Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 4/2001


Zu diesem Heft

Die beiden Themenschwerpunkt der vorliegende Ausgabe der IPG sind Weichenstellung für Entwicklung und Bedrohungs- und Kriegsszenarien. Darüber hinaus analysieren Jürgen Kahl die Bedeutung des Beitritts Chinas zur WTO und Carlos Santiso die Probleme und Perspek­tiven der internationalen Demokratieförderung.

Es steht außer Zweifel, dass dieser letztgenannte Aufsatz von Carlos Santiso für eine von der Friedrich-Ebert-Stiftung herausgegebene Zeitschrift von besonderer Relevanz ist. Santiso setzt sich mit dem Projekt auseinander, das im Zentrum der internationalen Arbeit der deutschen politischen Stiftungen steht: Der Förderung der Demokratie in Entwicklungs- und Transformationsländern. Santiso erwähnt die deutschen  Stiftungen zwar nur am Rande und im Singular, wobei er die Grenzen seiner Kenntnisse hinter der Bemerkung versteckt, die Stiftungsarbeit sei noch nicht ausreichend analysiert. Mit seiner Analyse und Kritik der offiziösen Förderungspolitik beleuchtet Santiso jedoch indirekt auch die Tätigkeit der Stiftungen, die er implizit bestätigt.

Die offiziöse Politik folgt, wie Santiso kritisch bemerkt, einer Schablone. Die Demokratie wird in dem Dreischritt: Wahlen plus Aufbau demokratischer Institutionen plus Förderung der Zivilgesellschaft installiert. Die Demokratieförderung nach Schablone (democracy template) kann der vielfältigen und unvorhersehbaren Realität in den Entwicklungs- und Transformationsländern jedoch nicht gerecht, die zur Zeit von Belarus bis Paraguay zu beobachtende Stagnation der Demokratisierung kann im Rahmen dieses standardisierten Ansatzes nicht überwunden werden. Die „Schablone“ hat jedoch auch einen impliziten Vorteil, den auch der Aufsatz von Santiso bezeugt: Sie lässt sich kritisieren, differenzieren und strategisch weiter entwickeln. 

Die Arbeit der deutschen Stiftungen ist alles andere als schablonenhaft. Dies liegt schon daran, dass sechs politische Stiftungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten agieren. Die internationale Arbeit der Stiftungen ist zudem eher pfadabhängig als strategisch. Ihr liegt kein Masterplan zugrunde. Zwar würden die Stiftungen die Gesamtheit ihrer internationalen Aktivitäten als direkte oder indirekte Beiträge zur Demokratisierung interpretieren, sie würden sie aber kaum ohne Rest dem Oberbegriff  „Demokratieförderung“ subsumieren, da sie parallele Ziele (soziale Interessenvertretung, wirtschaftliche Entwicklung, Erwachsenenbildung, Frauen­förderung u.a.) gleichrangig verfolgen. Auch ist ihr Demokratiebegriff weiter gefasst, das heißt nicht auf die politischen Institutionen im engeren Sinne (plus Zivilgesellschaft) be­grenzt. Die Tätigkeit ist vielfältiger; die Stiftungen sind daher auch eher in der Lage, auf unterschiedliche und veränderliche Bedingungen flexibel zu antworten. Diesen Vorteilen entspricht, spiegelverkehrt zum offiziösen Modell, ein Nachteil: Trotz (oder wegen) ihrer Flexibilität haben sie es schwerer, systematisch organisatorische Lernprozesse zu absolvieren.

