Internationale Politik und Gesellschaft
International Politics and Society 4/2003

 

 




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Zusammenarbeit, die die Welt verändern kann
Für eine Neuorientierung europäischer Entwicklungspolitik


Klaus Eßer* 

Europas Entwicklungspolitik sollte sich auf Partnerschaften mit Schwellenländern und dabei auf die mesoökonomischen Grundlagen wirtschaftlichen Erfolges konzentrieren. Nur dies trägt zum Abbau des weltweiten Nord-Süd-Gefälles bei. Gleichzeitig bringt es eine pluralistische, nicht-hegemoniale Weltordnung voran. Das derzeitige, als "Armutsbekämpfung" ausgegebene Kooperations- und Interventionschaos richtet gegen die Ursachen fortgesetzter Unterentwicklung nichts aus.

Europa sollte seine Entwicklungszusammenarbeit auf meso-ökonomische Partnerschaftsprogramme mit den sogenannten Schwellenländern konzentrieren. Diese kämen den Entwicklungsinteressen der Schwellenländer ebenso zugute wie den wirtschaftlichen Selbstbehauptungsinteressen Europas in der globalisierten Welt. Die Partnerschaft mit den Schwellenländern hat darüber hinaus das Potenzial, die Entwicklungschancen der armen Länder zu verbessern und zur Verringerung der Armut weltweit beizutragen. Bedingung für den Erfolg dieser Strategie ist, dass die Kooperationsmuster aus der Phase des Kalten Krieges aufgegeben werden.

 

Partnerschaft mit Schwellenländern

Als nach dem Zusammenbruch des "Gleichgewichts des Schreckens" der Welt ein Ordnungsmechanismus zu fehlen schien, flossen viele europäische Illusionen, von Wissenschaftlern und Politikern, in die Gestaltung der Globalisierung über die UNO ("global governance", "globale Strukturpolitik"). Deren machtpolitische Basis blieb jedoch schwach; Europa konnte sie nicht stärken, zumal es selbst in Innovation, Investition und Handel und vor allem militärisch zurückfiel. Der hegemoniale Unilateralismus macht deutlich, dass Europa nach Reformen suchen muss, sich selbst zu emanzipieren. Es sollte sich "nicht gegen Amerika emanzipieren",[1] jedoch weltweit Partner suchen,um seine Interessen zusammen mit diesen zu verfolgen. Andere Wege sind nicht erfolgversprechend:

Die weltweite Durchsetzung des libertären Liberalismus durch die USA, IWF und Weltbank hat viele lernfaule, wettbewerbsscheue "Industrialisierungsansätze", insbesondere die "industrielle Importsubstitution" in sozialistischen Ländern, Lateinamerika oder Indien, beendet. In einigen Ländern löste die wirtschaftspolitische Neuorientierung Wachstums- und Exporterfolge aus, in den meisten Ländern aber tragen die neoliberalen makroökonomischen Rahmenbedingungen kaum zu Wachstum bei. Dies ist z.B. in Lateinamerika der Fall, wo seit Erringung der politischen Unabhängigkeit im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts machtpolitische Kontinuitätsbrüche ausstehen und die Armut weiter wächst. In manchen Ländern des Nahen Ostens und Afrikas können nicht einmal stabile makroökonomische Rahmenbedingungen durchgesetzt werden. Allein durch zögerliche und kritische Unterstützung der Marktwirtschaft angelsächsischen Typs werden die Länder Europas ihr Profil in der Welt nicht schärfen.

Ein politischer und militärischer Interventionismus der Industrieländer, um - mit oder ohne UN-Zustimmung - Kontinuitätsbrüche in politisch blockierten Ländern zu erzwingen, wäre nicht erfolgversprechend: Er würde die Industrieländer bald finanziell und personell überfordern, die betroffenen Gesellschaften nur im Ausnahmefall dynamisieren und demokratisieren, ganz sicher aber weltweit, auch in den Industrieländern selbst, Protest und Widerstand mobilisieren. Wie der Unilateralismus und der an diesen angehängte Industrieländer-Interventionismus würde wohl auch ein Weltordnungskonzept "USA, EU, China, vielleicht Russland" (G9) zu viele Interessen und Probleme ausklammern.

Die kosmopolitische Ordnung auf der Basis des Völkerrechts bietet ebenfalls keinen Ausweg. "Das UN-Prinzip der kollektiven Sicherheit auf der Grundlage der Gleichheit aller Staaten erweist sich als eine Fehlkonstruktion...".[2] Auch nach Ende der Einbindung in den Kalten Krieg auf der einen oder anderen Seite verschafft dieses Prinzip in einer großen Zahl von "Entwicklungsländern" ineffektiven, auch verbrecherischen Regierungen ertragreiche sichere Spielräume. Die Dekolonialisierung, nicht zuletzt durch europäische Interessen geprägt, brachte zahlreiche Staatsgebilde hervor, die aus eigener Kraft kaum lebensfähig sind. Häufig ist ein Prozess der Nationwerdung nicht zu erwarten; viele dieser Staaten zerfallen. Die "kantische Hoffnung auf eine Weltinnenpolitik"[3] läuft bei 192 und mehr Ländern ins Leere; viele wiegen weniger als ein Großunternehmen; die meisten sind zu hohen Eigenanstrengungen nicht aus- und aufgelegt.

„Business as usual“: Unzureichende Erfolge sind absehbar, wenn die Länder Europas einfach ihre auswärtigen Politiken, hauptsächlich bei Einsatz "weicher Macht",[4] fortsetzen: Marktwirtschaft und soziale Demokratie propagieren, möglichst alle Länder für Investitionen und Handel offenhalten, auch inaktiven und unfähigen Regierungen "Entwicklungszusammenarbeit" einräumen, außerdem, wo immer möglich, die regionale Staatenkooperation unterstützen. Immerhin vermag dies vielleicht einige Bedingungen vor Ort verbessern, wenn z.B. eine regionale Gruppe wie die Neue Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas das Prinzip der Nichteinmischung zugunsten bestimmter entfaltungsfördernder sowie friedensstiftender und -bewahrender Interventionen in Mitgliedsländern zeitweise außer Kraft setzt.


