Bernard Funck / Lodovici Pizzati (eds.): European Integration, Regional Policy, and Growth
 
    
   Heft 2/2005  
    
  Washington 2003
Weltbank, 271 S.
  
 

Dieser Tagungsband enthält Beiträge zu einer Konferenz, die die Weltbank, die Bertelsmann Stiftung und die spanische Stiftung CIDOB (deren voller Name nirgends auftaucht, weshalb die Abkürzung dem Leser unerklärt bleibt) im Oktober 2002 in Barcelona veranstalteten. Angesichts der bevorstehenden Erweiterung der EU um 8 auf 10 (wenn man Bulgarien und Rumänien einschließt) arme Länder wollten die Organisatoren prüfen, in wie weit die wachsenden Einkommensdisparitäten in der erweiterten EU durch aufholendes Wachstum in den neuen Mitgliedsländern abgebaut werden könnten und welchen Beitrag eine – gegebenenfalls zu reformierende – EU-Regionalpolitik (d.h. Strukturfonds, Kohäsionsfonds etc.) dazu leisten könnte. Der vorliegende Band versprach ebenso wie die ihm zugrundeliegende Konferenz eine umfassende und tiefe Aufarbeitung der Fragestellung, waren doch reiche und/oder angesehene Institutionen an einem attraktiven Ort angetreten , die Probleme zu diskutieren – ein Mix, der in der Regel die bekanntesten Experten anzieht.

Leider sind die Ergebnisse kümmerlich, wie es die Herausgeber in ihrer zusammenfassenden Einleitung formulieren: „.. how limited our understanding... remains“ (S. 13). Oder wie eine der Schlüsselteilnehmerinnen, die zuständige Direktorin aus der EU-Kommission, Carole Garnier, in ihrem Schlusswort einräumt: „It is difficult to conclude a seminar devoted to such complex issues ... whose mechanisms are not fully understood“ (S. 249). Zwischen diesen beiden enttäuschenden Erkenntnissen am Anfang und am Schluss findet der neugierige Leser auf über 200 Seiten eine Fülle täuschender Erkenntnisse in 19 sehr unterschiedlichen Beiträgen von Theoretikern und Praktikern, Experten für die EU-Regionalpolitik und Vertretern aus Kohäsions- und Beitrittsländern. Die Unterschiede beginnen im Umfang: Der zentrale Beitrag von Boldrin und Canova erstreckt sich über mehr als sechzig Seiten und nimmt damit ein gutes Viertel des ganzen Buches ein. Alle übrigen Beiträge gehen über beanspruchen weniger als zwanzig und teilweise deutlich unter zehn Seiten (der Abschnitt über Lettland hat knapp zwei Seiten). Die Länderstudien fallen auch qualitativ sehr unterschiedlich aus und repräsentieren eine merkwürdige Auswahl. Sie umfassen Süditalien, Irland, Spanien, überflüssigerweise (wahrscheinlich eine Konzession an den Standort der Konferenz) zusätzlich Katalonien, die Slowakei, Slowenien und Lettland. Dagegen fehlen die Altmitglieder Griechenland (ein besonders abschreckendes Beispiel für Stagnation trotz oder wegen massiver Transfers), Portugal und das – ansonsten oft erwähnte – Ostdeutschland , und unter den Neumitgliedern vermisst man vor allem Polen, aber auch Ungarn, dessen Strategie am ehesten der Irlands gleicht. Schließlich unterscheiden sich auch die wirtschaftstheoretischen und ordnungspolitischen Grundansätze und – -überzeugungen der Autoren. Während z.B. Boldrin und Canova oder Steinherr einer neoklassischen Skepsis gegenüber allen staatlichen Eingriffen in Wirtschaftsprozesse zuneigen, vertrauen andere (z.B. Fuente, Blazek, Bruncko) aus verschiedenen Gründen in die Regionalpolitik und eine soziale Marktwirtschaft.

