Internationale Politik und Gesellschaft
International Politics and Society 4/2003

 

 




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Der Poker um das Öl im Kaspischen Meer

Uwe Krüger* 

Für den Weltmarkt insgesamt ist das kaspische Öl relativ unbedeutend. Für die Staaten der Region hat der Verlauf der Pipelines jedoch hohe politische Priorität. Das Gerangel um Transiteinnahmen und Versorgungssicherung wird überlagert von geopolitischen Positionierungsbestrebungen der Großmächte, die sich die Instabilitäten der kleinen Kaukasusländer zunutze machen. Iran ist bislang der große Verlierer.

 

Nach den Anschlägen am 11. September 2001 in New York und Washington sind der Kaukasus und Zentralasien stärker in das Blickfeld der Vereinigten Staaten geraten. Der Kampf um Einfluss in der Region hat zur Folge, dass sich die Interessen der USA  mit denen anderer Mächte kreuzen. Dazu zählen vor allem Russland und China, aber auch die Türkei und Iran. Anti-Terror-Kampf und wirtschaftliche Interessen führten zu neuen Allianzen. Umworben werden dabei ehemalige Sowjetrepubliken wie Aserbaidschan, Kasachstan, Georgien, Usbekistan und Kirgistan. Diese Staaten werden autoritär regiert und sind von westlichen Demokratievorstellungen weit entfernt.

Bereits nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sah die westliche Industriewelt eine Chance, mit der Erschließung der Rohstoffvorkommen im Kaspischen Raum die Abhängigkeit von den Golfstaaten zu verringern und die eigenen wachsenden Bedürfnisse zu decken. Der weltweite Bedarf liegt bei 75 Millionen Barrel (Ein Barrel ist gleich 159 Liter) täglich und wird Prognosen zufolge bald auf 90 Millionen Barrel wachsen.  20 Millionen Barrel verbraucht allein die US-Wirtschaft täglich. Während 1973 der Anteil des von den USA importierten Öls bei 37 Prozent lag, ist er derzeit auf 56 Prozent gestiegen. Erwartet wird nach einer Prognose des US-Energieministeriums eine weitere Zunahme auf 70 Prozent im Jahre 2025. Zu den wichtigsten Lieferländern zählen Kanada, Saudi-Arabien, Mexiko, Venezuela und Nigeria.

Die Länder der EU wollen ihre Importstruktur ebenfalls weiter diversifizieren. Die nach der Ölkrise 1973/74 erschlossenen Ressourcen, so im Bereich der Nordsee, werden aber bei einer gleichbleibenden Fördermenge voraussichtlich in 15 Jahren erschöpft sein. Neben der Golfregion, Russland und Afrika, die schon jetzt maßgebliche Öllieferanten sind, könnte - so die Hoffnung - der Kaspische Raum an Bedeutung gewinnen.

 

Hochgesteckte Erwartungen wurden bislang nicht erfüllt

Allerdings werden die Ressourcen im Raum des Kaspischen Meeres nach anfänglicher Euphorie zu Beginn der neunziger Jahre wesentlich nüchterner eingeschätzt. Als wirklich gesichert werden drei Milliarden Tonnen Öl angesehen. Im Vergleich dazu betragen die Weltölreserven 165 Milliarden Tonnen, die Saudi-Arabiens 35 Milliarden Tonnen. Damit verfügt die Kaspi-Region über knapp zwei Prozent der Weltreserven, was in etwa dem Umfang der Nordseevorkommen entspricht. Bei Erdgas gelten in der Region acht Billionen Kubikmeter (sechs Prozent der Weltreserven) als gesichert. Vermutet werden bis zu 20 Billionen Kubikmeter.

Die bislang nicht erfüllten Erwartungen reichen bis zu 30 Milliarden Tonnen Öl. Entsprechend groß ist die Spanne über den Anteil an den Weltreserven. Die Unsicherheit über die tatsächlichen Ressourcen resultiert vor allem daraus, dass die Beschaffenheit des kaspischen Beckens erst schlecht erforscht ist. Und selbst wenn dies geschehen sein sollte, können wahrscheinlich längst nicht alle entdeckten Lagerstätten erschlossen und ausgebeutet werden. Bestimmte geologische Schichtungen lassen eine Ölförderung nicht zu. Bohrungen im Tiefwasserbereich verursachen zudem immens hohe Kosten. Außer Acht kann auch der Umweltaspekt nicht gelassen werden. Als optimistische Annahme gilt, dass im Jahre 2010 die tägliche Fördermenge aus dem Kaspischen Meer bei 3,8 Millionen Barrel liegt, etwa zwei Drittel der täglichen Nordsee-Produktion. Dies wiederum würde voraussetzen, dass die Pipeline-Frage geklärt ist. Die Erdölfelder haben keinen natürlichen Zugang zum offenen Meer und damit zu den Abnehmermärkten. Die bislang in Betrieb befindlichen Pipelines verfügen über keine ausreichende Kapazität.

Der Status des 370.000 Quadratkilometer großen Kaspischen Meeres ist umstritten. Moskau erinnerte zunächst an die sowjetisch-iranischen Grenzverträge von 1921 sowie die Zusatzprotokolle von 1935 und 1940. Diese deklarierten das Kaspische Meer zu einem für Schiffe fremder Staaten gesperrten Binnengewässer auf dessen Nutzung, einschließlich der mineralischen Lagerstätten, Dritte keinen Anspruch haben. Mit Verweis auf einschlägige UNO-Konventionen wurde weiter argumentiert, bei Entstehen neuer Staaten könnten Nutzungsrechte nur durch Konsens aller beteiligten Staaten verändert werden. Teheran wollte sich anfangs nicht dieser Auffassung anschließen, weil eine Beteiligung an einem internationalen Konsortium zur Ausbeutung des Kaspischen Meeres sicher schien. Mittlerweile besteht Iran wie Turkmenistan auf die Aufteilung der See in gleiche Sektoren von je 20 Prozent. Gemäß dem von Russland mit Aserbaidschan und Kasachstan vereinbarten Teilungsplan, der sich am jeweiligen Anteil der Anrainer an der Küstenlinie und einer gedachten Mittelinie orientiert, erhielte Iran jedoch als Land mit der kürzesten Küste wesentlich weniger. Der Anteil könnte danach bei lediglich 12,5 Prozent liegen. Wirtschaftlich wäre das ein verkraftbarer Rückschlag, da Iran am Persischen Golf über umfangreichere und kostengünstiger zu erschließende Vorkommen verfügt. Gravierender würde das Teherans Ambitionen zurückwerfen, sich als Regionalmacht in der Region zu profilieren.


Als wirklich gesichert werden drei Milliarden Tonnen Öl angesehen. Im Vergleich dazu betragen die Weltölreserven 165 Milliarden Tonnen, die Saudi-Arabiens 35 Milliarden Tonnen. Damit verfügt die Kaspi-Region über knapp zwei Prozent der Weltreserven, was in etwa dem Umfang der Nordseevorkommen entspricht.

Aserbaidschan, Kasachstan und Turkmenistan gingen davon aus, bei dem Gewässer handle es sich um ein Meer, dessen Anrainerstaaten gemäß internationalem Seerecht über die Ressourcen ihrer Kontinentalsockel allein verfügen. Demnach würde die völkerrechtlich festgelegte Zwölf-Meilen-Zone gelten. Allerdings liegen beispielsweise die von Aserbaidschan beanspruchten Erdölreserven auch außerhalb dieser Zone und somit – nach dieser Definition – in internationalen Gewässern.