Eine um Industrie- und Schwellenländer aufgebaute Weltordnung stellt eine solide Basis für die Gestaltung der Globalisierung, die Verringerung von Weltproblemen und eine regionalisierte UNO dar; sie relativiert hegemoniale Ansprüche.

Eine globale, pluralistische und differenzierte Weltordnung anzustreben, verspricht Erfolg.[5] Allerdings verlangt dies einen langen Atem, weil eine multipolare Welt, in der die dichten Räume eng miteinander verknüpft sind, erst heranwächst. In den ökonomisch stärksten Industrialisierungsländern (China, Brasilien, Russland, Indien, Mexiko, Argentinien, Indonesien, Türkei, Thailand, Südafrika, Malaysia),[6] die als "Schwellenländer" bezeichnet werden, verbessern sich jedoch die Bedingungen für den Aufbau eigenständiger Pole. Die Schwellenländer vereinen etwa 62 Prozent der Bevölkerung, 69 Prozent des Bruttosozialproduktes und 65 Prozent der Exporte der Entwicklungsländer auf sich. Auf sie entfallen etwa 62 Prozent des Bestandes an ausländischen Direktinvestitionen in Entwicklungsländern (76 Prozent des Zuflusses). Sie konzentrieren den allergrößten Teil der technisch-industriellen Potenziale außerhalb der Industrieländer auf sich. Einige Schwellenländer können, insbesondere bei enger Partnerschaft mit den Industrieländern, die Nord-Süd-Asymmetrie im nächsten Jahrzehnt, andere in drei bis vier Jahrzehnten überwinden.

Dieser Prozess bereitet den Weg für ein wirksames weltwirtschaftliches und weltpolitisches Steuerungsinstrument : "G 8 plus x", zunächst G 12 (mit China, Indien, Brasilien und Mexiko), dann vielleicht G 18. Ein solches leistungsfähiges Instrument zur Stabilisierung und Dynamisierung der Weltwirtschaft sowie zur regionalen Krisenbewältigung mit internationalem Rückhalt setzt voraus, dass nur Schwellenländer mit wachsendem weltwirtschaftlichen Gewicht aufgenommen werden. Die Einbeziehung schwacher Länder würde die Funktionsfähigkeit des Steuerungsinstruments gefährden. Natürlich werden in einer multipolaren Welt die biregionalen Beziehungen nicht gleichgewichtig ausfallen; z.B. werden Europas Beziehungen zu den USA auf absehbare Zeit enger sein als die zu Indien/Südasien.

Eine um Industrie- und Schwellenländer aufgebaute Weltordnung stellt eine solide Basis für die Gestaltung der Globalisierung, die Verringerung von Weltproblemen und eine regionalisierte UNO dar; sie relativiert hegemoniale Ansprüche.

 

Aufgabe ineffektiver Kooperationsmuster

Industrieländer mit fragwürdiger Steuerungsleistung, die seit langem die erforderlichen Kooperationsmuster nur mit größter Mühe auf den Weg bringen, empfehlen gern armen Ländern, davon vielen machtpolitisch blockierten ohne homogene Gesellschaften, teils sogar ohne Prozess der Nationwerdung, ihre Ordnungspolitik zur Nachahmung. Mit dem "Leitbildtransfer" einher geht eine "Armutsbekämpfung" über vielerlei Einzelmaßnahmen. Diese „Entwicklungszusammenarbeit“ (EZ), die das technisch-ökonomische Kernproblem der wirtschaftlich rückständigen Länder ausklammert, dient nicht einmal den eigenen Interessen der Industrieländer. Hier wird empfohlen, dieses Kooperationsmuster aus der Zeit des Kalten Krieges aufzugeben.

 

Der Rheinische Kapitalismus - ein Leitbild gesellschaftlicher Entfaltung, kein Rezept für  aufholende Industrialisierung

Der Rheinische Kapitalismus als spezifisches Rechts-, Verfassungs-, Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das jahrhundertealte gesellschaftliche Erfahrungen einiger europäischer Länder speichert, brachte im Nachkriegsdeutschland die Soziale Marktwirtschaft hervor. Diese verknüpft die Steuerung ökonomischer Prozesse über den Markt mit möglichst marktkonformen Staatsinterventionen, die auf die Verbesserung der gesellschaftlichen Vorleistungen für die Wirtschaft, einen Solidarausgleich und Ökoeffizienz gerichtet sind.

Seit den 80er Jahren schiebt Deutschland Reformen vor sich her: Die Politiken sind noch immer durch die erfolgreiche letzte Phase klassischer Industrialisierung von 1950 bis 1975 geprägt. Der Sozialstaat verteilt mehr, als der Allokationsmechanismus "Markt" erwirtschaftet und schränkt nicht selten den Leistungswillen ein. Seine Grundprinzipien werden zögerlich verschoben: vom Solidaritäts-, Versorgungs- und Sozialprinzip zum Subsidiaritäts-, Versicherungs- und Individualprinzip. Steuerfinanzierte Sozialpolitik und die "Förderung des geforderten Bürgers" gewinnen sehr allmählich an Bedeutung.

Die politischen Entscheidungsprozesse sind überzogen konsensorientiert, langwierig und kostspielig, die Akteure gegenwartsorientierter Interessen mächtig. Nicht zuletzt Haushaltsdefizite, Verschuldung und Verfall von Weltmarktpositionen treiben die Reformen voran. All dies ist nicht für Industrialisierungsländer vorbildlich, deren Führungsgruppen nur bei starkem politischen Willen, flexiblen Entscheidungsprozessen und Zusammenfassung aller gesellschaftlichen Kräfte ihre Interessen durchsetzen können: hohe Zukunftsinvestitionen, einen zeitlich begrenzten Lernschutz für komplexe Industrien und Dienstleistungen sowie einen auf Technik und Leistung gerichteten gesellschaftlichen Lernprozess.

