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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 2/2002

Hanns W. Maull
Containing Entropy, Rebuilding the State: Challenges to International Order in the Age of Globalisation

Andreas Wittkowsky
Modellfall Kosovo?
UNMIK und die Architektur künftiger internationaler Mandate

Arne Heise
Der Kölner Prozess: Ein vernachlässigter Aspekt der europäischen Beschäftigungspolitik

Hans Platzer
Europäisierung und Transnationalisierung der Arbeitsbeziehungen in der EU

 

Hanns W.Maull

Staatszerfall und Staatsaufbau: Herausforderungen internationaler Ordnungspolitik in den Zeiten der Globalisierung

(Original: Containing Entropy, Rebuilding the State: Challenges to International Order in the Age of Globalisation)

Internationale Ordnungspolitik braucht ein stimmiges Konzept, wie die Internationale Ordnung beschaffen sein sollte. Dieses Konzept muss sich einerseits an dominierenden westlichen Wertorientierungen von Demokratie und globaler Marktwirtschaft orientieren, andererseits aber auch außerhalb der westlichen Welt Legitimität finden. Erfüllt werden könnten diese Anforderungen durch eine Vision  internationaler Ordnung, die auf eine systematische Zivilisierung der Konfliktaustragung und die Verregelung und Verrechtlichung der internationalen Beziehungen abzielt. Dies impliziert ein Ordnungsmodell, in dem die Unterschiede zwischen demokratischer Innenpolitik und Welt-Ordnungspolitik schrittweise zurückgedrängt und schließlich aufgelöst werden. Die Realisierung einer derartigen Konzeption wird gegenwärtig und auf absehbare Zukunft eher durch Steuerungsdefizite der internationalen Ordnungspolitik und die Eigendynamik von Globalisierungsprozessen als durch Gegenspieler mit anderen ordnungspolitischen Entwürfen gefährdet. Auch die Gefahren, die vom islamischen Fundamentalismus ausgehen, sind letztlich nur Folgeerscheinungen einer durchgängigen Tendenz zur politischen Entropie. Um die Probleme zu überwinden, braucht internationale Ordnungspolitik zuförderst leistungsfähige Staaten. Der moderne, demokratische Nationalstaat hat die Zivilisierung der Konfliktaustragung in den eigenen Grenzen zwar in der Regel erreicht, aber in vielen nichtwestlichen Ländern existieren Institutionen moderner Staatlichkeit nur unvollständig oder gar nicht. Die internationale Gemeinschaft ist aufgerufen, hier staatsbildend einzugreifen. Zugleich gerät der Nationalstaat auch im Westen durch Prozesse der Globalisierung unter Druck: Nur über zwischenstaatliche und supranationale Zusammenarbeit kann er verlorene Handlungsfähigkeit wiedergewinnen. Eine Schlüsselrolle kommt beim Aufbau einer den Problemen angemessenen Weltordnung der Zusammenarbeit zwischen den USA und der Europäischen Union zu. Grundsätzliche Vorbehalte Amerikas gegen eine derartige Ordnungskonzeption einerseits und die unzureichende Handlungsfähigkeit der EU andererseits stehen indes der Umsetzung dieser Vision im Wege.

 

