Internationale Politik und Gesellschaft
International Politics and Society 4/2002

 

 

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Das Demokratiedefizit lässt sich nicht wegreformieren- Über Sinn und Unsinn der europäischen Verfassungsdebatte

Marcus Höreth*

Versuche, die EU demokratischer zu machen, führen letztendlich nicht zu einem Mehr, sondern zu einem Weniger an Legitimität. Die Fähigkeit, Probleme zu lösen, wird auch in Zukunft die wichtigste Legitimationsbasis der EU sein.

 

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) scheinen erkannt zu haben, dass zukünftige europapolitische Weichenstellungen nicht mehr ausschließlich mit den Instrumenten klassischer Diplomatie vorgenommen werden können. Unter dem Vorsitz des früheren französischen Staatspräsidenten Valéry Giscard d'Estaing und den beiden ehemaligen Regierungschefs Italiens und Belgiens, Guiliano Amato und Jean-Luc Dehaene, wird der seit Anfang März 2002 tagende Konvent von Laeken der nächsten EU-Regierungskonferenz Vorschläge zu einem neuen Vertrag unterbreiten. Die EU steht damit vor der umfassendsten Reform ihrer Geschichte: Der Konvent hat sich die Behandlung sämtlicher Probleme vorgenommen, die bei den europäischen Bürgerinnen und Bürgern seit der Verabschiedung des Maastrichter Vertrages 1992 erhebliche Legitimationszweifel ausgelöst haben. Es geht um nicht weniger als die Gesamtkonstitution des politischen Systems, vor allem um dessen demokratische Qualität – und damit ist die Verfassungsfrage in aller Deutlichkeit gestellt. Eine der wichtigsten in die zukünftige europäische Verfassung gesteckten Erwartungen ist, dass sie Spielregeln des Regierens kodifiziert, die zur deutlichen Stärkung der demokratischen Legitimation europäischer Politik beitragen. Europa, so könnte man auch formulieren, ist auf der Suche nach seiner demokratischen Form. Dieser Artikel versucht, Schneisen in das Dickicht der europäischen Verfassungsdebatte zu schlagen, indem er Verfassungsoptionen in idealtypischer Form aufzeigt und kritisch bewertet. Er stellt Demokratiemodelle vor, die dem Konvent als „Leitbilder“ (Schneider 1992) dienen könnten, und untersucht, wie weit sie sich eignen, die Legitimationsprobleme der EU zu lösen.

Europäisches Regieren: unter Ausschluss der Regierten

Seit seiner Entstehung ist das europäische Integrationsunternehmen von einer erheblichen Entwicklungsdynamik gekennzeichnet. Die europäische Integration hat sich von Beginn an im Spannungsfeld zwischen intergouvernementaler Kooperation und supranationalem Aufgabenzuwachs und Autonomiegewinn bewegt. Diese Dynamik lässt sich insbesondere seit der Verabschiedung der Einheitlichen Europäischen Akte von 1987 an den Vertragsreformen von Maastricht 1992 und Amsterdam 1997, am Reformprogramm der Agenda 2000, der Einführung einer gemeinsamen Währung in 1999, dem Vertrag von Nizza in 2000 und schließlich an der jüngsten Einberufung eines Konvents auf dem Europäischen Rat in Laeken zur Erarbeitung eines Vorschlags für eine Europäische Verfassung ablesen. Wesentliches Kennzeichen des politischen Systems der EU ist – legitimationstheoretisch gut begründet (Höreth 1999: 283) – noch immer seine "konsoziative" Gesamtkonstruktion. Insbesondere

  • die Beibehaltung der Einstimmigkeitsregel im Rat in politisch sensiblen Aufgabenfeldern,
  • die hohen Hürden für die Anwendung des qualifizierten Mehrheitsprinzips, und schließlich
  • die trotz permanenter Aufwertung des Parlaments noch nicht erreichte echte Gleichberechtigung als Gesetzgebungsorgan neben dem Rat

entsprechen eher dem Modell eines „Consensus Government“ als dem einer majoritären Demokratie (vgl. Lijphart 1984). Der starken Konsensorientierung des Entscheidungssystems entspricht eine im Laufe der europäischen Integration ständig anwachsende Anzahl an Akteuren, die als potentielle Veto-Spieler an der Entscheidungsvorbereitung und -findung beteiligt sind. Positiv schlägt bei einem politischen System mit zumeist konsensorientierten Entscheidungsmustern zu Buche, dass zwischen den Mitgliedstaaten trotz der durchaus bestehenden Interessenheterogenität keine fundamentalen Konfliktlinien entstehen. Potentielle Konflikte können aufgrund der besonderen, nicht-majoritären und die Interessen von Minderheiten stark berücksichtigenden, institutionellen Arrangements der EU gewissermaßen abgefedert und befriedet werden. Die Kehrseite des europäischen Systems eines „Consensus Government“ ist, dass es im Vergleich zum „Majoritarian Government“ eine eingeschränkte Problemlösungsfähigkeit besitzt.

Dass das politische System der EU durchaus auch innovative Züge trägt, durch welche es sich von rein konsensorientierten Formen intergouvernementaler Zusammenarbeit unterscheidet, hat es neben dem zunehmend mächtiger werdenden Europäischen Parlament und dem mit einer beeindruckenden Jurisdiktionsmacht ausgestatteten Europäischen Gerichtshof vor allem der Europäischen Kommission zu verdanken. Innerhalb des politischen Systems der EU stellt die Kommission eine besondere Form der europäischen Exekutive dar. Ihre wesentlichen Funktionen liegen in der Vorbereitung, Durchführung und Implementationskontrolle europäischer Rechtsakte. Zwar kann die spezifische Rolle der Kommission im Rahmen der Entscheidungsvorbereitung, -findung, -durchführung und -kontrolle in Abhängigkeit von dem zu regelnden Politikfeld durchaus unterschiedlich ausgeprägt sein. Aufgrund ihres Initiativmonopols, aber auch ihrer Kontroll- und Exekutivkompetenzen wird sie jedoch nicht nur als „Hüterin der Verträge“, sondern generell als „Motor der Integration“ angesehen. Ohne ihre Vorschläge kann der europäische Rechtsetzungsprozeß nicht in Gang kommen. Aus diesem Grund liegt die zentrale Einflußmöglichkeit der Kommission in der Qualität ihrer Politikvorschläge (Ludlow 1991: 96 f) in den einzubringenden Vorlagen. Damit sind wesentliche europapolitische Entwicklungen der letzten Jahre durch die Kommission maßgeblich beeinflußt worden. Trotz dieser Erfolge wird der Kommission nicht nur ein Mangel an demokratischer Legitimation, sondern auch mangelhafte Effizienz und Effektivität vorgeworfen. Diese Ineffizienz ist vor allem die Folge ständig wachsender Anforderungen und veränderter Gestaltungs- und Regelungsansprüche an die Kommission, die sich aus den komplexer werdenden Problemlagen unter den Bedingungen transnationaler Interdependenz ergeben. Kritiker weisen darauf hin, dass die Kommission mit ihrer derzeitigen Organisationsstruktur diesen Problemlagen und Herausforderungen nicht hinreichend beikommen kann (Bach 1999). Vor allem die sektorale Fragmentierung der Kommission in einzelne Generaldirektionen, ihre multinationale Zusammensetzung, ihre Sprachenheterogenität und schließlich ihre interne verwaltungsspezifische Differenzen erscheinen in diesem Zusammenhang als dysfunktional.