Die Regierungen der Schwellenländer setzen unterschiedliche, auch autoritäre Formen der Macht ein, um ihre Gesellschaften zu dynamisieren. Ist eine Form ungeeignet, fällt auch ein Schwellenland, derzeit etwa Argentinien, zurück. Die Schwellenländer verzichten zunehmend auf makroökonomische Standardrezepte aus dem Norden; sie haben die ursprünglich aus den USA übernommenen Konzepte erheblich modifiziert. Sie verbessern vor allem die Standortbedingungen in den technisch-industriellen Agglomerationskernen sowie die internationale Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Unternehmen (Sicherung eines stabilen politischen und wirtschaftlichen Rahmens, Deregulierung auf Arbeits- und Gütermärkten mit wirtschafts- und sozialpolitisch begründeten Ausnahmen, geringe Lohnkosten, hohe Bildungsanstrengungen, schmale steuerfinanzierte Sozialprogramme, Exportförderung, Strategien zur Diversifizierung der Exportprodukte und Absatzmärkte u.ä.).


Industrieländer mit fragwürdiger Steuerungsleistung, die seit langem die erforderlichen Kooperationsmuster nur mit größter Mühe auf den Weg bringen, empfehlen gern armen Ländern, davon vielen machtpolitisch blockierten, ohne homogene Gesellschaften, teils sogar ohne Prozess der Nationwerdung, ihre Ordnungspolitik zur Nachahmung. Mit dem "Leitbildtransfer" einher geht eine "Armutsbekämpfung" über vielerlei Einzelmaßnahmen.

Erschwerend wirken sich für die Schwellenländer die kaum regulierte Globalisierung im Finanz- und Wirtschaftssektor, der anhaltend hohe Protektionismus und die hohe Förderung neuer Sektoren im Norden und vor allem der Umstand, dass nur der Weg zu Informationsökonomie und Wissensgesellschaft[7] offen steht, aus. Die technischen Innovationen, die das Organisationsmuster von Unternehmen, Wirtschaft und Gesellschaft verändern, erfordern ein gut organisiertes "globales Lernen"; in der Praxis wird vor allem von den USA gelernt, zumal deren Konzerne ihre Positionen in den modernen Industrie- und Dienstleistungsbranchen der Schwellenländer schnell ausbauen. Vor allem in China werden sie hierbei durch wissenschaftlich-technische Kooperation unterstützt.

Die Länder Europas sollten angesichts dieser Umstände darauf verzichten, die eigenen regulativen Konzepte, vielleicht sogar in aussichtsloser Konfrontation mit dem "Neoliberalismus", in die wirtschaftlich rückständigen Regionen zu übertragen. Ohnehin ist die Ordnungspolitik einer Gesellschaft primär deren Eigenleistung. Jede Wirtschaftsordnung besitzt eine spezifische Sozialstruktur; jede Industrialisierungsphase verlangt eine spezifische Wirtschaftspolitik. In frühen Phasen dominiert eine radikal ökonomische Logik, später fallen Politiken und Entscheidungs-prozesse liberaler aus; es gibt auch mehr zu verteilen. Nie geht es um einen besten Weg, immer um den eigenen Pfad zur Ausprägung der spezifisch nationalen Ordnung. Ohne ausgeprägtes spezifisches Profil ist kein Land erfolgreich; vielmehr laufen das Lernen von und die Kooperation mit anderen ins Leere.

 

Aufgabe der ineffektiven "Armutsbekämpfung"

Die EZ-Aporie seit Jahrzehnten sollte im Interesse Europas und der armen Länder beendet werden:

In Ländern mit geringen Eigenanstrengungen wächst die Zahl von "Faktoren und Bedingungen, Hindernissen und Voraussetzungen"[8] der "Entwicklung" unaufhörlich. Immer neue "Entwicklungsprobleme" werden, auch nach wissenschaftlichen Moden und bei wechselnden "Geber"- Interessen, identifiziert. Ergebnis ist die Illusion der "Entwicklung von außen her"; es kommt zu einem diffusen Interventionismus in immer mehr Funktionsbereiche hinein. In Perus Anden z.B. gab es um 1990 weit mehr als zweitausend Einzelmaßnahmen zahlreicher "Geber", sicherlich viele gut gemeinte und innerhalb des engen Projektrahmens auch effektive. Vor allem belasteten sie jedoch die schwache lokale und nationale Administration.

Während des Kalten Krieges fielen die Kooperationsergebnisse auch deswegen dürftig aus, weil das Hauptziel "politische Stabilität", durch politische und militärische Interventionen verfolgt, immer wieder Reformen in den armen Ländern verhinderte. Indem Reformregierungen scheiterten, wurden traditionale, autoritäre Kräfte gestärkt. Seit einigen Jahren wird in den USA das - nicht selten von diesen selbst verursachte - Problem der politischen Blockierung im Süden diskutiert; in islamischen Ländern wird es nun auch militärisch angegangen. In Deutschland und Europa besteht seit Anfang der 1990er Jahre eine ausgeprägte Schwäche, einen Neuanfang in der Zusammenarbeit mit den "Entwicklungsländern" zu wagen, um die eigenen Interessen, auch die sozialen und ökologischen, weltweit wahrzunehmen.