Andreas Wittkowsky

Modellfall Kosovo?
UNMIK und die Architektur künftiger internationaler Mandate

Gegenwärtig zeigt die internationale Öffentlichkeit erneut Interesse an Eingriffsmöglichkeiten in Regionen, die durch dauerhafte Konflikte und Staatszerfall gezeichnet sind. Als mögliches Modell wird die UN-Übergangsverwaltung im Kosovo (UNMIK) gehandelt. Tatsächlich hat UNMIK eine beachtliche Erfolgsbilanz vorzuweisen und Chancen zur friedlichen Konfliktbearbeitung geschaffen (die nun allerdings durch die lokalen politischen Kräfte genutzt werden müssen). UNMIK war besonders dort erfolgreich, wo schnell konkrete Lieferungen und Leistungen zu erbringen waren (z.B. Nothilfe) oder internationale Experten weitgehend problemlos Verantwortung für Verwaltungshandeln übernehmen konnten. Wenig überraschend sind größere Schwierigkeiten im Bereich des Aufbaus jener Institutionen zu beobachten, die auf veränderten Verhaltensmustern und ihrer grundsätzlichen Akzeptanz in der Gesellschaft beruhen. Diese sind selbst im positivsten Fall nur längerfristig zu verankern. Zudem sträuben sich maßgebliche Teile der Gesellschaft im Kosovo gegen einen Teil dieser Institutionen. Besondere Probleme resultieren aus der gewollt offen gehaltenen Frage des künftigen völkerrechtlichen Status des Kosovo. Politisches Kernproblem ist die längerfristige Akzeptanz des Mandats durch die Kosovaren sowie die Durchsetzung entsprechender Politiken. Zweifel an der beliebigen Wiederholbarkeit des Modells läßt die Erkenntnis aufkommen, dass die bisherige Erfolgsgeschichte auf einigen glücklichen Rahmenbedingungen beruht. Hierzu zählen insbesondere die flächendeckende Präsenz der Sicherheitsorgane, enge wirtschaftliche, familiäre und kulturelle Kontakte der Kosovaren zur Europäischen Union, ein hohes Maß an Eigeninitiative und – bedingt durch die kosovarische Sozialstruktur – eine beträchtliche innerer Stabilität. Für künftige internationale Mandate ist eine robuste, aber realistische Ausgestaltung anzuraten. Zur Robustheit kann u.a. beitragen, zivile und militärische Aufklärungs- und Polizeifunktionen zu koppeln, frühzeitig internationale Rechtsinstanzen einzurichten und eine starke politische Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Ein hoher Stellenwert gebührt dem Umgang mit strittigen Eigentumsfragen, die ein wesentlicher Anlass für fortgesetzte Konflikte sein können. Zur realistischen Ausgestaltung des Mandats kann beitragen, frühzeitig politische Verantwortung an die lokalen Eliten zu übertragen, um ein entsprechendes „ownership“ zu schaffen. Die Lösung der gesellschaftlichen Kernaufgabe – der Bildung einer modernen Nation und die daran hängende Legitimierung staatlicher Gewalt - kann allerdings nicht von außen kommen.

 

Jochen Müller

Das islamische Argument Warum sich so viele Araber umringt von Feinden sehen

In den Versuchen, die Anschläge vom 11. September 2001 zu erklären, griff eine These auf  einen „unaufgeklärt“ gebliebenen Islam zurück, während andere den islamistischen Terror als Folge der Globalisierung verstehen wollten. Beide Perspektiven kümmerten sich jedoch recht wenig um Geschichte und Gegenwart der verschiedenen Strömungen des politischen Islams. Dabei zeigt ein Blick in die nahe Vergangenheit, wie sich bereits im 19. Jahrhundert im Nahen und Mittleren Osten ein islamischer Diskurs als Reaktion auf Kolonialismus und Unterwerfung herausbildet. Bis heute ist die Behauptung einer fortgesetzten Bedrohung und Demütigung "der Muslime" durch "den Westen" wesentliches Motiv einer kollektiven islamischen Identität in vielen Staaten der Region. Dieses verbreitete Gefühl einer äußeren Bedrohung machen sich sowohl die autoritären Regime in der Region als auch die verschiedenen Spielarten des politischen Islam zu Nutze: Sie fördern Verschwörungstheorien wie den Antisemitismus und lenken von einer emanzipatorischen Kritik an den sozialen Widersprüchen ihrer Gesellschaften ab. Im Unterschied zum moderaten „Mainstream-Islamismus“, der sich etwa in Gestalt der Muslimbrüder den politischen Systemen in der Region anpasst, appellieren die Gruppierungen des radikalen Islams vor allem mit der Absicht an das tief im kollektiven Bewusstsein verwurzelte „koloniale Erbe“, ihren militanten Kampf zu  begründen. Sie wähnen sich als Verteidiger des muslimischen Kollektivs und sehen ihre Ideologie mit dem Krieg der Anti-Terrorallianz gegen die Taliban sowie in den weiteren westlichen Interventionsplänen bestätigt. Allerdings richtete sich der Terror der Radikalen bisher fast ausschließlich gegen die eigenen nationalen Regime, die sie als „unislamisch“ brandmarken. Innerhalb des in den vergangenen Jahren auf lokaler Ebene stark geschwächten radikalen Spektrums des Islamismus stellt der international operierende Jihad-Islam – repräsentiert vor allem durch Al Qaida – daher einen Sonderfall dar.

