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Politik und Gesellschaft Online
International Politics and Society 4/2000
Andreas Wittkowsky
Give War a Chance?

Optionen zur Konsolidierung des Kosovo[1]


 
 

Ein Jahr nach dem Ende des NATO-Bombardements gegen Jugoslawien, mit dem ein internationales Mandat im Kosovo militärisch erzwungen wurde, macht sich Ernüchterung breit. Die Lage vor Ort entspricht in keiner Weise dem Leitbild einer friedlichen multi-ethnischen Zivilgesellschaft. Das Prinzip der ethnischen Ausgrenzung bestimmt weiterhin die politische Landschaft, denn nach ihrer Rückkehr im Sommer 1999 begannen die zuvor vertriebenen Kosovo-Albaner ihrerseits mit Vertreibungen und Gewalttaten. Diese zielten nicht nur auf die serbische Bevölkerung, sondern auch auf die Roma und andere Minderheiten. Eine Überquerung der seitdem geschaffenen ethnischen Trennlinien im Kosovo ist nur unter massivem Schutz der jeweils „Fremden“ durch die „Kosovo Force“ (KFOR) möglich.

Die einzig dauerhaft tragbare Option für die gesamte Region Südosteuropa, nämlich die Konsolidierung moderner politischer Nationen  und damit von Nationalstaaten, in denen der staatsnationale Konsens über die politische Beteiligung aller Bürger des Staatsgebiets, nicht jedoch über den Mythos der ethnischen Homogenität angestrebt wird –, liegt nach wie vor in weiter Ferne. Diese ist auch nicht in jeder Konstellation denkbar, sondern müßte der jüngsten Geschichte Rechnung tragen; eine technokratische Rekonstruktion der systematisch zerstörten jugoslawischen (Rest-)Nation ist aussichtslos. Dies kompliziert die Suche nach einem tragfähigen Status für das Kosovo, da die etablierte Praxis des Völkerrechts an der Garantie bestehender Staatsgrenzen orientiert ist.

Die Hilflosigkeit der internationalen Gemeinschaft, die Vertreibungen sowohl während als auch nach dem Krieg zu verhindern und für die persönliche Sicherheit aller Bürger Kosovos zu garantieren, haben verstärkte Zweifel an der Sinnhaftigkeit des westlichen Engagements aufkommen lassen, das gerade damit begründet wurde, weitere Menschenrechtsverletzungen und eine humanitäre Katastrophe zu vermeiden. Die Eskalationen nach dem Einmarsch der KFOR-Truppen leisten dem inhärenten Nihilismus einer außenpolitischen Denkschule Vorschub, die unter dem Motto „Give War a Chance“ antritt. Sie unterstellt, eine künstliche Befriedung regionaler Kriege durch externe Interventionen sei grundsätzlich unmöglich, da die Konfliktparteien kein eigenes Interesse an einer Friedenslösung entwickeln und ihr deshalb zwangsläufig entgegenarbeiten.[2]

Zunehmend wird die Frage gestellt, ob die Ergebnisse der NATO-Aktion die politischen Kosten rechtfertigen, die durch den umstrittenen Umgang mit dem Völkerrecht entstanden sind. Denn auch wenn das Bombardement nicht einhellig als Bruch „des“ Völkerrechts interpretiert wird, so wird es doch zweifelsohne als machtpolitisch-militärische Durchsetzung eines völkerrechtlichen Prinzips - Verbot des Völkermords - ohne die völkerrechtliche vorgesehene Legitimierung durch den UN-Sicherheitsrat angesehen.[3]

Auch die Unzufriedenheit der über zwei Millionen Kosovaren steigt. Dies betrifft einerseits die etwa zehnprozentige Minderheit der Kosovo-Serben, die - inzwischen verhasst bei den meisten albanischen Kosovaren, aber auch in Innerserbien unwillkommen und vom Milosevic-Regime für künftige Eskalationen instrumentalisiert - die eigentlichen Verlierer der gegenwärtigen Lage sind und die internationale Präsenz grundsätzlich ablehnen. Andererseits sieht sich die internationale Präsenz seitens der Kosovo-Albaner der Frage ausgesetzt, warum sie ihre Mission nicht zu einem Ende führt, das den Willen von rund 90 Prozent der Bevölkerung nach „Unabhängigkeit“ endlich erfüllt.

Verstärkt wird die Unzufriedenheit durch die prekäre wirtschaftliche Lage, deren Verbesserung gemeinhin als Schlüssel zur Stabilisierung der Region angesehen wird. Die Ausgangsbedingungen für eine Entwicklung Kosovos sind aber keinesfalls optimal. Die Provinz war traditionell ein wenig industrialisierter Teil Jugoslawiens mit einigen schwerindustriellen Betrieben der Energiewirtschaft (Braunkohle und Wasserkraft) und des Buntmetallbergbaus (v.a. die Zink- und Bleiproduktion des Trepca-Kombinats). Der Anteil ländlicher Subsistenzwirtschaft war hoch. Für die jüngste Bevölkerung Europas - zwei Drittel der Kosovaren sind unter 30 Jahre alt - bietet sie nur wenige Zukunftsperspektiven, ganz im Gegensatz zu kriminellen Handlungen, die das schnelle Geld versprechen.

Obwohl gerade den Kosovo-Albanern ein hohes Maß an Eigeninitiative bescheinigt wird - belegt durch die Schnelligkeit ihrer Rückkehr nach Beendigung des NATO-Bombardements, dem anschließenden Wiederaufbau ihrer Dörfer bis hin zu den wirtschaftlichen Aktivitäten in Handel und Dienstleistungen -, haben die umfangreichen internationalen Hilfsprogramme bei vielen Kosovaren eine Anspruchshaltung entstehen lassen, diese Unterstützung als selbstverständliche Bringschuld der internationalen Organisationen anzusehen. Damit verbunden ist die Tendenz, die Verantwortung für jegliche Probleme - die zweifelsohne vorhanden, aber in einer chaotischen Umbruchsituation wohl unvermeidlich sind - vor allem der „United Nations Interim Administration Mission in Kosovo“ (UNMIK) anzulasten. Im Gegensatz zur NATO und der von ihr geführten KFOR hat das UN-System bei den Kosovo-Albanern von vornherein kein hohes Ansehen genossen, und zwar wegen (1) Srebrenica, (2) der fehlenden Unterstützung der NATO-Kampagne durch den Sicherheitsrat, (3) des Festhaltens an der territorialen Zugehörigkeit Kosovos zu Jugoslawien und (4) der insgesamt ernüchternden Bilanz von UN-Missionen weltweit. 

Bestätigt wird diese Haltung dadurch, dass die UNMIK in den ersten Monaten ihrer Existenz tatsächlich vor allem damit beschäftigt gewesen ist, die eigene Arbeitsfähigkeit herzustellen. Wichtige wirtschaftspolitische Entscheidungen wurden verzögert, die Rehabilitierung wichtiger Infrastruktur (Kraftwerke, Telekommunikation u.a.) verlief schleppend. Hinzu kommt, dass der ungeklärte Status Kosovos auch dazu führte, dass die für potentielle Investoren entscheidende Frage - die Klärung der Eigentumsrechte - offen geblieben ist. 

Auf kosovarischer Seite herrschen zudem falsche Einschätzungen hinsichtlich des wirtschaftlichen Potentials des bescheidenen Industrieerbes vor. Wie auch in anderen Ländern zu Beginn der Transformation stellt sich nämlich die Frage, in welchem Umfang die alten Kollektivbetriebe unter marktwirtschaftlichen Bedingungen überhaupt wiederbelebt werden können. Da niemand die schmerzhaften Wahrheiten öffentlich ausspricht und vermittelt, steigt die Unzufriedenheit weiter. 

Fünf Optionen und eine Vision

Angesichts der wachsenden Kosten und Risiken einer dauerhaften Präsenz vor Ort suchen die am UN-Mandat führend beteiligten Staaten inzwischen verstärkt nach Ausstiegsszenarien. Auf dem EU-Frühjahrsgipfel in Lissabon erhoben der Generalsekretär für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, und der Kommissar für Außenbeziehungen, Chris Patten, die Forderung, einen Fahrplan für die Konsolidierung des Kosovo im Rahmen der UN-Sicherheitsresolution 1244 zu erarbeiten.[4]

Von den drei Elementen eines möglichen Fahrplans (Ziel, Wegstrecke und zeitliche Festlegung) fehlt allerdings das wichtigste - ein eindeutiges Ziel. Denn erfolgreich wird die Mission nur dann sein, wenn sie eine erneute Gewalteskalation nach ihrem Abschluß verhindert. Im Rahmen des UN-Mandats läßt sich ein Status für Kosovo, der dies gewährleistet, zumindest kurzfristig nicht finden. 