Der Erfahrungshintergrund des Beitrags von Carlos Santiso ist die amerikanische Demokratieförderung. Diese unterscheidet sich von der Praxis der deutschen Stiftungen in mehrerlei Hinsicht. Ein erster Unterschied betrifft das Verhältnis von Parteien und Zivilgesellschaft. Die Förderung zivilgesellschaftlicher Organisationen spielt in der amerikanischen wie der deutschen  Praxis eine wichtige Rolle. Die hohe Relevanz der Zivilgesellschaft ergibt sich im amerikanischen Fall aber aus einem grundlegenden Staatspessimismus. Das notwendige Misstrauen gegenüber der Exekutive, insbesondere in gerade demokratisierten Staaten, wird zu einer Art liberalen Generalverdachts gegenüber dem Staat. Dieser Staatspessimismus kann zur Gefahr werden, wenn, wie in vielen Entwicklungs- und Transformationsländern, das Problem nicht in staatlicher Übermacht, sondern in unzureichender Staatlichkeit liegt. Die Alternative zum Staatsversagen, so zitiert Santiso zutreffend, kann nur der Staat sein. Mit der Förderung einer scheinbar autonomen Sub- oder Antipolitik „der“ Gesellschaft droht die Demokratieförderung die Legitimität demokratisch gewählter Regierungen auszuhöhlen. Die Stiftungen dagegen ziehen die Grenze zwischen Zivilgesellschaft und Staat weniger scharf. Die politischen Parteien, die an der Schnittstelle zwischen Zivilgesellschaft und Staat angesiedelt sind,  werden nicht von der Zivilgesellschaft abgegrenzt und der eng definierten Sphäre der Politik zugeschlagen, sondern als für die Zivilgesellschaft offene Organisationen angesehen. Gleichzeitig werden auch die Grenzen zivilgesellschaftlicher Organisationen respektiert. Diese liegen nicht nur in einem demokratischem Legitimationsdefizit auf der Inputseite, sondern auch in ihrer strukturellen Inkompetenz auf der Outputseite: Ehe sich zivilgesellschaftliche Impulse in legitimes staatliches Handeln umsetzen, müssen sie eine ganze Reihe von Schleusen passieren, wobei die Parteien das Reservoir professioneller Schleusenwärter stellen.

Ein zweiter Unterschied, auf den Santiso hinweist, liegt im der Demokratieförderung zugrunde liegenden Pluralismuskonzept. Die amerikanischen Organisationen und die deutschen Stiftungen sicherlich darin übereinstimmen, dass die Demokratie den politischen Rahmen für einen pluralistischen Wettbewerbs der Werte und Interessen ist. Im amerikanischen Konzept allerdings steht die Installation dieses Rahmens vor und über diesem Wettbewerb, daher die von Santiso beobachtete Zurückhaltung bei der Förderung politischer Parteien. Die deutschen Stiftungen dagegen sind von vornherein schon aufgrund ihrer Organisationsform „parteiisch“, das heißt: bestimmten politischen Richtungen zugeneigt. Sie sind nicht nur vom demokratischen Pluralismus überzeugt, sondern repräsentieren ihn. Vereinfacht: Der amerikanische Ansatz konzentriert sich auf die Konstruktion der Formen, in denen demokratische Willensbildung stattfinden kann, ohne den Ausgang dieses Prozesses beeinflussen zu wollen; der Ansatz der Stiftungen dagegen konzentriert sich auf den Inhalt – auf materielle politische Optionen und deren Träger.

In diesem Zusammenhang ist drittens schließlich auf eine Differenz im Verständnis gesellschaftlicher Interessen hinzuweisen. Der amerikanische Ansatz kennt im Grunde nur zwei wirklich relevante Interessengruppen: Die Befürworter und die Gegner der Demokratie. Die zentrale gesellschaftliche Konfliktlinie liegt zwischen einer genuin als demokratisch gedachten Gesellschaft und einem in der Tendenz immer der Verführung der Autokratie ausgesetztem Staat. Wirtschaftliche und soziale Interessengegensätze werden ausgeblendet. Gerade diese stehen aber im Zentrum der Arbeit der Stiftungen. Demokratieförderung wird auch als die Befähigung der Individuen und sozialen Gruppen verstanden, ihre Interessen öffentlich, effektiv und gewaltfrei zu vertreten. Die Demokratie hebt gegensätzliche soziale Interessen nicht auf, sondern ermöglicht es, deren Widerstreit im „politischen Prozess“ in einer Form auszutragen, in der der politische Rahmen nicht immer wieder zur Disposition gestellt wird.

Natürlich: Diese Unterschiede sollten nicht überbetont werden. Sie sollten als unterschiedliche Akzentuierungen verstanden werden, die zueinander im Verhältnis wechselseitiger Ergänzung stehen. In der Praxis ist die Demokratieförderung ein gemeinsam und oft auch kooperativ betriebenes Projekt amerikanischer und deutscher Organisationen. Eine genauere gegenseitige und Selbstbeobachtung könnte es aber erleichtern, die der jeweils eigenen Arbeit zugrunde liegenden Annahmen zu überdenken. Für die amerikanische Praxis der Demokratieförderung könnten die vielfältigen Ansätze und Erfahrungen der deutschen Stiftungen ein Impuls sein, die eigene Arbeit flexibler zu gestalten; für die deutschen Stiftungen könnte die es amerikanische Praxis der systematischen Selbstreflexion – und der Beitrag von Carlos Santiso steht hier für eine ganze Literaturgattung – erleichtern, auch die eigenen Aktivitäten einer intensiveren Selbstreflexion zu unterziehen.


© Friedrich Ebert Stiftung | net edition malte.michel | 9/2001