Michael Dauderstädt

Anpassungszwänge und Legitimationsverlust: das europäische Dilemma

Die EU vertieft und erweitert sich gleichzeitig. Die Vertiefungsschritte im Sinne einer Liberalisierung der Märkte und Harmonisierung der Politiken haben das Spielfeld in Europa immer weiter eingeebnet, auf dem die Menschen, Unternehmen, Regionen, Länder um ihre Wohlstandschancen kämpfen. Damit verändert sich auch die Natur der Verteilungskonflikte und Anpassungsprozesse, die nicht mehr nur national, sondern auch europäisch wahrgenommen werden. Dazu kommt die Erweiterung, mit der noch deutlich heterogenere, vor allem ärmere Spieler das eingeebnete Spielfeld betreten. Deren Interesse an aufholendem Wachstum droht durch eine ineffiziente Regionalpolitik und eine stabilitätsfixierte Geld- und Währungspolitik frustriert zu werden. Die Konkurrenz der zahlreicheren ärmeren Regionen trifft auf Wohlfahrtsgesellschaften, deren eigene Regime ohnehin schon massiven Anpassungszwängen (Demographie, Globalisierung) aus unterschiedlichen Gründen unterworfen sind. Arbeitslosigkeit und Ungleichheit drohen weiter zuzunehmen und mit ihr oft die Unfähigkeit nationaler Politik, die notwendigen schmerzhaften Reformen durchzusetzen. Stattdessen verweist sie gern auf Brüssel als die schuldige Instanz. Die Anpassung der (nationalen) Verteilung von Einkommens- und Wohlstandschancen ist immer ein hochpolitischer Prozess– erst recht in den europäischen Demokratien. Verlieren traditionelle Anpassungsmuster ihre Wirksamkeit oder Zulässigkeit, so verschärfen sich inner- und zwischenstaatliche Verteilungskonflikte und verlangen nach neuen, der Integration angemessenen, nationalen Strategien oder besseren supranationalen Politiken. Während der nur unzureichend demokratisch legitimierte europäische „Suprastaat“ die Bedingungen nationaler Politik verändert, untergraben deren sozial wenig akzeptable Resultate die Legitimation der europäischen Integration und eventuell sogar der (nationalen) Demokratie. Mehr Subsidiarität, Differenzierung und Flexibilisierung der Integration sowie die Demokratisierung der Institutionen der Union könnten die europäische Politik für die betroffenen gesellschaftlichen Interessen stärker öffnen und damit ihre soziale Ausgestaltung befördern. Aber das Prinzip des Gemeinsamen Marktes setzt der Autonomie, die die EU den nationalen Regierungen beim Einwirken auf ihre nationalen Wirtschaften zugestehen kann, auch Grenzen.

Arne Heise

Der Kölner Prozess: Ein vernachlässigter Aspekt der europäischen Beschäftigungspolitik

(Original: The Cologne Process: a Neglected Aspect of European Employment Policy)