Grundsätzlich lassen sich für einen endgültigen Status Kosovos fünf Optionen mit steigenden Autonomie- bzw. Souveränitätsgraden identifizieren:

1.Fortbestand als Teil Jugoslawiens und Serbiens;

2.substantielle Autonomie im jugoslawischen Staatsverband;

3.substantielle Autonomie im Rahmen eines internationalen Protektorats eigenen Typs;

4.ethnische Teilung zwischen Serben und Albanern, möglicherweise gefolgt vom Anschluß der Teileinheiten an Albanien bzw. Serbien;

5.Unabhängigkeit, möglicherweise gefolgt vom Anschluß an Albanien.

Eine dauerhaft tragfähige Option wird die Legitimation durch die kosovarische Bevölkerung sicherzustellen haben, also den Tatbestand einer modernen politischen Nationsbildung auf dem jeweiligen Staatsgebiet erfüllen müssen - sei es innerhalb Jugoslawiens oder in einem unabhängigen Kosovo. Es ist jedoch augenscheinlich, dass es zur Zeit keine entsprechende einvernehmliche Lösung zwischen den beiden wichtigsten Bevölkerungsgruppen im Kosovo gibt. 

Die albanisch-ethnische Mehrheit der Kosovaren tritt eindeutig für die Option 5 ein und sieht alle anderen Optionen durch die staatlich inszenierten Mord- und Vertreibungsaktionen der Jahre 1998/99 unwiederbringlich diskreditiert. Eine weitergehende Dynamik durch die anschließende Vereinigung Kosovos mit Albanien wird von den meisten Kennern der Region dagegen für unwahrscheinlich gehalten, obwohl sich die Mehrheit der Kosovo-Albaner durchaus als Teil einer großalbanischen Nation versteht. Dabei dominiert jedoch eher ein kulturelles denn ein politisches Nationenverständnis. Das real existierende, von Staatszerfall und kriminellen Strukturen geprägte Albanien - insbesondere im benachbarten Nordalbanien - übt geringe Anziehungskraft auf die Kosovaren aus und läßt bei ihnen nur wenig Neigung aufkommen, die positive Utopie eines vereinten Albaniens aktiv zu verfolgen.[5]

Die serbisch-ethnische Minderheit hält mehrheitlich an Option 1 fest und wäre bestenfalls bereit, einer Variante der Option 2 zuzustimmen, der ein sehr eng gefasstes Autonomieverständnis zugrunde liegt. Allerdings läßt das mit Belgrad abgestimmte Verhalten der politischen Vertreter der Serben im Nordteil Kosovos (Gebiet Mitrovica) darauf schließen, dass hier inzwischen auch über verschiedene Formen der Option 4 nachgedacht wird (s.u.). 

Das UN-Mandat zielt dagegen auf eine tragfähige Option 2, nimmt aber aufgrund der Erkenntnis, dass eine „traditionelle“ Autonomieregelung bis auf weiteres nicht umsetzbar sein wird, aus pragmatischen und sicherheitspolitischen Erwägungen inzwischen starke Züge der Option 3 an. 

Die Vision für ein erfolgreiches Ende der UN-Mission kann deshalb nur eine offene Zielvorstellung sein. Dies wäre ein Zustand, in dem für die Kosovaren eine Wahlmöglichkeit über den endgültigen Status existiert, ohne dass die dann getroffene Entscheidung - wie immer sie auch ausfallen mag - den Frieden erneut gefährdet. Die Übergangsperiode bis zu diesem Zustand wird vermutlich recht lange dauern und erfordert ein fortgesetztes ziviles und militärisches Engagement. Diese Vision müsste trotz der damit verbundenen Kosten von der internationalen Gemeinschaft geteilt werden können, denn trotz aller Konkurrenzen befinden sich die wichtigsten internationalen Akteure - NATO, UN, OSZE, USA, die EU und ihre Mitgliedsstaaten - in einer Situation, in der letztlich alle gewinnen oder alle verlieren werden. Auch der großen Mehrheit der Kosovaren sollte diese Vision vermittelbar sein, da die Alternative Krieg - und damit nur erneutes Elend - bedeuten würde. 

Diese Vision soll im folgenden vertieft und begründet werden. 

Lösungsansätze im Rahmen des UN-Mandats 

Die Grundlage für das UN-Mandat in Kosovo ist die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats vom 10. Juni 1999.[6] Mit ihrer Annahme wurde ein Zustand beendet, bei der ein internationaler Militäreinsatz zur Durchsetzung des Völkerrechts ohne Legitimierung durch den UN-Sicherheitsrat stattgefunden hatte, weil dafür keine Zustimmung Russlands und Chinas zu gewinnen war. Das Mandat gilt für einen Zeitraum von zwölf Monaten, verlängert sich jedoch automatisch, wenn der Sicherheitsrat nicht anders entscheidet (Abs. 5; 19). Die Resolution erteilt das Mandat für eine internationale Sicherheitspräsenz (KFOR) und eine Zivilpräsenz (UNMIK) unter der Leitung eines Sondergesandten des UN-Generalsekretärs (Special Representative of the Secretary General, SRSG). Um die Weltorganisation zu entlasten und andere wichtige Akteure mit einzubeziehen, wurde für die Zivilpräsenz die Konstruktion von vier funktionalen Verwaltungs-„Säulen“ unter der Leitung verschiedener multilateraler Organisationen gewählt, nämlich
Säule 1: Humanitäre Fragen (UNHCR, Dennis McNamara)

Säule 2: Zivilverwaltung (UN, Tom Koenigs)

Säule 3: Institutionenentwicklung (OSZE, Daan Everts)

Säule 4: Wirtschaftlicher Wiederaufbau (EU, Joly Dixon).

Weiterhin bekräftigt die Resolution die Souveränität und territoriale Integrität der Bundesrepublik Jugoslawien sowie den Grundsatz der KSZE-Schlußakte, dass Änderungen des völkerrechtlichen Status nur im Einvernehmen aller beteiligten völkerrechtlichen Subjekte möglich sein sollen. Das UN-Mandat hat dementsprechend zum Ziel, Kosovo eine „substantielle Autonomie innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien“ zu ermöglichen, bis eine endgültige politische Lösung gefunden wird (Abs. 10; 11).

Für eine Unabhängigkeit Kosovos gibt es unter diesen Bedingungen nur eine einwandfreie Variante: die völkerrechtliche Anerkennung mit Zustimmung Jugoslawiens, die aber zur Zeit völlig ausgeschlossen ist. Da die UN-Resolution 1244 lediglich die territoriale Integrität Jugoslawiens, nicht aber Serbiens proklamiert, würde auch ein Zusammenbruch Jugoslawiens - der durch den Austritt Montenegros aus der Bundesrepublik gegeben wäre- einen größeren politischen Spielraum für die Unabhängigkeit schaffen. Auch die jugoslawische Führung nimmt diese Möglichkeit offenbar als Achillesferse der gegenwärtigen Regelung wahr und versucht deshalb nachzubessern. So sieht ein von Belgrad vorgelegter Vertragsentwurf zur Errichtung eines Gemeinsamen Koordinationskomitees zwischen Jugoslawien und UNMIK vor, die „südserbische Provinz Kosovo und Metohija“ nicht nur als integralen Bestandteil der Bundesrepublik Jugoslawien, sondern zugleich „als integralen Bestandteil der Republik Serbien“ in einem völkerrechtlichen Abkommen mit der UN zu verankern.[7]

Die von vielen Kosovo-Albanern geforderte Variante, Kosovo - wie Slowenien, Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Makedonien und möglicherweise Montenegro - als eine Nachfolgerepublik Jugoslawiens anzuerkennen, stößt weiterhin auf erhebliche Vorbehalte. Die Regionen Kosovo und Vojevodina hatten zwar in der jugoslawischen Verfassung von 1974 einen Status erhalten, der sie weitgehend mit den Republiken gleichstellte - sowohl hinsichtlich ihrer inneren Konstitution (eigene Verfassung, Parlament, Regierung, Rechtswesen u.a.) als auch ihrer Rolle im Gesamtstaat (gleichberechtigte Beteiligung in allen wichtigen Bundesorganen). Gleichzeitig blieben sie Teileinheiten Serbiens, und es war die Änderung der serbischen Republiksverfassung, die Milosevic 1989 als Hebel zur Abschaffung der Autonomie der beiden Regionen diente - nicht zuletzt mit Hilfe einer skrupellosen Einschüchterungspolitik durch Massenmobilisierung und Polizeimaßnahmen.