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Das Dilemma ist einfach zu beschreiben: Während durch Kompetenzverlagerungen auf die europäische Ebene Aufgabenzuwachs und Entscheidungsmacht der EU dramatisch zugenommen haben, konnte die Entwicklung von demokratischen Strukturen außerhalb des engen nationalstaatlichen Gehäuses mit diesem Tempo nicht Schritt halten.
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Während die Kommission traditionell eine wichtige Rolle in der europäischen Politikvorbereitung und -umsetzung spielt und das Europäische Parlament durch die Ausweitung des Mitentscheidungsverfahrens zunehmend an Einfluss gewinnt, ist jedoch noch immer der Ministerrat, der je nach Regelungsmaterie mit den zuständigen Fachministern der mitgliedstaatlichen Regierungen besetzt ist, das zentrale Entscheidungsorgan der EU. Schon von seiner Zusammensetzung her ist der Rat ein institutionelles Gegengewicht gegenüber den originär supranationalen Organen Kommission und Parlament. Als intergouvernementales Element des Europäischen Regierungssystems spiegelt der Rat nationale Interessen wider, die in Einklang gebracht werden müssen, damit Entscheidungsfähigkeit hergestellt wird. Die ständige Suche nach Konsens ist im Rat daher der dominierende Entscheidungsmodus, selbst wenn qualifizierte Mehrheiten möglich sind. Von erheblicher Bedeutung ist die Vorbereitung der Ratsentscheidungen durch den COREPER, dem Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten, in dem verschiedene mit nationalen Beamten besetzte themenbezogene Arbeitsgruppen koordiniert werden. Beim internen Entscheidungsverfahren des Rates übernimmt der COREPER die Funktion der Rückkopplung der Kommissionsvorschläge an die nationalen Realitäten. Zunehmend muss der Rat – aber auch schon zuvor in der Vorschlagsphase der europäischen Entscheidungsfindung die Europäische Kommission – die gesetzgeberischen Intentionen des selbstbewußter werdenden Europäischen Parlaments berücksichtigen, das aus den Vertragsreformen von Maastricht, Amsterdam und jüngst auch Nizza (Wessels 2001) eindeutig als Gewinner hervorging. In vielen Politikfeldern, in denen die qualifizierte Mehrheit zur Anwendung kommt, ist das Parlament inzwischen neben dem Rat zu einem gleichberechtigten Rechtsetzungsorgan aufgestiegen. Mit dem Aufstieg des Parlaments hat die Kommission die zunehmend wichtiger werdende Aufgabe bekommen, als politischer Makler zwischen dem Rat und dem Parlament zu vermitteln, damit ihre Gesetzesinitiativen nicht zum Scheitern verurteilt sind.

Insgesamt stellt sich angesichts dieser institutionellen Entwicklungen die kritische Frage, ob sich die EU nicht längst auf den Weg zu eigener "Suprastaatlichkeit" aufgemacht hat und schon aus diesem Grund einen hohen Legitimationsbedarf aufweist. Gewöhnlich werden Antworten auf diese Frage gesucht, indem die autonom supranationale Entwicklung der EU den gleichfalls vorhandenen intergouvernementalen Formen gegenübergestellt und dann gemessen wird, welcher Modus in der Europapolitik dominiert. Wenn es die Mitgliedstaaten sind, die in der Europapolitik weiterhin das Heft fest in der Hand behalten (Moravcsik 1999), dann könnte ja angenommen werden, dass die indirekte demokratische Legitimation der EU, vermittelt über die nationalen Parlamente, eine hinreichende Legitimationsressource darstellt. Die Frage, ob die jüngste Entwicklung der europäischen Integration seit Maastricht eher mit einer Stärkung des supranationalen Kerns des Integrationsunternehmens oder aber intergouvernementaler Elemente einher ging, lässt sich jedoch nicht eindeutig beantworten, sie ist wahrscheinlich sogar falsch gestellt. Man darf sich das Verhältnis dieser beiden Modi Europäischen Regierens nicht als „Nullsummenspiel“ vorstellen. Wenn es diesbezüglich einen generellen Trend in der Integrationsentwicklung gab, so lässt sich dieser vielmehr wie folgt beschreiben: Die europäische Integration ist immer dadurch gekennzeichnet gewesen, dass Integrationsfortschritte – z.B. durch Kompetenzübertragungen auf die EU-Ebene – zwar zu einem Aufgabenzuwachs supranationaler Institutionen geführt haben, die jedoch durch die gleichzeitige Stärkung intergouvernementaler Beteiligungs- und Kontrollmodi in allen Phasen europäischer Entscheidungsfindung und -implementation kompensiert wurden. Auf diese Weise ist etwa die undurchsichtige, manche meinen gar zwielichtige "Brüsseler Unterwelt", die Komitologie, entstanden, die man nicht nur als intergouvernementales Instrument, sondern auch als Merkmal einer Suprastaatlichkeit sui generis begreifen sollte (Joerges/Neyer 1997). „Suprastaatlichkeit“ kann auch nicht lediglich am Machtzuwachs originär supranationaler Institutionen wie etwa Kommission und Parlament festgemacht werden, sondern auch an Veränderungen innerhalb des originär intergouvernementalen Organs des Ministerrates und seines administrativen Unterbaus, dem Ausschuss der Ständigen Vertreter. So kann etwa die Einführung der Mehrheitsregel in den Räten kaum pauschal als Stärkung des Intergouvernementalismus gewertet werden (Decker 2002: 5), weil die vermehrte Anwendung des Mehrheitsprinzips nicht nur die Verhandlungsmacht der Kommission (Höreth 2002a), sondern – insoweit in den mit Mehrheit im Rat zu beschließenden Politikfeldern die Co-Dezision zur Anwendung kommt – auch des Parlaments stärkt.

Damit sind die Grundzüge des Europäischen Regierungssystems im wesentlichen umrissen. Worauf lassen sich aber nun seine Legitimationsprobleme zurückführen? Eine wesentliche Ursache dürfte sein, dass die Art des Europäischen Regierens nicht den bekannten und als legitim anerkannten Mustern demokratischer Herrschaft in den Mitgliedstaaten entspricht (Lord/Beetham 2001). Das Dilemma ist einfach zu beschreiben: Während durch Kompetenzverlagerungen auf die europäische Ebene Aufgabenzuwachs und Entscheidungsmacht jenseits der nationalen Staatlichkeit dramatisch zugenommen haben, konnte die Entwicklung von demokratischen Strukturen außerhalb des engen nationalstaatlichen Gehäuses mit diesem Tempo nicht Schritt halten. Zwar kann eingewendet werden, dass die EU kein Staat ist und daher weniger legitimationsbedürftig ist als der Staat. Doch hat die mit der Integration verbundene Übertragung von Kompetenzen auf die europäische Ebene inzwischen längst ein Stadium erreicht, das es gerechtfertigt erscheinen lässt, die Einhaltung von Minimalstandards, die für den demokratischen Rechtsstaat gelten, auch für die EU einzufordern. Doch im Gegensatz zu den politischen Systemen der Mitgliedstaaten besitzt das Europäische Regierungssystem eben keine hinreichende demokratische Qualität – ein Makel, der nicht nur wiederholt in den Elfenbein-Türmen der Wissenschaft nachgewiesen wurde, sondern auch von den Bürgerinnen und Bürgern tatsächlich zunehmend so empfunden wird. Um es polemisch mit einem Bon Mot zuzuspitzen: Wenn die EU einen Antrag auf Mitgliedschaft in der EU stellen würde, müsste dieser aufgrund ihres Mangels an demokratischer Qualität abgelehnt werden.

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Durch die starke Rückkopplung europäischer Politik and die mitgliedstaatlichen Demokratien berücksichtigt das institutionelle Arrangement der EU die Notwendigkeit, dass suprastaatliche Entscheidungsprozesse auf demokratisch intakte Mitgliedstaaten angewiesen bleiben.
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Sieht man einmal von sicher problemverschärfenden Effizienzproblemen der EU ab, so liegen die legitimatorischen Kernprobleme eher in der für alle Demokratien existentiellen Frage nach den Beteiligungsmodi für die Bürgerschaft – d.h. an diversen institutionalisierten Möglichkeiten, auf die legislative und exekutive Herrschaftsausübung der Union direkt oder indirekt Einfluss zu nehmen und auf der Basis politischer Gleichheit aller Bürger wirksam öffentliche Kontrolle auszuüben. Woran sich das viel kritisierte Demokratiedefizit europäischer Politik festmachen lässt, ist auf dem Hintergrund dieser durchaus nicht zu anspruchsvoll formulierten Demokratieprinzipien relativ einfach auszumachen: Obwohl die legislative Macht des Europäischen Parlamentes durch die Vertragsänderungen von Maastricht (1992), Amsterdam (1997) und Nizza (2000) kontinuierlich aufgewertet wurde, spielt es als einzig direkt gewählte europäische Institution insgesamt noch immer eine nur untergeordnete Rolle. Zwar ist es in Politikfeldern, die nach dem Mitentscheidungsverfahren geregelt werden, gegenüber dem Rat gleichberechtigt, gleichwohl werden viele andere wichtige Entscheidungen dort eben gerade nicht getroffen. Die meisten am Ende für die Bürgerschaft besonders relevanten und wichtigen Entscheidungen mit Ursprung in Brüssel sind damit zum einen noch immer das Ergebnis von Verhandlungen zwischen Regierungen, die sich mit Hilfe der Kommission zumeist hinter verschlossenen Türen auf für Außenstehende intransparent bleibende Paketlösungen, Koppelgeschäfte und diverse Ausgleichszahlungen geeinigt haben; zum anderen resultieren sie aus weitgehend anonym bleibenden, expertokratischen Entscheidungsnetzwerken, in denen politische Verantwortungsbezüge für den Bürger nicht mehr nachzuvollziehen sind.

