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Wendet sich Belarus nach Osten oder Westen? / Abteilung Internationaler Dialog, Friedrich-Ebert-Stiftung. - Bonn, 1999. - 6 S. = 23 Kb, Text . - (Politikinformation Osteuropa ; 82)
Electronic ed.: Bonn: FES Library, 2000

© Friedrich-Ebert-Stiftung


INHALT




Dezember 1999

Belarus ist der westlichste Staat der Nachfolgeorganisation der Sowjetunion, der GUS (Gemeinschaft Unabhängiger Staaten). Es grenzt schon heute an die NATO (seit dem Beitritt Polens zum westlichen Verteidigungsbündnis) und ist ein künftiger Anrainerstaat der EU. Aber wo liegt Belarus’ Zukunft - in der engeren Anbindung an Rußland, der Führungsmacht der GUS, oder in einer Annäherung an die EU?

Die Antwort hierauf ist noch weitgehend offen und hängt vom Verlauf des innenpolitischen Konflikts ab. Belarus steht am politischen Kreuzweg seiner künftigen Positionierung, sowohl auf wirtschafts- und gesellschaftspolitischem Feld, als in der Außenpolitik. Während die Opposition weitgehend aus den Protagonisten und Akteuren für die Westwende besteht, die sich gegen eine Union mit Rußland aussprechen, betreibt Präsident Alexander Lukaschenko diese russische Wiedervereinigung mit Verve.

1998 standen sich beide Lager unversöhnlich gegenüber. Lukaschenko konnte faktisch seine Politik durchsetzen. Die Opposition würde ihn am liebsten wegen der zahlreichen Menschen- und Bürgerrechtsverletzungen zur Verantwortung ziehen. Der Antagonismus kann angesichts der herrschenden Kräfteverhältnisse und Rahmenbedingungen nur durch beiderseitige Kompromißbereitschaft im Interesse des Landes überwunden werden. Diese Einsicht scheint im Herbst 1999 zu wachsen. Welche Ereignisse und Umstände im abgelaufenen Jahr rechtfertigen diesen vorsichtigen Optimismus?

Die beiden Wahlen von 1999 mißglückten.

Die von Lukaschenko auf April festgelegten und von der Opposition boykottierten Kommunalwahlen (nur die KP unterstützte sie) sowie die vom ehemaligen 13. Obersten Sowjet gegen den Widerstand von Lukaschenko initiierten Präsidentschaftswahlen im Mai bildeten die beiden Höhepunkte des politischen Konflikts. Die Überprüfung des Kommunalwahlgesetzes durch die OSZE Monitoring-Gruppe in Minsk mündete in der Beurteilung, „das Kommunalwahlgesetz kann die freie und gerechte Durchführung des Wahlprozesses nicht gewährleisten".

Damit wurden erneut konkrete Chancen vertan, notwendige Schritte in Richtung leistungsfähiger kommunaler Selbstverwaltungsstrukturen zu unternehmen. Die Exekutive hatte auf die angebotene internationale Beratungshilfe für die Ausarbeitung demokratischer Wahlstandards verzichtet. Die Regierung schien zu befürchten, der demokratischen Opposition auf diesem Weg politische Mitwirkung einräumen zu

müssen. Insofern konnte es auch nicht verwundern, wenn in- und ausländische Experten übereinstimmend das frisch verabschiedete Kommunalwahlgesetz als ungenügend einstuften.

Somit wurden auch keine Beobachter seitens der OSZE oder anderer internationaler Organisationen zu den Kommunalwahlen entsandt. Das offizielle Wahlergebnis der Wahl von 98% aller Kommunalräte bei einer Wahlbeteiligung von 70% muß im Licht des Fehlens jeglicher objektiver Wahlkontrolle betrachtet werden. Zum Vergleich: Bei den politisch wesentlich wichtigeren Parlamentswahlen im Mai 1995 war die erforderliche Wahlbeteiligung so gering, daß ebenfalls in zwei Wahlgängen lediglich 50% der Abgeordneten gewählt wurden.