Auch wenn man den Autonomiestatus von 1989 wiederherstellen könnte, würde dies kein Recht Kosovos auf Separation bedeuten, da die nach 1989 international politisch durchgesetzte Kompromissformel lautet, im Interesse der Stabilität und des Friedens nur vormaligen Teilrepubliken das Selbstbestimmungsrecht zu gewähren, nicht jedoch weiteren autonomen Untereinheiten.[8] Ein Abweichen von diesem Prinzip - oder gar eine weitergehende Resolution des Sicherheitsrats - stößt nicht nur bei Russland (mit seinem Tschetschenien-Konflikt) und China (mit seiner fortgesetzten Ein-China-Politik) auf ganz grundsätzlichen Widerstand, sondern durchaus auch bei westlichen Staaten, die einen Präzedenzfall für ethnische Konflikte weltweit oder sogar im eigenen Land befürchten.

Teilung Kosovos?

Da die internationale Präsenz bisher nicht in der Lage war, die in der Resolution 1244 geforderten „Bedingungen für ein friedliches und normales Leben aller Einwohner Kosovos zu gewährleisten“, wurde vor allem in Deutschland und den USA wiederholt eine Teilung Kosovos in die Diskussion gebracht. Die Teilungsdebatte ist jedoch Sprengstoff für die Stabilisierungs­versuche der internationalen Gemeinschaft.

Seit der Rückkehr von über 800 000 vertriebenen albanischen Kosovaren im Sommer 1999 sind rund 200 000 Serben, aber auch Roma und andere Minderheiten zu Opfern einer Welle von Gewalt und Vertreibungen geworden, die nicht nur aus Rachegefühlen, sondern auch aus einem tief verankerten ethnischen Nationalismus der albanischen Kosovaren gespeist ist. Ein Großteil der Kosovo-Serben floh zunächst nach Innerserbien oder aber in die wenigen kompakten Enklaven - vor allem in das nördlich gelegene Gebiet Mitrovica sowie in die zentralen Gebiete um Gracanica und Kosovo Polje. Von dort wurden ihrerseits die verbliebenen Albaner vertrieben. Inzwischen sind innerhalb Kosovos weitgehend „reine“ ethnische Enklaven entstanden. Über 100 000 Kosovaren gelten als „intern vertrieben“. Auch wenn programmatisch an einer Rückkehr aller Flüchtlinge festgehalten wird, versuchen KFOR und UN-Polizei gegenwärtig vorrangig, weitere Vertreibungen zu vermeiden und die Sicherheit von Minderheiten an ihren jetzigen Wohnorten zu gewähren. Damit ist heute schon knapp die Hälfte der rund 46 000 KFOR-Truppen vorrangig beschäftigt. 

Eine Teilung würde jedoch bedeuten, erstmals davon abzugehen, nur territorial bereits definierte Teilrepubliken von Bundesstaaten als unabhängig anzuerkennen, und statt dessen Grenzen nach ethnischen Gesichtspunkten neu zu ziehen. Damit ist die Teilungsoption geeignet, die inter-ethnische Balance in ganz Südosteuropa in Frage zu stellen und zumindest den nationalistischen Teilen der Albaner in Makedonien, Montenegro und im übrigen Serbien, aber auch den Serben in Bosnien-Herzegowina und Montenegro das falsche Signal zu geben, nämlich dass das Prinzip der ethnischen Neuordnung in Südosteuropa nun endgültig akzeptiert - und dementsprechend zur Vollendung zu bringen ist. 

Auch für die ethnischen Beziehungen innerhalb Kosovos bieten die verschiedenen Teilungsvarianten nicht jene eleganten Lösungen, die sich ihre Befürworter erhoffen. So würde eine Teilung entlang der heute bestehenden Siedlungsgrenzen zwischen den Albanern und den in fünf größeren und einigen kleineren Enklaven lebenden Serben einen „palästinensischen Flickenteppich“ mit den entsprechenden Sicherheitsproblemen schaffen. Alternativ dazu könnte die größte serbische Enklave, das direkt an Innerserbien grenzende Gebiet nördlich von Mitrovica, abgeteilt werden. Wenn man die ethnische Logik dieser Abtrennung zu Ende denkt, würde sie wahrscheinlich einen Bevölkerungsaustausch zwischen den im Nordteil verbliebenen Kosovo-Albanern und den Kosovo-Serben der übrigen Enklaven nach sich ziehen. 

Die politische Führung der Mitrovica-Serben um den selbst ernannten Bürgermeister Oliver Ivanovic scheint inzwischen mit Hilfe von Provokationen und Eskalationen letztere Option voranzutreiben. Das „Opfer“ der übrigen Enklaven wird dabei offenbar ins Kalkül gezogen. Belgrad unterstützt dieses Vorhaben, indem es - teilweise durch Anreize, teilweise durch Druck - die systematische Rückkehr der nach Innerserbien geflohenen Kosovo-Serben betreibt und damit versucht, siedlungspolitische Fakten zu schaffen. Die Motivation für diese Politik ist zweifach: Zum einen hat die jugoslawische Elite Interesse an den im Nordteil gelegenen Buntmetallbergwerken des Trepca-Kombinats. Zum anderen kann der Konflikt mit den Kosovo-Albanern aus innenpolitischen Gründen zu jedem opportunen Zeitpunkt eskaliert werden, da die Albaner jeden Vorstoß in Richtung einer Teilung als Versuch interpretieren, Kosovo seiner wirtschaftlichen Basis zu berauben. Ein Vorantreiben dieser Option durch internationale Akteure ist dazu geeignet, die sattsam bekannnten Auseinandersetzungen in Mitrovica zu eskalieren und den mühsam erreichten Status quo zu gefährden. 

Ausgestaltung der „substantiellen Autonomie“

Die zentrale Kontroverse im Rahmen des UN-Mandats kreist um die Frage, was „substantielle Autonomie“ konkret bedeutet. Es überrascht wenig, dass Jugoslawien hier die restriktivste Position vertritt. In einem Memorandum zur Umsetzung der Resolution 1244 unterstrich die jugoslawische Bundesregierung, dass eine lokale Autonomie „entsprechend internationaler Standards“ vor allem sprachliche und kulturelle Rechte der Minderheiten sowie lokale Verwaltungskompetenzen umfaßt. Dagegen habe der Gesamtstaat weiterhin unbedingt die Einheitlichkeit des Ordnungsrahmens für Unternehmenstätigkeit, des Grenzregimes, des Binnenmarkts, der Finanzverfassung, der Währung, des Erfassungs- und Melderegimes, des Rechtssystems und der Erfüllung aller internationalen Verpflichtungen zu gewähren.[9] Da sie sich mit diesen Positionen in der Praxis nicht durchsetzen konnte, hat die jugoslawische Regierung inzwischen - mit Unterstützung Chinas - mehrfach den Abzug von KFOR und UNMIK aus dem Kosovo gefordert. 

Die internationalen Standards sind allerdings nicht annähernd so eindeutig wie von Jugoslawien unterstellt. Vielmehr läßt sich erkennen, dass Autonomieregelungen in der Vergangenheit sehr unterschiedlich ausgestaltete Einzelfall-Lösungen waren,[10] die - wie das Verhältnis der Republik Tatarstan zur Russischen Föderation zeigt - teilweise viel weiter gingen als im jugoslawischen Memorandum beschrieben.[11] Auch die Grundsätze für Autonomieregelungen in der EU, die in der 1998 vom Europäischen Parlament verabschiedeten Resolution zur Regionalpolitik der Gemeinschaft und zur Rolle der Regionen zum Ausdruck kommen, sehen vor, dass Regionen innerhalb einer nationalen Rechtsordnung den höchstmöglichen institutionellen Status erhalten sollen.[12] Für ein autonomes Kosovo wäre dies der Status einer dritten Republik Jugoslawiens - neben Montenegro und Serbien. 