Die bilaterale Entwicklungszusammenarbeit zog sich auf "Armutsbekämpfung", z.B. in fünf kleinen Ländern Lateinamerikas, zurück. Kernbegriffe verraten viel, das Unwort weist auf Ziellyrik und Schwäche. Chaotischer Interventionismus über zahlreiche Einzelprojekte, die die Nähe zu Armen suchen, macht seit fast fünf Jahrzehnten keine Verringerung der Armut erreichbar. Natürlich steht der Begriff nicht für pathetisch-bellizistische Rhetorik, wie etwa "Krieg dem Terror"; er täuscht jedoch, vor allem in Deutschland selbst, das ernsthafte Angehen eines Weltproblems vor, das weiter wächst. Neuerdings kommt die Illusion hinzu, Armut sei durch "internationale Maßnahmen", hoffentlich sind nicht noch mehr Kleinprojekte gemeint, abbaubar. Aber: Wachstums- und Armutsprobleme sind bei geringer nationalstaatlicher Handlungsfähigkeit dort, wo sie auftreten, unlösbar. Die Vernachlässigung der Logik der Wirtschaft durch arme Länder und in der Kooperation mit diesen nährt nicht selten die Logik der Gewalt und Prozesse des Staatszerfalls.

Außerdem gibt sich Europas Entwicklungszusammenarbeit mit dem kleinen Ruhm einiger Einflussnahme auf die Weltbank zufrieden. Den Internationalen Währungsfonds (IWF), der unter starkem US-Einfluss steht, vermag sie, auch mangels Zuständigkeit im eigenen Land, ohnehin nicht zu bewegen. Ein Beispiel für einen solchen Ruhm ist der Wechsel vom Washington zum Monterrey Consensus, der auf "Armutsbekämpfung" gerichtet ist. Aus einer solchen Entwicklungs-zusammenarbeit zog vor einiger Zeit Donald J. Johnston, der Generalsekretär der OECD, den Schluss: "Die gesamte bilaterale Hilfe sollte abgeschafft werden, stattdessen sollte sämtliche öffentliche Entwicklungszusammenarbeit über die Weltbank laufen."[9] Dann allerdings würde sie noch weniger europäischen Interessen dienen.

Auch die multilaterale Entwicklungszusammenarbeit, etwa die der regionalen Entwicklungsbanken ist zu hinterfragen. Inwieweit dient sie den eigenen Interessen Europas, inwieweit denen der armen Länder? Kommt nicht der Vertiefung der bilateralen und biregionalen Kooperation Europas mit Schwellenländern eine weitaus größere Bedeutung zu? Wird diese auf eine neue Grundlage gestellt, ist auch die bisherige Finanzierung zu überdenken. Schließlich: Der beliebig ausgedeutete Begriff "Entwicklung" , auch ein Produkt des Kalten Krieges, sollte entfallen; er hat viel Unheil in Köpfen und "Entwicklungsländern" angerichtet.

 

Mesoökonomische Partnerschaftsprogramme mit Schwellenländern

Aufgrund der neuen technischen und globalen Herausforderungen hat die Mesosteuerung in den mittelgroßen und kleinen Ländern Europas eine zentrale Bedeutung erlangt. Die USA mit ihren Weltkonzernen sind weniger auf Mesopolitiken angewiesen, haben diese jedoch in den 1990er Jahren ebenfalls ausgebaut; ein Beispiel ist die Exportförderung zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen. Die Schwellenländer, deren Großunternehmen kaum je die Größenordnung von Industrieländerkonzernen erreichen, sind dabei, diese bisher eher schwache Steuerungsdimension zu stärken. Die Mesosteuerung zwischen der Makrosteuerung (über die makroökonomischen Rahmenbedingungen) und der Mikroebene der Unternehmen stellt den Schlüssel zur Verbesserung der nationalen Innovations-, Standort- und Wettbewerbsvorteile in der Weltwirtschaft dar.

In Industrie- und Schwellenländern wird die nationalstaatliche Steuerungsfähigkeit hauptsächlich in drei Bereichen verbessert: Die Wirtschafts- und die Technologiepolitik werden enger miteinander verzahnt, die Wirtschafts- und Sozialpolitik aufeinander abgestimmt und die Umwelt- in die Wirtschaftspolitik integriert, um das Potenzial produktionsorientierter Umweltschutztechniken zu nutzen. Die wichtigste gesellschaftliche Vorleistung für die Wirtschaft, die der ständigen Optimierung des Unternehmensumfeldes dient, ist die wissenschaftlichtechnische Dimension: die Zusammenarbeit kreativer nationaler Akteure zur Stärkung der Innovationskraft sowie die auf Technologietransfer gerichtete Kooperation mit Unternehmen oder Institutionen anderer Länder.

Auch andere gesellschaftliche Vorleistungen sind für die Wirtschaft wichtig: Das Exportziel verlangt leistungsfähige Institutionen, ein anspruchsvolles Know-how zu den verschiedenen Märkten sowie Unterneh­menskooperation, z.B. Exportkonsortien kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU). Das Beschäftigungsziel erfordert die Stärkung der innovations-, zuliefer- und exportorientierten KMU, das sozialpolitische Ziel vor allem Humankapitalbildung, das Umweltziel Regulierung und umwelttechnische KMU. All dies stärkt die Nachfrage. Entscheidend ist zunächst die Verbesserung von Effizienz und Effektivität der Mesoinstitutionen.

In Schwellenländern stärken Mesopolitiken die in Netzwerken ("clusters") organisierten Unternehmensgruppen, die technisch-industriellen Agglomerationskerne, in denen - wie in Schanghai oder Sâo Paulo - Industrie- und Dienstleistungssektor zusammenwachsen, sowie innovative Interaktionsformen zwischen Unternehmen, Banken, Staat sowie öffentlichen und privaten intermediären Institutionen. Die Strukturierung des Mesoraumes ist um so wichtiger, als weitere Fälle "harter Industrialisierung", etwa des südkoreanischen oder chinesischen Typs der Anfangsphase, angesichts der weltweiten Tendenz zu Markt und Demokratie, der neuen Technologien und der wirtschaftlichen Außenöffnung (auch um zu lernen) unwahrscheinlich geworden sind. Wegen der radikal sinkenden Transaktionskosten kommt es zu neuen Industrialisierungsformen: über die neuen Technologien, wie etwa in Malaysia, Irland und Finnland, und über ressourcennahe Exportindustrien, wie etwa in Chile und - mit Abstrichen - im übrigen Lateinamerika.


