Baustelle zukunftsfähige Infrastruktur

Eine moderne Infrastruktur braucht Investitionen

Bereits vor der Corona-Krise stand fest, dass Deutschland ein Investitionsproblem hat. Eine Zahl machte dies besonders deutlich: 457 Milliarden Euro. Diesen zusätzlichen Investitionsbedarf in die öffentliche Infrastruktur innerhalb der nächsten 10 Jahre hatten das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) und das Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) im Jahr 2020 ermittelt. Allein der Investitionsrückstand auf kommunaler Ebene ist bis zum Jahr 2020 auf 149 Milliarden Euro angewachsen (Difu).

Ohne eine moderne Infrastruktur wird es jedoch nicht gelingen, die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte zu bewältigen – sei es die zunehmende Bedeutung der Digitalisierung für die internationale Wettbewerbsfähigkeit oder den wirtschaftlichen Strukturwandel in Folge der Dekarbonisierung. Während es über politische Lagergrenzen hinweg zunehmend Konsens ist, dass eine öffentliche Investitionsoffensive für die Zukunftsfähigkeit Deutschlands unabdingbar ist, mehren sich jedoch auch die Anzeichen, dass eine bloße Aufstockung der finanziellen Mittel allein nicht zur Lösung des Problems beitragen wird.

Geld allein ist nicht genug

Denn das Geld muss auch in konkreten Projekten verbaut werden. In den letzten Jahren hat sich jedoch genau hier ein kritischer Flaschenhals gebildet, angefangen von den Kapazitäten des Baugewerbes, über den sich verschärfenden Fachkräftemangel in den kommunalen Planungsverwaltungen bis hin zur Komplexität von Standards sowie Beteiligungs- und Genehmigungsverfahren.

Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) und das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) haben im Auftrag der Friedrich-Ebert-Stiftung untersucht, wie diese strukturellen Hindernisse die öffentliche Investitionstätigkeit hemmen. Die vorliegende Studie beleuchtet deren Zusammenspiel mit monetären Investitionshemmnissen und formuliert Handlungsempfehlungen für das Gelingen einer öffentlichen Investitionsoffensive.

Kapazitätsauslastung im Baugewerbe

Die Kapazitätsauslastung der Bauwirtschaft ist nach der Finanzkrise in mehreren Schüben gestiegen. Dies hat zu drastischen Preissteigerungen bei den öffentlichen Bauinvestitionen geführt und äußert sich u.a. darin, dass die Kommunen weniger Angebote auf ihre Ausschreibungen für Bauleistungen erhalten.

Es bestätigt die Selbstwahrnehmung der Kommunen, die Engpässe in der Bauwirtschaft als Ursache für ihre Investitionsrückstände erachten. Diese Kapazitätsengpässe sind unter anderem auf die prozyklische Investitionstätigkeit der öffentlichen Hand seit der deutschen Wiedervereinigung zurückzuführen. In den meisten Regionen Deutschlands dürften sich in den vergangenen Jahren mithin die Kapazitätsengpässe in der Bauwirtschaft auf die öffentlichen Bauinvestitionen ausgewirkt haben.
 

Kapazitätsauslastung in ausgewählten Bereichen der Bauwirtschaft

 

Personalsituation in der Bauverwaltung

In rund jeder fünften befragten Kommune sind Stellen im Hoch- und/oder Tiefbauamt seit längerer Zeit nicht besetzt. Ein Großteil der Kommunen nimmt Personalengpässe in der eigenen Bauverwaltung wahr und nennt die Verschiebung bzw. nicht fristgerechte Realisierung von Bauvorhaben als Konsequenz. Hinzu kommt, dass vielfach Fördermittel nicht fristgerecht oder gar nicht abgerufen werden, weil dafür Personal fehlt.


Folgen von Personalengpässen für Infrastrukturinvestitionen in Kommunen

Beteiligungsverfahren bei öffentlichen Infrastrukturvorhaben

Mit einer steigenden Bauinvestitionstätigkeit geht offenbar eine steigende Anzahl von Bürgerbegehren einher. Beispielsweise hat sich hat sich die Investitionstätigkeit in Bayern auf einem deutlich höheren Niveau verstetigt, als in den ostdeutschen Bundesländern. Im Zeitraum von 2000 bis 2019 ist dort parallel auch absolut die höchste Anzahl an Bürgerbegehren zu verzeichnen. Beteiligungsverfahren stellen jedoch nicht per se ein Investitionshemmnis dar. Vielmehr kann ihre unzureichende Ausgestaltung und Durchführung problematisch sein, ebenso wie nicht eingeplante Zeitpuffer.


Summe erfolgreicher Bürgerbegehren contra öffentliche Infrastrukturvorhaben 2000–2019 je Bundesland (ohne Stadtstaaten, n = 532)

 

Komplexität von Genehmigungsverfahren und Standards

Bei öffentlichen Infrastrukturvorhaben sind angesichts des mehrstufigen und komplexen Bauplanungs- und -genehmigungsverfahren nicht nur unterschiedliche Fachverwaltungen zu koordinieren, sondern auch eine Vielzahl an gesetzlichen Einzelstandards zu berücksichtigen. Sie stellen die involvierten Fachverwaltungen der Kommunen vor große und zeitaufwändige Koordinationsherausforderungen. Dies gilt in besonderer Weise für kleinere und mittlere Kommunen. Insofern begründet vor allem der Umfang an gesetzlichen Standards ein nicht-monetäres Investitionshemmnis.

