen. Obwohl im Ansatz weniger eng an der Thematik des 11. Septembers angelegt, fällt dem Leser die Einordnung dieser weltbewegenden Attentate in den Gesamtkontext Terrorismus bei Waldmann leichter. In einem Kapitel zu Beginn geht er denn auch auf die Charakteristika der Anschläge von New York und Washington ein. Unter der Überschrift „Was war neu an den Anschlägen vom 11. September?“ kommt der Autor zu dem Ergebnis, dass weniger die Art und Form der Anschläge selbst, als die überzogene Reaktion auf sie sowie ihre mittelfristigen Auswirkungen das Neue sind. Der „hektische Aktionismus“ der westlichen Staaten scheint eher das Sicherheitsgefühl der Bürger als deren faktische Sicherheit zu stärken. (S. 35) Waldmann betont hier die sozialpsychologischen Folgen des Terrorismus sowie den Versuch auf diese zu antworten. In einem separaten Kapitel weist er dann auch auf die nicht zu unterschätzende Rolle der Massenmedien hin.

Letztlich bleibt die Erkenntnis, dass Terrorismus als Gewalttypus Ursache und Folgewirkung des internationalen politischen Geschehens zugleich sein kann. Während die Beiträge des Sammelbandes der Herausgeber Sack und Steffens die Anschläge in den weltpolitischen Kontext einzuordnen und dabei auch die Folgen für die Innenpolitik in Deutschland zu berücksichtigen versuchen, liegt Peter Waldmanns Erkenntnisinteresse in der Motivlage und der Strategie terroristischer Organisationen, womit er letztlich die spezifische Problematik des spektakulären Terrors überzeugender erfasst. Auch wenn der Sammelband den ihm eigenen Vorteil der verschiedenen Blickwinkel zu nutzen versucht, erscheinen für den an konzeptionell geschlosseneren Untersuchungen interessierten Leser Waldmanns Überlegungen die fruchtbareren zu sein. Die Texte zum 11. September beschränken sich mit wenigen Ausnahmen (Reemtsma, Elwert) auf die gesellschaftspolitischen Folgen, gehen aber zu wenig auf Motivlage, Einordnung und Spezifikum der Anschläge, die Akteure und deren Strategie ein, um daraus normative Reflektionen hinsichtlich der Logik des internationalen Terrorismus zu entwickeln. Aufgrund der Zunahme ähnlicher Anschläge auch in Europa, siehe Madrid 2004, ist die Strategie des spektakulären Anschlags eine bedeutende Folge des 11. Septembers. Übernimmt man Waldmanns berechtigte Akzentuierung des kommunikativen Charakters der terroristischen Gewalt, so ist es jenes Merkmal, das gerade in dem Sammelband über die weltweit in Live-Bildern übertragenen und augenscheinlich auf Effekt ausgerichteten Anschlägen von New York und Washington gänzlich fehlt.

[1] Jenkins, Brian M.: “International Terrorism: A New Mode of Conflict. ” In: Carlton, David; Schaerf, Carlo (Hrsg.): International Terrorism and World Security. London 1975, S. 13-49, hier S. 16.

Jochen Fischer, Marburg

     
      
 
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