Anfang 2001 versuchte der russische Präsident Wladimir Putin bei einem Besuch in Baku, Bewegung in den Rechtsstreit zu bringen. Russland und Aserbaidschan kamen im Grundsatz überein, dass der Meeresgrund in Sektoren der einzelnen Anrainerstaaten aufgeteilt werden soll. Danach waren 21 Prozent des Meeresgrundes für Aserbaidschan vorgesehen. Alles andere sollte nach Moskauer Auffassung für alle offen stehen, darunter die freie Nutzung des Gewässers für die Schifffahrt und den Fischfang. Noch Ende 1999 hatte es bei einem Teheran-Besuch des russischen Außenministers Igor Iwanow geheißen, beide Länder wollten ihre „gemeinsamen Interessen im Kaspischen Meer“ verteidigen.

Auf einem Kaspi-Gipfel in der turkmenischen Hauptstadt Aschchabad Ende April 2002 konnten sich die Anrainer allerdings erneut nicht über eine einvernehmliche Teilung des Gewässers einigen. Isoliert waren auf dem Treffen Iran und Turkmenistan. Offen wurde der Streit zwischen Aserbaidschan und Turkmenistan um das von Baku kontrollierte Ölfeld Karpaz in der Mitte des Kaspischen Meeres ausgetragen. Der gastgebende Präsident Sapurmurad Nijasow warf seinem Amtskollegen Gaidar Alijew vor, sich Gesprächen über die Nutzung des Vorkommens zu verweigern. Er verwies darauf, dass das Ölfeld Karpaz 120 Kilometer von Turkmenistan, aber 184 Kilometer von Aserbaidschan entfernt sei. Nijasow beschwor die Gefahr militärischer Konflikte herauf, die sich aus territorialen Streitigkeiten ergeben könnten. Aufgrund der verfahrenen Lage unterzeichneten Russland und Aserbaidschan Ende September 2002 in Moskau ein bilaterales Abkommen über die Teilung des Kaspischen Meeres. Danach sollen, wie verabredet, 21 Prozent des Meeresgrundes an Aserbaidschan gehen.

 

Aserbaidschan spielt die Erdölkarte

Damit erreichten Moskau und Baku nach jahrelangen Querelen eine Annäherung ihrer Positionen. Der am 7. Juni 1992 gewählte türkenfreundliche Präsident Albufas Eltschibej hatte versucht, unmittelbar nach seinem Amtsantritt die Erdölkarte zu spielen, um Aserbaidschan dem russischen Einflussbereich zu entziehen. Als ein Jahr später in London mit einem internationalen Konsortium der Vertrag zur Erschließung von drei Feldern im Kaspischen Meer unterzeichnet werden sollte, saß nach einem Putsch mit dem Altkommunisten Alijew (geb. am 10. Mai 1923) in Baku ein anderer Mann an den Schalthebeln. Der ehemalige aserbaidschanische KGB- und KP-Chef, der es auch in der Sowjetunion zu höchsten Ämtern in Partei und Staat gebracht hatte, annullierte den Vertrag. Das geschah nicht zuletzt, um Moskau milder zu stimmen, das sich bei dem Erdöldeal völlig draußen vor sah. Trotzdem wurden die Verhandlungen mit dem Konsortium fortgesetzt.

Im September 1994 kam es in Baku zum Abschluss des „Jahrhundertvertrages“. 511 Millionen Tonnen hochwertiges Öl sollten danach in den folgenden 30 Jahren gefördert werden. Dafür verpflichtete sich ein internationales Konsortium, 7,4 Milliarden Dollar zu investieren. Fast 80 Prozent der Anteile sicherten sich westliche Unternehmen wie die US-Firmen Amoco, Exxon, McDermott, Pennzoil, die norwegische Statoil und British Petroleum. Der russische Energiekonzern Lukoil konnte sich in letzter Minute eine Beteiligung von zehn Prozent sichern. 80 Prozent des Gewinns, der auf 126 Milliarden Dollar geschätzt wurde, sollte Aserbaidschan zufallen. Der Rest ginge an das Konsortium.

Die Führung in Baku hatte sich lange geweigert, Moskau bei der Erschließung neuer Ölfelder im Kaspischen Meer und beim Export des geförderten Rohstoffs zu beteiligen. Mehrfach wurde gegen Staatschef Alijew geputscht. Moskau drehte kräftig mit am Krisenrad. Mitte Februar 1997 wurde das durch einen handfesten Skandal bestätigt. Der damalige russische GUS-Minister Aman Tulejew enthüllte illegale russische Waffenlieferungen an Armenien. Anfang März 1997 legte dann Aserbaidschan offiziell Protest ein. Eine vom damaligen Verteidigungsminister Igor Rodionow befohlene Untersuchung ließ angeblich keinen Zweifel, dass aus Beständen der russischen Armee Waffen „kostenlos und ohne entsprechenden Beschluss der russischen Regierung“ an Armenien geliefert worden seien. In einer vertraulichen Debatte in der Duma Anfang April 1997 wurde der wertmäßige Umfang der Lieferungen mit mindestens einer Milliarde Dollar angegeben. Zwischen 1993 und 1996 sollen unter anderem 84 Panzer vom Typ T-72 geliefert worden sein, ein Teil des Kriegsgeräts ging direkt an die Separatisten in Nagorny Karabach. Dass der Kreml offiziell nichts mit den Lieferungen zu tun haben wollte, klingt bei dem getätigten Umfang kaum glaubhaft. Tulejew wurde im Übrigen wenige Monate später als Gouverneur in die Provinz abgeschoben.

Der Krieg um Nagorny Karabach hat sowohl für Aserbaidschan als auch für Armenien ein nicht mehr steuerbares Flüchtlingsproblem zur Folge. 890.000 heimatlose Menschen in Aserbaidschan und 380.000 in Armenien sind Ausdruck einer anhaltenden humanitären Katastrophe. Die Auseinandersetzungen um das 4.400 Quadratkilometer große und 150.000 Einwohner (über 70 Prozent Armenier) zählende Autonome Gebiet waren 1988 offen ausgebrochen. Nachdem Nagorny Karabach den Anschluss an Armenien gefordert hatte, kam es im Februar 1988 in der aserbaidschanischen Stadt Sumgait zu einem Pogrom, bei dem mindestens 30 Armenier getötet wurden. Daraus entwickelte sich ein regelrechter Krieg mit 40.000 bis 50.000 Toten auf beiden Seiten. Die Kämpfe führten auch zu einem Exodus der russischen und armenischen Ölexperten. Baku beharrt darauf, dass Nagorny Karabach ein Teil Aserbaidschans sei. Eriwan wiederum betont das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“. Es befürchtet außerdem, Aserbaidschan könnte die zu erwartenden Erdöleinnahmen für Waffenkäufe verwenden. Der im Mai 1994 vereinbarte Waffenstillstand gilt als fragil. Baku vertritt die Ansicht, dass Eriwan ein Fünftel des aserbaidschanischen Territoriums widerrechtlich besetzt hält.