Aus diesem Konglomerat kann jeder Leser entsprechend seinen Neigungen Argumente für seine Position finden. Mit Boldrin und Canova kann er für eine völlige Abschaffung der EU-Regionalpolitik plädieren, da sie keinen Beitrag zur Reduzierung der Einkommensdisparitäten leistet, sondern eher einen Beitrag dazu, schlechte nationale Politiken zu alimentieren. Mit Barry, Fuente, Barca oder Garnier darf er hoffen, dass die Regionalpolitik doch hilft, wenn sie von klugen nationalen Politiken begleitet wird , und dass sie sogar der EU einen Hebel in die Hand gibt, schlechte nationale Politiken zu korrigieren (z.B. durch die „erzwungene“ Abschaffung der notorisch ineffizienten Cassa del Mezzogiorno). Ärgerlich bleibt, dass diese widersprüchlichen Auffassungen selten direkt konfrontiert werden, und manche Autoren zwar ihre unmittelbar zum Thema gehörigen Aussagen theoretisch und empirisch begründen, aber nicht ihre ständig eingeschleppten ideologischen Prämissen. So glauben die liberalen Hauptautoren Boldrin und Canova einfach, dass Freihandel zu Einkommenskonvergenz führt und „belegen“ das mit dem Hinweis auf Südostasien, ohne aber z.B. die Stagnation der AKP-Staaten oder Mittelmeerländer zur Kenntnis zu nehmen, die Jahrzehnte von freiem Marktzugang zur EU „profitiert“ haben. So kann man auf Seite 70 Mitte sagen, die Entwicklung in der EU-15 seit den 1980er Jahren belege, dass Handelsöffnung zu Aufholprozessen der ärmeren Regionen führe und auf der gleichen Seite 70 unten (als Kritik an der Regionalpolitik) sagen, dass es keinen sichtbaren Einfluss auf die Konvergenz innerhalb von Ländern gebe. Offen bleibt letztlich auch die alte kontrafaktische Frage, ob das Wachstum bzw. die Konvergenz ohne die Regionalpolitik nicht vielleicht noch schlechter gewesen wäre, worauf Blazek hinweist (S. 121).

So zieht sich durch das ganze Werk einerseits eine begründete Skepsis an der EU-Regionalpolitik, andererseits eine offen eingeräumte Unkenntnis, was eigentlich Wachstum verursacht (Produktivität ja, aber deren Quellen „are always mysterious“; S. 60). Hier hätte vor allem ein genauerer Blick - genauer, als ihn der dafür zuständige Autor Barry tut - auf das einzig „wirkliche Konvergenzwunder“ Irland gelohnt. Der hätte einmal gezeigt, dass nicht nur die regionalen Disparitäten in Irland zugenommen haben (was Garnier am Ende des Buches auf S. 252 darlegt), sondern die Lohnquote um etwa ein Drittel abnahm, das Bruttosozialprodukt deutlich langsamer als das in diesem Band ausschließlich betrachtete Bruttoinlandsprodukt wuchs, und die spektakuläre Produktivität der ausländischen Investitionen nicht nur der klugen Nutzung europäischer Gelder, sondern vor allem auch den steuersparenden „transfer pricing“ Techniken der multinationalen Unternehmen zuzuschreiben sind. Viel zu wenig deutlich wird auch, dass die Konvergenz zwischen Staaten in der EU-15 ab 1990 vor allem ein Produkt der Währungsunion und der Zinssenkungen in den peripheren Ländern war.

Potenziellen Lesern kann man nur raten, sich auf die gute Zusammenfassung der Herausgeber zu beschränken, die das folgende Chaos ehrlich und noch relativ gut sortiert darlegen. Des Weiteren können sie sich dann entscheiden, ob sie ihre vorgefassten Meinungen lieber bestätigen oder kritisch hinterfragen lassen wollen, und die entsprechenden Beiträge zur Lektüre auswählen. Es finden sich dann allemal viele schöne und entsprechend vielseitig brauchbare Statistiken und Argumente.

Michael Dauderstädt
Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn

     
      
 
   << zurück Rezensionen/ Übersicht
 
 
     
© Friedrich Ebert Stiftung  net edition: Gerda Axer-Dämmer | 04/2005   Top