Für den 16. Mai rief die Opposition zu Präsidentschaftswahlen auf, weil die Amtszeit von Lukaschenko gemäß der Verfassung von 1994 im Juli auslief. Dieser hält jedoch seine Präsidentschaft bis zum November 2001 gerechtfertigt – auf der Grundlage seines Verfassungsputsches vom November 1996. Mit der Festlegung des Wahldatums versuchte der 13. Oberste Sowjet (noch knapp 40 Abgeordnete) zugleich sein politisches Comeback. Die Regierung hatte in den vergangenen zwei Jahren unaufhörlich versucht, den 13. Obersten Sowjet sowohl als Institution ins politische Abseits zu stellen, als auch einzelne Abgeordnete zu kriminalisieren. Während der gesamten Vorbereitungszeit auf diese Wahlen demonstrierte der Staatsapparat offen seine Macht:

  • Am 1. März wurde die gesamte Wahlkommission während ihrer Sitzung festgenommen und anschließend zu erheblichen Geldbußen bzw. Gefängnis bis zu zehn Tagen verurteilt. Gegen den Vorsitzenden, Viktor Gontschar, wurde ein strafrechtliches Verfahren eingeleitet.
  • Manche Wahlhelfer, die die erforderlichen Unterschriften für die Registrierung der beiden Präsidentschaftskandidaten, Sianon Posnjak (Vorsitzender der Belarussischen Volksfront, lebt im Ausland) und Michael Tschygir (als Protest gegen das Referendum von 1996 als Ministerpräsident zurückgetreten) sammelten, wurden in den Städten der Regionen bestraft.
  • Die staatlichen Massenmedien diskreditierten die Wahlen ständig als verfassungswidrig und wiesen auf die angeblich kriminelle Handlung der Organisatoren hin.
  • Sieben oppositionelle Zeitungen und elf Parteien bzw. gesellschaftliche Organisationen wurden wegen „Aufruf zu verfassungswidrigen Wahlen" verwarnt.
  • Michael Tschygir wurde unter dem Vorwand, er trage als vormaliger Bankdirektor die Verantwortung für die Nichtrückzahlung eines Kredits, am 31. März verhaftet. Seit dem 8. Mai ist der ehemalige Innenminister, Sacharenko, spurlos verschwunden. Er hatte sich ebenfalls als Oppositioneller exponiert.

Weil für die Durchführung der Wahlen keine Wahllokale existierten, entschied die Wahlkommission sich für mobile Wahlurnen, d.h. Wahlhelfer zogen mit diesen Urnen von Wohnung zu Wohnung. Die Wahldauer war vom 16. Mai an auf zehn Tage festgelegt. Präsidentschaftskandidat Posnjak zog noch während der Wahlprozedur – unter Hinweis auf ihre Rechtswidrigkeit – seine Kandidatur zurück. Es gab noch weitere Ungereimtheiten: so konnten z.B. 4000 Wahlhelfer im März innerhalb von zwei Wochen nur 250.000 Unterschriften für die Registrierung der Präsidentschaftskandidaten sammeln; hingegen konnten etwa 2000 Helfer der Wahlkommission innerhalb von zehn Tagen vier Millionen ausgefüllte Wahlzettel vorlegen.

Erste Gespräche zwischen Regierung und Opposition

Die Aufrufe der Opposition und des 13. Obersten Sowjets nach dem 20. Juli, die Befugnisse von Lukaschenko als Staatsoberhaupt nicht weiter anzuerkennen, blieben erfolglos. Andererseits schien auch die Regierung – nunmehr nach Einschätzung aller westlichen internationalen Institutionen nicht länger verfassungsrechtlich legitimiert – nicht weiter ungerührt auf innen- und außenpolitischen Konfrontationskurs setzen zu wollen. Nach zahlreichen zäh verlaufenden vertraulichen Treffen zwischen Hans Georg Wieck, dem OSZE-Missionsleiter in Minsk, und Lukaschenko, fand am 1. August auf Initiative und unter Vermittlung der OSZE eine erste offizielle Begegnung zwischen Vertretern der acht maßgeblichen Oppositionsparteien und der Regierung statt. Als Leiter der Oppositionsdelegation, die auch vom 13. Obersten Sowjet bestätigt wurde, wählte man Anatolij Lebedko, stellv. Vorsitzender der Vereinigten Bürgerpartei.