Die Mesosteuerung zwischen der Makrosteuerung und der Mikroebene der Unternehmen stellt den Schlüssel zur Verbesserung der nationalen Innovations- , Standort- und Wettbewerbsvorteile in der Weltwirtschaft dar.

Vor allem Mesopolitiken verkürzen die Phase des Rohstoff- und Niedriglohnexports der Schwellenländer und erhöhen die Importnachfrage aus umliegenden armen Ländern, zunächst, wie z.B. der Handel Brasiliens mit seinen südamerikanischen Nachbarn zeigt, von Rohstoffen und Nahrungsgütern. Der Spielraum der armen Länder, als Niedriglohnexporteure in die Weltwirtschaft hineinzuwachsen, weitet sich aus. Regionale Integration unterstützt diesen Prozess: Die Schwellenländer sind entscheidend für die Integration der Regionen, in denen sie liegen, in die globalen Kapital-, Güter- und Dienstleistungsmärkte. Häufig gibt erst die intraregionale Arbeitsteilung armen Ländern Chancen für eine differenzierte Produktion vor Ort und den Export in Drittländer. Die Mitzieh- und Demonstrationseffekte der Schwellenländer begünstigen die technischen und sozialen Lernprozesse in armen Ländern.

Die Industrieländer Europas können, indem sie ihre Mesostärken nutzen, eine dauerhafte Partnerschaft mit den Schwellenländern aufbauen. Über mesoökonomische Partnerschaftsprogramme intensivieren sie die fachlichen und institutionellen Lernprozesse in Schwellenländern. Häufig wird der Transfer von Know-how mit dem von ordnungspolitischen Elementen einhergehen. Europa kann erfolgversprechende Kooperationsmuster über mesoökonomische Partnerschaftsprogramme entfalten, wenn die eigenen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Interessen klar und eindeutig artikuliert werden. Jeder Partner sollte das Ziel "systemische Wettbewerbsfähigkeit"[10] vor Augen haben und die Kooperation als Bestandteil seines eigenen Lernprozesses ansehen. Vier mesoökonomische Partnerschaftsprogramme (MP) werden skizziert:

Kompetenzerwerb in der Informations- und Kommunikationstechnologie: Eine globalorientierte, zunächst über mesoökonomische Partnerschaftsprogramme umgesetzte Politik, die vor allem den Kompetenzerwerb in der Informations- und Kommunikationstechnologie fördert, führt weg von untauglichem Bemühen, die klassische Industrieökonomie nachzuholen. Die Nutzung des Produktionsfaktors „Wissen“ verlangt ein systembezogenes Denken und Handeln, die Kombination von marktförmigen und nicht-marktmäßig organisierten Austausch­prozessen sowie Systemlösungen, etwa international vernetzte Distributions- und Logistikzentren in Häfen und auf Flughäfen. Unternehmen sind auf die jeweils günstigste Kombination von Koordination untereinander und Wettbewerb ("co-petition") angewiesen. Wissenschaftlich-technische MP würden, z.B. im Großraum Sâo Paulo, dem Transfer von neuem Know-how, dem Informations- und Wissensmanagement sowie dem Aufbau eines nationalen Innovationssystems und einer für Südamerika vorbildlichen offenen Wissensgesellschaft dienen.

Verbesserung gesellschaftlicher Vorleistungen für die Wirtschaft:mesoökonomische Partnerschaftsprogramme zur Verbesserung sonstiger gesellschaftlicher Vorleistungen für die Wirtschaft aktivieren über allgemeine und selektive Mesopolitiken die Kreativitätspotenziale in vielen gesellschaftlichen Sphären. Beispiele sind: Bildungsreformen, insbesondere zugunsten einer modernen Grundschul- und spezialisierten Ausbildung, clusternahe Institutionensets, etwa Netzwerke zwischen anwendungsorientierter Hochschulforschung, Forschungs- und Technologieinstitutionen und der Wirtschaft, Verbraucherorganisationen und Institutionen der Qualitätssicherung, Exportfinanzierung, Exportinformation und Förderung von Exportclusters und KMU-Exportpools. Investive tragen mehr als konsumtive öffentliche Ausgaben zur Verbesserung der Position der heimischen Unternehmen auf Binnen- und Weltmärkten, damit zu Beschäftigung und Armutsabbau bei. Öffentliche Mesoakteure sollten, wo immer möglich, durch private ergänzt oder sogar ersetzt werden.

Eine globalorientierte Umweltpolitik fällt über mesoökonomische Partnerschaftsprogramme mit Schwellenländern, deren Anteil am globalen Umweltverbrauch schnell wächst, besonders wirksam aus. In Europa gibt es für solche mesoökonomische Partnerschaftsprogramme ausreichend Regulierungserfahrung, zahlreiche Fachinstitutionen und leistungsfähige kleine und mittlere Unternehmen. Die Schwellenländer sollten möglichst bald Industrieländerstandards erreichen: bei industriellem Umweltschutz und Verkehrssystemen, beim Energiesparen und bei der Nutzung neuer Energien, soweit diese finanziert werden können. Solche mesoökonomischen Partnerschafts-programme würden die Wirtschaft auf beiden Seiten beleben, z.B. europäische Direktinvestitionen anziehen, vielleicht sogar etwas Aufbruchstimmung in Deutschland auslösen. Annäherungen an die umweltpolitischen Ziele Europas sind über Energieeffizienz in Schwellenländern möglich.