Seit der Amsterdamer Revision des Vertrages von Maastricht hat die Europäische Union ihre Verantwortlichkeit für die Beschäftigungsentwicklung akzeptiert. Auf verschiedenen EU-Gipfeln wurde dann ein Dreisäulenkonzept der europäischen Beschäftigungspolitik herausgearbeitet, das auf Arbeitsmarktpolitik (Luxemburg-Prozess), Güter- und Finanzmarktreformen (Cardiff-Prozess) und eine Abstimmung der makroökonomischen Politikbereiche Geld-, Finanz- und Lohnpolitik (Kölner Prozess) setzt. Fast unbemerkt von Wissenschaft und Öffentlichkeit ist auf dem EU-Gipfel von Köln im Jahre 1999 ein Verfahren geschaffen worden, das für einen das Wirtschaftswachstum - und damit die Beschäftigung - begünstigenden Politik-Mix sorgen soll. Dem liegt die Einsicht zugrunde, dass die Europäische Zentralbank, der Ecofin-Rat und die Sozialpartner ihr Verhalten aufeinander abstimmen müssen, um eine Marktkonstellation zu schaffen, in der die europäischen Beschäftigungsprobleme zu lösen wären. Doch es zeigte sich sehr schnell, dass diese Erkenntnis keine nachhaltigen Kooperationsanstrengungen auszulösen vermochte. Offensichtlich entsprang der Kölner Prozess einer Situation, als nach der Wahl von Bundeskanzler Schröder und Finanzminister Lafontaine kurzzeitig ein anderer Politikwind durch die EU wehte. Die weitgehende Wirkungslosigkeit des EU-Makrodialogs beruht (a) auf seiner systematischen Unvereinbarkeit mit den übrigen Politikverfahren der europäischen Wirtschaftspolitik, insbesondere dem Stabilitäts- und Wachstumspakt, (b) der mangelnden institutionellen Einbettung der Kooperation und (c) dem Opportunismus von Politikern, die sich nicht gegen den wirtschaftspolitischen Zeitgeist stark machen wollen.

 

Hans Platzer

Europäisierung und Transnationalisierung der Arbeitsbeziehungen in der EU

Seit Mitte der 90er Jahre bilden sich in der EU neue überstaatliche Arbeitsbeziehungsstrukturen heraus, deren Entwicklungsdynamik auf einem Wandel des EU-Regulierungsmodus im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik  basiert. Den europäischen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden steht nunmehr die Option autonomer Kollektivverhandlungen auf europäischer Ebene offen. Zudem können sie in bestimmten, Bereichen sozial- und arbeitspolitische Vereinbarungen treffen, die dann qua Ministerratsbeschluss in die gemeinschaftliche Sozialgesetzgebung übergehen. Den in mehrfacher Hinsicht dynamischsten Pol der Europäisierung der Arbeitsbeziehungen bilden die Europäischen Betriebsräte (EBR). Die Richtlinie zu ihrer Einrichtung vom September 1994 schuf erstmals eine Institution des kollektiven Arbeitsrechts auf europäischer Ebene. Gerade weil sie kein verbindliches „Modell“ vorgibt, zwingt sie die betroffenen Unternehmensleitungen und Belegschaftsvertretungen, die Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften, sich mit diesem „Projekt“ auseinander zu setzen. Dadurch entstehen neue Anforderungen an die Kommunikation, Verhaltenskoordination und Verhandlungsvorbereitung der beteiligten Akteure. Ob die Europäischen Betriebsräte zur Keimzelle eines transnationalen „Konzernsyndikalismus“ werden, ist derzeit freilich noch offen. Was den harten Kern der Arbeitsbeziehungen betrifft, nämlich die Tarifverhandlungen über Entlohnung, Arbeitszeit und dergleichen, so stehen einer wirksamen Europäisierung sowohl die Organisationsschwäche der Gewerkschaften als auch das Desinteresse der Arbeitgeber entgegen. In deren Sinn ist es nicht, den Wettbewerb zwischen den nationalen Arbeitnehmerschaften – der vor dem Hintergrund der hohen Arbeitslosigkeit in weiten Teilen der EU besonders wirksam ist – durch gesamteuropäische Abmachungen zu begrenzen. Auch die Gewerkschaften selber sind durch die Einbindung in wettbewerbsorientierte nationale „Modernisierungspakte“ gehindert, gesamteuropäische Kampffronten aufzubauen. Hinzu kommt, dass die EU im tarifpolitischen Bereich kein europäisches Regelwerk geschaffen hat. Die Einrichtung des „Sozialen Dialogs“ blieb entsprechend „zahnlos“.


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