Das christliche Armenien, bedrängt und umzingelt von moslemischen Feinden, geschwächt durch den Konflikt mit Aserbaidschan um Nagorny Karabach und eine schwere Wirtschaftskrise, hat keine andere Alternative, als sich Moskau anzunähern. Es benötigt zum Überleben militärische und wirtschaftliche Unterstützung vom rohstoffreichen Russland. Eriwan hat deshalb mit Moskau im März 1995 ein Stützpunktabkommen geschlossen. Es gilt für 25 Jahre und verlängert sich um fünf Jahre, wenn keine der beiden Seiten Widerspruch einlegt. Bis zum Zerfall der Sowjetunion hatte der Kreml rund 14.000 Mann auf armenischem Territorium stationiert. Der neue Vertrag geht davon aus, dass diese Truppen im Land bleiben dürfen. Der Stationierungsort heißt Gjumri und liegt in der Nähe der türkischen Grenze. Der Stützpunkt-Deal sollte dazu dienen die Machthaber im benachbarten Aserbaidschan permanent unter Druck zu setzen, die bislang weder russische Truppen noch russische Militärstützpunkte auf dem eigenen Territorium zugelassen haben.

Baku beugte sich dem Druck jedoch nicht, weil es nach dem Zerfall der Sowjetunion zunehmend auf die USA zählen konnte. Der Taktiker Alijew vermied aber die offene Konfrontation mit Russland. Er ergriff vielmehr entschlossene Maßnahmen, um den Transit tschetschenischer Rebellen über das Territorium seines Landes zu unterbinden. Er gestattete Moskau, das Frühwarnradar in Gabala weiter zu nutzen. Er verzichtete auf die öffentliche Wiederholung seiner Idee, in Aserbaidschan Nato-Basen zuzulassen. Schon früh ließ der damalige US-Präsident Bill Clinton erkennen, dass Aserbaidschan eine zentrale Rolle in Washingtons Strategie für die rohstoffreiche Region einnehmen sollte. Aus politischen und wirtschaftlichen Gründen plädierte Clinton zunächst dafür, für den Transport des „early oil“ zwei Routen zu nutzen.

Die nördliche führte zunächst vom Kaspischen Meer zur Hafenstadt Machatschkala in Dagestan, bog von dort nach Westen ab, passierte die tschetschenische Hauptstadt Grosny und endete am russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk. Wegen des Tschetschenien-Krieges musste eine Umgehung gebaut werden. Diese  Pipeline  mit einer Kapazität von etwa 100.000 Barrel täglich wird von der staatlichen aserbaidschanischen Gesellschaft Socar genutzt.

Für Moskau ist Aserbaidschan ebenfalls ein Schlüsselstaat. Die Erdölvorkommen, die exponierte Lage als Brückenkopf zwischen Russland und der Golfregion machen das Land ebenso anziehend wie die zunehmende Bedeutung als Knotenpunkt für Pipelines und Verkehrswege zwischen Zentralasien und Europa. Aserbaidschan wird von den in der Region konkurrierenden Mächten Russland, Türkei und Iran umworben. Eine Rolle spielen dabei auch ethnische Gegebenheiten.  Die Aseri bilden mit knapp sechs Millionen Einwohnern (83 Prozent der Bevölkerung) die Titularnation in Aserbaidschan. Im Norden Irans leben noch einmal zwölf Millionen Aseri. Schon deshalb war Alijew zunächst nicht abgeneigt, Iran bei der Erschließung der Ölvorkommen und ihrer Vermarktung einzubeziehen. Die USA waren jedoch kategorisch dagegen.

 

Georgien hofft auf wirtschaftliche Gesundung

Die südliche Route führte von Baku über die georgische Hauptstadt Tiflis zum Schwarzmeerhafen Supsa. Ganze Stücke der Pipeline waren vor allem zwischen Baku und Tiflis entwendet und als Alteisen verkauft worden. Nach einer im Frühjahr 1999 beendeten Instandsetzung und Ergänzung liegt die Kapazität bei ebenfalls etwa 100 000 Barrel täglich. Die Pipeline wird vom Konsortium Azerbaidjan International Operation Company (AIOC) genutzt, das nach Abschluss des „Jahrhundertvertrages“ vom September 1994 entstanden war. Für den erwarteten Erdölboom wird die Kapazität beider Leitungen als nicht ausreichend betrachtet. Sie genügt für das so genannte early oil.

Beide Pipelines führen durch ein unsicheres Umfeld. Neben dem Kriegsschauplatz Tschetschenien gilt auch Dagestan als Pulverfass. Georgien ist ein zerrissenes Land. Der Einfluss des militärisch präsenten Russland ist immer noch stark. Georgien, geschwächt durch einen Mehrfrontenkrieg gegen die abtrünnigen Abchasen und die renitenten Südosseten, hoffte lange darauf, mit Hilfe russischer Soldaten den Zerfall des Landes verhindern zu können, in dem 280 000 Menschen als Flüchtlinge unterwegs sind. Unter der Führung Eduard Schewardnadses kehrte die Republik in die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) zurück. Im Februar 1994 unterzeichneten Moskau und Tiflis einen Freundschaftsvertrag. Im Jahr darauf wurde ein Abkommen über die Stationierung russischer Truppen in der Republik mit einer Laufzeit von 25 Jahren geschlossen.

Russland kam die instabile Lage in Georgien nicht ungelegen. Es erhielt die Möglichkeit, sich als Ordnungsmacht zu profilieren, und zugleich ergab sich die Chance, die Bergvölker in der Region stärker zu kontrollieren.

Schewardnadse war sich sehr wohl der Risiken bewusst, die er mit dem Stationierungsvertrag einging. Tatsächlich wollte der Präsident die Unterzeichnung des Abkommens von der Unterstützung Russlands im Abchasien-Konflikt abhängig machen und den Vertrag nach der Wiedereingliederung der abtrünnigen Autonomen Republik in den georgischen Staatsverband besiegeln. Dafür gab jedoch Moskau keine Garantien. Der damalige Ministerpräsident Viktor Tschernomyrdin versprach lediglich, „die Wiederherstellung der territorialen Einheit Georgiens auf zivilisierte Weise“ zu unterstützen. Russland gab fast nichts und erhielt vier Stützpunkte: in Achalkalaki an der türkischen Grenze, in Wasiani bei Tiflis, in Batumi am Schwarzen Meer und Gudauta in Abchasien.

Auf dem Istanbuler Gipfel der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) im November 1999 sagte Moskau zu, bis Mitte 2001 zwei der vier Basen zu schließen. Fristgemäß geschah das nur im Falle Wasianis. Abchasische Separatisten blockierten wochenlang die Basis Gudauta und verhinderten damit den vereinbarten Abzug der russischen Truppen, die sie als Schutzmacht betrachteten. Für Moskau ergab sich die Chance, die eigene Präsenz doch noch zu verlängern. Erst Anfang November 2001 verließ der letzte Zug mit Militärgerät Gudauta.


Russland kam die instabile Lage in Georgien nicht ungelegen. Es erhielt die Möglichkeit, sich als Ordnungsmacht zu profilieren, und zugleich ergab sich die Chance, die Bergvölker in der Region stärker zu kontrollieren.

Differenzen gibt es zwischen Moskau und Tiflis über die Abzugsfristen aus den beiden verbliebenen russischen Stützpunkten. Georgien hält drei Jahre für angemessen. Russland nannte zunächst einen Zeitraum von 14 Jahren, schlug dann eine elfjährige Frist vor. Der Kreml ließ aber erkennen, dass bei entsprechender finanzieller Unterstützung aus dem Westen ein Kompromiss möglich wäre. Bis auf weiteres spielen die Stützpunkte in Achalkalaki und Batumi eine wichtige Rolle im russischen Kalkül. Achalkalaki liegt in der mehrheitlich von Armeniern bevölkerten Provinz Dschawachetien. Batumi ist die Hauptstadt der moslemisch geprägten Autonomen Republik Adscharien. Die Beziehungen der Minderheiten zur georgischen Zentralmacht sind gespannt. Tiflis muss befürchten, dass Moskau separatistische Tendenzen schürt und nach dem Abzug ein Machtvakuum hinterlässt.