Rechtsetzung und Verfassung 

Im Rahmen des UN-Mandats wird die Autonomie inzwischen weitergehend definiert als ursprünglich vorgesehen - und zwar aufgrund der praktischen Probleme des Quasi-Protektorats. So legte der UN-Sondergesandte in seiner Regulation Nr. 1 vom 25. Juli 1999 - dem ersten UNMIK-Gesetzgebungsakt - zunächst fest, dass im Kosovo jenes Recht anzuwenden sei, welches am 24. März 1999 Geltung hatte, es sei denn, es widerspreche internationalen Menschenrechtsstandards oder der Erfüllung des UN-Mandats. Diese Entscheidung stieß auf heftigen Widerstand der Kosovo-Albaner, und insbesondere der neu berufenen Richter und Staatsanwälte, weil sie als grundsätzliche Akzeptanz der jugoslawischen Unrechtspraxis nach 1989 interpretiert wurde.[13]

Im Dezember 1999 wurde eine Kompromisslösung gefunden, nach der grundsätzlich jenes Recht angewandt wird, das vor der Abschaffung der Autonomie 1989 in Kraft war. Spätere Versionen des jugoslawischen Rechts gelten nur für jene Fälle, die weder vom Recht im Rahmen des alten Autonomiestatus noch von den neuen UNMIK-Regulationen erfasst werden.[14]

Inzwischen hat der UN-Sondergesandte über 60 Regulationen erlassen, die den Autonomiestatus unter UN-Mandat rechtlich ausgestalten. So wurden internationale Währungen als offizielle Zahlungsmittel neben dem jugoslawischen Dinar zugelassen. Seitdem findet ein Großteil der privaten und staatlichen Zahlungen in DM statt. Zur Finanzierung des Kosovo-Budgets wurden die Grundzüge eines Steuer-, Abgaben- und Zollwesens geschaffen, das die geplanten Ausgaben in Höhe von 430 Millionen DM im Haushaltsjahr 2000 zu rund 50 Prozent decken soll. 

Dagegen wird die - im Rahmen der UN-Resolution 1244 durchaus mögliche - Beratung einer Autonomieverfassung für Kosovo mit Skepsis betrachtet, da hiervon die Bedrohung des mühsam erreichten Status quo durch ein erneutes Aufwallen der Unabhängigkeitsbestrebungen befürchtet wird. Der UN-Sondergesandte ist deshalb inzwischen eher geneigt, einen „Kontrakt“ zwischen den wichtigsten gesellschaftlichen Gruppen zu schließen, um damit Umfang und Grenzen der Selbstverwaltung, aber auch die Rechte der Minderheiten im Kosovo konsensual zu vereinbaren. 

Eigentumsfragen

Die Resolution 1244 weist der UNMIK die Aufgabe zu, das jugoslawische bzw. serbische Staatseigentum im Kosovo zu verwalten. Nur zögerlich tastet sich die internationale Verwaltung an die ungeklärten Eigentumsverhältnisse heran, die ein entscheidendes Hindernis der wirtschaftlichen Entwicklung sind. Das Problem besteht vor allem darin, eindeutig zwischen Staats-, Privat- und dem für Jugoslawien typischen „sozialen“ Belegschafts­eigentum zu unterscheiden. Nach 1989 haben einige schwer zu beurteilende Eigentums­transfers stattgefunden, bei dem die profitabelsten kosovarischen Unternehmen in staatliches, privates oder gemischtes Eigentum unter Beteiligung jugoslawischer, teilweise aber auch ausländischer, Unternehmen überführt wurden- wie das Beispiel des umstrittenen Trepca-Kombinats zeigt.[15]

Mit der Eigentumsfrage verbunden ist die Managementfrage. So konkurrieren in allen größeren Betrieben bis zu drei verschiedene Betriebsleitungen um das Recht, die Geschäfte übernehmen zu dürfen:

·die nach 1989 entlassene albanische Leitung aus der Autonomiezeit, 

·das danach eingesetzte serbische Management,

·eine abermals albanische, oft von der Kosovarischen Befreiungsarmee UÇK (s.u.) plazierte neue Betriebsleitung. 

Da es keine rechtliche Klärung gibt, ist die Übernahme der Betriebe oft eine Machtfrage. 

Um wenigstens mittelfristig Planungssicherheit für wirtschaftliches Handeln zu schaffen, wird nun erstmals ein größeres Unternehmen in 10-Jahres-Pacht vergeben. Von einer allgemeinen Lösung ist UNMIK - auch aufgrund einer starken personellen Unterbesetzung - noch weit entfernt. Im Energiebereich hat UNMIK darüber hinaus erstmals Verträge für ein internationales Management vergeben, das jedoch bei fast allen kosovarischen Parteien auf einhellige Ablehnung stößt, weil sie sich in wesentlichen Entscheidungen übergangen fühlen. Lediglich für den Bereich des Wohneigentums sind inzwischen ein Direktorat für Wohn- und Eigentumsfragen sowie eine Kommission zur Klärung offener Eigentumsansprüche geschaffen worden (Housing and Property Directorate and Claims Commission). Obwohl diese Institutionen erst am Anfang ihrer Arbeit stehen, könnten sie unter Umständen als Modell auch für gewerbliches Eigentum dienen. 

Gretchenfrage Gewaltmonopol

Während sich die NATO spätestens seit den Rambouillet-Verhandlungen im Februar 1999 auf eine militärische Präsenz im Kosovo vorbereitete, konnte die während des NATO-Einsatzes paralysierte UN den Aufbau der zivilen Präsenz erst wesentlich später beginnen - direkt nach Annahme der Resolution 1244. Obwohl das UN-Mandat mitunter als Modell-Lösung für vergleichbare Konfliktsituationen diskutiert wurde, sind nach einem Jahr deutliche Grenzen einer Protektoratslösung im Zeitalter moderner Nationalstaaten sichtbar geworden. Dies betrifft weniger die - begrenzt, aber nicht grundsätzlich vermeidbaren - Kinderkrankheiten der Aufbauphase, sondern vielmehr die tieferliegenden Probleme der Legitimation politischer Macht durch die Bevölkerung des „Protektoratsgebiets“, die nicht mit den formulierten Grenzen der Mission übereinstimmt. Als Gretchenfrage erweist sich die Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols der UN-Verwaltung gegen einheimische Parallelstrukturen. Gerade die Institutionen der albanischen Mehrheit haben bisher nur wenig Neigung erkennen lassen, irgend eine Form von staatlicher Gewalt zu legitimieren oder zu akzeptieren, die ihnen keine staatliche Unabhängigkeit zusichert. 
Schwächen des UN-Systems

Die Entscheidung die UN-Verwaltung, auf vier funktionale Säulen unter der Leitung verschiedener multilateraler Organisationen zu bauen, machte zwar einen schnellen arbeitsteiligen Aufbau der Strukturen möglich, brachte aber gleichzeitig Effizienzverluste mit sich. Binnen kurzem zeigte sich das typische Koordinationsproblem internationaler Organisationen, verstärkt durch die - ebenfalls typischen - bürokratischen Strukturen und Prozeduren des UN-Systems. 

Gleichzeitig hatte UNMIK im ersten Jahr ihres Bestehens darunter zu leiden, dass die internationalen Geber ihren Finanzierungszusagen nur schleppend nachkamen. Nach mehreren dramatischen Appellen des UN-Sondergesandten, der die ohnehin niedrigen Löhne der örtlichen Verwaltungsangestellten nur mit mehrwöchiger Verspätung zahlen konnte, ist die Finanzierung der UNMIK inzwischen wenigstens auf eine halbes Jahr im Voraus gesichert.[16]

Trotz teilweise hoher Motivation wurde die Arbeit des internationalen Personals zudem durch die starke Fluktuation erschwert. In der Regel kamen die internationalen Experten – angesichts der Ausgangslage wohl unvermeidbar – ohne große Vorbereitungen ins Kosovo, kehrten aber dann teilweise schon nach sechs Monaten - direkt nach der Einarbeitungsphase - wieder in ihre Heimatländer zurück, um dann neuen, gut bezahlten Anfängern Platz zu machen. In einigen zentralen Bereichen des UN-Mandats - so z.B. bei der Polizei - wurde die erforderliche Sollstärke bis heute nicht erreicht. Die Sprach- und Kulturbarriere verstärkt die durch Unterbesetzungen und mangelnde Kontinuität entstehenden Reibungsverluste, die das UN-System zusätzlich belasten - und in den Augen der Kosovaren diskreditieren. 