Sozialpolitik: Haben mesoökonomische Partnerschaftsprogramme wie die genannten zu Partnerschaften geführt, werden vielleicht auch sozialpolitische MP umsetzbar. Zum einen besitzen die Länder Europas eine reichhaltige Erfahrung, immer wieder tragfähige soziale Ziel- und Politikkombinationen umzusetzen. In einigen von ihnen führt auch die neue Konzeptdiskussion bereits zu faszinierenden Reformpolitiken. Zum anderen werden die Schwellenländer aufgrund ihrer Erfahrungen mit dem libertären Liberalismus mit der Zeit die sozialpolitischen Konzepte des Rheinischen Kapitalismus stärker wahrnehmen; In ihnen erodiert, je länger einseitiges Marktvertrauen vorherrscht, das "soziale Kapital", einschließlich des Vertrauens als gesellschaftlicher Kernressource.

Warum nicht ein wissenschaftlich-technisches mesoökonomisches Partnerschaftsprogramm Deutschlands und Italiens mit Brasilien, das dort Innovation, Wissenschaft und Technik stärkt, die Bedingungen für Investitionen europäischer Unternehmen der Informations- und Kommunikations-technologie verbessert und nach der Anlaufphase auf alle MERCOSUR-Länder bezogen wird? Warum nicht ein von Deutschland angeregtes europäisches MP, das in Südafrika und dann auch in anderen Ländern der Region die gesellschaftlichen Vorleistungen für die Wirtschaft verbessert und zugleich die regionale Integration dynamisiert ? Warum nicht ein deutsch-französisches Umwelt-MP mit China, das schrittweise eine große Zahl alter und neuer EU-Staaten einbezieht und Unternehmen der Umwelttechnik aller Beteiligten Investitionsspielräume eröffnet?

Die Partnerschaft von Industrie- und Schwellenländern dient der Zukunftssicherung. Längerfristig kann über mesoökonomische Partnerschaftsprogramme vielleicht sogar eine Trendwende bei den Weltproblemen "digitale Kluft", "Armut" und "globaler Umweltverbrauch" erreicht werden. Fast drei Viertel der Armen der Welt leben in Schwellenländern. Diese tragen mehr als ein Fünftel zur globalen Umweltbelastung (CO2-Ausstoß) bei, das sind 85 Prozent des Beitrages aller Entwicklungsländer. Ein anderer Weg, eine solche Trendwende einzuleiten und längerfristig durchzusetzen, als der über eine solche Partnerschaft, ist nicht erkennbar.

 

"Aktive Globalisierung"

Länderauswahl: Die Kooperation mit Schwellenländern trägt zu einer gemeinsamen Gestaltung des Globalisierungsprozesses bei. Mehrere Schwellenländer, z.B. Indien, Brasilien und Argentinien, aber auch Chile, das zur Schwellenländer-Anschlussgruppe (wie Saudi-Arabien, Iran, Philippinen, Kolumbien, Venezuela, Ägypten, Pakistan, Peru, Ukraine, bald wohl auch Vietnam) zählt, regen seit Jahren die Ersetzung der Entwicklungszusammenarbeit durch wissenschaftlich-technische Kooperation an. Es wäre sinnvoll, mesoökonomische Partnerschaftsprogramme zunächst auf Schwellenländer zu konzentrieren, die besonders hohe Eigenleistungen aufweisen, für viele umliegende Länder und die Weltwirtschaft wichtig sind und ein ausgeprägtes Interesse an dieser Kooperationsform - statt z.B. an weiterer Finanzierung ihrer physischen Infrastruktur über Auslandskredite - besitzen. Erfolgreiche mesoökonomische Partnerschaftsprogramme in solchen Schwellenländern werden die Akzeptanz in anderen Schwellenländern schnell erhöhen. Mittelfristig sollte auch die Kooperation mit ausgewählten Ländern der Anschlussgruppe, etwa dem Iran und Chile, auf die neue Grundlage gestellt werden,

Kritische Masse: Zentrales Kooperationskriterium im Rahmen einer verlässlichen Part­nerschaft ist Signifikanz: strategische ökonomische Relevanz, soziale Breitenwirksamkeit, ökologische Nachhaltigkeit sowie Visibilität, auch international. Substanzielle mesoökonomische Partnerschafts-programme mit einer großen Zahl vernetzter Projekte, in denen fachliche Kompetenz entfaltet wird, gelingen, wenn die jeweils eigenen Potenziale ausgeschöpft und Kräfte und Know-how beider Seiten zusammengeführt werden.

Auf der deutschen Seite gilt es, die Ressourcen verschiedener Ministerien (Auswärtiges, Zusammenarbeit, Bildung und Forschung, Umwelt, Wirtschaft und Arbeit u.a.), öffentlicher und privater Fachinstitutionen (GTZ, KfW, UBA, Fraunhofer-Gesellschaft, Steinbeis-Stiftung u.ä.), kleiner und mittlerer Unternehmen der Energie- und Umwelttechnik sowie kompetenter

Nichtregierungsorganisationen zu bündeln. Es kommt auf gemeinsame Konzepte, eine enge Abstimmung sowie dichte Kooperation bei klarer Arbeitsteilung in mesoökonomischen Partnerschaftsprogrammen an. Dies verlangt neue Regeln, effektiv kombinierte Steuerungsleistungen und viel politischen Mut; bisher ist die Kooperation von Ministerien zum Zwecke der Kompetenzbündelung eher die Ausnahme.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sollte ein Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit werden, das hilflose Anhängsel "und Entwicklung" wieder entfallen. Es sollte vor allem Aufgaben in zwei Feldern wahrnehmen: Zum einen die politische MP-Steuerung; die Steuerung vor Ort könnte bei einem MP-Manager liegen. Fachinstitutionen würden beraten und Personal entsenden. Zum anderen würden BMZ und Schwellenländer schrittweise arme Nachbarländer mit Eigenanstrengungen einbeziehen. Dies und die Schwellenländer-Dynamik könnte arme Länder stärker dynamisieren als Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit. Mit der Zeit käme es zu einer - von der EU trotz armer biregionaler Substanz bereits proklamierten - "strategischen Partnerschaft" mit regionalen Integrationsgruppen.