Russlands machtpolitisches Taktieren wurde im Falle Abchasiens besonders deutlich. Die Autonome Republik am Schwarzen Meer hatte sich Mitte 1992 für unabhängig erklärt. Daraufhin entsandte die Führung in Tiflis Truppen. In dem sich anschließenden Sezessionskrieg errangen die Abchasen mit russischer Unterstützung einen Erfolg. Die georgischen Truppen mussten sich im Oktober 1993 ins Kernland zurückziehen. Nach der Niederlage bat Schewardnadse Russland, Truppen an die georgisch-abchasische Grenze zu entsenden, um eine Wiederaufflammen der Kämpfe zu verhindern. Dies geschah im Sommer 1994 mit der Entsendung eines 1.500 Mann starken Kontingents, das ein Mandat der GUS erhielt. Mit der Einführung einer Visumsregelung, von der die Bewohner der umstrittenen Territorien Abchasien und Südossetien ausgenommen wurden, zog Moskau später die Zügel für die über eine Million in Russland tätigen georgischen Gastarbeiter an.

Bereits im Oktober 1994 hatte der damalige Generalstabschef Michail Kolesnikow vor dem „Anwachsen eines aggressiven Nationalismus und islamischen Extremismus in einer Reihe von Ländern“ gewarnt. Im Blick hatte er dabei den Kaukasus und Zentralasien, wo Russland nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums den wachsenden iranischen und türkischen Einfluss zur Kenntnis nehmen musste. Das Konzept vom „nahen Ausland“, worunter die ehemaligen Sowjetrepubliken zu verstehen sind, dokumentierte Moskaus Versuch, besondere Rechte bis hin zum militärischen Eingreifen geltend zu machen. Anfang April 1994 billigte Präsident Boris Jelzin Pläne des Verteidigungsministeriums, in den GUS-Ländern rund 30 Militärstützpunkte zu unterhalten. Dieses Stützpunktsystem sollte – so die offizielle Begründung – „die Sicherheit der Russischen Föderation und der genannten Staaten gewährleisten und der Erprobung neuer Rüstungssysteme und Waffen dienen“. Georgien will sich dem seit geraumer Zeit entziehen. Das Land strebt einen Nato-Beitritt im Jahre 2005 an. Es hat im Jahr 2002 US-Militärberater ins Land gelassen und dokumentiert damit augenfällig seine Hinwendung zum Westen.

Mit dem Bau einer 1.750 Kilometer langen Ölleitung, die von Baku über Tiflis zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan führen soll, verbinden sich sowohl für Aserbaidschan als auch Georgien Hoffnungen auf eine politische und wirtschaftliche Gesundung. Der Grundstein für das von Washington initiierte Projekt wurde am 18. September 2002 gelegt. Veranschlagt sind 30 Monate Bauzeit und Kosten in Höhe von 2,95 Milliarden Dollar. Nach Fertigstellung sollen eine Million Barrel pro Tag nach Ceyhan gepumpt werden. Finanziert wird die Pipeline durch ein internationales Konsortium unter Führung des britischen BP-Konzerns (32,6 Prozent). Beteiligt sind weiter die aserbaidschanische Staatsfirma Socar (25 Prozent), die amerikanische Unocal (8,9 Prozent), die norwegische Statoil (8,71 Prozent), die türkische TPAO (6,53 Prozent), die italienische Eni Agip (5 Prozent), die französische TotalFinaElf (5 Prozent), die japanischen Firmen Itochu (3,4 Prozent) und Inpex (2,5 Prozent) sowie die saudiarabische Delta Hess (2,36 Prozent).

Bei der Zeremonie am Ölterminal Sangatschal nahe Baku betonte US-Energieminister Spencer Abraham im Beisein der Präsidenten Aserbaidschans, Georgiens und der Türkei: „Ohne diese Pipeline könnten die Ressourcen des Kaspischen Meeres der Welt nicht zugänglich gemacht werden.“ Ende April 2000 war in Washington ein Rahmenvertrag über den Bau der Pipeline unterzeichnet worden. Die damalige US-Außenministerin Madeleine Albright würdigte das Projekt als einen bedeutenden Schritt bei der Entwicklung eines „Ost-West-Energiekorridors“.

Harsch reagierte dagegen Moskau. Außenminister Igor Iwanow unterstrich: „Wir sind bereit zur Kooperation, aber wir werden uns nicht mit Versuchen abfinden, Russland aus Regionen zu drängen, in denen wir historische Interessen haben.“ Demonstrativ lehnte der Kreml eine Beteiligung an dem Ceyhan-Projekt ab. Entsprechend gehört Russlands größte Ölgesellschaft Lukoil nicht dem internationalen Konsortium an.

Die Streckenführung der Pipeline von Baku nach Ceyhan über georgisches Staatsgebiet ermöglicht eine von Russland unabhängige Versorgung mit Öl und sichert dem verarmten Land Transiteinnahmen von 0,43 Dollar pro Barrel. Das stellt eine Kompensation dafür dar, dass sich das internationale Förderkonsortium AIOC gegen eine langfristige Nutzung der Leitung von Baku zum Schwarzmeerhafen Supsa entschieden hatte. Staatschef Schewardnadse nannte das neue Projekt euphorisch „Georgiens wichtigste Errungenschaft in den vergangenen zehn Jahren seit der Erklärung der Unabhängigkeit“. Allerdings ist offen, ob Tiflis die Energieader wirksam schützen kann. Die Pipeline umgeht zwar die separatistischen Gebiete Abchasien und Südossetien weiträumig, aber in dem von Korruption beherrschten Land dürfte das für in- und ausländische Staatsfeinde aller Couleur kein Problem darstellen.


„Wir sind bereit zur Kooperation, aber wir werden uns nicht mit Versuchen abfinden, Russland aus Regionen zu drängen, in denen wir historische Interessen haben.“

Ganz bewusst hat Russland im Jahr 2002 den Konflikt mit Georgien um das Pankisi-Tal angeheizt. Moskau betrachtet das Tal als wichtiges Rückzugsgebiet tschetschenischer Kämpfer. Zugleich wurden Gerüchte aufgegriffen, in dem Grenzgebiet hätten auch geflohene Al-Qaida-Kämpfer Zuflucht gefunden. Außenminister Igor Iwanow wollte selbst nicht ausschließen, dass sich Osama bin Laden in dem Tal befindet. Verteidigungsminister Sergej Iwanow sprach die Befürchtung aus, dass in der Region Verhältnisse „wie in Tschetschenien oder vor kurzem in Afghanistan“ entstehen könnten. Nachdem im August 2002 die russische Luftwaffe das Tal bombardiert hatte, erhöhte der Kreml erneut den politischen Druck. Im darauffolgenden Monat schrieb Präsident Putin an UNO und OSZE. Angekündigt wurde dabei, falls von Georgien aus „weiter kriminelle Übergriffe stattfinden, unternimmt Russland in strenger Übereinstimmung mit internationalem Recht angemessene Schritte zur Abwehr der terroristischen Bedrohung“. Verteidigungsminister Sergej Iwanow versuchte wenig später seine Amtskollegen von der Nato davon zu überzeugen, dass der Aufenthalt der Rebellen im georgischen Pankisi-Tal ein größeres Risiko darstellen würde als die Vorgänge im Irak.