Gegenstand der Verhandlungen sind:

  • Ausarbeitung eines Gesetzes für die Parlamentswahlen im nächsten Jahr (voraussichtlich im April)
  • Status des neuen Parlaments
  • ungehinderter Zugang der oppositionellen Parteien und Bewegungen zu den Massenmedien

Anscheinend, um die Ernsthaftigkeit der Dialogs mit der Opposition und ihre Kompromißbereitschaft zu unterstreichen, bestätigte die belarussische Delegation am 20. August während der Sitzung der UNO-Kommission für den Schutz der Menschenrechte in Genf, ebenfalls die Bereitschaft der Regierung, den vereinbarten 3-Punkte-Katalog zum positiven Abschluß zu bringen. Damit verhinderte sie zugleich auch die vorgesehene Verabschiedung einer Resolution über Menschenrechtsverletzungen in Belarus.

Ob es sich lediglich um eine taktische oder eine ernst gemeinte strategische Kursänderung handelt, darüber kann zum jetzigen Zeitpunkt nur spekuliert werden. Zwei mögliche Motive könnten eine Rolle spielen:

  • Der Vereinigungsprozeß mit Rußland stockt. Eine Hinwendung nach Westen würde Lukaschenko aus seiner einseitig auf Moskau orientierten Isolation lösen und ihm damit zugleich aufgrund seiner Popularität in Rußland eine noch größere Einwirkungsmöglichkeit auf die politische Gestaltung verschaffen.
  • Lukaschenko kann sich ohne großes Wagnis auf die Verhandlungen mit der Opposition einlassen. Die belarussische Opposition muß mit dem nicht mehr legalen Präsidenten verhandeln, d.h. sie verleiht ihm quasi durch den Dialogprozeß zumindest indirekt wieder Legitimität. Kontinuierlich konstatieren Umfragen von der Opposition nahe stehenden soziologischen Forschungsinstituten auf die unangefochtene Beliebtheit von Lukaschenko in der Bevölkerung (zwischen 45-50%). Eine ernsthafte Alternative aus Kreisen der Opposition ist nicht in Sicht. Die Verhandlungen bringen ihm zusätzlich auch noch den Beifall des Westens verbunden mit Kreditzusagen ein.

Der Lakmus-Test ist auf jeden Fall das Verhandlungsergebnis zwischen Regierung und Opposition in Minsk.

Anfang September fanden drei Gesprächsrunden zwischen den Kontaktgruppen der Opposition – unter Leitung von M. Pastuchow, Vorsitzender des Rechtsschutzzentrums der Massenmedien der belarussischen Journalistenvereinigung – und der Regierung unter Führung des Präsidentenberaters, M. Sazonow, statt und leiteten damit die Vorbereitungsphase des politischen Dialogs ein. Über den ungehinderten Zugang zu den Massenmedien konnte noch nicht verhandelt werden, weil die Vertreter des staatlichen Radios und Fernsehens nicht teilgenommen hatten.

Oppositionelle „verschwinden".

Am 16. September „verschwand" der stellvertretende Vorsitzende des 13. Obersten Sowjets, V. Gontschar. Seitdem der Sprecher des 13. Obersten Sowjets, S. Scharetzki, im Sommer aus Sicherheitsgründen nach Litauen übersiedelte, hatte er sich zu einem der führenden Oppositionspolitiker profiliert.

Nach dem spurlosem „Verschwinden" von Frau T. Winnikowa, der früheren Leiterin der Belarussischen Nationalbank, im April und des ehemaligen Innenministers, J. Sacharenko, der sich aktiv an der Vorbereitung der oppositionellen Präsidentenwahlen am 16. Mai beteiligt hatte, am 8. Mai ist nun mit Gontschar die dritte prominente Person unter mysteriösen Umständen von der politischen Bildfläche verschwunden. Dieses erinnert – in der Methodik, wenngleich auch nicht in der Dimension – fatal an die stalinistische Praxis bis Anfang der 50er Jahre. Für den 19. September war die Sitzung des Ausschusses des 13. Parlaments anberaumt, auf der V. Gontschar über die Vorhaben des Parlaments im Zusammenhang mit den ausgelaufenen präsidialen Befugnissen von Lukaschenko sprechen sollte. Die Appelle der OSZE, des Europäischen Parlaments sowie etlicher europäischer Regierungen und russischer Demokraten an die belarussische Regierung, das Verschwinden schnell aufzuklären, blieben ohne klare Antwort.