Die MP-Finanzierung ist schwierig, aber durchaus erreichbar. In der Anfangsphase müssen vor allem BMZ-Mittel bereitgestellt werden; später gilt dies hauptsächlich für die Einbeziehung armer Länder in mesoökonomische Partnerschaftsprogramme. Zunächst würde der Finanzierungsanteil von KfW, Weltbank, Regionalbanken u.ä. hoch ausfallen, jedoch der Anteil des Schwellenlandes bald überproportional zunehmen. In der Regel würden Industrie- und Schwellenland ihren Anteil an Forschungs- und Entwicklungsprojekten selbst finanzieren (Beispiel: USA - China). Institutionen wie die Fraunhofer-Gesellschaft benötigen nur eine Anlauffinanzierung. Das Industrieland würde die Fortbildung von Schwellenländer-Experten für einige Jahre übernehmen. Umwelt-MP werden eine relativ lange Anlaufphase besitzen, weil Schwellenländer die zusätzlichen Belastungen nur schrittweise übernehmen können.

In deutsche mesoökonomische Partnerschaftsprogramme mit einem Schwellenland sollten weitere Länder Europas, die EU, deren Entwicklungszusammenarbeit besonders kleinteilig und hilflos ist, einbezogen werden – und warum nicht auch die Weltbank oder Interamerikanische Entwicklungsbank, die immer auf der Suche nach erfolgversprechender Entwicklungszusammenarbeit sind. So würden multilaterale Mittel auch einmal für europäische Programme genutzt werden. Deutschland sollte auch mesoökonomische Partnerschaftsprogramme der EU anregen.

Die gemeinsamen Interessen mit Schwellenländern liegen zunächst dort, wo die Modernisierung von deren Volkswirtschaften unterstützt wird. Eine weitere Bedingung ist die wachsende Präsenz europäischer Unternehmen auf diesen Zukunftsmärkten. Dies geht in erster Linie die Unternehmen selbst an. Es hat sich jedoch erwiesen, dass vor der Investitionsphase politische Hilfestellung und wissenschaftlich-technische Kooperation unterstützend wirken können. Dies gilt insbesondere für eine frühzeitige Präsenz europäischer Unternehmen auf Zukunftsmärkten; ein Beispiel ist heute die schnell wachsende chinesische Werkzeugmaschinenindustrie.

Die regionale Integration ist die wichtigste Stärke Europas. Die Wohlfahrtssteigerung durch Marktvergrößerung schafft eine solide Basis für einen gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsraum, die Integra­tion der auswärtigen Politiken und die Annäherung der Rechtssysteme. Im Integrationsraum besitzen kleine Länder mit hohen Eigenanstrengungen, Finnland oder Irland, hervorragende Entfaltungsbedingungen. Bei armen kleinen Ländern dagegen schränken, sogar wenn sie regionale Gruppen bilden, z.B. in Zentralamerika und der Karibik, unzureichende Marktgrößeneffekte das in- und ausländische Investitionsinteresse ein.

Nur äußerst günstige endogene Bedingungen und eine starke Exportorientierung erlauben, wie sich z.B. in Chile zeigt, die Entfaltung aus eigener Kraft. Aufgrund hoher Anstrengungen, besonderer Bedingungen und hoher Exporte sind die fünf Schwellenländer der ersten Generation (Republik Korea, Taiwan, Singapur, Hongkong, Israel) "Neue Industrieländer" geworden.

Die regionale Integration erfolgt um Kernländer herum (EU, NAFTA). Schwellenländer besitzen bereits eine Lokomotivfunktion in ihren Regionen und sind Motoren regionaler Kooperation und Integration (ASEAN, GUS, MERCOSUR, SADC, SAARC).[11] Vor allem die EU-Kooperation sollte solche Prozesse unterstützen. Es geht um die Vermittlung der Kunst des Regierens jenseits des Nationalstaates sowie der eigenen Integrationserfahrungen und -techniken. Die Regionalisierung der Welt richtet sich nicht, wie behauptet wird, gegen die Globalisierung, sondern unterfüttert sie. Ziel ist die bi- und interregionale Bündnisbildung für Wachstum, soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz und Frieden.

Zugleich können Industrie- und Schwellenländer die Bedingungen armer Länder verbessern: erstere durch deren Eingliederung in ihre Integrationsgruppen, z.B. der Länder Zentralamerikas und der Karibik in die NAFTA, und den Abbau ihres Protektionismus, letztere durch regionale Integration und die Einbeziehung armer Länder in mesoökonomische Partnerschaftsprogramme, auch um diesen den Weg zum Regional- und Weltmarkt zu eröffnen. Beide Seiten sollten den Stabilisierungs- und Veränderungsdruck auf arme Länder miteinander verknüpfen. Einige Schwellenländer tragen bereits zur Vermeidung bzw. Eindämmung von Konflikten in Nachbarländern bei, z.B. Brasilien in Paraguay. Regionale Sicherheitssysteme können Kontinuitätsbrüche in armen Mitgliedsländern, die zur Überwindung obsoleter Wirtschafts- und Machtstruktu­ren unvermeidbar sind, wahrscheinlich ausreichend abfedern.


Wachstums- und Armutsprobleme sind bei geringer nationalstaatlicher Handlungsfähigkeit dort, wo sie auftreten, unlösbar. Die Vernachlässigung der Logik der Wirtschaft durch arme Länder und in der Kooperation mit diesen nährt nicht selten die Logik der Gewalt und Prozesse des Staatszerfalls.