Damit sollte in Washington der Eindruck verstärkt werden, dass Georgien sicherheitspolitisch ein Risiko darstellt. Der Kreml verband damit offenbar die Hoffnung, dass die USA ihre Pipelinepläne doch noch revidieren und Russland freie Hand für ein hartes Durchgreifen in der Kaukasus-Republik geben würden. Doch der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld stellte klar: „Die Vereinigten Staaten sind nicht für eine Bombardierung des Pankisi-Tals.“ Danach schwächte Moskau seine Drohungen gegen Tiflis merklich ab. Bei einem GUS-Gipfel in der moldawischen Hauptstadt Chisinau Anfang Oktober 2002 kündigten Putin und Schewardnadse einen gemeinsamen Kampf gegen den Terrorismus an. Im Monat darauf stellte Verteidigungsminister Iwanow klar, der Kampf gegen den Terrorismus „kennt keine Grenzen, keine Fronten und keine sichtbaren Feinde“.

 

Die Türkei will in Zentralasien und im Kaukasus Fuß fassen

Die Turbulenzen in der Region könnten auch die ambitionierten Pläne der Türkei empfindlich stören, wenn nicht sogar zunichte machen. Dabei erkannte Ankara schon sehr früh, dass sowohl die nördliche als auch die südliche Pipelineroute einen gemeinsamen gravierenden Nachteil hatten. Der Bosporus und die türkischen Meerengen sind der einzige Wasserweg, das aserbaidschanische Öl über das Schwarze Meer auf den Weltmarkt zu bringen. Geschickt versuchte die Regierung in Ankara, das als Trumpf auszuspielen. Anfang Juli 1995 hatte die damalige Ministerpräsidentin Tansu Ciller in Baku damit gedroht, der Bosporus werde für den Tankerverkehr geschlossen, weil sie den zwölf Millionen Einwohnern Istanbuls nicht ständig die Angst vor einer Umweltkatastrophe zumuten könne. Anfang November 1998 verschärfte die türkische Regierung die Bestimmungen für den Schiffsverkehr für die Passage durch den Bosporus und die Dardanellen. Danach dürfen die Behörden je nach den Strömungsverhältnissen den Schiffsverkehr zeitweise ganz stoppen oder nur eine begrenzte Zahl von Schiffen passieren lassen. Die Maßnahme richtete sich eindeutig gegen die nördliche Pipelineroute, also die russische Variante. Ankara wollte Druck machen für die Ceyhan-Pipeline. Moskau verwies darauf, dass das einen Verstoß gegen die Meerengenkonvention von Montreux darstelle, in der 1936 Durchfahrtsrechte durch Bosporus und Dardanellen geregelt wurden. Die Konvention garantiert uneingeschränkt den freien Transit in Friedenszeiten. Ankara hingegen argumentierte, dass inzwischen jährlich 82 Millionen Tonnen Öl und anderer brisanter Stoffe durch die engen Wasserstraßen transportiert werden. Täglich würden 150 Schiffe, davon ein Drittel Öltanker, den Bosporus passieren.

Die Türkei musste jedoch bald erkennen, dass der wichtigste Mitspieler im Poker um das Kaspi-Öl die USA sind. Ohne amerikanisches Investitionskapital wäre das ganze Projekt nicht realisierbar. Clinton wollte Russland nicht verprellen, um eine Annäherung Moskau-Teheran zu verhindern. Eine Pipeline, die über iranisches Territorium führt, lehnten die USA ab. Ausschlaggebend waren politische Gründe, die wirtschaftlichen hätten klar dafür gesprochen. Deshalb setzten die USA für eine gewisse Zeit zunächst auf die nördliche und die südliche Route. Washington entschied sich dann doch nach acht Jahren gegen massive Widerstände für das Projekt Baku-Ceyhan und hielt damit Moskau und Teheran gleichermaßen draußen. Die Ölmultis hatten zuvor massive Bedenken angemeldet. Sie verwiesen darauf, dass die 1.750 Kilometer lange Leitung enorme Baukosten und Transitgebühren verursachen würde. Experten warnten davor, die Ergiebigkeit der Vorkommen im Kaspischen Meer zu überschätzen und bezweifelten die Wirtschaftlichkeit der neuen Leitung. Als notwendig bezeichneten sie es, auch kasachisches Öl durch die Röhre laufen zu lassen.

Moskau hatte nach Bekanntwerden des Baku-Ceyhan-Projektes mit einer Doppelstrategie reagiert. Das russische Staatsunternehmen Transneft bot an, die Transportgebühren der nördlichen Route um 20 Prozent billiger zu halten als die der südlichen Route. Für den Fall, dass Ankara den Verkehr großer Tanker durch den Bosporus limitieren oder gänzlich untersagen sollte, kündigte Moskau die Verschiffung des aserbaidschanischen Öls an die bulgarische Schwarzmeerküste an, um es von dort durch eine Pipeline an die griechische Mittelmeerküste zu pumpen.

Als Alternative für die Verarbeitung bzw. für den Weitertransport des im georgischen Schwarzmeerhafen Supsa verladenen Öls brachten sich die Ukraine und Bulgarien ins Gespräch. Odessa und Burgas verfügen über entsprechende Raffineriekapazitäten. Zugleich baute die Ukraine für 200 Millionen Dollar eine 667 Kilometer lange Pipeline von Odessa zum im Westen des Landes gelegenen Brody. Daran sollte sich ein von Polen zu errichtendes Teilstück nach Plock anschließen. Von dort war die Weiterleitung des Kaspi-Öls durch ein Teilstück der alten „Druschba“-Leitung zum Hafen von Danzig geplant. Die Staatsunternehmen Ukrtransnafta und Przyjazn unterzeichneten Anfang August dieses Jahres ein Memorandum, um dem Projekt neuen Schwung zu geben. Aber dessen Perspektive bleibt ungewiss.

Staat dessen kann Ankara weiter darauf hoffen, über ein Pipeline-Projekt im Kaukasus und in Zentralasien noch mehr Fuß zu fassen. Die Türkei gewinnt als Transitland für das Öl auch strategisch an Bedeutung. Zugleich sind die Vorteile für die eigene Wirtschaft unübersehbar. Mit der Abnahme eines Teils des Öls kann die Abhängigkeit von der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) reduziert werden. Außerdem profitiert das Land von der Transitgebühr, die bei 1,50 Dollar pro Barrel Rohöl liegen soll.

Von außerordentlicher Bedeutung sind für die Türkei auch die Gasvorkommen in der Kaspischen Region. Der durchschnittliche Jahresbedarf des Landes könnte sich in den kommenden zehn Jahren verdreifachen und dann bei etwa 55 Milliarden Kubikmetern liegen. Da die eigene Produktion derzeit nur fünf Prozent des Verbrauchs deckt, sind Importe unabdingbar. Dabei dominiert derzeit Russland, das jährlich zehn Milliarden Kubikmeter liefert. Diese Menge sollte nach Fertigstellung einer technisch umstrittenen, drei Milliarden Dollar teuren Pipeline durch das Schwarze Meer Ende 2002 mehr als verdoppelt werden. Mitte März 2003 kam es jedoch zum Streit, weil Ankara die Gaslieferungen durch den russischen Konzern Gazprom wegen Differenzen  über die Preisgestaltung stoppte. Allerdings deckt die Türkei schon jetzt etwa 70 Prozent ihres Gasbedarfs aus russischen Lieferungen. Als potentielle Exporteure rechnen sich Aserbaidschan, Turkmenistan und Kasachstan Chancen aus. Aserbaidschan will ab 2004 jährlich zwei Milliarden Kubikmeter und ab 2007 jährlich sechs Milliarden Kubikmeter liefern. Der Transport vom Shah-Deniz-Feld soll über Georgien in die Türkei erfolgen. Ein von BP und Statoil geführtes Konsortium will das Gas deutlich billiger anbieten als Gazprom. Turkmenistan verfolgt seit 1999 das Projekt einer Pipeline, die das Kaspische Meer nach Aserbaidschan unterquert und von dort in die Türkei führt.