Das zweite Demokratieproblem ergibt sich aus dem mehrdeutigen Wesen der Europäischen Kommission. Wenn eine Institution wie die Kommission öffentliche Macht ausüben kann, woran nichts grundsätzlich verwerflich ist, möchten die Bürgerinnen und Bürger freilich wenigstens verstehen, wer und was diese Institution genau ist, die diese autoritativen Entscheidungsbefugnisse hat und vor allem: warum sie hierzu legitimiert ist. Doch selbst die Wissenschaft – ja auch die Kommission selbst – ist sich hier bis heute nicht ganz sicher. Die Kommission lediglich als „Behörde“ zu bezeichnen, ist angesichts ihrer realen Entscheidungsmacht jedenfalls euphemistisch. Aber als eine echte „Regierung“, die gemeinhin anerkannten demokratischen Grundsätzen unterworfen ist, wie sie in den Mitgliedstaaten gelten, kann sie eben auch nicht begriffen werden.

Drei Legitimationsquellen europäischen Regierens

Der Ist-Zustand der EU erscheint daher aus demokratietheoretischer Sicht durchaus problematisch. Trotz der oben festgehaltenen Demokratiedefizite europäischer Politik muss diese jedoch nicht vollständig auf Legitimationsressourcen verzichten. Es gibt mehrere Legitimationsquellen, und an ihnen allen haben sich Reformvorschläge in der europäischen Verfassungsdebatte zu messen:

Input-Legitimität: Europäisches Regieren kann in dem Maße als legitim gelten, wie es direkten demokratischen Mitwirkungsprozessen (Wahlen, parlamentarische Kontrolle) auf europäischer Ebene unterliegt. Hier hat das Europäische Parlament seit Maastricht stetig an Bedeutung hinzu gewonnen. Vor allem in der ersten Säule gemeinschaftlicher Politik kann das Parlament in den meisten Feldern, in denen mit qualifizierter Mehrheit entschieden wird, gleichberechtigt neben dem Rat an der europäischen Gesetzgebung mitwirken (Giering 2001). Wie der Rücktritt der Santer-Kommission im März 1999 gezeigt hat, kann das Parlament darüber hinaus eine durchaus wirksame öffentliche Kontrollfunktion gegenüber der Kommission als Teil der europäischen Exekutive wahrnehmen (Peterson 1999).

Output-Legitimität: Europäisches Regieren bezieht darüber hinaus Legitimität aus der Fähigkeit, Probleme für die Bürgerschaften Europas zu lösen. Die EU ist, wie Werner Weidenfeld (1995: 1641) einmal feststellte, in erster Linie eine "Problemlösungsgemeinschaft". Das bedeutet, sie verdient in dem Maß normative Anerkennung, wie sie Probleme löst, die im engen nationalstaatlichen Gehäuse nicht mehr adäquat bearbeitet werden können. Aus diesem Blickwinkel ist nicht die Qualität des demokratischen Prozesses, sondern sind die politischen Resultate der Entscheidungsfindung relevant. So hat die maßgeblich von Jean Monnet entwickelte "Gemeinschaftsmethode" nicht viel Demokratisches an sich (Featherstone 1994), sie ist jedoch über viele Jahrzehnte ein Erfolgsrezept des europäischen Integrationsunternehmens gewesen, dessen Legitimität bis weit in die 80er Jahre nie ernsthaft angezweifelt wurde. Noch heute ist die Gemeinschaftsmethode, in der die supranationalen nicht-demokratischen Institutionen der Kommission und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) eine besondere Rolle spielen, aus Output-Perspektive den klassischen Formen intergouvernementaler Zusammenarbeit überlegen (vgl. Kommission 2001).

Soziale Legitimität: Die dritte Legitimationsquelle ist nicht nur aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts (1994) die vielleicht bedeutendste, obwohl sie gewissermaßen nur eine "geborgte" ist: es ist die indirekte demokratische Legitimation europäischer Politik, die durch die Rückkopplung des Handelns europäischer Organe an die Parlamente der Mitgliedstaaten hergestellt wird. Noch immer sind es letztlich die mitgliedstaatlichen Regierungen und ihre Parlamente, welche die politische Verantwortung tragen. Sie sind auch die einzigen Akteure in der europäischen Politik, die von ihren Wählern über nationale Wahlen auch effektiv zur politischen Verantwortung gezogen werden können. Da – anders als auf europäischer Ebene – auf nationaler Ebene die strukturellen und sozio-kulturellen Voraussetzungen für eine lebendige Demokratie gegeben sind, bleibt europäisches Regieren und mit ihm die Beachtung der Prinzipien politischer Verantwortlichkeit noch immer in hohem Masse auf die Rückkopplung an die Mitgliedstaaten angewiesen. Von dieser Rückkopplung hängt letztlich die "soziale Legitimität" (Höreth 1999: 94) des europäischen Regierens ab.

Mit Hilfe der sehr unterschiedlichen Legitimationsquellen wird dem grundsätzlichen Legitimationsbedarf Europäischen Regierens durchaus Rechnung getragen. Dies gilt sowohl für die Beteiligungs-, als auch für die Leistungsdimension europäischen Regierens. Durch die starke Rückkopplung europäischer Politik an die mitgliedstaatlichen Demokratien berücksichtigt das institutionelle Arrangement der EU schließlich auch die Notwendigkeit, dass suprastaatliche Entscheidungsprozesse auf demokratisch intakte Mitgliedstaaten angewiesen bleiben. Da einer eigenständigen demokratischen Legitimation der EU aufgrund der eingeschränkten Demokratiefähigkeit der europäischen „Polity“ strukturelle Grenzen gesetzt sind, bleiben die Mitgliedstaaten und ihre Institutionen in ihrer die europäische Politik bestimmenden und vermittelnden Funktion eine unverzichtbare Legitimationsressource.

Alternative Verfassungsleitbilder: Welche Form der Demokratie für Europa?

Im folgenden werden einige relevante Leitbilder der Europäischen Verfassungsdebatte überprüft, die jeweils als präferierte demokratische Entwicklungspfade ihre Anhänger gefunden haben. Aufgrund des diagnostizierten legitimatorischen Kernproblems des Europäischen Regierens – der dem Regierungssystem anhaftende Mangel an demokratischer Qualität – wird die Diskussion auf diejenigen Verfassungsleitbilder beschränkt, die gerade hier Abhilfe versprechen. Es sind dies

  • das Leitbild der parlamentarischen Demokratie,
  • das Leitbild der direkten Demokratie,
  • das Leitbild der präsidentiellen Demokratie, und schließlich
  • das Leitbild der post-parlamentarischen Demokratie. 

Das Leitbild der parlamentarischen Demokratie

Für die weitere Institutionenentwicklung der EU genießt das Leitbild der parlamentarischen Demokratie wahrscheinlich noch immer die höchste Attraktivität. Folgt man einer einfachen Logik, macht es Sinn, das Europäische Parlament zu einem Vollparlament zu machen, weil es heute schon als einziges Organ eine direkte demokratische Legitimation für sich beanspruchen kann. Dem gemäß sollte – ausgehend von nationalen Erfahrungen – das Europäische Parlament in der Gesetzgebung, Haushaltsfeststellung, Regierungsbildung und -kontrolle grundsätzlich mit den gleichen Kompetenzen ausgestattet werden wie die Volksvertretungen in den Mitgliedstaaten. Aufgrund des bereits bestehenden „quasi-föderalen“ Charakters der Union – und als doppelter normativer Referenzpunkt (Ferry 2000) – erscheint eine Art Zwei-Kammern-System als adäquate Antwort auf die Legitimitätsfrage: die EU sollte nach dieser Lesart als ein dezentralisierter Föderalstaat organisiert sein, in dem die beiden Kammern einerseits das europäische Volk und seine Individuen, andererseits die Mitgliedstaaten und ihre Völker repräsentieren sollten. Für den Ministerrat würde dies bedeuten, dass er sich von seiner ressortspezifischen Ausrichtung, nach der gemäß seiner jeweiligen Zusammensetzung fachliche Interessen dominieren, verabschieden und sich bewusst in eine Art Nationenkammer des Parlaments verwandeln müsste, während die Kommission zur parlamentarisch legitimierten Europäischen Regierung aufrückt. Um europäisches Gesetz zu werden, müssten die von der Kommission oder von einer der beiden Kammern eingebrachten Initiativen die qualifizierte Mehrheit in beiden Häusern finden. Der demokratietheoretische Mehrwert eines solchen Arrangements liegt auf der Hand: Nicht nur werden grundsätzlich die Beteiligungsrechte der Bürger und die Repräsentation der Mitgliedstaaten abgesichert, sondern auch das Prinzip politischer Verantwortlichkeit gestärkt, weil die Kommission nunmehr vom (Mehrheits-)Willen der Wählerschaft, vermittelt über das Parlament, abhängig wird.