Zentrale Empfehlungen

  1. Ausbau der Ausbildungskapazitäten und Flexibilisierung der Gehaltsstrukturen: Um dem Personalmangel in den baurelevanten Verwaltungen der Kommunen zu begegnen, ist eine Ausweitung, Professionalisierung und Vernetzung der landeseigenen und kommunalen Ausbildungskapazitäten – gerade in den technischen Berufen – erforderlich. Zudem müssen die Gehalts- und Tarifstrukturen im öffentlichen Dienst angehoben, flexibler und konkurrenzfähig werden, um hinreichend attraktiv für potenzielle Berufs- und Quereinsteiger zu werden.
     
  2. Prüfung von Anpassungsmöglichkeiten zur Ermittlung des kommunalen Stellenbedarfs: Mit Blick auf die wachsenden Aufgaben der Bau- und Stadtplanungsverwaltungen in den Kommunen sowie ihre chronische Unterbesetzung sollte geprüft werden, inwieweit die Regeln zur Stellenbedarfsermittlung modifiziert werden sollten, sodass zusätzliche Planstellen ausgewiesen werden können.
     
  3. Stärkung der Mitsprache- und Mitwirkungsrechte von Kommunen im Baugesetzbuch: Es empfiehlt sich eine formal-rechtliche Stärkung der Mitsprache- und Mitwirkungsrechte von Kommunen im Baugesetzbuch. Dabei geht es um die Berücksichtigung von Stadt- und Gemeinderatsbeschlüssen in entsprechenden Planfeststellungsverfahren und die Einbeziehung der kommunalen Planungsämter in Planungsverbünde von Bund und Ländern. So lässt sich die Vermittlerrolle der Kommunen zwischen Bund, Land und privaten Vorhabenträger_innen auf der einen Seite und der jeweiligen Stadtgesellschaft auf der anderen Seite stärken.
     
  4. Einführung eines zweistufigen Planfeststellungsverfahrens zur frühzeitigen Öffentlichkeitsbeteiligung: Durch eine gesetzliche Novellierung des Baugesetzbuches durch Bund und Länder sollte ein zweistufiges Planfeststellungsverfahrens für (öffentliche) Bauvorhaben eingeführt werden, um so eine noch frühzeitigere Öffentlichkeitsbeteiligung zu ermöglichen.
     
  5. Bauausführung erst nach Planungsabschluss: Es empfiehlt sich gesetzlich zu verankern, dass eine Bauausführung erst nach dem vollständigen Abschluss des gesamten Planungsprozesses unter Berücksichtigung der verschiedenen Teilabschnitte und Gewerke beginnen darf. Zeit- und kostenintensive Inkompatibilitäten zwischen bereits errichteten Baubestandteilen und Nachplanungen ließen sich so reduzieren, die notwendige Wiederholung von öffentlichen Beteiligungsverfahren vermeiden.
     
  6. Einrichtung einer Kommission zur Kompatibilitätsprüfung von Baustandards: Zur fortlaufenden Überprüfung der Vereinbarkeit gesetzlicher Bau- und Umweltstandards einschließlich des Natur-, Luft-, Emissions- und Brandschutzes empfiehlt sich die Einsetzung einer ständigen und unabhängigen Kommission von Expertinnen und Experten aus den verschiedenen Teilbau- und Teilrechtsgebieten. Eine entsprechende Kommission könnte bei der Bauministerkonferenz der Länder angesiedelt werden. Unabhängig in der Wahl ihrer Prüfgegenstände, könnten die Arbeitsergebnisse der Kommission als Grundlage für die Beratungen der Bauministerkonferenz dienen. Damit würde sich die Hoffnung verbinden, die Steuerungsanforderungen von Bauvorhaben auf kommunaler Ebene perspektivisch durch eine gesetzliche Beseitigung von inkompatiblen Standards zu reduzieren.

Vorstellung der Studie am 7. Juni 2021

Programm, 7. Juni 2021

Zuschaltung der Teilnehmenden

Begrüssung

Hans Eichel, Bundesminister a.D. und Sprecher des Arbeitskreises Nachhaltige Strukturpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES)

Vorstellung der Forschungsergebnisse

Kapazitäten, Standards und Verfahren– Investitionshemmnisse für den Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und Ansätze zu ihrer Beseitigung

  • Dr. Katja Rietzler, Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung
  • Dr. Henrik Scheller, Deutsches Institut für Urbanistik

Diskussion

Der handlungsfähige Staat – Ansätze zur Schaffung leistungsfähiger Strukturen für die Infrastrukturen von Morgen

  • Prof. Dr. Michael Hüther, Institut der Deutschen Wirtschaft, Direktor
  • Prof. Dr. Carsten Kühl, Deutsches Institut für Urbanistik, Wissenschaftlicher Direktor und Geschäftsführer
  • Sarah Ryglewski, Bundesministerium der Finanzen, Parlamentarische Staatssekretärin
  • Prof. Dr. Dörte Diemert, Stadtkämmerin und Dezernentin für Finanzen und Beteiligungen der Stadt Köln 

Moderation: Maike Rademaker, Journalistin

Ende der Veranstaltung


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