Ankara bemüht sich, seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion im Kaukasus und in Zentralasien an Einfluss zu gewinnen. Dafür waren die turksprachigen Völker der Region durchaus empfänglich. Die Türkei konzentrierte ihre Bemühungen zunächst in den Bereichen Wirtschaft und Kultur. Aufgrund der begrenzten finanziellen Ressourcen mussten die ehrgeizigen Ambitionen sehr bald zurückgeschraubt werden. Intensiviert wurde dagegen die Zusammenarbeit im Sicherheitsbereich. Bis auf Armenien hat die Türkei mit allen Ländern des Kaukasus und Zentralasiens Abkommen über eine militärische Kooperation vereinbart. Als die iranische Kriegsmarine Ende Juli 2001 aserbaidschanische Schiffe bei dem Versuch aufbrachte, im Süden des Kaspischen Meeres Bohrungen durchzuführen, richtete Ankara eine scharfe Warnung an Teheran. Im darauffolgenden Monat besuchte der türkische Generalstabschef Hussein Kivrikoglu Baku. Teheran wertete das als direkten Versuch der Türkei und ihres Hauptverbündeten USA, Iran als Konkurrenten im Kampf um die Exportwege für die Rohstoffvorkommen im Kaspischen Meer auszuschalten.

Aktiv ist die Türkei auch in Georgien. Dort modernisiert sie den Militärflughafen Marneuli nahe der Hauptstadt Tiflis. In russischen Medien wurde daraufhin spekuliert, von dem Flughafen könnten die Amerikaner Angriffe auf den Irak fliegen. Die Türkei spielte in den Irak-Szenarien der Vereinigten Staaten stets eine zentrale Rolle. Als einziger Nato-Staat hat die Türkei eine gemeinsame Landgrenze mit dem Irak, die sich über mehr als 300 Kilometer erstreckt. In Grenznähe gibt es mehrere Luftwaffenstützpunkte. Die Basis Incirlik nahe der Großstadt Adana diente Amerikanern und Briten jahrelang als Ausgangspunkt für die Überwachung der Flugverbotszone im Nordirak. Auf dem Höhepunkt der Irak-Krise verweigerte die Regierung in Ankara auf der Grundlage eines Parlamentsbeschlusses den USA jedoch die Nutzung des türkischen Territoriums zur Eröffnung einer zweiten Front. Für das gestiegene Selbstbewusstsein und Gewicht der Türkei spricht, dass das Land zeitweise die internationale Afghanistan-Schutztruppe Isaf geführt hat.

 

Russland schaut verstärkt auf den früheren Hinterhof

Die Türkei versucht sich als Regionalmacht zu profilieren. Daraus ergibt sich eine verstärkte Rivalität zu Russland. Seit Putin die Macht im Kreml übernommen hat, verfolgt Russland energischer seine Interessen in der Region. Bei einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates im April 2000 forderte der Präsident, Russland müsse sich in vollem Maße am Konkurrenzkampf mit den USA um die Bodenschätze des Kaspischen Meeres beteiligen. Dahinter steckt das strategische Ziel,  sich als Führungsmacht eines regionalen Öl- und Gaskartells anzubieten. Moskau hat stets seine unabhängige Rolle gegenüber der OPEC betont und sich nach dem 11. September 2001 als weltweit zweitgrößter Erdölförderer (im Jahre 2002 über 378 Millionen Tonnen) und weltweit größter Erdgasförderer (im Jahre 2002 581 Milliarden Kubikmeter) den westlichen Industrieländern als zuverlässiger Energielieferant empfohlen. Moskau ist offen nach allen Richtungen. Die sibirischen Vorkommen und damit die relative Nähe zu China und Japan machen entsprechende Pipeline-Pläne interessant. Eine wachsende Rolle spielt die russische Ölförderung auch in den amerikanischen Überlegungen. Allerdings verfügt Russland mit 8,1 Milliarden Tonnen lediglich über 4,8 Prozent der Weltölreserven. Das setzt den eigenen Ambitionen Grenzen.


Putin forderte, Russland müsse sich in vollem Maße am Konkurrenzkampf mit den USA um die Bodenschätze des Kaspischen Meeres beteiligen.

Um den eigenen Ansprüchen im früheren Hinterhof Nachdruck zu verleihen, führte Russland im August 2002 ein Großmanöver im Kaspischen Meer durch. Beteiligt daran waren 10.000 Mann von Marine, Marineinfanterie und Luftwaffe sowie Einheiten von Geheimdienst, Grenztruppen und Innenministerium. Mit eher symbolischen Kontingenten nahmen an der Übung Soldaten aus Kasachstan und Aserbaidschan teil. Dieses Signal konnte jedoch nicht verdecken, dass sich Russland in einer komplizierten Lage befindet. Der politische Machtverlust in der lange dominierten Region ist unübersehbar. Die russischen Energiekonzerne bekommen nun auch die wirtschaftliche Konkurrenz zu spüren.

Moskau ist bei der Ausbeutung der Vorkommen im Kaspischen Meer jedoch nicht aus dem Rennen. Im Herbst 2001 wurde eine Pipeline vom kasachischen Ölfeld Tengis zum russischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk offiziell in Betrieb genommen. Der Exekutivdirektor des US-Unternehmens ChevronTexaco, Dave O`Reilly, betonte: „Wir feiern ein denkwürdiges Ereignis in den Beziehungen zwischen den USA, Russland und Kasachstan.“ Die volle Kapazität der Pipeline wird bei 1,34 Millionen Barrel pro Tag liegen. Die fast 1.600 Kilometer lange Leitung hat 2,6 Milliarden Dollar gekostet. Sie stellt zweifellos eine echte Konkurrenz zum Baku-Ceyhan-Projekt dar.

 

Kasachstan verfolgt eine pragmatische Politik

Ihr Zustandekommen ist ein Beleg für die pragmatische Politik des kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew, der sein Land einerseits dem Westen geöffnet und andererseits nicht den Konflikt mit Russland gesucht hat. Bereits im Jahre 1992 schloss Kasachstan mit dem Ölkonzern Chevron einen Vertrag mit einem Volumen von 20 Milliarden Dollar und einer Laufzeit von 40 Jahren, um zwei Ölfelder im Gebiet des Kaspischen Meeres zu entwickeln. Im Mai 2002 einigten sich Russland und Kasachstan in einem bilateralen Abkommen über ihren Anteil am Kaspischen Meer. Danach  beansprucht Kasachstan 29 und Russland 19 Prozent des Gewässers für die wirtschaftliche Nutzung. Vereinbart wurde die gemeinsame Erschließung von drei Lagerstätten.