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Die Vollparlamentarisierung des EU-Entscheidungssystems würde zu einem Verlust an lebendiger Demokratie auf nationaler Ebene führen.
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Freilich relativieren sich diese Vorteile deutlich, wenn man die Nachteile einer Übertragung bundesstaatlicher Modelle unter Beachtung föderaler Vergleichserfahrungen untersucht und vor dem Hintergrund der oben dargestellten Legitimationsquellen europäischer Politik evaluiert. Dann zeigt sich, dass die Folgeprobleme derartiger „Institutionentransfers“ die erhofften Legitimitätsgewinne wieder zunichte machen. Die Bedenken lassen sich in drei Gegenargumenten zusammenfassen.

Keine kollektiv belastbare europäische Identität: Es ist zu befürchten, dass die verfassungspolitische Umsetzung der am Föderalstaat orientierten Vorschläge das Problem des Demokratiedefizits nur formal lösen würde, weil die eigentliche Problemursache tiefer liegt und sich nicht wegreformieren lässt. Einfach ausgedrückt: Der parlamentarische Betrieb allein schafft noch keine demokratischen Strukturen, und der EU fehlen die strukturellen und sozio-kulturellen Voraussetzungen, um zu einer gleichermaßen föderativen und repräsentativen Demokratie zu werden, in der das Mehrheitsprinzip dominiert und seine Legitimationskraft entfalten kann (Höreth 1998). Eine kollektiv belastbare Identität der Europäer als Europäer ist als Demokratievoraussetzung nicht in Sicht. Das insbesondere von Jürgen Habermas favorisierte Bild einer die europäische Demokratie tragenden „transnationalen staatsbürgerlichen Solidarität“ (Habermas 1998) ist lediglich eine hehre Wunschvorstellung, die nicht sehr wirklichkeitsnah ist und sich auch auf absehbare Zeit nicht verwirklichen lässt. Noch immer orientieren sich die nationalen Öffentlichkeiten eher an ihren nationalen Institutionen, an nationalen Parteien, Parlamenten, Regierungen und schenken folglich den europäischen Institutionen weniger Aufmerksamkeit und noch weniger Loyalität. Solange eine funktionierende europäische Öffentlichkeit nicht existiert, solange das noch unterentwickelte und vorrangig nationalen Imperativen folgende Parteien- und Verbändesystem auf europäischer Ebene europäische Problemlagen nicht für jeden Bürger entlang transparenter und unterscheidbarer Konfliktlinien als Entscheidungsalternativen für den europäischen Bürger abbilden kann, wird sich daran auch kaum etwas ändern. Der Unterbau für eine funktionsfähige Demokratie auf EU-Ebene kann zwar politisch postuliert, er kann jedoch nicht als bereits gegeben unterstellt werden.

Entscheidungsblockaden: Schon im nationalstaatlichen Rahmen sind Zwei-Kammern-Systeme die Hauptursache für häufige Politikblockaden. Untersuchungen (Lehmbruch 2000) haben zeigen können, dass bei Entscheidungen, in denen beide Kammern gleichberechtigt zusammenwirken müssen, häufig Entscheidungsblockaden entstehen, die nur durch aufwändige Verfahren der Kompromißfindung vermieden werden können. Nichts spricht dafür, dass dies ausgerechnet in der EU anders sein könnte, im Gegenteil: Während Zwei-Kammern-Systeme im politischen System demokratischer Verfassungsstaaten  – wie in Deutschland – etwa die aus Bund-Länder-Konflikten resultierende Blockadegefahr aufgrund der spezifischen Strukturen eines übergreifenden, im Bund und in den Ländern homogenen Parteiensystems vermeiden können, entfällt unionsweit diese Möglichkeit der blockadevermeidenden parteiinternen Interessenaggregierung. Es überrascht daher nicht, dass dort, wo bereits die heutige EU einem Zwei-Kammern-System sehr nahe kommt, beim sog. Mitentscheidungsverfahren, die Entscheidungsfähigkeit der EU bereits eher verringert als erhöht worden ist (Schneider 1995; Hix 1998: 52). Die Ausweitung der Haushalts- und Gesetzgebungsmacht des Parlaments dürfte unter diesen Voraussetzungen die europäische Entscheidungsfindung noch einmal deutlich erschweren, auch weil sich die in der Zweiten Kammer versammelten mitgliedstaatlichen Interessen – wie ein Blick in die bisherige Geschichte der Entscheidungsfindung im Ministerrat zeigt – nur ungern majorisieren lassen werden. Ein mit weiteren Kompetenzen ausgestattetes Zwei-Kammern-Parlament müsste folglich dazu führen, dass sich die direkt gewählte Erste Kammer in permanenten Verhandlungen mit der aus dem jetzigen Ministerrat hervorgehenden Zweiten Kammer aufreibt. Dies ist zumal dann der Fall, wenn – wie zu erwarten – auf europäischer Ebene territoriale Konfliktlinien dominieren, die durch die Zusammensetzung der Kammern und die Stimmenverteilung gleichsam determiniert werden. Wenn im Parlament gemäß des Prinzips der individuellen Gleichheit die Sitzverteilung nach Einwohnern erfolgt und in der Zweiten Kammer die Staaten gleich vertreten sind, so ist mit deutlich unterschiedlichen Mehrheitsverhältnissen zu rechnen, welche sich in der Regel auf Interessenkonflikte zwischen Mitgliedstaaten beziehen. Wechselseitige Blockaden der beiden Kammern sind speziell in diesem Fall an der Tagesordnung. Um diese gleichwohl aufzulösen, werden hinter den Kulissen ausgehandelte Formelkompromisse, Koppelgeschäfte und Ausgleichszahlungen zwischen den verschiedenen an der Gesetzgebung beteiligten Akteuren die unvermeidbare Folge sein und im Ergebnis die Identifizierung von politischen Verantwortungsbezügen eher erschweren als erleichtern. Neben das Problem der recht hohen Entscheidungskosten eines solchen Verfahrens tritt also noch ein Demokratieproblem: Das Fehlen eines integrierten europäischen Parteiensystems hat zur Folge, dass die Mehrheitsbildung in den beiden Kammern nicht durch feste parteipolitische Koalitionen vorgegeben ist. (Wechselnde) Mehrheiten in und zwischen den beiden Kammern werden in Abhängigkeit von dem zu regelnden Politikfeld immer wieder neu ausgehandelt werden müssen und für den Außenstehenden intransparent bleiben. Diese Verhandlungszwänge werden um so stärker sein, je symmetrischer die Kompetenzverteilung zwischen den Kammern angelegt ist, d.h. sie sind gerade dann besonders stark, wenn beide Kammern die gleiche Gesetzgebungsmacht besitzen. Die heute schon vor allem unter dem Stichwort mangelnder Transparenz als problematisch geltenden Praktiken europäischer Entscheidungsfindung würden unter den in einem Zwei-Kammern-System geltenden institutionellen Bedingungen zumindest beibehalten, vielleicht sogar verstärkt, in keinem Fall jedoch abgelöst werden.

Demokratieverlust auf nationaler Ebene: Ein dritter Einwand gegen das Leitbild der parlamentarischen Demokratie ergibt sich aus der Prognose, dass die Vollparlamentarisierung der EU die Rückbindung des Europäischen Regierungssystems an ihre Mitgliedstaaten lockern müsste, weil ein starkes Parlament zwangsläufig auf Kosten des jetzigen Rates als mitgliedstaatliches Vertretungsorgan geht und eventuell sogar zentralisierend wirkt. Hinter europäischen Entscheidungen stünden zukünftig weniger zwischenstaatliche Kompromisse zwischen demokratisch gewählten Regierungen, die diese zu Hause vor nationalem Publikum auch zu verantworten haben, sondern die legislativen Beschlüsse eines Zwei-Kammern-Parlaments mit formal eigener, originär europäischer Legitimationsbasis. Die indirekte demokratische Legitimation europäischer Politik über den Rat, die sich bisher aus dem Charakter der EU als (eben auch) intergouvernementales Verhandlungssystem ergibt und um so stärker ist, je häufiger die Einstimmigkeitsregel zur Anwendung kommt, würde als traditionell wichtige Legitimationsquelle schwächer werden, die derzeitige, sich aus dem Zusammenspiel supranationaler und intergouvernementaler Entscheidungsfaktoren ergebende institutionelle Balance zwischen Rat, Kommission und Parlament ins Wanken geraten. Neigt man zu einer formaldemokratischen Betrachtungsweise, könnte man dem freilich durchaus etwas Positives abgewinnen – aber eben nur solange man dabei die oben bereits angesprochenen strukturellen Voraussetzungen für Demokratie unterschlägt. Dann nämlich muss angenommen werden, dass die geschwächte indirekte Rückbindung europäischer Politik an die Mitgliedstaaten und ihre Regierungen und Parlamente aufgrund des europaweiten Fehlens geeigneter intermediärer Strukturen auch nicht durch eine vermehrte direkte EU-parlamentarische Rückbindung an die Bevölkerung der Union kompensiert werden kann. Ein weiteres kommt dazu: Ein starkes Europäisches Parlament könnte – gemeinsam mit der Kommission als echter Europäischer Regierung – aufgrund seiner verglichen mit dem Rat/der Zweiten Kammer formal breiteren und direkteren Legitimation immer mehr legislative Kompetenzen beanspruchen und unter den Bedingungen der Suprematie des europäischen Rechts und der sog. „pre-emption“-Regel[1] die nationalen Volksvertretungen und deren Spielraum für Gesetzesvorhaben verkümmern lassen. Ohne mit einem echten Legitimationsgewinn auf europäischer Ebene verbunden zu sein, müsste in diesem Fall die Vollparlamentarisierung des EU-Entscheidungssystems geradezu zwangsläufig zu einem Verlust an lebendiger Demokratie auf nationaler Ebene führen.