Albanische Parallelstrukturen

Innerhalb der albanischen Parallelstrukturen kann zwischen einer älteren Elite, die noch stark vom sozialistischen Jugoslawien geprägt wurde, und einer jüngeren Elite unterschieden werden. Allerdings sind beide wiederum in sich heterogen und teilweise zerstritten; im Vorfeld der für Herbst 2000 geplanten Kommunalwahlen differenzieren sie sich weiter aus.[17]

Die ältere Elite betrieb 1989 die Gründung der Demokratischen Liga Kosovos LDK (Lidhja Demokratike te Kosovës) und verfolgte unter Führung des „Präsidenten“ Ibrahim Rugova und der „Regierung“ Bujar Bukoshis jahrelang den Weg eines friedlichen, von Ghandi inspirierten, aber letztlich erfolglosen Widerstands zugunsten der proklamierten „Republik Kosova“. Durch „Steuerzahlungen“ der im Ausland lebenden Kosovo-Albaner konnte die Regierung Bukoshi über die Apartheidzeit hinweg das Überleben der Parallelstrukturen - einschließlich eines albanischen Bildungs- und Gesundheitssystems - ermöglichen. In den 90er Jahren wurden weitere albanische Parteien gegründet, 1995 kam es zum Bruch zwischen Rugova und Bukoshi und 1998 wandten sich viele der LDK-Anhänger enttäuscht anderen politischen Strömungen - vor allem der von Rexhep Qosja gesammelten Vereinigten Demokratischen Bewegung LBD (Lëvizja e Bashkuar Demokratike) - und zugleich der stärker werdenden Kosovarischen Befreiungsarmee UÇK (Ushtria Çlirimtare e Kosovës) zu.

Die Gründung der UÇK Mitte der 90er Jahre war die Antwort der jüngeren Elite auf die andauernde Apartheid und die Erfolglosigkeit der friedlichen Widerstandsstrategie der älteren. Unter der politischen Führung eines fünfköpfigen Direktorats, in dem sich später Hashim Thaçi als Erster unter Gleichen durchsetzte, und dem militärischen Kommando Agim Çekus begann die UÇK 1998 einen Guerillakrieg, der eine serbische Gegenoffensive mit Terror gegen die Zivilbevölkerung herausforderte. Gerade letzteres brachte der UÇK innerhalb kürzester Zeit eine breite Unterstützung durch die Bevölkerung und die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft, auf die der friedliche Widerstand jahrelang vergeblich gehofft hatte. Nachdem das im Oktober 1998 auf internationale Vermittlung geschlossene Holbrooke-Milosevic-Abkommen zur Befriedung der Situation mehrfach gebrochen worden war, verfolgte die UÇK dann direkt vor der NATO-Intervention eine hoch riskante Eskalationsstrategie. 

Als Kompromiss zwischen alter und neuer Elite wurde im April 1999 – noch während der NATO-Intervention – eine „Provisorische Regierung“ unter Hashim Thaçi ausgerufen. Allerdings war der Kompromiss brüchig, und die UÇK zeigte sich in den Auseinandersetzungen des Nachkriegsalltags durchsetzungsfähiger als ihre Partner, z.B. indem sie sich in Schlüsselbetrieben über die Absprache hinwegsetzte, die 1989 entfernten alten Betriebsleitungen wieder einzusetzen und stattdessen eigenes Personal installierte. 

Gleichzeitig war zu beobachten, dass nach dem Krieg viele Unterstützer der UÇK wieder zu ihren traditionellen politischen Parteien zurückkehrten. Auch die Parteigründung Thaçis, die Demokratische Fortschrittspartei Kosovos PPDK (Partia e Progresit Demokratik të Kosovës) – im Mai 2000 umbenannt in Demokratische Partei Kosovos PDK (Partia Demokratike e Kosovës) – blieb nicht ohne Herausforderer aus dem eigenen Lager. So gründete der ehemalige UÇK-Kommandant Ramush Haradinaj eine Allianz für die Zukunft Kosovos AAK (Aleanca për Ardh­mërinë e Kosovës), die gegen das Alleinvertretungsrecht der PDK antritt. Die übrigen Parteien spielen eine eher untergeordnete Rolle, zumal sie - wie auch in anderen Transformationsländern - in der Mehrzahl personenzentrierte Verbände mit erheblichen kommerziellen Interessen und wenig programmatischer Substanz sind.

Einen klareren Überblick über die tatsächlichen Kräfteverhältnisse zwischen den politischen Kräften können und sollen die Kommunalwahlen am 28. Oktober 2000 bringen, zu denen sich bisher 29 Parteien haben registrieren lassen. Entscheidend wird dabei das Abschneiden der drei Gruppierungen LDK, PDK und AAK sein. Die LBD ist nach übereinstimmender Einschätzung der meisten Beobachter weitgehend inaktiv und chancenlos. Auch hier sind jedoch noch kurzfristige Überraschungen möglich.

Die Gemeinsame Übergangsverwaltungsstruktur

Durch den Abzug der jugoslawischen Staatsorgane (Truppen, Polizei, Verwaltung) im Juni 1999 entstand ein institutionelles Vakuum, das die UN-Mission füllen sollte. Tatsächlich wurde es eher von den mehr oder weniger informellen Strukturen der Kosovaren gefüllt. So setzte die Provisorische Regierung innerhalb kürzester Zeit Bürgermeister in den Kommunen Kosovos ein. Die Selbstorganisation in den serbischen Enklaven erfolgte analog. 

Im Gegensatz zu den sukzessive eintreffenden UN-Administratoren waren diese - weder durch Wahlen noch durch die UNMIK legitimierten - Kommunalverwaltungen in der Gesellschaft gut verankert und deshalb in vielen Bereichen handlungsfähig, so dass ihnen teilweise eine durchaus stabilisierende Wirkung zugesprochen werden konnte. Allerdings war auch zu beobachten, dass diese Verwaltungen mitunter schutzgeldartige Abgaben erhoben und - gerade auch in serbisch dominierten Gebieten - zur nationalistischen Mobilisierung beitrugen. Die Provisorische Regierung begann zudem, eigene Dekrete zu erlassen, die weit in UNMIK-Kompetenzen eingriffen und über das UN-Mandat hinausgingen.[18]

Im Dezember 1999 unterzeichneten Ibrahim Rugova (LDK), Rexhep Qosja (LBD) und Hashim Thaçi (UÇK) als führende politische Vertreter in den Parallelstrukturen ein Abkommen mit der UNMIK, mit dem alle Parallelstrukturen einschließlich der „Provisorischen Regierung“ abgeschafft und durch eine Gemeinsame Übergangsverwaltungsstruktur (Joint Interim Adminstration Structure, JIAS) mit der UNMIK ersetzt wurden. Diese hat seitdem folgenden Aufbau:[19]

·Der Kosovo Transitional Council (KTC) – eine Art „Runder Tisch“ – wurde von ursprünglich 12 auf 36 Mitglieder erweitert, um auch kleinere Gruppierungen berücksichtigen zu können. Es hat weithin beratende Funktion.

·Der Übergangsverwaltungsrat (Interim Administrative Council, IAC) - bestehend aus vier Kosovaren, vier UNMIK-Vertretern und dem UN-Sondergesandten - ist das zentrale politische Entscheidungsgremium. In letzter Instanz entscheidet jedoch allein der UN-Sondergesandte.

·Die Gemeinsame Übergangsverwaltung besteht aus 20 Abteilungen, die den drei fortbestehenden UNMIK-Säulen untergeordnet sind, größtenteils der UN-Säule II (Zivilverwaltung), in wirtschaftlich wichtigen Bereichen der EU-Säule IV (Wiederaufbau und Entwicklung). Die UNHCR-Säule I wurde im Zuge des Auslaufens der Nothilfe Ende Juni 2000 aufgelöst. Jede Verwaltungsabteilung hat eine Doppelspitze aus einem internationalen und einem kosovarischen Kodirektor, die das Initiativrecht für neue Regulationen inne haben. 

·Die 30 Kommunalräte und ?verwaltungen stehen zunächst unter der Leitung eines UNMIK-Verwalters, bis die für Herbst 2000 vorgesehenen Kommunalwahlen eine demokratische Legitimierung für die Selbstverwaltung auf kommunaler Ebene schaffen.