Aus mehreren Gründen muss Kasachstan weiter ein Interesse an guten Beziehungen zu Russland haben. Beide Staaten haben nicht nur eine gemeinsame Grenze. Mehr als ein Drittel der Einwohner Kasachstans sind russischer Nationalität. Es gibt zwar keine offenen Grenzfragen, doch das heutige Nordkasachstan gehörte früher zu Sibirien. Das weckt noch immer Emotionen auf beiden Seiten. Wirtschaftlich sind Verflechtung und Abhängigkeit beträchtlich. Kasachstan realisiert 95 Prozent seines Ölexports über das russische Pipelinenetz.

Im Geschäft ist Kasachstan auch mit China. Über eine gigantische, 9,5 Milliarden Dollar teure Pipeline soll die energiehungrige Volksrepublik künftig mit versorgt werden. Die Regierung in Astana will bis zum Jahr 2015 etwa 80 Milliarden Dollar in den Ölsektor investieren. Das ist Bestandteil eines ehrgeizigen Programms für die wirtschaftliche Entwicklung von 2003 bis 2015. Die Erdölförderung lag im Jahr 2002 bei 44,3 Millionen Tonnen.

 

Iran sucht nach Alternativen

Einen pragmatischen Kurs verfolgt Kasachstan bei der Ausbeutung des Kaspischen Raumes auch gegenüber Teheran. Iran könnte das dort geförderte Öl direkt abnehmen und verbrauchen. Es bräuchte dann nicht das Öl von den Förderstätten im Süden bis in den Norden pumpen. Dort lebt der Großteil der 65 Millionen Iraner. Die im Bereich des Kaspischen Meeres tätigen Gesellschaften könnten im Gegenzug für ihre Lieferungen im Bereich des Persischen Golfes gefördertes iranisches Öl erhalten und hätten zudem gute Exportmöglichkeiten. Diesbezügliche Tauschgeschäfte bahnte Iran mit Kasachstan und Turkmenistan an. Seit 1998 wird Rohöl in die nordiranische Hafenstadt Neka gebracht.

Vor allem wäre das von Teheran ausgeschriebene Pipeline-Projekt, welches das iranische Netz mit dem Kaspischen Meer verbinden soll, mit 400 Millionen Dollar wesentlich billiger als die Baku-Ceyhan-Leitung. Kasachstans Präsident Nasarbajew betonte: „Unser Prinzip ist es, unser Öl auf verschiedenen Wegen auf die Weltmärkte zu bringen. Auch über Iran werden wir in Zukunft transportieren.“ Geprüft wird trotz der bestehenden US-Sanktionen der Bau einer Leitung, die entlang der kaspischen Ostküste von Kasachstan über Turkmenistan durch den Iran führt. Bereits Ende 1997 stellte Iran eine etwa 200 Kilometer lange Gaspipeline zwischen den Gasfeldern im Westen Turkmenistans und dem Nordosten Irans fertig. Dabei handelt es sich um die bislang einzig neu gebaute Leitung, die nicht von Zentralasien über Russland nach außen führt. Sie verfügt über eine Kapazität von zwei Milliarden Kubikmeter pro Jahr, die schrittweise auf acht Milliarden Kubikmeter erhöht werden soll.


Im Poker um das Kaspi-Öl hegt Teheran einerseits durchaus Sympathien für das offensivere Auftreten Moskaus im Kaukasus und in Zentralasien. Iran verspricht sich davon ein gewisses Gegengewicht zum wachsenden Einfluss der USA in der Region. Andererseits verfolgt das OPEC-Mitglied Iran die Ambitionen Russlands im Öl- und Gasbereich mit Besorgnis.

Auf der Suche nach weiteren Alternativen diskutierte der iranische Präsident Mohammad Khatami mit der pakistanischen Führung bei einem Besuch Ende Dezember 2002 in Islamabad das Projekt einer Gaspipeline von Iran über Pakistan nach Indien. Der Präsident bot zugleich Vermittlerdienste im Konflikt zwischen Islamabad und Delhi um Kaschmir an. Das aus den neunziger Jahren stammende Projekt befindet sich in Konkurrenz zu den wiederbelebten Plänen, Gas von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan zu pumpen. Pakistan sucht seit längerem nach einer Alternative zu den sich erschöpfenden eigenen Gasfeldern.

Im Poker um das Kaspi-Öl hegt Teheran einerseits durchaus Sympathien für das offensivere Auftreten Moskaus im Kaukasus und in Zentralasien. Iran verspricht sich davon ein gewisses Gegengewicht zum wachsenden Einfluss der USA in der Region. Andererseits verfolgt das OPEC-Mitglied Iran die Ambitionen Russlands im Öl- und Gasbereich mit Besorgnis. Im Jahr 2002 war Iran mit knapp 171 Millionen Tonnen der fünftgrößte Ölförderer. Das Land verfügt über nachgewiesene Vorräte dieses Rohstoffs im Umfang von über 12 Milliarden Tonnen, es nimmt damit Platz 6 unter den zehn ölreichsten Ländern ein. Die Erdgasreserven liegen bei knapp 23 Billionen Kubikmeter, das bedeutet Platz 2 weltweit.

Nach dem Irak-Krieg wachsen in Teheran vor allem die Befürchtungen, die USA könnten auch im Iran einen Regimewechsel anstreben. Washington wirft der Führung in Teheran vor, den Besitz von Atomwaffen anzustreben, Al-Qaida-Kämpfern Unterschlupf zu gewähren und sich im Irak einzumischen. Eine wesentliche Rolle dürfte allerdings auch der Rohstoffreichtum des Landes spielen. Bereits in seinem Bericht zur Lage der Nation Ende Januar 2002 hatte US-Präsident George Bush Iran, Irak und Nordkorea als „Achse des Bösen“ bezeichnet. Vorerst scheint aber die amerikanische Strategie darin zu bestehen, einen Umsturz von innen zu unterstützen.

 

Turkmenistans ehrgeizige Pläne gingen nicht auf

Iran und Turkmenistan sind bislang die Verlierer im Kaspi-Poker. Im Gegensatz zu Aserbaidschan und Kasachstan ist es Turkmenistan nicht gelungen, im Kampf um Gas und Öl eigene Akzente zu setzen. Obwohl die Gasvorkommen des Landes auf zwei Billionen Kubikmeter geschätzt werden und auch die Ölvorkommen vor der turkmenischen Küste Hoffnungen wecken, kann von einem neuen Kuwait am Kaspischen Meer keine Rede sein. Turkmenistan befindet sich, was den Gasexport betrifft, nach wie vor in Abhängigkeit vom russischen Pipelinenetz. Ehrgeizige Pläne, eine Leitung durch das Kaspische Meer nach Aserbaidschan zu verlegen und das Gas dann in die Türkei weiterzuleiten, blieben bislang Makulatur. Der Energiekonzern Gazprom und Turkmenistan schlossen vielmehr im April 2003 einen auf 25 Jahre ausgelegten Vertrag. Danach will das zentralasiatische Land die Erdgaslieferungen von sechs Milliarden Kubikmeter (2004) über zehn Milliarden Kubikmeter (2006) auf 80 Milliarden Kubikmeter (2009) steigern. Gazprom will das Gas für 44 Dollar pro 1.000 Kubikmeter kaufen. Die eine Hälfte wird in bar gezahlt, die andere Hälfte durch Güter und Dienstleistungen beglichen. In den russischen Medien wurde spekuliert, dass dazu auch Waffen für das Nijasow-Regime gehören könnten. Der Staatspräsident ergänzte den Gazprom-Deal mit dem Vorschlag, eine reichlich 1.000 Kilometer lange und eine Milliarde Dollar teure Pipeline entlang des Kaspischen Meeres in die russische Region Saratow zu bauen und diese mit dem Pipelinenetz von Gazprom zu verbinden.