Im Ergebnis kann eine dem Leitbild eines Zwei-Kammern-Systems verpflichtete parlamentarische Reformstrategie kaum zu einem demokratischeren und legitimeren Regieren in der EU führen. Eher müsste man damit rechnen, dass eine solche Reform in bezug auf die Leistungsdimension des Regierens kontraproduktive Effekte aufweist und die indirekte demokratische Legitimation europäischer Politik über die Mitgliedstaaten und ihre Parlamente schwächt.

Das Leitbild der direkten Demokratie

Aus der – gemessen an der Rolle von mitgliedstaatlichen Parlamenten – konstatierten Schwäche des Europäischen Parlamentes muss nicht notwendigerweise der Schluss gezogen werden, es mit mehr substantiellen Rechten im Entscheidungsverfahren auszustatten. Als Alternative denkbar ist auch, seine geschwächte Position durch Elemente direkter Demokratie zu kompensieren. Europaweite Referenden könnten als geeignete Instrumente angesehen werden, um den politischen Willen der Bürgerinnen und Bürger unverfälscht zum Ausdruck zu bringen. Durch die Einführung von Referenden ließen sich aus Sicht ihrer Befürworter zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen helfen sie „Gestaltungsdefizite“ abzubauen, die darin bestehen, dass die Bürger mit ihren Präferenzen und Interessen im Politikprozeß keine angemessene Berücksichtigung zu finden; zum anderen reduzieren sie „Kontrolldefizite“, d.h. die Schwierigkeiten der Bürger, die Ausübung politischer Macht wirkungsvoll zu kontrollieren (Grande 1996; Zürn 1998). Denkbar sind Referenden auch als wirkungsvolle Instrumente des Minderheitenschutzes, durch welche die von europäischen Entscheidungen besonders betroffenen Minderheiten die Chance erhalten, auf direktdemokratischem Wege die strittigen Entscheidungen im nachhinein anzufechten und rückgängig zu machen (Abromeit 1997). Durch Formen direkter Demokratie – so lässt sich das Plädoyer ihrer Befürworter bündig zusammenfassen – könnte den allen europäischen Bürgern zustehenden politischen Rechten besser zum Durchbruch verholfen werden, weil sie deren Partizipations- und Kontrollmöglichkeiten generell maximieren.

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Das Problem des verantwortlichen Regierens lässt sich nicht dadurch lösen, dass man den europäischen Institutionen Verantwortung entzieht und sie an die durch die Komplexität europäischer Politik ohnehin oft überforderten Bürger delegiert.
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Doch wie viel an direkter Mitbestimmung der Bürger wäre tatsächlich gewonnen durch die Einführung plebiszitärer Elemente? Und was ist dieser Gewinn in der Beteiligungsdimension Europäischen Regierens vor dem Hintergrund der mehrdimensionalen Legitimationsproblematik tatsächlich wert? Jedenfalls tauchen mehrere Zweifel daran auf, ob bei der Verfolgung des Leitbildes der direkten Demokratie adäquate Antworten auf die Legitimitätsfrage gefunden werden können. Das erste Problem zeigt sich schon in der Frage, welche Entscheidungen überhaupt in Form von europaweiten Referenden getroffen werden sollten. Stehen Verteilungsfragen, etwa in der Agrarpolitik, oder Verfassungsfragen zur Abstimmung, muss aufgrund der großen Interessendivergenz zwischen den Mitgliedstaaten in diesen Fragen davon ausgegangen werden, dass hier Referenden eine „konfliktmaximierende Struktur“ (Sartori 1992: 128) entfalten und folglich bestandsgefährdende Konflikte auslösen könnten. Unterliegende Minderheiten dürfte es schwerfallen, sich der Entscheidung der Mehrheit allein aufgrund der Rationalität des direktdemokratischen Verfahrens zu beugen, denn auch eine Abstimmungsniederlage in einem Referendum kann nur widerspruchslos akzeptiert werden, wenn bereits vorher ein ausreichend festes Band der Zugehörigkeit zwischen allen Abstimmenden existierte (Scharpf 1998: 233). Ist man sich dieser Gefahr bewußt und lässt demzufolge nur weniger konfliktbehaftete Themen zum Referendum zu, stellt sich hingegen die Frage, ob sich der organisatorische Aufwand überhaupt lohnt. Schwerwiegender noch sind die Bedenken, wenn man sich klar macht, dass die hohe Komplexität der meisten auf europäischer Ebene geregelten Politikfelder einen ebenso hohen Sachverstand voraussetzt, um überhaupt rationale, d.h. problemangemessene Entscheidungen fällen zu können. Es wäre unrealistisch und vermessen, diesen Sachverstand bei allen abstimmenden Bürgen zu unterstellen. Dass die Politik im Vorfeld von Referenden aufklärerisch und versachlichend auf die Öffentlichkeit einwirken könnte, ist eine übertriebene Hoffnung. Erfahrungsgemäß ist eher damit zu rechnen, dass sachfremde Aspekte in den Vordergrund der öffentlichen Debatte rücken, schon weil europaweite Referenden als attraktive Plattform für alle möglichen Gruppierungen zur Agitation genutzt werden könnten, obwohl sie Interessen verfolgen, die in keinem Zusammenhang mit der eigentlichen Abstimmungsfrage stehen.

Politische Fragen direkt von europäischen Bürgern entscheiden zu lassen statt von gewählten Repräsentanten, würde schließlich der in der europäischen Politik zu beobachtenden Diffusion von Verantwortung eine weitere Tür öffnen. Wenn alle verantwortlich sind für das Ergebnis eines Referendums, ist es letztlich keiner. Da aber gerade der Mangel an konkret faßbaren Verantwortungsbezügen einen wichtigen Teil der Legitimitätsproblematik ausmacht, läuft auch aus diesem Grund die Forderung nach Abhaltung von europaweiten Referenden ins Leere. Insgesamt zeigt das Leitbild der direkten Demokratie damit einige entscheidende Schwächen. Nicht nur müsste generell die Handlungsfähigkeit der Union darunter leiden, würde man in bestimmten Fragen unter hohem organisatorischen Aufwand erst die Meinung der Völker einholen, bevor gehandelt werden kann. Auch die Autorität und Legitimität des Europäischen Parlamentes müsste Schaden nehmen, wenn in den dafür vorgesehenen Politikfeldern nicht das Parlament, sondern die europäischen Bürger direkt demokratische Kontrolle übernehmen sollten. Das Problem des verantwortlichen Regierens lässt sich nicht dadurch lösen, dass man den europäischen Institutionen Verantwortung entzieht und sie an die durch die Komplexität europäischer Politik ohnehin oft überforderten Bürger delegiert. Das hinter dem Vorschlag zur Abhaltung von europaweiten Referenden stehende Modell partizipatorischer Demokratie erscheint als fehlgeleitet, weil die konkrete Beteiligung aller an politischen Entscheidungsprozessen gerade im europäischen Zusammenhang praktisch nicht nur kaum durchführbar, sondern aufgrund der zu erwartenden negativen Implikationen auch kaum wünschenswert ist.