·Zur Bearbeitung spezieller Probleme wurden weitere Gremien geschaffen, die nicht direkt zur Gemeinsamen Übergangsverwaltung gehören, darunter das Komitee zur Rückführung der serbischen Flüchtlinge (Joint Committee for Serb Returns) und das o.g. Direktorat für Wohn- und Eigentumsfragen. Auch die UN-Polizei untersteht nicht den gemeinsamen Verwaltungsstrukturen, sondern direkt der UNMIK.

Bisher kann keines der JIAS-Gremien demokratische Legitimität beanspruchen. Vielmehr wurden die kosovarischen Repräsentanten in KTC, IAC und Verwaltung durch den UN-Sondergesandten nach Proporzgesichtspunkten berufen, die das ungefähre politische Kräftverhältnis vor der Intervention widerspiegeln und die ethnischen Minderheiten angemessen berücksichtigen sollen. Ins IAC sind ein serbischer und drei Vertreter jener albanischen Gruppierungen berufen wurden, die zu den Verhandlungen von Rambouillet eingeladen worden waren (LDK, LBD, UÇK). Im KTC sind auch Vertreter aller anderen ethnischen Minderheiten, kleinerer Parteien und wichtiger zivilgesellschaftlicher Institutionen eingebunden.

Die im Serbischen Nationalrat (Srpsko Nacionalno Vece, SNV) organisierten Kosovo-Serben haben ihre Mitarbeit in der JIAS über lange Zeit verweigert. Erst im April 2000 entschied die SNV-Fraktion in der Enklave Gracanica unter dem orthodoxen Bischof Artemije, zunächst als Beobachter in KTC und IAC teilzunehmen und die beiden vorgesehenen Kodirektorposten in der Verwaltung zu besetzen. Nach erneuten Gewalttaten gegen Serben wurde diese Entscheidung jedoch wieder ausgesetzt. Gleichzeitig wurden deutliche Interessenunterschiede innerhalb der serbischen Gemeinschaft sichtbar, da sich die von Oliver Ivanovic geführte SNV-Fraktion im Gebiet Mitrovica weiterhin kooperationsunwillig zeigte und versuchte, mit Hilfe Belgrads Druck auf den SNV Grancanica auszuüben. Während sich die Mitrovica-Serben dadurch größere Chancen hinsichtlich einer wie auch immer gearteten Reintegration nach Innerserbien erhoffen, sind die politischen Vertreter der anderen Enklaven deshalb versöhnlicher geworden, weil sie begriffen haben, dass sie inzwischen auch im Belgrader Spiel die Verlierer sein sollen.[20]

Insgesamt zeigt sich in der JIAS ein Zielkonflikt zwischen Einbindung und Kontrolle der Kosovaren. Gegenwärtig schwindet in der Bevölkerung die Akzeptanz für die Härten des Wiederaufbaus und der Transformation. Die kosovarischen Meinungsführer können sich allzu leicht auf eine Oppositionsrolle zurückziehen und den UNMIK-Vertretern die Verantwortung für diese Härten und die zweifelsohne gemachten Fehler im Umgang mit ihnen zuweisen, ohne dafür irgendeine Form von gesellschaftlicher Sanktionierung seitens ihrer Klientel befürchten zu müssen. Umgekehrt ist - wie auch in anderen Transformationsländern direkt nach dem Umbruch - zu beobachten, dass es den durch Selbstverwaltungssozialismus und Parallelgesellschaft geprägten Kosovaren mitunter an den notwendigen Verwaltungserfahrungen mangelt.

Dennoch werden die Kosovaren ohne eine weitgehende Übernahme der politischen und administrativen Verantwortung nicht das Maß an Identifikation mit den Anstrengungen entwickeln, die gerade die Überwindung der wirtschaftlichen Probleme erfordert. Nur dann wird die internationale Gemeinschaft auch die Möglichkeit haben, wie in anderen Ländern ihre Hilfszusagen an Konditionen zu binden, für die es bisher keinen eindeutigen Adressaten gibt.

Transformation der UÇK

Der Zielkonflikt zwischen Einbindung und Kontrolle läßt sich auch bei der Transformation der Kosovarischen Befreiungsarmee in staatliche Gewaltorgane erkennen. Die Sicherheitsratsresolution 1244 verpflichtet die internationale Präsenz zur Entmilitarisierung der UÇK. Direkt nach dem Einmarsch der KFOR unterzeichnete Hashim Thaçi als politischer Führer der UÇK ein Abkommen, die Organisation bis zum 20. September 1999 aufzulösen. Damit verband er das politische Ziel, wichtige Teile der UÇK in drei zivile Institutionen zu überführen: 

·in eine Partei (s.o.), 

·in den Zivilschutz,

·in die neue kosovarische Polizei. 

Der militärische Kern der UÇK einschließlich seiner regionalen Kommandostrukturen wurde in das neu geschaffene Kosovo-Schutzkorps (Trupat Mbrojtëse të Kosovës, TMK), das offiziell den Charakter eines weitgehend unbewaffneten Zivilschutzes trägt, aber im Ernstfall wohl schnell in eine kosovarische Nationalgarde umgewandelt werden könnte. Die kosovarischen Serben haben deshalb Abstand von der vorgesehenen Mitwirkung in dieser Organisation genommen und sich in den von ihnen kontrollierten Gebieten eigene paramilitärische Schutzverbände geschaffen. Inzwischen ist auch durch wiederholte Waffenfunde der KFOR der Verdacht bestätigt worden, dass sich die UÇK/TMK-Kommandanten einer vollständigen Entwaffnung entziehen und – trotz der öffentlichkeitswirksamen Abgabe und Vernichtung von Waffen – geheime Depots angelegt haben, um für alle Eventualitäten gerüstet zu sein. Viele Informationen weisen zudem darauf hin, dass der UÇK-Geheimdienst weiter aktiv ist.[21]

Beim Aufbau des Kosovo-Polizeikorps (KPC) wurde Abstand davon genommen, geschlossene UÇK-Einheiten aufzunehmen. Ehemalige UÇK-Kämpfer mußten sich – durchaus mit Erfolg, teilweise aber offenbar auch unter Ausübung von Druck auf die Prüfer – individuell für den Polizeidienst bewerben. Zugleich ist zu beobachten, dass viele Einheiten der UÇK-Militärpolizei als private Wachschutzeinheiten fortbestehen.[22] Ob die kosovarische Polizei des KPC die Kraft aufbringen wird, sich konsequent gegen alle Formen der organisierten Gewalt durchzusetzen, ist noch nicht eindeutig abzusehen. Befürchtungen wurden hier nicht nur hinsichtlich alter UÇK-Loyalitäten, sondern auch hinsichtlich der Bezahlung laut, die weit unterhalb dessen liegt, was beispielsweise ein UNMIK-Chauffeur verdient. Dennoch gibt es wohl keine Alternative dazu, diesen Bereich möglichst schnell weitgehend in kosovarische Hände zu legen und ihn damit einer kosovarischen politischen Öffentlichkeit gegenüber rechenschaftspflichtig zu machen - zumal die Grenzen einer internationalen Polizeiarbeit inzwischen klar erkennbar sind. 

Innere Sicherheit 

Gerade im Bereich der inneren Sicherheit wird KFOR und UNMIK eine weitgehende Kapitulation vor dem Faktischen unterstellt. Dies betrifft nicht nur die inzwischen kaum spontanen, sondern zunehmend organisierten Gewaltverbrechen aus ethnischen Motiven. Auch die wirtschaftlich motivierte Kriminalität nimmt zu, vor allem Schutzgelderpressungen, der Kampf um Geschäftssphären, Autodiebstahl und ?schmuggel, Drogen? und Frauenhandel. 

Im Konzert der Transformationsländer ist Kosovo damit weder eine Ausnahme noch - bisher - ein besonders schwerer Fall. Es würde sogar verwundern, wenn hier die einzige europäische Transformation ohne kriminelle Begleiterscheinungen stattfände. Die zentrale Frage ist allerdings, ob und wie schnell sich nach der typischen Phase der „ursprünglichen Akkumulation“ rechtsstaatliche Strukturen durchsetzen. Dies hängt wesentlich von der Effektivität des staatlichen Gewaltmonopols ab, dessen Durchsetzung jedoch durch externe Kräfte nur langsam erfolgen kann - gerade weil ihnen die intime Kenntnis der informellen Strukturen der Gesellschaft zunächst fehlt.