Darüber hinaus setzt Präsident Nijasow wieder auf die afghanische Karte. Seit Mitte der neunziger Jahre gibt es Pläne, zwei Pipelines für Gas und Öl von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan zu bauen. Die Führer der drei Länder unterzeichneten im Mai 2002 eine Absichtserklärung für den Bau einer 1.500 Kilometer langen und zwei Milliarden Dollar teuren Gasleitung. Die Asian Development Bank (ADB) zeigte sich an dem Projekt interessiert und finanzierte eine Machbarkeitsstudie mit 1,5 Millionen Dollar. Die US-Botschafterin in Turkmenistan, Laura Kennedy, betonte: „Die Durchsetzung des Projektes könnte einen entscheidenden Einfluss auf Stabilität und Prosperität in Afghanistan haben.“

Zweifellos würde Afghanistan von den Transportgebühren profitieren, aber der Umsetzung des Projektes steht nach wie vor die katastrophale Sicherheitslage entgegen. Weite Teile des Landes werden von Warlords kontrolliert. Im strategisch wichtigen westafghanischen Herat, in dessen Nähe die Pipeline vorbeiführen würde, herrscht der Tadschike Ismail Khan. Dieser unterhält enge Beziehungen zum Iran, das kein Interesse an der Leitung hat. Die südlich gelegene Provinz Kandahar, die ebenfalls von der Pipeline durchschnitten würde, galt als Taliban-Hochburg. Die in dieser Region dominierenden Paschtunen-Stämme könnten das Projekt torpedieren. Um Teheran zu neutralisieren, besuchte der amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im April 2002 den einflussreichen Ismail Khan in Herat. Die Visite hatte neben dem Sicherheitsaspekt auch einen wirtschaftlichen Hintergrund. Die USA unterstützen seit den neunziger Jahren das Pipeline-Projekt.

Experten gehen jedoch davon aus, dass die Leitung sich nur rechnet, wenn damit auch noch Indien beliefert würde. Aufgrund der latenten Spannungen zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir bestehen aber Zweifel, dass es zu einer entsprechenden Einigung kommt. Als weiterer Unsicherheitsfaktor gilt der machtbewusste, aber realitätsferne Nijasow. Der Präsident hielt sich in der Vergangenheit mehrfach nicht an abgeschlossene Verträge und versuchte, westliche Firmen gegeneinander auszuspielen.

Dessen ungeachtet gibt es für das Pipeline-Projekt Turkmenistan, Afghanistan, Pakistan bereits wieder interessierte Konzerne wie das amerikanische Unternehmen ExxonMobil und die französische Firma TotalFinaElf. Nicht auszuschließen ist auch ein Comeback der amerikanischen Unocal. Das Unternehmen stand in den neunziger Jahren in Konkurrenz zur argentinischen Bridas um das Pipeline-Projekt. Sowohl Unocal als auch Bridas umwarben dabei die Taliban. Unocal ist mittlerweile an der Ausbeutung der Kaspi-Vorkommen beteiligt.

 

Strategische Interessen der USA in Zentralasien

Vorstellbar ist, dass das wirtschaftliche Interesse der USA in Zentralasien ebenso abnimmt wie einst das Moskaus, das sich noch zu Sowjetzeiten mit der Erschließung der ergiebigen sibirischen Ölfelder umorientierte. Während des zweiten Weltkrieges kamen 70 Prozent des russischen Ölbedarfs aus den Quellen um Baku, 1990 waren es nur noch etwa zwei Prozent.

Ohnehin stellt der Kaspische Raum keine Alternative zur Golfregion dar, wo fast zwei Drittel der Weltölreserven lagern. Allein Saudi-Arabien verfügt über mehr als 21 Prozent der Weltölreserven. Obwohl die USA gegenwärtig nur etwa 20 Prozent ihres Rohöls aus der Golfregion beziehen, bleibt diese aufgrund ihrer Ressourcen langfristig von strategischer Bedeutung für die Vereinigten Staaten. Länder wie Saudi-Arabien und Iran befürchten, dass Washington nach dem Sturz des Saddam-Regimes die irakische Ölindustrie privatisieren und eine US-hörige Regierung in Bagdad die OPEC verlassen werde. Die gesicherten Ölreserven in dem Zweistromland sind  mit 15 Milliarden Tonnen die weltweit drittgrößten und damit fünfmal so hoch wie die im Kaspischen Raum. Der Rohstoff kann im Irak auch deutlich billiger gefördert werden. Bereits im März 2001 hatte eine Energie-Arbeitsgruppe von US-Vizepräsident Dick Cheney detaillierte Informationen über die irakische Ölindustrie und die Vorhaben ausländischer Konzerne wie Shell, Lukoil und TotalFinaElf zusammengetragen.


Unübersehbar ist das strategische Interesse der USA, sich in dieser Region dauerhaft festzusetzen.

Allerdings reichen die gegenwärtig vom Irak geförderten und exportierten Mengen bei weitem nicht aus, um mit einem zusätzlichen Angebot den Ölpreis nach unten zu drücken. Als nicht realistisch gelten Prognosen, wonach das Land bis zum Jahresende zwei Millionen Barrel pro Tag produzieren könnte. Dagegen spricht der Zustand von Förderanlagen und Pipelinenetz, der sich durch Plünderungen und fortgesetzte Anschläge noch verschlechtert hat. Das deutet darauf hin, dass das relativ hohe Preisniveau von 26 bis 28 Dollar pro Barrel erhalten bliebe. Das wäre im Übrigen ganz im Sinne Russlands, das einen US-Militärschlag gegen den Irak unter anderem ablehnte, weil es einen Rohölpreisverfall und damit erhebliche eigene Exportverluste befürchtete.

Unklar bleibt bei dieser Gemengelage die politische und wirtschaftliche Perspektive des Kaspischen Raumes. Unübersehbar ist das strategische Interesse der USA, sich in dieser Region dauerhaft festzusetzen. Davon zeugen Stützpunkte, die im Rahmen des Afghanistan-Krieges in ehemaligen Sowjetrepubliken (Usbekistan, Kirgistan) errichtet wurden und schon lange davor angebahnte enge wirtschaftliche Verbindungen (Kasachstan). Damit drängen die USA den Einfluss Russlands zurück und besetzen Positionen in geografischer Nähe zur aufstrebenden Großmacht China. Insofern wird das künftige Engagement der Vereinigten Staaten in der Region nicht allein von deren tatsächlichem Rohstoffreichtum abhängig sein. In Zentralasien und im Kaukasus begibt sich die Supermacht jedoch auf ein unsicheres Terrain. Dort gibt es zahlreiche ethnische und zwischenstaatliche Konflikte. Wenn autoritär regierende Staatsführer wie Alijew (Aserbaidschan), Karimow (Usbekistan), Nijasow (Turkmenistan) und Schewardnadse (Georgien) abtreten, dürften die internen Machtkämpfe mit großer Schärfe entbrennen. Wahrscheinlich wird dann in einzelnen Ländern auch der radikale Islam eine größere Rolle spielen.

 

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Uwe Krüger *1954;

Journalist; Märkische Oderzeitung, Frankfurt (Oder);
ukrueger@moz.de

 

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