Das Leitbild der präsidentiellen Demokratie

Befürworter dieses Leitbildes, zu denen auch der deutsche Außenminister Joschka Fischer zu zählen scheint (Fischer 2000), teilen mit den Anhängern der parlamentarischen Demokratie die Einschätzung, dass das institutionelle Arrangement der EU dringend demokratisiert werden müsste. Gleichwohl bezweifeln sie, dass die Stärkung des parlamentarischen Entwicklungspfades die richtige Antwort auf die Europäische Legitimitätsfrage ist. Sie schlagen vielmehr vor, durch die Direktwahl des Kommissionspräsidenten einen dezidiert präsidentiellen Entwicklungspfad nach amerikanischem Muster einzuschlagen. Ein wichtiger Vorzug eines präisdentiellen Modells wird in seiner großen "demokratischen Eingängigkeit" (Decker 2002: 13) gesehen, weil nicht nur der Wahlmodus der Regierung einfacher ist, sondern auch das Verhältnis von Exekutive und Legislative besser begreiflich wird als im parlamentarischen System. Der wichtigste Vorteil des präsidentiellen Entwicklungspfades läge demnach darin, dass die Wahlen zum Europäischen Präsidenten den Bürgern eine subjektive politische Kompetenz verleihen würden, d.h. sie würden ihnen das Gefühl vermitteln, durch ihre Wahlentscheidung die politischen Verhältnisse beeinflussen zu können. Weitere Vorteile liegen auf der Hand: Ein vom Volk direkt gewählter Präsident würde nicht nur die Einheit der Gemeinschaft institutionell verkörpern. Er würde die nationalen Parteien der jeweiligen europäischen Parteifamilie zwingen, sich "nationenübergreifend auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen und mit einem personellen und programmatischen Gesamtangebot in die Wahl zu ziehen" (Decker 2002: 16). Damit würde die Herausbildung eines europaweiten Parteiensystems unterstützt und die europäische Politik zudem endlich ein Gesicht bekommen. Schließlich müsste die Bedeutung des zu besetzenden Amtes dazu führen, dass der Wahlkampf um europäische Themen geführt wird, statt wie bisher um nationale Themen. 

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Die Direktwahl des Präsidenten würde die Rückkopplung des supranationalen Kerns der EU an die Mitgliedstaaten schwächen.
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Tatsächlich erscheint der präsidentielle Entwicklungspfad auf dem ersten Blick als durchaus attraktive Alternative zum Leitbild der parlamentarischen Demokratie. Gleichwohl offenbaren sich bei genauerem Hinsehen gravierende Nachteile dieses Modells. Gegen das Leitbild der präsidentiellen Demokratie spricht zunächst die mangelnde Erfahrung der parlamentarischen Demokratien unter den Mitgliedstaaten mit einem Regierungssystem, das nicht ihren eigenen verfassungspolitischen Traditionen entspricht. In den meisten europäischen Demokratien haben sich die nationalen Verfassungsgeber aus unterschiedlichen Gründen gerade nicht für einen präsidentiellen, sondern für einen parlamentarischen Entwicklungspfad entschieden (vgl. Ismayr 1997). Auch die inkrementelle Entwicklung des Institutionensystems der EU folgte insgesamt eher dem Muster des parlamentarisch-demokratischen als dem des präsidentiellen Regierungssystems (Holzinger/Knill 2001: 997), wenngleich eingeräumt werden muß, dass sich die Eigenart des europäischen Regierungssystems einer eindeutigen lehrbuchgerechten Typologisierung entzieht. Immerhin aber besitzt das Europäische Parlament nicht nur legislative Rechte wie ein „präsidentielles“ Parlament, sondern wirkt durch das Investiturverfahren bei der Bestellung und Bestätigung der Exekutive mit und verfügt darüber hinaus gegenüber der Kommission über das Instrument des Mißtrauensvotums, das sicher mehr ist als ein reines „impeachment“ (Decker 2002: 12). Die sich daraus ergebende Verschränkung von Exekutive und Legislative macht das EP den „parlamentarischen“ Parlamenten ähnlicher als den „präsidentiellen“ Parlamenten, die in Regierungssysteme eingebettet sind, in denen Exekutive und Legislative strikt voneinander getrennt sind. Die Etablierung eines präsidentiellen Regierungssystems widerspräche daher nicht nur den nationalen Verfassungstraditionen der meisten Mitgliedstaaten, sondern auch der bisherigen Entwicklungsgeschichte des europäischen institutionellen Arrangements. Aus diesem doppelten Grund ist ein derartiger Institutionentransfer auf die EU-Ebene den nationalen Öffentlichkeiten sicher nur schwer vermittelbar.

Die Beachtung der Pfadabhängigkeit europäischer Institutionenentwicklung ist auch aus anderen Gründen zwingend. Das politische System der EU ist historisch Schritt für Schritt gewachsen und unterlag während dieses Prozesses der ständigen ultimativen Kontrolle der Mitgliedstaaten und ihrer Parlamente. Die Entwicklung der EU im Zuge des Kompetenzzuwachses der europäischen Ebene ist keineswegs nur mit der Zunahme an Macht und Autonomie für supranationale Akteure und der Schwächung des Intergouvernementalismus verbunden gewesen. Gleichzeitig haben auch die Mitgliedstaaten im Zuge der zunehmenden Vergemeinschaftung wirkungsvolle intergouvernementale Instrumente entwickelt, um das Integrationsunternehmen und die von ihm entwickelten Politiken in ihrem Sinne zu beeinflussen und zu kontrollieren. Erst diese dialektische Dynamik zwischen supranationaler Institutionenentwicklung einerseits und der Stärkung intergouvernementaler Kooperationsformen andererseits, z.T. auch zunächst außerhalb des eigentlichen Gemeinschaftsrahmens, hat zu dem geführt, was man als „fusionierte“ (Wessels 1997) Suprastaatlichkeit bezeichnen kann. Im Ergebnis waren die supranationalen Institutionen Parlament, Kommission und selbst der sein Mandat zur rechtlichen Integration des europäischen Gemeinwesens großzügig nutzende Europäischen Gerichtshofs nie so mächtig und unabhängig, dass sie es sich hätten leisten können, Politiken zu verfolgen, die sich zu weit von den Präferenzen der Mitgliedstaaten als „Herren der Verträge“ entfernt hätten (Windolf 2000). In diesem Sinne lassen sich supranationale Institutionen als „Agenten“ oder „Trustees“ begreifen, die im Rahmen eines verliehenen Mandats nur dem Gesamtinteresse ihrer „Prinzipale“, den Mitgliedstaaten, verpflichtet sind (Pollack 1997). Die Folge ist ein komplexes Entscheidungssystem, das vor allem mit Hilfe seines umfangreichen Ausschußwesens von der Entscheidungsvorbereitung, -findung, -durchführung und schließlich der Implementationskontrolle in enger Rückkopplung mit den Mitgliedstaaten, ihren politischen Präferenzen und ihren spezifischen Verwaltungskulturen steht.

Ein direkt gewählter Präsident würde als "Sprung nach vorne" die historisch gewachsene institutionelle Balance dieses suprastaatlichen Institutionen- und Entscheidungssystems gefährden – auch und gerade deshalb, weil die Mitgliedstaaten bei der Besetzung des wichtigsten zu vergebenden europäischen Amtes (und folglich auch bei der Auswahl der gesamten Kommissions- bzw. Regierungsmannschaft[2]) über keine signifikanten Einflussmöglichkeiten mehr verfügen würden. Bei der Personalpolitik die wichtigste Rolle zu spielen, hat den Mitgliedstaaten nicht nur dazu verholfen, über Personen ihre spezifischen nationalen Interessen in die supranationale Institution einzuspeisen, es hat auch ihr generelles Vertrauen darin gestärkt, dass die Kommission in ihren Vorschlägen zu europäischen Rechtsakten trotz ihrer gesamteuropäischen Ausrichtung alle nationalen Einzelinteressen prinzipiell berücksichtigt und systematisch ins Kalkül zieht. Durch diesen auf Vertrauen basierenden Rückkopplungsmechanismus ist in der Vergangenheit die Annahme der Kommissionsvorschläge sicher oft erleichtert worden. Die Direktwahl des Präsidenten würde jedoch die Rückkopplung des supranationalen Kerns der EU an die Mitgliedstaaten signifikant schwächen. Zwar wären formaler Machtzuwachs und größere Unabhängigkeit der Kommission die zu erwartende Folge. Im Rahmen der europäischen Rechtsetzung dürfte es der Kommission jedoch schwer fallen, diese formal bessere Position in politisch verwertbare Initiativen umzumünzen, weil auch dann noch ihre Vorschläge – im eigentlichen Gesetzgebungsverfahren – weiterhin der Zustimmung von und der Verhandlung mit egoistischen nationalen Einzelinteressen unterliegen. Die weiterhin notwendigen Abstimmungsprozesse zwischen Kommission und Mitgliedstaaten fallen in der Regel leichter, wenn hinreichende institutionelle und personelle Rückkopplungsmechanismen zwischen Kommission und Mitgliedstaaten existieren. Beim sog. „upgrading of common interests“ in der Vorbereitungsphase europäischer Entscheidungsfindung, das die Kommission nach der klassischen Gemeinschaftsmethode dominiert, muss diese ausloten, wie weit sie mit ihren Vorschlägen im Sinne einer gemeinsamen Nutzenfunktion gehen kann, um bei einzelnen Mitgliedstaaten auf Zustimmung zu stoßen. Dies setzt – salopp gesprochen – voraus, dass die Mitglieder der Kommission einen „guten Draht“ zu ihren jeweiligen Regierungen zu Hause haben, um für die Kommissionsinitiativen zu werben, mögliche Bedenken auszuräumen und schließlich mögliche Widerstände einzelner Staaten durch geschickte Verhandlungen aufzulösen. Zugegeben, die komplizierten Wirkmechanismen im Verhältnis zwischen Kommission und Mitgliedstaaten sind hier zwar nur sehr verkürzt skizziert worden – gleichwohl kann auf dieser Basis plausibel begründet werden, warum es zumindest zweifelhaft ist, ob sich dieses, im wesentlichen auf Vertrauen basierende Verhältnis zwischen Mitgliedstaaten und einer Kommission, die in fast völliger Unabhängigkeit von mitgliedstaatlichen Exekutiven bestellt würde, aufbauen und kultivieren ließe.