Problemfälle: Trägt die vorgeschlagene Partnerschaftspolitik auch in fragmentierten Regionen mit schwachen Kernländern oder in den Regionen, die nur blockierte arme Länder mit Diktaturen oder Fassadendemokratien aufweisen? Im ersten Fall spricht dies für, nicht gegen mesoökonomische Partnerschaftsprogramme in den schwachen Kernländern. Im zweiten Fall ist zu fragen, ob nicht starke Länder in Anschlussregionen liegen, die ihre Verantwortung unzureichend wahrnehmen. Ein Extremfall: Aufgabe der USA, deren häufige militäri­sche Interventionen in Zentralamerika und der Karibik der Sicherung traditionaler Strukturen und kurzfristiger Interessen dienten, und Mexikos wäre es, die Führungsgruppen mancher Länder, etwa Guatemalas, die seit Jahrhunderten die indianische Bevölkerung entrechten und ausbeuten, zu entmachten - oder wenigstens zu "modernisieren".

In beiden Fällen ist zu fragen, ob militärische Interventionen der Industrieländer, auf die sich auch die Streitkräfte europäischer Länder vorbereiten, Sinn machen. So sehr sie im Augenblick aus humanitä­ren Gründen oder wegen des Drohpotenzials von Regierungen gerechtfertigt sein mögen, häufig werden sie nicht zu Wachstum und Frieden beitragen. Sie sollten auf extreme Fälle, etwa Anzeichen für Völkermord, beschränkt bleiben und möglichst zusammen mit Schwellenländern, in Afrika z.B. mit Südafrika, durchgeführt werden. Gemeinsamer Druck von Industrie- und Schwellenländern ist wichtiger als ausweglose militärische Interventionen.

Von bilateraler zu multilateraler Partnerschaft: Die bilaterale, zunehmend auch biregionale Mesokooperation würde die Präsenz beider Seiten im globalen Innovations- und Investitionsprozess stärken, ihr wirtschaftliches Wachstum anregen, die Prozesse regionaler Integration um die Schwellenländer, die bereits benachbarte Länder einbinden, fördern und längerfristig zur Verringerung von Regional- und Weltproblemen beitragen. Aber ohne Zweifel ist der Weg zu einer weltweiten, multipolar basierten Partnerschaftspolitik lang. Europa kann ihn verkürzen, indem es weltweit ausgreift, um seine wirtschaftlichen, politischen, sozialen und ökologischen Interessen wahrzunehmen.

Eine Beschränkung auf das integrationswillige "Kerneuropa" trägt nicht; es wäre z.B. interessanter, auch neue Mitgliedsländer der EU in mesoökonomische Partnerschaftsprogramme einzubeziehen, um deren regionalen und weltweiten Lernprozess zu beschleunigen. Außerdem gibt Immanuel Kant trotz aller Probleme und fundamentalistischen Ideologien in armen und reichen Ländern Hoffnung: "Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zusammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volks bemächtigt."[12]

"Good governance" in Industrie- und Schwellenländern sowie deren Partnerschaft können einige Voraussetzungen für "global governance" verbessern. Letztere aber ist ein Fernziel - sofern überhaupt einmal eine ausreichende machtpolitische Basis für sie erreicht werden kann. Eine solche Basis würde vor allem eine Partnerschaft zwischen Industrie- und Schwellenländern verlangen.


[1] Vgl. G. Gaus im Gespräch mit E. Bahr, Kann sich Europa emanzipieren? Friedrich-Ebert-Stiftung, Forum Berlin, 20.3.2002, S.10 f.

[2] U. K. Preuss, „Die UNeinigen Weltrichter. Amerika bleibt die "unver­zichtbare Nation" - bis regionale Bündnisse für Frieden sorgen können“, in: Die Zeit, Nr. 23, 28.5.2003, S. 11.

[3] J. Derrida/J. Habermas, „Unsere Erneuerung. Nach dem Krieg: Die Wiedergeburt Europas“, in: FAZ, Nr. 125, 31.5.2003, S. 33.

[4] J. S. Nye, Das Paradox der amerikanischen Macht. Warum die einzige Supermacht der Welt Verbündete braucht, Hamburg 2003 ("soft power").

[5] vgl. H.-G. Schmierer, Enstaatlichte Gewalt und staatliche Außenpolitik, FES, Gewaltmärkte und staatliche Politik, Berlin, 10.5.2003 (Vortrag).

[6] Klaus Eßer, Partnerschaft mit Schwellenländern -Aufgaben der Entwicklungs­politik, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik/DIE, Berlin, Berichte und Gutachten 11/1999.

[7] Klaus Eßer, „Von der Industrie- zur Informationsgesellschaft - Nationalstaatliches Denken im Übergang“, in: Ibero-Amerikanisches Archiv. Zeitschrift für Sozialwissenschaften und Geschichte, Bd. 25,Berlin 1999, H.1-2,  S. 33-75.

[8] A.O. Hirschman, Die Strategie der wirtschaftlichen Entwicklung, Stuttgart 1967, S. 1.

[9] Entwicklungszusammenarbeit und Armutsbekämpfung. Auf dem Weg zu Good Global Governance? FES Info, 3/2002, S.2.

[10] Klaus Eßer/W. Hillebrand/D. Messner/J. Meyer-Stamer, Systemische Wettbewerbsfähigkeit - Internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und Anforderungen an die Politik, DIE, Berlin, BuG 11/1994

[11] Klaus Eßer, Globalisierung, Regionalisierung und interregionale Beziehungen - Anforderungen an den MERCOSUR und eine EU-MERCOSUR-Partnerschaft, DIE, Bonn, BuG 12/2000; North American Free Trade Agreement, Association of South East Asian Nations, Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (um Russland), Mercado Común del Sur, South African Development Community, South Asian Association for Regional Cooperation (um Indien).

[12] I. Kant, Zum ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf, Stuttgart 1984, S.33

 

Klaus Eßer *1940;

Politikwissenschaftler; ehem. Abteilungsleiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, DIE, Berlin

 

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