Die internationale UNMIK-Polizei ist gegenwärtig nicht in der Lage, die innere Sicherheit zu gewährleisten. Zunächst ist sie chronisch unterbesetzt, weil die Entsenderländer ihren personellen Verpflichtungen nicht nachkommen. Zudem muß sie in der Regel mit Dolmetschern arbeiten und stößt in der Bevölkerung oft auf eine Mauer des Schweigens. Weiterhin scheinen viele Polizisten aus den UN-Mitgliedsstaaten die willkommene Gehaltsaufbesserung nicht mit dem Einsatz ihres Lebens erkaufen zu wollen. Die Effektivität dieser gemischten Polizeitruppe krankt allerdings auch an den unterschiedlichen Polizeikulturen ihrer Herkunftsländer. Insofern ist es sinnvoll, dass sich die UNMIK-Polizei auf bestimmte Kernkompetenzen beschränkt - wie z.B. auf die Eskalationsvermeidung bei Demonstrationen durch die inzwischen eingetroffenen Spezialeinheiten oder verstärkte Anstrengungen im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität.

Nach einer gewissen Anlaufphase nehmen zumindest die Aufklärungserfolge der KFOR zu, die bis zur vollständigen Funktionsfähigkeit der Zivilpolizei weitgehende Polizeiaufgaben wahrzunehmen hat, teilweise in Zusammenarbeit mit der UN-Polizei. Auf diese Polizeifunktionen der KFOR wird vermutlich in näherer Zukunft nicht verzichtet werden können, allein um ein Korrektiv gegenüber den neuen einheimischen Strukturen zu haben.

Inter-ethnische Beziehungen

Eine multi-ethnische Gesellschaft im Kosovo muss bis auf weiteres als utopisch angesehen werden. Die ethnisch motivierten Gewalttaten und Morde sind zwar durch die weitgehende territoriale Trennung der Gruppen etwas zurückgegangen, reißen aber nicht ab. Insbesondere die Sprengstoff­anschläge auf Serben können inzwischen nicht mehr als spontane Racheakte, sondern nur als Teil einer systematischen Vertreibungsstrategie eines Teils der Albaner angesehen werden: Mal trifft es serbische Beschäftigte der UNMIK, die in albanischsprachigen Zeitungen der Mitgliedschaft in paramilitärischen Säuberungskommandos bezichtigt wurden, mal siebzigjährige Frauen, denen wohl kaum eine aktive Teilnahme an ethnischen Verbrechen vorgeworfen werden kann. 

Die meisten internationalen Vertreter vor Ort befürworten nun die wesentlich vorsichtigere Zielvorstellung einer friedlichen Koexistenz der Ethnien. Es stellt sich auch die Frage, ob nicht die Erwartung illusorisch war, allein durch die internationale Präsenz eine multi-ethnische „Normalität“ her- oder wiederherstellen zu können - die zudem so nie existierte. 

Eine Voraussetzung für friedliche Koexistenz ist die konsequente rechtliche Verfolgung ethnisch motivierter Verbrechen. Mitunter fehlt es hier aber an der ethnischen Unvoreingenommenheit der seit 1999 bestellten kosovarischen Richter. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung zu sehen, einzelne Gerichtsverhandlungen mit internationalen Richtern abzuhalten und parallel zum kosovarischen Rechtssystem einen international besetzten „War and Ethnic Crimes Court“ aufzubauen, der ethnisch motivierte Kriegs- und Nachkriegsverbrechen verfolgen soll. 

Zum anderen ist es unabdingbar, dass ein gesellschaftlicher Dialog zwischen Serben und Albanern im Kosovo stattfindet, der die Fragen von Schuld und Vergebung für die Gewalttaten thematisiert. Gegenwärtig sind die Serben aber noch nicht einmal ansatzweise bereit, ihre Rolle in der jüngsten Vergangenheit zu thematisieren. Auch bei den Albanern sind gesprächsbereite Kräfte noch in der Minderzahl. Selbst wenn sich hochrangige UÇK-Anhänger wie der langjährige Dissident Adem Demaçi offen gegen Gewalttaten und für Toleranz aussprechen, lösen sie damit heftige Gegenreaktionen aus.[23] Vor allem behindert das ungeklärte Schicksal einer beträchtlichen Anzahl von albanischen „Straftätern“, die von den abziehenden jugoslawischen Sicherheitskräften in innerserbische Gefängnisse verschleppt wurden, eine Entspannung. Letztlich verstärkt auch die offene Statusfrage - und hier schließt sich der Kreis - eine öffentliche Atmosphäre, in der sich beide Seiten voneinander abgrenzen und ihr gegenseitiges Misstrauen beibehalten.

Give Peace a Chance

Die internationale Präsenz im Kosovo wird auch noch länger mit den beschriebenen Problemen konfrontiert sein. Dennoch wäre es zu einfach, sich auf die Position „Give War a Chance“ zurückzuziehen - denn zum erneuten Krieg würde es sicher kommen, wenn man den lokalen Konfliktparteien das Gesetz des Handelns überläßt. Angesichts des dabei zu erwartenden Elends und der gesellschaftlichen Kosten für ganz Europa lohnt sich der Versuch, mit langem Atem eine politische Lösung für Kosovo zu suchen, die nicht konfliktfrei, aber wenigstens weitgehend auf friedlichem Wege zustande kommt. Dass dieser Prozess auch scheitern kann, versteht sich von selbst, spricht aber nicht grundsätzlich gegen ihn.

Ein Großteil der Probleme, mit der sich die UN-Mission im Kosovo konfrontiert sieht, resultiert aus der Vorgabe der UN-Resolution 1244, Kosovo als Bestandteil Jugoslawiens zu erhalten. Die pragmatische und weitgehende Auslegung des Autonomiebegriffs hat hier teilweise Abhilfe geschaffen, löst aber nicht das Grundproblem. 

Auch wenn sich die Utopie eines multi-ethnischen Kosovo als illusorisch erwies, ist der Grundsatz der friedlichen Koexistenz die einzig mögliche Grundlage für ein dauerhaftes internationales Engagement. Die Lösung der gesellschaftlichen Kernaufgabe – der Bildung einer modernen Nation und die dadurch bedingte Legitimierung staatlicher Gewalt - kann jedoch nicht von außen kommen, und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um die eher unwahrscheinliche jugoslawische Option unter Einbeziehung der Kosovaren oder um eine eigenständig kosovarische unter Einbeziehung aller Minderheiten handeln wird. Sie bleibt die Aufgabe der kosovarischen - albanischen und serbischen - Gesellschaft(en) und ihrer Eliten. 

Unter diesen Bedingungen bleibt die Fortsetzung des bisherigen Kompromissweges - also der oben beschriebenen Option 3 - auf absehbare Zeit ohne Alternative. Diese könnte man gerade gegenüber den Verfechtern der Unabhängigkeit als „Unabhängigkeit auf Probe“ vermitteln unter der Bedingung, dass allen Kosovaren ein Heimatrecht im Kosovo zugebilligt wird. Dabei sollte es einerseits stärkere Garantien dafür geben, dass keine endgültige Statusentscheidung gegen den Willen der Kosovaren getroffen wird, andererseits aber deutlich gemacht werden, dass die konkrete Ausgestaltung dieser Lösung durchaus vom Verhalten aller Beteiligten zueinander abhängig sein wird. 

Die Übergabe möglichst vieler Autonomiefunktionen an die Kosovaren ist dabei durch ein letzt­instanzliches Korrektiv seitens KFOR und UNMIK zu begleiten. Notfalls haben letztere auch politisch nicht opportune Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Nach einem Jahr sind die Voraussetzungen hierfür besser geworden.

Vor allem muß deutlich werden, dass Blockadepolitiken und Provokationen nicht zur Belohnung durch Zugeständnisse der internationalen Gemeinschaft, sondern im Gegenteil zur Verschlechterung der Verhandlungsposition der jeweiligen Verursacher beitragen. 

Folgende Prinzipien könnten aus heutiger Sicht den erfolgreichen Abschluß des UN-Mandats befördern:

·Eine politisch garantierte Wahlmöglichkeit für die Kosovaren über den endgültigen Status Kosovos, verbunden mit der Auflage, dass diese erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, an dem die Entscheidung - wie immer sie auch ausfallen mag - den Frieden nicht erneut gefährdet. Diese „weiche“ Sicherheitsgarantie könnte durch die im UN-Sicherheitsrat vertretenen KFOR-Staaten erfolgen, da gegen deren Veto das Mandat der Resolution 1244 nicht außer Kraft gesetzt werden kann, und/oder auch Bestandteil des geplanten Kontrakts mit der UNMIK sein.