Ein weiteres von den Anhängern eines präsidentiellen Regierungssystems wenig beachtetes Problem ist, wie gewährleistet werden kann, dass ein direkt gewählter Kommissionspräsident eine Politik verfolgt, die nicht nur im engeren Interesse seiner Wählerschaft liegt, sondern am europäischen Gemeinwohl orientiert ist. Zwar kann man grundsätzlich darauf hoffen, dass der durch seine Direktwahl einem gesamteuropäischen Elektorat voll verantwortliche Kommissionspräsident in hohem Maße eine dem europäischen Gemeinwohl verpflichtete, auch die Interessen von Minderheiten gebührend berücksichtigende Politik anstreben wird, um seine Wiederwahl nicht zu gefährden. Dies erscheint aber keineswegs sicher. Zu befürchten ist eher, dass der Präsident – ein einheitliches Wahlverfahren bei gleicher Gewichtung jeder Stimme vorausgesetzt – bei seiner Politik die nationalen Interessen der bevölkerungsreichen Staaten bevorzugen wird. Jedenfalls würden zu viele Anreize für den Präsidenten bestehen, eine an "Mehrheiten" orientierte Politik zu machen. Um die Wiedernominierung nicht zu gefährden, müsste er zudem darauf achten, keine der zu seiner Parteifamilie gehörenden nationalen Parteien (und damit deren und seine Wähler) zu vergraulen. Im schlimmsten Fall müsste der Kommissionspräsident, je nachdem, welcher Parteifamilie er angehört, z.B. eine "sozialdemokratische" oder "christdemokratische" Politik auf kleinstem europäischen Nenner betreiben. Da er innerhalb der Kommission eine politische Führungsrolle innehat, müsste sich die Kommission insgesamt dem von ihm eingeschlagenen Kurs beugen. Damit würde aber gerade die Fähigkeit der Kommission geschwächt, unabhängige und sachgerechte Problemlösungen europäischer Politik anzubieten, die sich weder einseitig an einzelstaatlichen noch an parteipolitischen Präferenzen ausrichten und schließlich auch die Interessen von Minderheiten systematisch berücksichtigen.

Ein letzter Einwand gegen das Leitbild der präsidentiellen Demokratie ergibt sich daraus, dass dem die europäische Exekutive verkörpernden direkt gewählten Präsidenten – im Gegensatz zum amerikanischen Präsidenten, der auf eine eigene gut organisierte Bundesverwaltung zurückgreifen kann – derzeit nur eine sehr schwach ausgebildete europaeigene Verwaltung zur Verfügung steht. Zur effektiven und exklusiven Wahrnehmung exekutiver Funktionen in einem präsidentiellen System bedürfte es daher des Aufbaus einer europaeigenen Verwaltung, die keiner wünscht, keiner organisieren, keiner kontrollieren und keiner bezahlen kann. Die Alternative wäre, den Präsidenten nur mit „symbolischen“ Befugnissen (Holzinger/Knill 2001: 1007; Kühnhardt 1993: 99) auszustatten und die Exekutivfunktionen der europäischen Politik weiterhin zwischen Kommission und Mitgliedstaaten aufzuteilen. Dann aber stellt sich die kritische Frage, warum ausgerechnet derjenige Akteur, der die stärkste demokratische Legitimation besitzt, am wenigsten zu entscheiden hat? Die Wahlen zum europäischen Präsidenten müssten in diesem Fall im Bewußtsein der europäischen Bürgerschaft – aber auch der Parteien, die ja einen europaweiten Wahlkampf organisieren sollen – zwangsläufig als zweitrangige Wahlen aufgefaßt werden. Ein echter Demokratisierungsschub ist unter diesen Vorzeichen von einer europaweiten Präsidentenwahl jedenfalls nicht zu erwarten.      

Das Leitbild der post-parlamentarische Demokratie

Wie bisher gezeigt werden konnte, wäre eine durchgreifende Demokratisierung des EU-Regierungssystems entlang parlamamentarisch-demokratischen, direkt-demokratischen oder präsidial-demokratischen Leitbildern wahrscheinlich mit Folgeproblemen verbunden, welche die erhofften Legitimitätsgewinne Europäischen Regierens wieder zunichte machen. Diese Skepsis wird grundsätzlich auch von jenen geteilt, die versuchen, das Leitbild der postparlamentarischen Demokratie für die EU gewissermaßen hoffähig zu machen. Als nicht-staatliches politisches System, das die strukturellen Voraussetzungen für eine vollständige Demokratisierung entlang der aus dem nationalstaatlichen Kontext bekannten demokratischen Leitbilder nicht erfüllt, könnte sich die EU ersatzweise jedoch über post-parlamentarische Entscheidungsmuster hinreichend legitimieren (Héritier 1997). Die Vielzahl an Reformvorschlägen, die in diese Richtung zielen und vor allem unter den Politikwissenschaftlern und der Kommission ihre Anhänger finden, lässt sich auf den gemeinsamen Nenner bringen, dass die EU zum partizipativen und deliberativen Entscheidungsnetzwerk wird, in der den "zivilgesellschaftlichen" Akteuren eine besondere Rolle zukommt. Die von einem allgemeinen Bedeutungsverlust der Parlamente auf der einen, den Bedeutungszuwachs verbandlicher und expertenbasierter Interessenvermittlung auf der anderen Seite gekennzeichnete Realität nicht nur der europäischen, sondern auch der nationalen Politik wird zur zeitgemäßen demokratietheoretischen Norm erhoben, die sich institutionell als "post-parlamentarische" Demokratie konstitutionalisieren sollte. Für Europa gelte um so mehr: Gerade weil das Parteiensystem auf europäischer Ebene nur schwach ausgeprägt ist und eine nur ungenügend ausgebildete europäische Öffentlichkeit eine vollwertige parlamentarische Demokratie verhindern, muss an ihrer Stelle ein System funktionaler Partizipation und Repräsentation mit Interessengruppen, sozialen Bewegungen und Nichtregierungsorganisationen treten. Ein entsprechendes "zivilgesellschaftliches" System transparenter Entscheidungsnetzwerke sei durch die Bildung sektoraler Öffentlichkeiten noch am ehesten in der Lage, das Problem verantwortlichen Europäischen Regierens zu lösen, da es dieser Regierungsform flexibel und effizient gelingt, Interessen zu aggregieren, die Arbeit der Exekutive zu kontrollieren und die Transparenz europäischer Entscheidungsprozesse zu erhöhen. Diesen Grundgedanken verfolgen auch die umfangreichen Studien der bei der Kommission angesiedelten sog. "Governance Task Force" (2001), die in gemäßigter Form auch im Governance-Weissbuch der Europäischen Kommission (Kommission 2001) ihren Niederschlag gefunden haben. Hier wird die generelle Forderung nach Stärkung der technokratischen "Gemeinschaftsmethode" ergänzt durch das Angebot verbesserter Konsultations- und Partizipationspraktiken für zivilgesellschaftliche Akteure.