Auch an der Wirtschaftspolitik der Regierung wächst die Kritik.

Nicht nur die politische Opposition verfolgt die Versprechungen der Regierung auf mehr Demokratie mit Skepsis. Auch auf Gewerkschaftsseite und im Lager der Kleinunternehmer hat das Verhalten der Exekutive die vorhandene Frustration noch weiter verstärkt. Am 1. September protestierten landesweit die Besitzer von Kleinbetrieben gegen den Präsidentenerlaß Nr. 14, der den Kontrollorganen die Handhabe gibt, praktisch jedes Kleinunternehmen jederzeit zu schließen. Grundlage hierfür ist die Nachweispflicht der für den Ankauf einer Ware erforderlichen Devisen sowie eines Qualitätszertifikats für jeden Warenartikel, in dem auch die genaue Herkunft vermerkt ist. Weil praktisch keine belarussische Bank Devisen verkauft und andererseits der belarussische Rubel eine pure Binnenwährung ist, erforderte die Geschäftsführung für diese Berufsgruppe schon bislang ein hohes Maß an Kreativität. Nunmehr droht den Kleinunternehmen aber permanent der Ruin durch Beschlagnahmung und Enteignung.

Am 30. September hatten die Gewerkschaften – sowohl die unabhängigen, als auch die alten (Föderation) – in Minsk und in anderen Städten zu Kundgebungen aufgerufen, um gegen niedrige Löhne, Inflation, für die Rücknahme von Verordnungen, die die Produktionsentwicklung hemmen, sowie gegen staatliche Aufhebung des Generaltarifvertrages zu protestieren. Trotz aller Hindernisse, wie z.B. Anordnung von zusätzlichen Arbeitsschichten an diesem Tag und Zuweisung eines vom Stadtzentrum weit entfernten Platzes, der keinen Raum für größere Menschenmengen bot, folgten allein in Minsk etwa 10.000 Menschen dem Aufruf. Auf diese Demonstration reagierte Lukaschenko mit einem Erlaß, der den Betriebsbuchhaltungen künftig untersagt, direkt die Gewerkschaftsbeiträge vom Lohn einzubehalten.

Innerer Zwist und Unterdrückung schwächen die Opposition.

Nachdem sich die Opposition schon während der gescheiterten „Präsidentschaftswahlen" im Mai nicht als glaubhafte Alternative präsentieren hatte können, setzte sich der Prozeß über selbstverschuldeten Schwächung im September fort. Eine der ältesten national-demokratischen Bewegungen, die Belarussische Volksfront, spaltete sich anläßlich des Streits um die Legitimität (Delegiertenschlüssel) der Einberufung ihres IV. Parteitages am 26. September in Minsk. Während ein Teil der Volksfrontmitglieder weiterhin den im ausländischen Exil lebenden Führer, Sianon Posnjak, als Vorsitzenden favorisieren, fordern seit längerem andere, daß die politische Führungsfigur im Land leben soll. Deren präferierter Parteiführer ist deshalb W. Viatschorka.

Die Posnjak-Anhänger wiederum beschlossen einen neuen Parteinamen: Christlich-Konservative Partei Belarussische Volksfront. Für den 30. Oktober riefen beide Parteien zu Parteikongressen auf, die auf Druck der Stadtverwaltung in Minsk im selben Gebäude stattfanden und erwartungsgemäß in handgreifliche Auseinandersetzungen und Polizeieinsatz mündeten.

Weiterhin ringen die acht Oppositionsparteien mit der Regierung in mühsamen Verhandlungen um das Zustandekommen eines rechtsstaatlichen Regelwerks für die Medien, die vorgesehenen Parlamentswahlen und die künftige Parlamentsordnung. Beide Seiten versuchten, der anderen Seite jeweils ihre Stärke vor Augen zu führen - die Opposition mit einem machtvollen Straßenprotest, die Regierung mit repressiven Maßnahmen hierauf. Am 17. Oktober demonstrierten etwa 20.000 Bürger in einem „Freiheitsmarsch" gegen die bevorstehende Unterzeichnung des Unionsvertrages mit Rußland. Der Versuch, nach der Kundgebung von dem zugewiesenen Platz am Stadtrand aus in das Stadtzentrum zu marschieren, wurde mit Polizeigewalt gestoppt, was in eine regelrechte Straßenschlacht mit Verletzten auf beiden Seiten mündete. Etwa 200 Personen wurden verhaftet, unter ihnen auch der Vorsitzende der Belarussischen Sozial-Demokratischen Partei, Nikolai Statkewitsch, sowie Anatolij Lebedko. In der Untersuchungshaft wurde ihnen anwaltlicher Beistand verweigert. Die Bitte der OSZE-Mission, sie zu besuchen, blieb ohne Antwort.