·Die weitestgehende Übertragung von Autonomiefunktionen an die Kosovaren, um diese verantwortlich und rechenschaftspflichtig gegenüber der eigenen Klientel und der internationalen Gemeinschaft zu machen.

·Klare politische Konditionen für eine eventuelle Unabhängigkeit, auf die sich die dafür optierenden Kosovo-Eliten frühzeitig festzulegen hätten. Diese beträfen zum einen die Unantastbarkeit der Grenzen der Nachbarstaaten, zum anderen die Menschenrechte aller Kosovaren unabhängig von ihrer Ethnizität.

·Anreize zur friedlichen ethnischen Koexistenz durch eindeutige politische Signale, die Wahlmöglichkeit zum gegebenen Zeitpunkt konkret so auszugestalten, dass kooperatives Verhalten belohnt wird. Dies bedeutet, gegenüber den Kosovo-Albanern auch die Option der Teilung Kosovos grundsätzlich offenzuhalten und die Zwischenzeit als Monitoringphase zu nutzen („Unabhängigkeit auf Probe“).

·Die zunehmende Bindung der Hilfszusagen an Konditionen, um Eigenanstrengungen zu befördern, den Kosovo den Transformationsländern Südosteuropas gleichzustellen und keine Anreize für verantwortungsloses Probleme-Erzeugen zu geben.

·Die Beibehaltung eines letztinstanzlichen Korrektivs durch UNMIK unter Nutzung von Personal- und Eigentumsentscheidungen als „weiche“ Sanktionen, da sich diese in allen Transformationsländern mit schwachen Institutionen als die entscheidenden Machtinstrumente erwiesen haben. Dies würde ein Recht der UNMIK bedeuten, die Inhaber wichtiger Posten in Verwaltung und öffentlichen Unternehmen abberufen zu können, wenn sie nachweislich gegen die festgelegten politischen Konditionen verstoßen. Dazu ist eine prioritäre Bearbeitung der offenen Eigentumsfragen unabdingbar.

·Die Gewährleistung einer sicheren Finanzierungsgrundlage von UNMIK, notfalls unter Hintanstellung bilateraler Hilfsprogramme. Die Finanzierung sollte auch eine vernünftigen Bezahlung der Angehörigen kosovarischer Sicherheitskräfte sicherstellen, um nicht unnötig Korruptions- und Loyalitätskonflikte heraufzubeschwören.

·Die längerfristige Entsendung von UNMIK- und KFOR-Personal, um kostspielige Lernprozesse nicht ständig zu wiederholen und die Verwaltung effizienter zu machen. 

·Ein verstärkter Dialog zwischen UNMIK und den Kosovaren auf allen Ebenen, um berechtigte und unberechtigte Kritik vorzubringen, die vermeidbaren und unvermeidbaren Härten zu vermitteln sowie das Verständnis für die vielfältigen Restriktionen des UN-Mandats zu schaffen.



[1]Der Aufsatz entstand in Kooperation mit dem Deutschen Institut für Entwicklungspolitik im Rahmen des Stabilitätspakts für Südosteuropa. Die Informationen beruhen - soweit nicht anders gekennzeichnet - auf Autoreninterviews während zweier Aufenthalte im Kosovo im ersten Halbjahr 2000. Allen Gesprächspartnern sei an dieser Stelle herzlich gedankt.
[2]Edward N. Luttwak: Give War a Chance. In: Foreign Affairs 4/1999, S. 36 - 44.
[3]Vgl. Egbert Jahn: „Nie wieder Krieg! Nie wieder Völkermord!“ Der Kosovo-Konflikt als europäisches Problem. Forschungsschwerpunkt Konflikt- und Kooperationsstrukturen in Osteuropa an der Universität Mannheim: Untersuchungen des FKKS 23/1999, S. 28 - 38.
[4]Report on the Western Balkans presented to the Lisbon European Council by the Secretary General/High Representative together with the Commission (SN 2032/2/00 REV 2). In: CEPS Europe South-East Monitor No. 9, March 2000, Brussels: Centre for European Policy Studies.
[5]Vgl. Stefan Troebst: Die albanische Frage - Entwicklungsszenarien und Steuerungsinstrumente. Studie für das Militärwissenschaftliche Büro des österreichischen Bundesministeriums für Landesverteidigung, Leipzig, 22. Mai 2000.
[6]Resolution 1244 (1999), Adopted by the Security Council at its 4011th meeting, on 10 June 1999. <http://www.un.org./Docs/scres/1999/99sc1244.htm>, 23.03.2000.
[7]Draft Agreement Between the Federal Republic of Yugoslavia and the United Nations on the Establishment of a Joint Coordination Committee, 24 April 2000, Article 2(4).
[8]Vgl. Egbert Jahn: „Nie wieder Krieg! Nie wieder Völkermord!“ Der Kosovo-Konflikt als europäisches Problem. Forschungsschwerpunkt Konflikt- und Kooperationsstrukturen in Osteuropa an der Universität Mannheim: In: Untersuchungen des FKKS 23/1999, S. 10 - 12.
[9]„Memorandum of the Government of the Federal Republic of Yugoslavia on the Implementation of UN Security Council Resolution 1244“ (1999), Art. I.4. In: Review of International Affairs (Belgrade) No. 1085-86/1999, S. VIII - IX.
[10]Vgl. Hans-Joachim Heintze: „Wege zur Selbstverwirklichung des Selbstbestimmungsrechts der Völker innerhalb bestehender Staaten“. In: Hans-Joachim Heintze (Hg.): Selbstbestimmungsrecht der Völker - Herausforderung der Staatenwelt. Bonn: Dietz Verlag, 1997, S. 22 - 23.
[11]Vgl. Valentin Michajlov: „Tatarstan: Jahre der Souveränität. Eine Kurze Bilanz“. In: Osteuropa 4/1999, S. 366 ? 386.
[12]Zit. nach Markku Suksi: „Rechtliche Regelung der Autonomie. Die autonomen Ålandinseln und weitere europäische Beispiele“. In: Hans-Joachim Heintze (Hg.): Selbstbestimmungsrecht der Völker - Herausforderung der Staatenwelt. Bonn: Dietz Verlag, 1997, S. 226.
[13]Vgl. Elmar Pichl: Kosovo - „Kriegsrecht„ Faustrecht und UN-Recht. Rechtliche Aspekte des Wiederaufbaus“. In: Südosteuropa 11-12/1999, S. 654 - 659.
[14]Vgl. UNMIK: Bringing Peace to Kosovo. UNMIK at nine months. <http://www.un.org/peace/kosovo/pages /9months.html>, 14.03.2000.
[15]Vgl. International Crisis Group: „Trepca: Making Sense of the Labyrinth“. In: ICG Balkans Report No 82, 26 November 1999.
[16]Vgl. UNMIK: 2000 Fiscal Monitoring Report. Prishtina: Central Fiscal Authority, 31 March 2000.
[17]Vgl. International Crisis Group: „Who’s Who in Kosovo“. In: ICG Balkans Report No 76, 31 August 1999.
[18]Vgl. International Crisis Group: „Waiting for UNMIK: Local Administration in Kosovo“. In: ICG Balkans Report No 79, 18 October 1999; International Crisis Group: „What Happened to the KLA“. In: ICG Balkans Report No 88, 3 March 2000.
[19]Vgl. UNMIK: Bringing Peace to Kosovo. UNMIK at nine months. <http://www.un.org/peace/kosovo/pages /9months.html>, 14.03.2000.
[20]Vgl. UN Security Council: Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (S/2000/538), 6 June 2000.
[21]Vgl. International Crisis Group: „What Happened to the KLA“. In: ICG Balkans Report No 88, 3 March 2000, S. 1–10.
[22]Vgl. International Crisis Group: „What Happened to the KLA?“ In: ICG Balkans Report No 88, 3 March 2000, S. 11–14.
[23]Vgl. Fabian Schmidt: „Kosova marks first anniversary of Nato’s arrival“. In: RFE/RL Balkan Report, Vol. 4, No. 45, 16 June 2000.

 


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