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Post-parlamentarische Entscheidungsnetzwerke privilegieren gut organisierte Gruppen. Die Inklusion einiger weniger Bürger geht einher mit der Exklusion breiter Bevölkerungsschichten.
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Die Rhetorik von der "Zivilgesellschaft" erscheint auf dem ersten Blick realitätsnah und normativ attraktiv. Fraglich bleibt nur, wieviel an demokratischer Qualität für das Europäische Regieren gewonnen werden kann, wenn sich politische Entscheidungsprozesse ostentativ nach "post-parlamentarischen" Gesichtspunkten ausrichten. In einem solchen Entscheidungssystem wären mächtige und gut organisierte Gruppen in einem hohen Maße privilegiert. Die Inklusion einiger weniger Bürger ginge einher mit der Exklusion breiter Bevölkerungsschichten. Für letztere blieben solche Entscheidungsnetzwerke eher undurchsichtig (vgl. ausführlich Höreth 2002b). Auch das Argument, dass in jenen Netzwerken eine den parlamentarischen Entscheidungsprozessen überlegene Problemlösungsorientierung dominiere, in der allein die sachliche und "deliberative" Qualität des Arguments zähle (Joerges/Neyer 1997), verfängt bei genauerem Hinsehen nicht. Über die Chance, sich in diesen Netzwerken Gehör zu verschaffen und durch gute Argumente andere Netzwerkteilnehmer zu überzeugen, entscheidet nicht die sachliche Qualität des Arguments, das man vortragen will, sondern die eigene Ressourcenausstattung. Akteure mit Macht und Einfluss in Brüssel werden – unabhängig von der Qualität ihrer Argumente – keine Probleme haben, um sich Gehör und den Eintritt in Entscheidungsnetzwerke zu verschaffen (Kohler-Koch 1997). Nicht organisierte Bürgerinnen und Bürger haben diese Möglichkeiten nicht – sie können höchstens neuerdings ihre Meinung über das Internet in diversen "message boards" kundtun, ohne indes zu wissen, ob sie dabei von den Adressaten überhaupt wahr-, geschweige denn ernstgenommen werden.

Die Demokratienorm der politischen Gleichheit aller Bürger und das Prinzip der öffentlichen Kontrolle können also durch postparlamentarische Verfahren kaum erreicht werden. Post-parlamentarische Praktiken erscheinen vielmehr als Teil des europäischen Demokratieproblems und nicht als dessen normativ überzeugende Lösung.

Relativierung des Demokratiedefizits durch verbesserte Output-Legitimität

Sobald der Konvent von Laeken systematisch über die richtige demokratische Verfassung für Europa nachdenkt, wird ihm auffallen, dass es keinen Königsweg zur Erhöhung der demokratischen Qualität des Europäischen Regierungssystems gibt. Die hier skizzierten Blaupausen für ein Europäisches Regierungssystem würden bei Umsetzung vermutlich allesamt das Ziel verfehlen, zu einem demokratischeren und legitimeren Regieren in der EU beizutragen. Während die sich an den ersten drei Leitbildern orientierten Reformvorschläge zu sehr von der Realität europäischer Institutionenentwicklung entfernen, erscheint das post-parlamentarische Leitbild als der fadenscheinige Versuch, legitimatorisch bedenkliche Praktiken des Europäischen Regierens normativ so umzudeuten, dass sie nicht nur als unbedenklich und unausweichlich gelten, sondern sogar als wünschenswert postuliert werden können.

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Gerade weil sich das EU-Demokratiedefizit nicht wegreformieren lässt, müsste sich die europäische Politik darauf konzentrieren, die Problemlösungsfähigkeit europäischen Regierens  auf allen Ebenen zu erhöhen.
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Dabei müsste doch das europäische Institutionensystem keineswegs neu erfunden werden, denn es hat sich in fünfzig Jahren Integration durchaus bewährt. Die EU hat auch bereits eine Verfassung, die sich nur nicht so nennt, gleichwohl aber die Gemeinschaft konstituiert (Mancini 1991). Vor diesem Hintergrund erscheint eine Reformstrategie sinnvoll, die sich zweierlei zum Ziel setzt: Zum einen gibt es eine Fülle von Reformmöglichkeiten, die ohne ein Abrücken von bisherigen institutionellen Entwicklungspfaden, ja sogar z.T. ohne ausdrückliche Vertragsänderungen möglich wären. Diese müssten zunächst vollständig ausgeschöpft werden (vgl. Holzinger/Knill 2001: 1004 ff.). Zum anderen müssten sich die Mitgliedstaaten als Herren der Verträge im Wissen um die mangelnde Durchsetzbarkeit qualitativer Verfassungssprünge darauf konzentrieren, auf einzelnen Politikfeldern institutionenneutrale Handlungsoptionen aufzuzeigen. Gerade weil sich das EU-Demokratiedefizit nicht wegreformieren lässt (input), müsste sich die europäische Politik darauf konzentrieren, die Problemlösungsfähigkeit europäischen Regierens (output) auf allen Ebenen zu erhöhen. Gefragt sind Strategien autonomieschonender Koordination in Verbindung mit differenzierter Integration. Die im Europäischen Rat von Lissabon im Jahre 2000 entwickelte Methode der offenen Koordinierung (Hodson/Maher 2001), ist ein konkreter Schritt in die richtige Richtung. Solche Methoden können die Effizienz und Effektivität des Regierens im Mehrebenensystem erhöhen und zugleich die nationalen Verfassungsstaaten sowohl in ihrer demokratischen Autonomie als auch in ihrer Vermittlerrolle für europäische Politik stärken. Der schwarze Peter liegt hier dann aber tatsächlich bei den Mitgliedstaaten und nicht in "Brüssel": Die Mitgliedstaaten müssen sich zunehmend bewußt werden, dass die EU nur dort Handlungsfähigkeit gewinnt, wo die mitgliedstaatlichen Interessen deutlicher als bisher miteinander konvergieren. Das gilt vor allem in einer Union, die bald 25 oder mehr Mitglieder umfaßt.

Andererseits gilt: Wo die Mitgliedstaaten sich aufgrund fundamentaler Interessenunterschiede nicht einigen können und auch differenzierte Lösungen auf europäischer Ebene nicht in Sicht sind, wird es für das Problem des Regierens in Europa sehr darauf ankommen, auch die verbleibenden politischen Handlungspotentiale auf nationaler Ebene voll auszuschöpfen und eigenes Untätigsein nicht mit ständigem Verweis auf die Notwendigkeit europäischer Lösungen zu rechtfertigen. Vermutlich wird es in einer erweiterten Union, in der die Staaten in ihrer Gesamtheit sehr unterschiedliche nationale Interessen vertreten und dadurch einheitliche europäische Lösungen verhindern, besser sein, wenn Staatengruppen mit ähnlichen Problemlagen und Lösungsbedürfnissen auch außerhalb des Gemeinschaftsrahmens zwischenstaatlich kooperieren, ohne dabei freilich die Errungenschaften des acquis communitaire zu verletzen. Je besser dies gelingt, desto stärker wird die ohnehin oft überforderte EU entlastet und kann sich auf jene Aufgaben konzentrieren, in denen sie unbestreitbar eine gegenüber den Mitgliedstaaten überlegene Problemlösungskompetenz besitzt. Und je erfolgreicher eine solche mehrgleisige Strategie schließlich realpolitisch umgesetzt wird, desto eher können Legitimationsprobleme des Regierens in der EU effektiv angegangen werden und desto unnötiger wird es auch sein, eine lehrbuchgerechte ideale Verfassungsblaupause für die Union zu suchen, die es gar nicht gibt. Unter diesen günstigen Bedingungen würde man auch mit dem viel beschworenen Demokratiedefizit besser leben können. Müssen wird man es sowieso.

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[1] Diese vom Europäischem Gerichtshof entwickelte und wiederholt bestätigte Regelungssperre verlangt, dass in den Bereichen, die in die ausschließliche Kompetenz der Gemeinschaft fallen, der nationale Gesetzgeber grundsätzlich keine Gesetzgebungsbefugnis mehr hat.

[2] Selbst wenn nach der Direktwahl des Präsidenten die Ernennung der jeweiligen Kommissionsmitglieder analog zur US-Praxis (durch den Senat) der Zustimmung durch den Europäischen Rat bedarf, muss der Einfluss der Regierungen auf die personalpolitischen Entscheidungen des Präsidenten als eher gering eingeschätzt werden. Sie können lediglich obstruktiv ihre Zustimmung zu bestimmten Kandidaten verweigern, statt konstruktiv bei Personalentscheidungen mitzubestimmen.

Marcus Höreth * 1968;

Politikwissenschaftler; Zentrum für Europäische Integrationsforschung, Universität Bonn; mhoereth@uni-bonn.de

 

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