Ausländischer Druck zeigt erste Wirkungen.

Während Washington, die OSZE und das Europäische Parlament die belarussische Regierung aufforderten, die verhafteten Teilnehmer frei zu lassen, stellte sich mit Ausnahme der Fraktion „Jabloko" die russische Duma auf die Seite von Lukaschenko, als er unter großem Beifall am 26. Oktober vor dem russischen Parlament über die Lage in Belarus aus seiner Sicht berichtete.

Am späten Abend des 31. Oktobers wurde zunächst Statkewitsch, in den nächsten Tagen auch Lebedko sowie alle anderen Verhafteten freigelassen. Anfang Dezember konnte auch Tschygir das Gefängnis verlassen. Bei dieser Freilassung handelt es sich wohl nicht um eine großmütige Geste, sondern vielmehr eher um sorgfältige Inszenierung auf der Grundlage nüchterner Interessenabwägung:

Am 29./30. Oktober hielt sich der Leiter der OSZE-Arbeitsgruppe für Belarus, der ehemalige rumänische Außenminister A. Severin, in Minsk auf, um die Ergebnisse der Vorbereitungsphase des Dialogs zwischen Regierung und Opposition zu beurteilen. Auf dem OSZE-Gipfeltreffen in Istanbul, zu dem Lukaschenko eingeladen war, sollte auch über die Menschenrechtssituation in Belarus diskutiert werden. Im Abschlußdokument, das von allen 54 Staats- und Regierungschefs (auch von Alexander Lukaschenko) unterzeichnet wurde, wird im Artikel 22 betont, daß einzig durch den politischen Dialog in Belarus der Weg für freie und demokratische Wahlen zur Entwicklung einer echten Demokratie führt. Allerdings haben bislang die staatlichen Medien noch nicht über die Vereinbarung berichten dürfen.

Zudem reiste am 1./2. November eine Delegation der Europäischen Union nach Minsk, um sich mit der politischen und wirtschaftlichen Lage vertraut zu machen. Im Zuge dieses Treffens unterzeichnete die Regierung ein Förderprogramm für unabhängige Medien und NGOs (5,5 Mio. USD) für die demokratische und rechtsstaatliche Entwicklung. Vor zwei Jahren hatte sich die Regierung dieser Unterstützungshilfe noch erfolgreich verweigern können.

In der Medienpolitik ist bislang nur politische Rhetorik, aber keine wirkliche Änderung festzustellen. Anfang Oktober entzog das Presseministerium neun Zeitungen und Zeitschriften aus vorgeschobenen formal-juristischen Gründen die Registrierung. Ein Beweis für die fortgesetzte Unterdrückungspolitik ist auch der Fall des Rechtsschutzzentrums „Frühling 96". Ende Oktober konfiszierte die Polizei die gesamte technische Ausrüstung dieser NGO mit der Begründung, daß die gemäß den gesetzlichen Vorschriften im Büro aufzubewahrenden Unterlagen über die Besitzverhältnisse fehlen würden. Ins Blickfeld staatlicher Aufmerksamkeit geriet „Frühling 96" wohl durch ihre Aktivität um die Aufklärung der Hintergründe und Verantwortlichkeiten einer Tragödie, als am 30. Mai nach einem Rockkonzert fast 60 Menschen ums Leben kamen.

Bislang ist Lukaschenko den nachprüfbaren Beweis für den Aufbau demokratischer und rechtsstaatlicher Strukturen schuldig geblieben. Mit einem fairen, auf Kompromiß orientierten politischen Dialog mit der Opposition könnte er anfangen, auf diese Weise die Grundlage für einen neuen politischen Gesellschaftsvertrag liefern und damit zugleich auch die Tür zum Europa der Integration öffnen.


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